eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 26/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2015
264 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Damit der Klügere nicht nachgeben muss

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2015
Oliver Steeger
Der Klügere gibt nach, heißt es. Immer wieder kommen Projektmanager in Versuchung, um des lieben Friedens willen beim Streit einzulenken. Dumm nur, wenn beim Interessenausgleich die sachlich klügste Lösung auf der Strecke bleibt. Mit einer neuen Methode für Konflikte soll jetzt die optimale Sachlösung wieder in den Fokus rücken. „Constructive Controversy“ – konstruktive Kontroverse – nennt sich dieses einfache Verfahren, und es gilt zwischenzeitlich sogar als Brutstätte für innovative Ideen. „Teams finden zu anfangs völlig unabsehbaren Lösungen und überraschen sich selbst“, berichtet Moderationsexperte Dr. Stefan Groß (Neuland & Partner Development and Training), der gemeinsam mit Wissenschaftlern der ETH Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz Olten an dieser Methode arbeitet. Fachleute sind sich einig: „Constructive Controversy“ macht Kompromisssuche und Interessenausgleich keineswegs überflüssig. Doch der Werkzeugkasten für Konfliktmanagement wird um ein wirkungsvolles Instrument bereichert. Das Interview wird von Werken des Künstlers Leszek Skurski begleitet.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 16 REPORT Der Klügere gibt nach, heißt es. Immer wieder kommen Projektmanager in Versuchung, um des lieben Friedens willen beim Streit einzulenken. Dumm nur, wenn beim Interessenausgleich die sachlich klügste Lösung auf der Strecke bleibt. Mit einer neuen Methode für Konflikte soll jetzt die optimale Sachlösung wieder in den Fokus rücken. „Constructive Controversy“ - konstruktive Kontroverse - nennt sich dieses einfache Verfahren, und es gilt zwischenzeitlich sogar als Brutstätte für innovative Ideen. „Teams finden zu anfangs völlig unabsehbaren Lösungen und überraschen sich selbst“, berichtet Moderationsexperte Dr. Stefan Groß (Neuland & Partner Development and Training), der gemeinsam mit Wissenschaftlern der ETH Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz Olten an dieser Methode arbeitet. Fachleute sind sich einig: „Constructive Controversy“ macht Kompromisssuche und Interessenausgleich keineswegs überflüssig. Doch der Werkzeugkasten für Konfliktmanagement wird um ein wirkungsvolles Instrument bereichert. Das Interview wird von Werken des Künstlers Leszek Skurski begleitet. Sogar den Dichterfürsten drückten Sorgen beim Lösen von Konflikten: „Gesunde Kompromisse“, seufzte Johann Wolfgang von Goethe, „machen aus Konflikten chronische Krankheiten“. Damit hat Goethe vor rund 200 Jahren ein uns allen bekanntes Problem beschrieben. Kompromisse helfen das Kriegsbeil zwischen Konfliktparteien zu begraben. In der Sache selbst allerdings sind sie häufig die zweitbeste Lösung. Beim Streit nach dem Interessenausgleich zu suchen und im Zweifelsfall nachzugeben - ist dies auf Dauer ein gefährliches Verhalten? Konfliktmanagement: Mit „Constructive Controversy“ zur (sachlich) besten Lösung Damit der Klügere nicht nachgeben muss Autor: Oliver Steeger Stefan Groß Dr. Stefan Groß (36) leitet den Bereich „Moderation, Kooperation und Kommunikation“ bei dem Beratungsinstitut Neuland & Partner Development and Training (Fulda). Als Gastdozent lehrt er derzeit u. a. an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Angewandte Psychologie, Olten (Schweiz), und an der Kathmandu University School of Education (Nepal). Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf Konflikt- und Entscheidungsprozessen, der Verbesserung von Besprechungskultur und der Wirkung von Live-Visualisierung. