eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 26/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2015
265 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Ausgefeilte Prozesse brachten den Tunnelausbau auf Tempo

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Oliver Steeger
Die Schweiz stellt einen neuen Bahn-Weltrekord auf: Mit 57 Kilometern wird der neue Gotthard-Basistunnel bald der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Im nächsten Jahr wird der Tunnel eröffnet. Dann können sowohl Personenzüge als auch Güterzüge ohne große Steigung die Alpen durchqueren. Die ARGE Fahrbahn Transtec Gotthard hat unter anderem die Schienen verlegt, 115 Kilometer festes Fahrbahngleis in zwei Röhren installiert und dabei ordentlich Tempo gemacht. Das Projektteam brauchte für das technisch anspruchsvolle Vorhaben sieben Monate weniger als geplant. Ein hervorragendes Projekt: Mit ihren Spitzenleistungen gewannen Projektleiter Detlef Obieray und sein Team jetzt den „Deutschen Project Excellence Award”. Im Interview erläutert Detlef Obieray die Schwierigkeiten des Schienenbaus im Tunnel, die Chancen ausgefeilter Prozesse und den Umgang mit „Nahtstellen”.
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„Deutscher Project Excellence Award“ der GPM geht an Projekt im Gotthard-Tunnel Ausgefeilte Prozesse brachten den Tunnelausbau auf Tempo Autor: Oliver Steeger REPORT 09 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 Die Schweiz stellt einen neuen Bahn-Weltrekord auf: Mit 57 Kilometern wird der neue Gotthard-Basistunnel bald der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Im nächsten Jahr wird der Tunnel eröffnet. Dann können sowohl Personenzüge als auch Güterzüge ohne große Steigung die Alpen durchqueren. Die ARGE Fahrbahn Transtec Gotthard hat unter anderem die Schienen verlegt, 115 Kilometer festes Fahrbahngleis in zwei Röhren installiert und dabei ordentlich Tempo gemacht. Das Projektteam brauchte für das technisch anspruchsvolle Vorhaben sieben Monate weniger als geplant. Ein hervorragendes Projekt: Mit ihren Spitzenleistungen gewannen Projektleiter Detlef Obieray und sein Team jetzt den „Deutschen Project Excellence Award“. Im Interview erläutert Detlef Obieray die Schwierigkeiten des Schienenbaus im Tunnel, die Chancen ausgefeilter Prozesse und den Umgang mit „Nahtstellen“. Foto: Alptransit Gotthard Detlef Obieray Detlef Obieray (Jahrgang 1958) ist seit 2008 für die Firma Balfour Beatty Rail GmbH tätig und leitet als Project Director in der ARGE Fahrbahn Transtec Gotthard den Bau der festen Fahrbahn im Gotthard-Basistunnel. Seine Kernkompetenzen liegen in Aufbau, Führung und Steuerung multidisziplinärer und komplexer Infrastrukturprojekte sowie in der Führung multikultureller Projektteams im internationalen Umfeld. Detlef Obieray hat leitend an vielen Projekten mitgewirkt, unter anderem an dem Start-up-Aufbau und Rollout bis zum Netzstart eines Mobilfunknetzes und an der Projektierung von Windkrafträdern. Seit 2002 ist er im Projektgeschäft bei komplexen internationalen Eisenbahninfrastrukturprojekten tätig, beispielsweise in den Niederlanden, der Schweiz und in China. Foto: Detlef Obieray PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 9 10.11.2015 13: 24: 55 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 10 REPORT schicht gearbeitet - bei bis