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern Prof. Theo Wehner und Prof. Albert Vollmer erforscht er Wege, theoretisch fundierte Methoden in Organisationen und in die Beratungspraxis zu übertragen. Er leitet „Neulands Campus“, ein Dialogforum für Wissenschaft, Praxis und Beratung. Kontakt Dr. Stefan Groß unter: stefan.gross@ neuland-partner.de. Fotos: Neuland & Partner Development and Training PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 16 24.08.2015 8: 28: 16 Uhr REPORT 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 tionen und suchen zusammen die sachlich beste Lösung. Wollen wir zu einer optimalen Entscheidung in der Sache kommen, so müssen wir uns vom Parteidenken, vom Durchsetzen der eigenen Position, vom Taktieren und von Machtspielchen trennen. Sachlich beste Lösungen kann man nicht aushandeln. Wir müssen sie gemeinsam generieren. Gelingt es, so hat dies entscheidende positive Folgen auch für das Miteinander in der Gruppe. Womit wir wieder bei der Beziehungsebene wären und der Kreis sich schließt. LOSGELÖST VON EIGENINTERESSEN Man muss gemeinsam die sachlich optimale Lösung suchen, sagen Sie. Die Betonung liegt auf gemeinsam. Was heißt dies konkret? Es ist möglich, einen Konflikt mit allen zusammen losgelöst von Eigeninteressen zu bearbeiten. Alle zusammen suchen unvoreingenommen gute Argumente für die jeweiligen Positionen. Sie miteinander verknüpft. Man muss über beides sprechen. In einer Mediation beispielweise liegt der Hauptfokus darauf, die Bedürfnisse der Konfliktparteien zu klären. Bei einer Schlichtung versucht der Moderator mit beiden Parteien eine diplomatische Konfliktlösung zu finden. Über eine Aussprache im geschützten Rahmen die grundsätzliche Arbeitsfähigkeit miteinander wieder herstellen - dies ist der Kerngedanke der Schlichtung. Langsam, bitte! So wertvoll die Mediation ist - sie führt nicht unbedingt zur sachlich richtigen Lösung. Ähnliches gilt für die Schlichtung. Bei den meisten Konfliktlösungen spielen Bedürfnisse eine Rolle, Machtpositionen oder auch die Mentalität der Konfliktparteien. Da muss der Klügere nachgeben - wider besseren Wissens! Zu der Strategie, direkt über die Beziehungsebene Konflikte zu lösen, gibt es aus meiner Sicht eine gute Alternative. Diese Alternative ist: Die Parteien lösen sich von ihren jeweiligen Posi- Dr. Stefan Groß: Zumindest droht Gefahr, dass die Kompromisslösungen dem Projekt früher oder später vor die Füße fallen. Im Moment des Konflikts kann man politische Lösungen diplomatisch aushandeln und damit die Streitparteien besänftigen. Mit der Zeit wird sich zeigen, ob diese Kompromissformel auch von der Sache her Bestand hat. Handelt es sich um eine Fehlentscheidung, so ist der Frieden häufig auf lange Sicht möglicherweise teuer erkauft. Und vor allem: Innovationspozential wird verschenkt! Kompromisslösungen sind selten innovativ oder kreativ. Projektmanager lernen früh, dass ein Konflikt meistens zwei Seiten hat: die Sache selbst und die Beziehung der Kontrahenten, also die Sachebene und die Beziehungsebene. In den letzten Jahren ist beim Konfliktmanagement die Beziehungsebene stark in den Vordergrund gerückt. Dies ist auch in Ordnung so. Bei Konflikten sind Sachfragen und Beziehungsfragen immer eng ALLE LEISTUNGEN AUS EINER HAND! FÜR X-MOMENTS, DIE BEWEGEN. Projektmanagement | Prozessmanagement | Change Management www.nextlevelconsulting.eu — Beratung — Coaching — Interim Management — Aus- und Weiterbildung — IT-Lösungen — Interventionen Anzeige PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 17 24.08.2015 8: 28: 18 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 18 REPORT teien auf. Genau dem schieben wir beim Vorgehen nach Constructive Controversy einen Riegel vor. Wir bringen die Parteien dazu, ihre Parteinahme - oder Anwaltschaft - für bestimmte Positionen und Argumente aufzugeben. Konkret: Schon im ersten Schritt vertreten die Teilnehmer nicht mehr ihre eigene Meinung. DILEMMA AUF DIE SPITZE TREIBEN Hand aufs Herz - wie soll dies gehen? Das Wesen des Streits besteht ja darin, dass zwei Parteien ihre Meinung für richtig halten. Im CC-Verfahren sind einige Elemente eingebaut, die das Verlassen der eigenen Position erleichtern. Wir treiben