zu 40 Grad Lufttemperatur. Ein großes Problem? Das Klima hat die Arbeiten erschwert, aber es war letztlich nicht die Hauptherausforderung. Dennoch sind Sie mit Ihrer Vermutung auf der richtigen Spur: Der Tunnel ist 57 Kilometer lang, er hat zwei schmale Röhren, je eine für eine Fahrtrichtung mit einem Gleis. Alle 350 Meter sind die Tunnelröhren miteinander querverbunden. Was unsere Baustelle betraf: Wir hatten nur zwei Zugänge - einen im Norden, einen im Süden. Durch diese Portalzugänge mussten wir unsere Mitarbeiter und das gesamte Material hineinbringen. Vom Beton über Schienen und Schwellenblöcke bis hin zur einfachen Schaufel. Lange Anfahrtswege zur Baustelle sind keine Seltenheit … Zu den langen Anfahrtswegen kommt etwas Entscheidendes hinzu. Wir haben den Unterbau für den Fahrweg erstellt, also Beton für die feste Fahrbahn gegossen und Schienen verlegt. Wir waren quasi ganz vorne am Gleis; über das Gleis, das wir gebaut haben, führte auch unser logistischer Pfad zur Baustelle. Nun die Schwierigkeit: Hinter uns begannen andere Gewerke damit, an dem schon fertigen Gleis die Bahntechnik zu installieren: Fahrdraht, Fahrleitungen, Signaltechnik, Kommunikationsanlage, Tunnelausrüstung. Diese Nadelöhr beim Alpentransit. Er muss flexibel viele Arten von Zügen aufnehmen können. Welche Konsequenzen hat der Mischverkehr von Personen- und Güterzügen für Ihr Projekt? Die leichteren Personenzüge fahren mit sehr hoher Geschwindigkeit. Das Gleis braucht deshalb eine extrem stabile Gleislage. Für den schweren Güterverkehr, bei dem starke Vibrationen entstehen, gelten wiederum andere Anforderungen an die Stabilität. Technologisch gesehen haben wir es mit widersprüchlichen Anforderungen zu tun. Es heißt, dass man Hochgeschwindigkeitsverkehr und Schwerlastverkehr kaum über ein und dasselbe Gleis führen kann … Dies stimmt so nicht. Es ist schwierig, doch machbar. Wir haben ein System entwickelt, das beide Anforderungspakete mit jeweils guten Fahreigenschaften unter einen Hut gebracht hat. Wir haben dafür auch mit Forschungseinrichtungen zusammengearbeitet. 40 Grad im Tunnel Ich vermute, dass auch die Bauarbeiten tief im Tunnel schwierig waren. Sie haben unter einer bis zu zweieinhalb Kilometer dicken Gesteins- Im nächsten Jahr wird der neue Gotthard-Basistunnel eröffnet. Dann können sowohl Personenzüge als auch Güterzüge ohne große Steigung die Alpen durchqueren. In Ihrem Projekt haben Sie die feste Fahrbahn - den Unterbau und das Gleis - in den beiden Tunnelröhren erstellt. Wer meint, es handele sich um ein einfaches Bauprojekt, der irrt gewaltig. Was macht das Projekt technologisch so anspruchsvoll? Detlef Obieray: Das Gleis ist für Hochgeschwindigkeitszüge im Mischverkehr ausgelegt. Die Züge durchfahren den Tunnel mit Geschwindigkeiten bis zu 275 Stundenkilometern - ähnlich wie auf der deutschen Schnellbahnverbindung zwischen Köln und Frankfurt. Die Fahrtzeit von Zürich nach Mailand reduziert sich dadurch um eine Stunde. Doch wir haben es im Gotthard- Tunnel mit Mischverkehr zu tun: Zum einen befahren Personenzüge mit hoher Geschwindigkeit die Tunnelgleise, zum anderen schwere, ebenfalls schnell fahrende Güterzüge. Auf deutschen Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn ist dies anders? Ja, in Deutschland werden viele Hochgeschwindigkeitsstrecken ausschließlich von ICEs befahren, also von Personenzügen. Die Rhein- Main-Verbindung ist ein Beispiel dafür; der Güterverkehr fährt weiterhin über die alte Rheinstrecke. Anders der Gotthard-Tunnel: Er ist ein Der Betonzug - ein Schlüsselelement im Projekt; Foto: Alptransit Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 10 10.11.2015 13: 24: 59 Uhr REPORT 11 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 gehende Schwellen; die Blöcke sind zwischen den Gleisen nicht miteinander verbunden. Habe ich dies richtig verstanden: Es gibt keine Schwellen, die die Schienen stabilisieren und in festem Abstand halten? Wie gesagt, jede Schiene steht für sich auf diesen Betonblöcken. Stark vereinfacht gesagt: Wir legen die Schienen auf vorgefertigte Betonblöcke, richten alles genau aus und fixieren dies dann mit gegossenem Beton, sodass alles miteinander verbunden ist. Aber: Das alles ist Präzisionsarbeit! Wir müssen die Schienen mit Toleranzen von höchstens einem halben Millimeter zueinander ausrichten. Die Spurweite darf höchstens plus/ minus einen halben Millimeter variieren. Ich vergleiche dies mit einer Perlenschnur: Die einzelne Schiene mit ihren Betonblöcken gleicht einer Schnur mit Perlen. Um bei Ihrem Vergleich zu bleiben: Man nimmt zwei Perlenschnüre, legt diese nebeneinander, richtet diese parallel zueinander aus … … und fixiert diese beiden Stränge mit gegossenem Beton. Und zwar so, dass die beiden Schienenstränge auf einer Strecke von 57 Kilometern nicht mehr als einen Millimeter voneinander abweichen. Die Höhenabweichungen von einem Schwellenblock zum nächsten dürfen höchstens zehntel Millimeter betragen. Denken Sie an die hohen Geschwindigkeiten im Tunnel! Da darf es keine Unebenheiten geben. Ja, dies hatten wir. Wir wollten den Betonzug und andere Maschinen durch klug konzipierte Prozesse optimal nutzen. Das heißt: So viel und so lange wie möglich im Tunnel arbeiten und die hinter uns tätigen Gewerke so wenig wie möglich stören. Es ging um Tempo! Die reine Produktionszeit für die Geleise - also zweimal 57 Kilometer - lag bei 40 Monaten. Dafür haben wir rund 340 Tage im Jahr, jeweils 24 Stunden am Tag, durchgearbeitet. Im Sommer gab es 14 Tage Pause, zu Weihnachten 10 Tage. „BeTonklöTze“ STaTT HolzScHwellen Eine feste Fahrbahn für Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen, ein solches Projekt erschöpft sich vermutlich nicht im Gießen von Beton. Nein, dazu gehört mehr. Der Betonzug war ein Schlüsselelement in unserem Projekt. Doch neben Beton mussten wir auch weitere Materialien verarbeiten. Eisenbahngleise kenne ich als Holzschwellen im Schotterbett. Auf den Holzschwellen sind die Schienen montiert. Bei der hier gebauten festen Fahrbahn ist dies anders. Das Gleis steht auf einzelnen Schwellenblöcken. Anders als bei Eisenbahnschwellen, die Sie kennen, handelt es sich also nicht um durch- Gewerke blockierten gewissermaßen unser Gleis, unseren logistischen Pfad. Das Gleis war also durch andere belegt. Sie konnten keinen Pendelverkehr für Material und Menschen einrichten? Dies war das Problem. Wir konnten den rückwärtigen Bereich unseres Gleises nicht für den Logistikverkehr offen halten und beispielsweise frischen Beton, Schwellen oder Schienen heranschaffen. Wir mussten unsere Gleisarbeiten anpassen und Pendelverkehr vermeiden. Wir benötigten ein Bauverfahren, bei dem wir Mitarbeiter und Material für eine gesamte Tagesschicht