bewusst das Dilemma auf die Spitze, quasi ins Extreme. Entweder das gesamte Entwicklungsprojekt extern vergeben oder wirklich alles - bis ins kleinste Detail - im Haus behalten. Wir nennen dies das „Aufspannen“ der Frage zwischen zwei Polen. versy“, kurz „CC“. Constructive Controversy ist ein methodisch gestütztes Verfahren, es hat klar definierte Prozessschritte. Die wissenschaftlichen Wurzeln dieser Methode reichen zurück bis in die 1960er-Jahre. Um was handelt es sich genau? Ich erkläre dies an einem Beispiel: Der Ausgangspunkt sind Dilemmakonflikte, etwa die Frage, mit welcher Strategie ein Projekt anzugehen, umzusetzen und zu steuern ist. Stellen Sie sich ein Projektteam vor, das ein neues Produkt entwickelt. Dieses Team steht vor der Frage: Sollen wir Entwicklungsaufträge an externe Dienstleister vergeben - oder alles im eigenen Haus entwickeln? Für beide Seiten gibt es gute Gründe, die für die jeweilige Position sprechen … … und meistens auch gute Gründe, die dagegen sprechen. Nein, bei CC arbeiten wir gerade nicht mit Gegenargumenten. Wer sich zu sehr darauf konzentriert, ständig Argumente gegen eine Position vorzubringen, baut Fronten zwischen den Pardurchdenken diese Argumente, hinterfragen und untermauern sie. Dann stellen sie alle Argumente gleichberechtigt nebeneinander, um das Gesamtbild zu erwägen, um auf dieser Basis schließlich eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden: einen Konsens - und keinen Kompromiss mit Abstrichen. Eben sagten Sie: Dafür müssen sich die Konfliktparteien von ihrer eigenen Position lösen, diese Position aufgeben … … und sich dem Ziel verschreiben, neue Perspektiven einzunehmen und am Ende dem besten Argument zu seinem Recht zu verhelfen. Es geht um Kooperation, statt Konfrontation. Deshalb sind für ein solches Vorgehen emotional überladene Konflikte nicht geeignet. Aber wir wissen auch: Insbesondere im Frühstadium in Projekten ist nicht jeder Konflikt gleich ein Beziehungskonflikt. Ein Ansatz, der für diese Sachdiskussion infrage kommt, nennt sich „Constructive Contro- „Aufkauf“; Abbildung: Leszek Skurski PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 18 24.08.2015 8: 28: 21 Uhr REPORT 19 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 Eine Gruppe beschäftigt sich mit der einen Position, die andere mit der anderen Position? Ja, richtig. Die Pointe aber ist: Die Teilnehmer werden dem Zufall nach auf die Gruppen verteilt. Sie werden den Gruppen zugelost. Da stehen sich also nicht die beiden Parteien gegenüber, sondern bunt zusammengewürfelte Gruppen. BUNT ZUSAMMEN- GEWÜRFELTE GRUPPEN Gut möglich, dass jemand in die Gruppe gerät, die sich mit der Position befasst, die der eigenen entgegengesetzt ist? Gut möglich - und sogar sehr erwünscht. Je heterogener eine Gruppe ist, je mehr verschiedene Blickwinkel und Meinungen sie enthält, desto wahrscheinlicher wird ein besseres Ergebnis. Bleiben wir bei dem Beispiel des Entwicklungsprojekts. Wie gehen Sie im CC-Verfahren konkret vor? Schritt weiter zu gehen. Wir wecken also bewusst diese epistemische Neugier. Da wir von den Fachtermini sprechen, die in CC verwendet werden: Ambiguitätstoleranz ist ein weiterer Begriff, der verwendet wird. Was ist mit diesem Wortungetüm gemeint? Gemeint ist die Toleranz gegenüber Argumenten, die der eigenen, ursprünglichen Position entgegenstehen. Die Teilnehmer werden angeleitet, andere Positionen auszuhalten und zu durchdenken; dies gilt auch für abweichende Meinungen. Wir befähigen die Teilnehmer durch das CC-Verfahren, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Sie lernen in dem Verfahren, nicht nur Argumente für die eigene Position zu finden, sondern auch für die der entgegengesetzten Seite. Sie sollen sich am Ende in beide Positionen gut hineinversetzen können. Wie geht dies genau? Nachdem wir das Thema mit dem Dilemma aufgespannt und auf die Spitze getrieben haben, bilden wir zwei Gruppen. Solche Extreme dürften keine Anhänger finden … Nein, niemand wird solche übertriebenen Positionen ernsthaft vertreten. Sogar die Verfechter der jeweiligen Position räumen ein, dass man die Sache nicht so weit übertreiben sollte. Und genau dies ist der Sinn dieses Schritts: Er soll den Teilnehmern helfen, ihre Position für das CC-Verfahren zu relativieren. Indem ich die Frage aufspanne, löse ich die Frage von den Teilnehmern und stelle sie als sachliches Spannungsfeld dar. Wie hilft CC noch, die eigene Position zu verlassen? Der argumentative Schlagabtausch wird nicht nur verbal ausgetragen, sondern auch schriftlich auf Flipcharts. Die Argumente stehen unabhängig von der Person da, die sie vertritt. Noch wichtiger ist: Bei diesem Verfahren werden Teilnehmer dazu motiviert, die Frage neu zu erforschen. Dies hat viel mit Neugier zu tun, die „epistemische Neugier“, wie sie in CC genannt wird. Wir laden ein, hinter die Argumente an der Oberfläche zu schauen und einen entscheidenden „Constructive Controversy“ - ein Leitfaden für die Praxis „Constructive Controversy“ ergänzt das Methodenarsenal zur Klärung von Streitfragen an einem entscheidenden Punkt. Konventionelle Verhandlungsstrategien richten sich darauf aus, dass die Parteien ihre Interessen durchsetzen; jede Partei will für sich den jeweils besten Abschluss herausholen. Beim Mediationsverfahren spricht man vorwiegend über die Beziehungen und Bedürfnisse der Parteien. Bei dem Verfahren Constructive Controversy indes sollen die besten Argumente zu ihrem Recht kommen. Die Diskussion dreht sich um die optimale Sachlösung - unabhängig von den individuellen Meinungen und Standpunkten der Beteiligten. Die Parteien orientieren sich an einem Programm, das den drei Stufen Perspektiveneinnahme, Perspektivenwechsel und Perspektivenverschränkung folgt. Erste Phase: Das Ausgangsdilemma wird präzise formuliert und der Rahmen geklärt. Die Teilnehmer verstehen die Positionen („Dissenspräzisierung“). Zudem sollten die Teilnehmer die Grundsätze von Constructive Controversy begreifen: Kritik von Ideen, nicht von Personen; Fokus auf eine gute Entscheidung, statt auf das „Gewinnen“ im Streit; Bereitschaft zum Verstehen aller Argumente; Verwenden von rationalen Argumenten und evidenzbasierten Schlussfolgerungen. Zweite Phase: Zwei Arbeitsgruppen werden gebildet; die Teilnehmer werden nach dem Zufallsprinzip diesen Gruppen zugelost. Jeweils eine Arbeitsgruppe nimmt sich eine der konträren Thesen vor. Sie sammelt Argumente für diese These und durchdringt den Sachverhalt. Anschließend der Seitenwechsel: Die beiden Gruppen arbeiten jeweils an den Positionen der anderen Gruppe weiter, durchdenken und vervollständigen die Argumente. Dabei soll die Argumentation sachlich vertieft und verbreitert werden. Dritte Phase: In der Konsensphase kommen die Gruppen wieder zusammen. Sie ordnen und verdichten gemeinsam die Argumente, heben für wichtig erachtete Themen hervor und versuchen zu einer Lösung zu kommen. Die Argumente stehen bei dieser Gegenüberstellung gleichberechtigt nebeneinander. Aus dem Gesamtbild leitet die Gruppe Erkenntnisse ab, die zu einer Lösung führen können. Dabei kann nicht immer eine „zündende“ Lösung gefunden werden. In einigen Fällen muss das CC-Verfahren unterbrochen werden, damit die Teilnehmer zusätzliche Informationen gewinnen können. Möglicherweise muss die Ausgangsfrage revidiert werden, weil sich der Fokus in eine gänzlich neue Richtung verschiebt. Manchmal bleibt es „nur“ bei einem besseren Verständnis des Problems und der unterschiedlichen Positionen. Hilfreich für dieses Verfahren sind heterogen zusammengestellte Gruppen. Die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer führt zur Vielfalt der Perspektiven. Zudem sollten die Teilnehmer fähig zur rationalen Diskussion und willig sein, trotz konträrer Positionen ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen. Wichtig ist auch die Unabhängigkeit der Teilnehmer. Sie sollten nicht im Auftrag Dritter agieren oder sich fragen müssen, ob es ihnen erlaubt ist, eine Position