in den Tunnel bringen konnten. eiGenS enTwickelTer „BeTonzuG“ Verstanden! Wie haben Sie das Problem gelöst? Mit einem eigens von uns entwickelten Betonzug. Es handelt sich um eine Art Betonmischanlage auf Rädern, ein Zug mit 25 Waggons, mehr als 500 Meter lang. Der Betonzug brachte die Rohmaterialien in den Tunnel hinein, etwa Sand, Kies, Zement, Wasser und Fließmittel. Der Beton wurde knapp vor der Baustelle frisch gemischt und dann portionsweise zur Baustelle gebracht. Mit diesem Betonzug sind wir morgens um fünf Uhr in den Tunnel hineingefahren mit allem, was wir für die nächsten 16 Stunden - also für zwei Schichten - brauchten. Nach zwei Arbeitsschichten ist der Zug wieder hinausgefahren. In der anschließenden Nachtschicht von etwa 23.00 bis 4.00 Uhr haben unsere Mitarbeiter den Zug draußen auf dem Werkhof gereinigt, gewartet und wieder mit frischem Material bestückt. Der Zug war also 24 Stunden am Tag im Einsatz - und unsere Organisation war rund um die Uhr in Betrieb. Das klingt nach dem Arbeitsrhythmus von Fluggesellschaften. Tags sind die Flieger unterwegs, nachts werden sie im Hangar technisch gewartet und wieder einsatzbereit gemacht. Wir haben für unser Projekt viel von anderen Branchen gelernt! So auch in diesem Fall von der Luftfahrt. Hatten sie tatsächlich die Prozesse von Airlines im Blick, als Sie die Arbeitsweise des Betonzugs entwickelt haben? Der Betoneinbau: 16 Stunden am Tag war im Tunnel Baubetrieb. Foto: Alptransit Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 11 10.11.2015 13: 25: 03 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 12 REPORT definiert; es ging dabei beispielsweise um den Einsatz von Gefahrenstoffen oder sonstige Risiken in der Arbeitssicherheit, denen unsere Mitarbeiter ausgesetzt waren. Wir konnten damit auch die Risiken beurteilen und die Arbeitssicherheit deutlich verbessern. So hatten wir während der gesamten Bauzeit keinen schwerwiegenden Arbeitsunfall zu verzeichnen. Unsere Unfallstatistik war sehr viel besser als in der Baubranche üblich, und unsere Beiträge zur schweizerischen Berufsgenossenschaft (SUVA) wurden sogar deutlich reduziert. Vorhin sagten Sie, anhand des Kernprozesses konnten Sie ermitteln, welche Spezialmaschinen Sie für das Projekt zu entwickeln hatten. Habe ich dies richtig verstanden: Sie haben eigens Maschinen für das Projekt konstruiert? Ja, ein Teil unseres Bauprojekts war ein Maschinenbauprojekt. Wir haben erst Maschinenbau betrieben, bevor wir uns dem Gleisbau zuwenden konnten. Ein Beispiel: Wir konnten mit dem Betonzug nicht direkt dort vorfahren, wo der Beton gebraucht wird - also am Ende des Gleises, direkt an die Baustelle. Wir benötigten eine Maschine, die den Beton vom Zug zur Baustelle brachte: Einen Beton-Shuttle, wie wir dieses Gerät nennen. Auch brauchten wir eine Arbeitsbühne für unsere Mitarbeiter. Der Tunnel ist eng; wir mussten vermeiden, dass Mitarbeiter im frischen Beton laufen. in VorBereiTunG deS ProjekTS inVeSTierT Das Projekt mit Prozessen strukturieren, daraus ableitend minutiös Kosten, Ressourceneinsatz, Termine, Qualitätsanforderungen errechnen, dann noch Spezialmaschinen entwickeln - dies alles klingt, als hätten Sie viel Zeit in die Vorbereitung des Projekts investieren können. Wir hatten das Glück, dass unser Auftraggeber diese Planungszeit einkalkuliert hatte; das Gesamtprojekt war gut aufgesetzt. Konkret: Wir hatten zwei Jahre Zeit für Planung und Vorbereitung. In diesen zwei Jahren haben wir die prozessorientierte Produktion mit den dazugehörigen Spezialmaschinen und Geräten erarbeitet. Gestatten Sie mir eine kritische Frage: Bekanntlich sind Innovationen mit Risiken behaftet. Viele Projekte setzen deshalb auf bewährte Prozesse und lang erprobte Maschinen. Wie haben Sie Richtig! Genau diese durchrationalisierten Produktionsprozesse waren ein Erfolgsfaktor unseres Projektmanagements. Sie haben eine große Transparenz und Kalkulierbarkeit ins Projekt gebracht - beispielsweise mit Blick auf Termine, Kosten und Qualität. Oder mit Blick auf Ressourcen, Risiken und Qualitätsmanagement. All dies konnten wir aus dem Prozess ableiten. Da bin ich an Details interessiert! Wir haben die 24 einzelnen Prozessschritte kalkuliert - hinsichtlich des Materialbedarfs, des Personalbedarfs und der notwendigen Hilfsgeräte. Wir konnten aus jedem Prozessschritt genau ableiten, wie viel Material wir verbrauchen und welche Ressourcen wir benötigen. Auch wussten wir genau, welche Maschinen wir brauchen, welche Anforderungen sie erfüllen mussten und wie wir sie speziell für unser Projekt entwickeln mussten. anforderunGen an jeden ProzeSSScHriTT definierT Eben sprachen Sie auch von Qualität und Qualitätsmanagement ... Wir haben die Anforderungen an jeden Prozessschritt definiert. Damit hatten wir sofort eine wirksame Qualitätskontrolle etabliert, die in ein Qualitätsmanagementsystem mündete. Wir konnten dadurch Fehler und Mängel sofort erkennen. Für jeden Arbeitsschritt wurden auch die Risiken Ich bin kein Baufachmann - doch nach allem Hörensagen wird beim Betonbau sonst häufig mit Toleranzen im Zentimeterbereich gearbeitet ... Dies macht die Erstellung einer festen Fahrbahn so anspruchsvoll. Wenn man die Schienen ausgerichtet hat, dürfen sie sich ja beim Betongießen nicht mehr bewegen. Um diese Aufgabe mit Effizienz zu bewältigen, haben wir neben dem Betonzug noch weitere Gleisbaumaschinen entwickelt. Sequenz Von 24 arBeiTS- ScHriTTen Welche Maschinen zum Beispiel? Wir haben einen Gleisbauroboter entwickelt, der die Schwellenblöcke greift, hebt und unter die vorher aufgeständerte Schiene schiebt. Dieser Gleisbauroboter wickelte eine Produktionssequenz für uns ab. Eine Produktionssequenz - wie darf ich dies verstehen? Für unser Projekt haben wir die Herstellung der festen Fahrbahn in 24 einzelne Arbeitsschritte zerlegt. Diese Arbeitsschritte folgen einer bestimmten Logik. Augenblick! Sie haben die Bauprozesse Ihres Projekts so durchrationalisiert wie Produktionsprozesse etwa in einer Fabrik? Meilenstein erreicht! Der Einbau der „goldenen Schwelle“; Foto: Transtec Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 12 10.11.2015 13: 25: 11 Uhr REPORT 13 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 keitswerte einhalten kann. Stellen Sie sich vor: Eine Maschine fällt im Tunnel für drei oder vier Stunden aus. Man bekommt keinen Ersatz in den Tunnel hinein; dann müssen 25 bis 30 Arbeiter warten. Sie können erst am Ende der Schicht herausgefahren werden, davon haben wir ja eben gesprochen. wille zum miTwirken und miTVerBeSSern Lassen Sie mich raten - auch hinter diesen Serviceintervallen stand ein Prozess? Selbstverständlich! Wir haben auch während des Betriebs gelernt und