zu vertreten. PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 19 24.08.2015 8: 28: 22 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 20 REPORT mehr als Anwälte für eine These. Jetzt sind alle Argumente gleichberechtigt; nichts ist gewichtet oder priorisiert. In dieser Konsensphase leitet die Gruppe im Plenum Konsequenzen, Entscheidungen oder auch Verteilungsfragen ab. Die Gruppe kommt zur spannenden Frage: Wie geht es weiter? Was machen wir jetzt damit? „AHA-EFFEKTE“ UND GEISTESBLITZE Darauf will ich hinaus. Wovon hängt der weitere Fortgang des Verfahrens ab? Er hängt stark ab von der Qualität, die die bisher erzielten Ergebnisse haben. Häufig kommt es zu spannenden Aha-Effekten und regelrechten Geistesblitzen. Eine Möglichkeit ist, dass die Gruppe nicht zwischen Position A oder Position B entscheidet, sondern eine völlig neue Strategie entwickelt. Auf unser Beispiel des Entwicklungsprojekts bezogen: Die Gruppe einigt sich darauf, dass Teilprojekte extern vergeben werden, aber das Projektteam eine verantwortliche, aktive Rolle bei der Steuerung des outgesourcten Projekts übernimmt. Eine neue organisatorische Konstruktion bei der Vergabe? Ja, beispielsweise ein gemischtes Team von internen Projektmitarbeitern und externen Kräften des Dienstleisters. Vielleicht sogar ein gemeinsames Projekt. In diesem Fall erarbeitet Der nächste Schritt fordert Ambiguitätstoleranz. Es kommt zum „Seitenwechsel“. Die Gruppen sollen sich mit der jeweils anderen Position befassen, dabei aber nicht nur die Argumente der Vorgruppe ergänzen, sondern diese auch neu durchdenken. Also die Argumente hinterfragen und vertiefen, die gedankliche Grundlage für die Argumente verbreitern, nochmals tiefer in die Sache eindringen und Begründungszusammenhänge klären. Kann es da auch zu Diskussionen zwischen den Gruppen kommen? Mit Sicherheit. Die Gruppen befragen sich gegenseitig: Was steckt hinter den Argumenten, die sie vorgebracht haben? Welche Begründung haben sie im Auge gehabt, als sie das Argument notiert haben? Was hat sich die andere Gruppe dabei gedacht? Daraus ergibt sich eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit der Sache. Sprechen wir über den letzten Schritt beim CC-Verfahren. Es muss nun zu einem Konsens - einer Lösung - kommen. In diesem Schritt treten die Gruppen wieder zusammen. Im Plenum stellen sie die Argumente, die sie gefunden haben, nebeneinander. Die Gruppen haben die beiden Thesen durchgespielt und dabei die Perspektiven gewechselt ... ... und jetzt betrachten sie alle zusammen das Gesamtbild. Die Gruppen vertreten jetzt also keine Position mehr. Sie verstehen sich nicht Die Frage, ob man Teilprojekte an Dienstleister gibt oder im eigenen Haus bearbeitet, wird extrem zugespitzt formuliert. Dann lautet der Auftrag an die beiden Gruppen: Findet gute Argumente, die für die jeweilige Position sprechen. So könnte für die externe Vergabe sprechen, dass die aufwendige Abstimmung im eigenen Unternehmen entfällt, dass die externe Vergabe günstiger ist, dass man über externe Dienstleister zusätzliche Fachkompetenz bekommt. Andersherum werden gute Argumente gesucht, die Teilprojekte selbst zu bearbeiten: Die Ergebnisse entsprechen den Qualitätsmaßstäben des Unternehmens. Man hat direkte Wege zu den Ansprechpartnern. Die Verlässlichkeit von eigenen Mitarbeitern, eigener Terminplanung und eigenen Prozessen ist größer. - Solche Argumente werden durch die beiden Arbeitsgruppen zusammengetragen, durchdacht und inhaltlich ausgeführt. Wie vorhin gesagt, es geht nur um Gründe, die für eine Position sprechen, also nicht um Gegenargumente. Diesem Grundsatz zu folgen, dürfte einigen Teilnehmern schwerfallen. Manche sind in ihrer Sichtweise recht eingefahren. „SEITENWECHSEL“ FÜR VERTIEFTES VERSTÄNDNIS Verstanden! Wie geht es weiter? Die beiden Gruppen haben ihre Argumente auf Pinnwänden und Flipcharts notiert und beschrieben. Was ist der nächste Schritt? „Contact“ (Ausschnitt); Abbildung: Leszek Skurski PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 20 24.08.2015 8: 28: 28 Uhr REPORT 21 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 nächsten Treffen, werden diese Ergebnisse dann mit eingebunden. Unter dem Strich steht am Ende ein Ergebnis, mit dem man weiterarbeiten kann. CC kann also Prozesse, die durch einen Konflikt stocken, zumindest wieder in Gang setzen? Ja, sogar mit neuer Energie und verschränkten Sichtweisen. Grundbedingung dafür: Die richtigen Personen nehmen teil, alle bringen die entsprechenden Voraussetzungen mit und es wird ein Konflikt bearbeitet, der genügend inhaltliche Substanz liefert. Gestatten Sie mir bitte eine ketzerische Frage. Muss unbedingt ein Konflikt vorliegen, damit Projektmanager das CC-Verfahren anwenden können? Vermutlich eignet sich die Methode auch, um Argumente zu einer Frage zu sammeln - ganz unabhängig von einem Streit. Mit dieser Vermutung liegen Sie richtig. Constructive Controversy wird tatsächlich auch außerhalb des Konfliktmanagements verwendet. Manche Projektmanager diskutieren auf diese dass der Prozess, also der Weg zur Entscheidung, transparent war. Jeder hatte Gelegenheit, auch seine Argumente einzubringen. So wird er das Ergebnis letztlich akzeptieren. Für Projektleiter ist dieser Konsens sehr hilfreich. Ein Streit zu der behandelten Frage wird zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich nicht wieder aufbrechen. Wir sagen beim CC, das Ergebnis ist sozial robust. Nicht immer endet das CC-Verfahren in solch einem innovativen Konsensergebnis. Welche Möglichkeiten bestehen darüber hinaus für einen Konsens? Möglicherweise erkennt die Gruppe, dass die Ausgangsfrage falsch gestellt war. Es zeigt sich beispielsweise, dass das Team personell nicht dem anspruchsvollen Projektziel gewachsen ist - gleich, ob man Teilprojekte ausgliedert oder nicht. Das Projekt muss neu verhandelt und aufgesetzt werden. Eine andere Möglichkeit: Das Verfahren wird unterbrochen; man will zusätzliche Informationen einholen, Studien erstellen oder alternative Konzepte ausarbeiten. Beim die Gruppe eine kreative Lösung, die mit den ursprünglichen Positionen nichts mehr zu tun hat. In der Theoriesprache ausgedrückt: Aus der These und der Antithese ergibt sich eine neue Synthese. Richtig. Dabei können innovative Ideen entstehen, die dem Projekt echten Mehrwert bieten. Selten wählen die Gruppen für einen Konsens eine der Positionen aus, mit der sie ins CC-Verfahren gegangen sind. KONFLIKTLÖSUNG AUCH UNTERBRECHEN Der Begriff „Konsens“ schließt ein, dass alle mit dem Ergebnis einverstanden sind. Einige müssen dabei über ihren Schatten springen, wie man so sagt. Nicht jeder wird den Konsens für sich - aus seiner Position - gutheißen können. Er weiß aber, dass gute Gründe für dieses Ergebnis sprechen, „G7“ (Ausschnitt); Abbildung: Leszek Skurski PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 21 24.08.2015 8: 28: 32 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 22 REPORT Eine heterogen zusammengesetzte Gruppe, die eine große Vielfalt an Perspektiven versammelt, bringt erfahrungsgemäß die besten Ergebnisse. Bedingung dafür ist die Grundoffenheit und die Motivation, sich neuen Erkenntnissen zu erschließen … … Stichwort „epistemische Neugier“, wie Sie es eben genannt haben. Ja. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Teilnehmer sollten unabhängig sein, Argumente frei wählen und ihre Position revidieren dürfen. Unabhängig sein - wie darf ich dies verstehen? Sie sollten nicht als verlängerter Arm ihres Vorgesetzten agieren. Sie müssen sich ja geistig bewegen können und dürfen. Das CC-Verfahren ist eine möglichst politikfreie Zone, anderenfalls funktioniert es nicht. Hinzu kommt das, was wir im CC kooperativer Kontext nennen. Damit ist gemeint: Es muss ein Grundinteresse bestehen an einer gemeinsamen Lösung. Haben die Par- Vorhin sprachen Sie von einem „Konflikt mit inhaltlicher Substanz“. CC braucht ein geeignetes Ausgangsdilemma, sonst funktioniert die Methode nicht. Meine Frage: Welche Art von Fragen lassen sich durch das CC-Verfahren bearbeiten? Zielfragen und Umsetzungsfragen sind gut geeignet: Was soll das Projekt erreichen? Brauchen wir ein abgestimmtes Vorgehen oder arbeitet jedes Teilprojekt autonom für sich? Mit welchen Strategien können wir unser Projekt zum Ziel bringen? Unser Beispiel des Entwicklungsprojekts verweist ja in diese Richtung: Dienstleister einbeziehen oder das Projekt im eigenen Unternehmen halten? Zudem haben wir im Forschungsprojekt erkannt, dass sich Verteilungsfragen gut durch CC bearbeiten lassen: Wie soll beispielsweise ein Bonus fair im Team verteilt werden - individuell oder gleichmäßig in der Gruppe? Neben der geeigneten Frage braucht man den geeigneten Teilnehmerkreis. Welche Grundvoraussetzungen müssen Teilnehmer mitbringen? Art und Weise schwierige Entscheidungen, vor denen sie stehen. Sie spannen also mit dem Team das Argumentationsfeld auf, um durch die Ergebnisse zu einer vernünftigen Entscheidung zu kommen … … oder zu einer Entscheidungsvorlage für Dritte. Durch die Diskussion im CC-Verfahren gelingt es, auch jene guten Argumente zu hören und zu verstehen, die der eigenen Position entgegenstehen. Manche Projektmanager nutzen dies, um sich besser auf die Verteidigung einer getroffenen Entscheidung vorzubereiten und Einwände vorwegzunehmen. FRAGEN ZU ZIELEN UND UMSETZUNG GUT GEEIGNET Quasi die „Waffen“ der Gegner kennenlernen? Wenn Sie so wollen - ja! Natürlich auch, um die eigene Position noch besser zu verstehen. Stichwort „Selbstreflexion“. „Polish Riot“; Abbildung: Leszek Skurski PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 22 24.08.2015 8: 28: 38 Uhr REPORT 23 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 den und lösungsorientierten Fragen so zu verwandeln, dass sie für das Verfahren genutzt werden können: Was genau ist das Problem? Was müsste geändert werden, dass es doch funktioniert? Wo befinden sich die wesentlichen Stellschrauben für diesen Punkt? Ich bin überzeugt, dass man in solchen Fällen auch viel über die Organisation lernen kann. Wenn jemand das Verfahren mit Gegenargumenten „stört“, dann mag er in diesem Moment für sich sprechen. Doch er spricht vielleicht eine im Unternehmen verbreitete Ansicht aus. Er ist Stellvertreter für etwas Grundsätzlicheres. Unter dem Strich - Projektmanager sollten solche „Störungen“ nicht persönlich nehmen, sondern lösungsorientiert den sachlichen Kern herausarbeiten. Richtig! So geht man am besten damit um. ZEITBEDARF BEACHTEN Nach dem CC-Verfahren durchgeführte Kontroversen brauchen Zeit. Erfahrungswerte liegen zwischen 90 Minuten und drei Stunden. Dieser Zeitbedarf wird von Skeptikern häufig bemängelt. CC sei gut, doch der Aufwand sei schlichtweg zu groß. Ich sehe die Zeit als Investition, und ich denke, dass die Investition gut angelegt ist. Denn die Fragen werden wirklich gründlich bearbeitet - ohne Manipulation oder politische Winkelzüge. Jeder findet seine Argumente wieder, und der klar strukturierte Verlauf sorgt dafür, dass das Verfahren nicht ausufert oder zerfasert. Nach Abschluss der CC-Verfahren ist die erörterte Frage im besten Sinne des Wortes erledigt. Das ändert wenig an dem Zeitbedarf - und dürfte Skeptiker kaum überzeugen. Machen wir uns die Alternative zu CC klar. Vielleicht kann man mit einer normalen Diskussion oder einer Verhandlung strittige Fragen schneller lösen. Dabei werden wir aber immer die gleichen Argumente hören; die Positionen und Meinungen drehen träge ihre Schleifen und die Teilnehmer verharren in ihren alten Rollenmustern. Schlimmstenfalls ist die Antwort auf die strittige Frage sehr oberflächlich. Die halbherzige Lösung führt zu Flurgesprächen, zu unkontrollierbarer Grüppchenbildung am Kaffeeautomaten und zu anderen Nebenwirkungen. Die Sache zieht Kreise. Es wird immer schwieteien kein gemeinsames Ziel, wird auch CC nicht weiterhelfen. Last, but not least: Die Teilnehmer müssen bereit sein, sich an die Grundsätze des Verfahrens zu