im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung die Prozesse angepasst. Wir sind beispielsweise auf Systeme aufmerksam geworden, die öfter als erwartet ausgefallen sind. Auch haben wir die Maschinen verbes- Wir haben natürlich vorgesorgt. Ich erkläre dies am Beispiel der Maschinen. Die Maschinen mussten hochverfügbar sein. Stand eine Maschine still, ruhte die komplette Baustelle. Diesem Risiko sind wir durch unsere Projektorganisation begegnet. Ein Teil unserer Organisation war für die Bauleitung zuständig - dafür, dass die feste Fahrbahn richtig und pünktlich gebaut wird. Ein weiterer Teil unserer Organisation war eine Art technische Abteilung. Sie war dafür verantwortlich, das die Maschinen zu jeder Zeit garantiert verfügbar waren. Wir haben mit unserer Technikabteilung quasi ein Service Level Agreement abgeschlossen. Ein Service Level Agreement geschlossen - wie das? Wir haben Verfügbarkeitswerte für die Technik definiert. Anders gesagt: Wir haben festgelegt, wie häufig und wie lange eine Maschine höchstens ausfallen darf. Darauf aufbauend haben wir Zyklen für die Wartung und Instandhaltung erarbeitet. Und dies heißt auch: Auf der Basis der Serviceintervalle haben wir bestimmte kritische Bauteile vorsorglich, also präventiv ausgetauscht. Sie haben also nicht gewartet, bis diese Bauteile verschlissen waren und ausgefallen sind … … sondern wir haben sie deutlich früher ausgewechselt. Damit die Maschine die Verfügbarsich vor Risiken geschützt, die aus den innovativen Prozessen und Maschinen entstehen können? Wir haben auf Erfahrungen aus vorangegangenen Projekten zugreifen können, Erfahrungen beispielsweise aus Holland oder China. Wir haben also die „Best Practices“ ausgewertet. Ein Beispiel: Der Betonzug ist keine Innovation im eigentlichen Sinne. Er wurde in ähnlicher Form bereits in zurückliegenden Projekten eingesetzt. Wir haben davon für unser Projekt gelernt und den Zug für den Einsatz im Gotthard-Basistunnel weiterentwickelt und angepasst. Außerdem: Zum einen hatten wir erfahrene Partner bei der Konstruktion der Maschinen, Unternehmen für Sondermaschinen im Gleisbau. Ein Schweizer und ein österreichisches Unternehmen waren an Bord unseres Projekts; der Betonzug kam aus Frankreich. Wir hatten es mit Fachleuten zu tun, auf deren Expertise wir bauen konnten. Zum anderen konnten wir die Maschinen auf einem Testgleis erproben. Ein eigenes Testgleis? Ja! Dieses Testgleis war rund 250 Meter lang und spiegelte genau die künftige Arbeitswelt im Tunnel wider. Das Gleis haben wir übrigens selbst gebaut - mithilfe des Betonzugs, den wir dabei direkt erproben konnten. Unser Auftraggeber hat den Nachweis eines funkionierenden Einbauprozesses gefordert. Wir haben diese Vorlaufzeit zur Erprobung unserer Maschinen kreativ und effektiv genutzt. Die Erprobungszeit für die Maschinen haben wir von vornherein mit einkalkuliert, sowohl finanziell als auch von den Terminen her. Der Nachweis der Funktionsfähigkeit des Bauprozesses war ein Meilenstein im Projektplan. Hinzu kommt: Nach diesen Tests haben wir weiter an Maschinen und Prozessen gefeilt. Wir mussten beim Bau der festen Fahrbahn nicht mit voller Leistung starten, sondern konnten die Leistung langsam steigern und dabei lernen. „SerVice leVel aGreemenT“ im Team Je komplexer ein Prozess ist, je mehr er auf Effizienz ausgerichtet ist, desto störanfälliger ist er. Manchmal