halten. BASISINTERESSE AN GEMEINSAMER LÖSUNG WICHTIG Um welche Grundsätze handelt es sich? Beim CC werden zunächst gleichberechtigt nebeneinander stehende Argumente beurteilt - und keine Teilnehmer oder andere Personen kritisiert. Das Ziel des Verfahrens besteht für alle Beteiligten darin, eine gute Entscheidung zu treffen - und nicht selbst den Streit zu gewinnen. Die Teilnehmer wollen ausdrücklich alle Seiten des Themas verstehen sowie rationale und überprüfbare Argumente verwenden. Man muss miteinander diskutieren und auf politisches Taktieren oder gar Manipulieren verzichten wollen. Einen „Kuhhandel“ gibt es bei CC nicht. VERFAHREN MIT „SOGWIRKUNG“ An diesem Punkt möchte ich einhaken. Immer wieder lösen sich Teilnehmer während der konstruktiven Kontroverse von diesen Grundsätzen. Plötzlich geht es doch um Beziehungsfragen, um Gegenargumente, um Vorurteile und um das Verteidigen der eigenen Position. Nein, dies ist eher selten. Dieses Verfahren entfaltet eine Sogwirkung. Teilnehmer nehmen den Auftrag zur Anwaltschaft für die zugeteilte Position so ernst, dass sie ihre eigene Präferenz zwischenzeitlich vergessen. Auf diese Wirkung kann man vertrauen. Viele Teilnehmer äußern bei der Nachbetrachtung, wie überrascht sie von sich selbst waren, wie viele gute und stichhaltige Argumente sie für eine Position gefunden haben, die der eigenen Ansicht eigentlich konträr entgegensteht. Was, wenn doch ein Einzelner ausschert? Dies ist kein Unglück, ganz im Gegenteil, es kann eine Chance daraus entstehen! Eine Chance - inwiefern? Das „Querdenken“ mancher Kritiker birgt viel Innovationspotenzial. Die Herausforderung ist, die vorgebrachten Gegenargumente mit präzisieren- Agiles Projekt- Management Training bei Angabe Ihres VIP-Codes: VIPADPMA415 Mehr Infos zu diesen Trainings unter www.esi-intl.de/ agiles-pm info@esi-intl.de | www.esi-intl.de ESI International GmbH Speicherstraße 59 | 60327 Frankfurt am Main Melden Sie sich jetzt an! 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CC hilft Schwachstellen bei der eigenen Position zu finden, den eigenen Standpunkt klarer zu erkennen und besser zu untermauern. Dies ist viel wert in Projekten! n beugen und die eigene Meinung aufgeben. Es geht letztlich darum, den Radius des eigenen Standpunkts zu erweitern, eine Annäherung zu ermöglichen. Viele, die beim CC-Verfahren einem Konsens zustimmen, bleiben bei ihrer Meinung. Jedoch können sie mit diesem gut begründeten Konsens leben, weil sie wissen, dass er mögliche Folgeprobleme vermeidet und der gemeinsamen Sache voranhilft. Was die Transparenz betrifft: Ich kenne Projektmanager, die CC eben bewusst wegen dieser Transparenz anwenden. Sie wollen nicht ihre Entscheidung treffen, sondern eine riger, die Kontroverse im Unternehmen wieder einzufangen. Diese Folgekosten könnte man mit dem Zeitaufwand, den CC braucht, einmal gegenrechnen. Sprechen wir über einen zweiten Einwand gegen CC, der aber nur hinter vorgehaltener Hand genannt wird. CC bringt Transparenz in Streitfragen. Dies ist - gelinde gesagt - nicht jedem recht. In einigen Unternehmen werden Diskussionen um Entscheidungen nicht transparent geführt. Es wird in der Chefetage oder im Hinterzimmer entschieden - in einem kleinen Kreis ohne breite Beteiligung und Rückkoppelung zur Basis. Für solche Unternehmen ist CC nicht geeignet, dies stimmt. Aber? Transparenz bedeutet ja nicht, dass Entscheidungen künftig basisdemokratisch getroffen werden, etwa durch Abstimmungen oder per Akklamation. Niemand muss sich einem Gruppendruck „Ronald und Kajetan“ (Ausschnitt); Abbildung: Leszek Skurski Leszek Skurski 1973 geboren, lebt und arbeitet in Fulda Es sind die zarten Momente, die Leszek Skurski auf seinen großen weißen Leinwänden am liebsten darstellt: banale Alltagsszenen, in deren Hauptrollen kleine Figuren scheinbar leere Räume beleben. Die Geschichten, die sich dahinter verbergen, sind meistens unklar. Sie sind für den Betrachter offen. 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