reicht es, dass eine Maschine für einen halben Tag ausfällt, um den gesamten Ablauf durcheinanderzubringen. Dann fällt der Plan wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das Projekt in Zahlen Bauzeit: 40 Monate von Juni 2008 bis Dezember 2014 275 Millionen Euro Budget 24.000 Personentage 228.000 Meter Schienen verbaut 380.000 Stück Schwellenblöcke 231.300 Tonnen Gesteinskörnung 53.300 Tonnen Bindemittel Hochpräzises Arbeiten beim Einbau der Schienen; Foto: Transtec Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 13 10.11.2015 13: 25: 15 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 14 REPORT unserem Projekt einen Kernprozess, und an diesen Prozess ist alles andere angebunden. Kernprozess - wie darf ich dies verstehen? Wie in einer Fabrik hatten wir im Tunnel einen Produktionszyklus. Wir brauchten anfangs 21 Tage, um ein Gleis von etwas mehr als 2.100 Metern fertig zu verlegen und daraus eine feste Fahrbahn zu erstellen. Nach 21 Tagen war also eine bestimmte Länge der Fahrbahn gebaut. Quasi war die Schienenstrecke dort verlegt, wo sich vorher die nackte Tunnelsohle befand. Ja. Später haben wir diesen Zyklus auf 19 Tage reduzieren können. Alles in diesem Zyklus war vorherbestimmt: Wir wussten, was wir am vierten, siebten oder zwölften Tag zu tun haben. Entsprechend haben wir auch den Materialfluss und die Zulieferungen unserer Subunternehmer gesteuert. TaGeSGenau die koSTen üBerwacHT Einige Vorteile dieser ausgeprägten Strukturierung Ihres Projekts haben Sie genannt. Welche Vorteile gab es darüber hinaus? Wir konnten auf den Tag genau unsere Kosten und unser Budget überwachen. Jeder Arbeitsschritt war mit Zeiteinheiten und budgetierten Kosten hinterlegt - ähnlich wie in einer Werkstatt. Haben wir an einem bestimmten Tag beispielsweise 216 Meter Beton eingebaut, konnten wir auf den Franken genau am Ende des Tages ermitteln, was diese Leistung gekostet hat. Dies hat das Projektcontrolling enorm vereinfacht, wie Sie sich vorstellen können. Anders gesagt: Es gab eine direkte „Nahtstelle“ zwischen unserem Projektsteuerer und unserem Projektkaufmann; dort ist es nie zu einem Informationsbruch gekommen. Dies bedeutet, dass Technisches und Kaufmännisches eng miteinander verzahnt waren? Ja. Diese Strukturierung nach Arbeitsschritten haben wir im kaufmännischen Bereich durch eine detaillierte Kostenstellenstruktur unterstützt. Einzelne Bauabschnitte haben wir sowohl nach Kilometern als auch nach Leistung definiert. Dies haben wir dann direkt einer Kostenstellennummer zugeordnet. Die Poliere und die Bauleiter haben ihren täglichen Arbeitseinsatz im Bauaus der Nachrichtentechnik und habe in anderen Branchen Zwischenstationen gemacht, dabei auch bei der Automobilindustrie. Dort habe ich Produktionsmethoden kennengelernt, den Workflow studiert und beobachtet, wie Menschen dort arbeiten, Materialien fließen und Qualitätskontrollen gemacht werden. lernen Von modernen faBriken Diese Systeme sind seit Henry Ford bekannt … Nein, ich meine nicht diese alte, kleinteilige Produktionsweise, das alte Fließbandsystem. Ich denke an die neuen Systeme. In den heutigen Prozessen arbeiten Menschen intensiv zusammen. Früher gab es in Fabriken viele einzelne, voneinander isolierte Arbeitsstationen; jeder hat allein seinen kleinen Handgriff gemacht. Beispielsweise auf immer gleiche Weise am Produkt zwei Schrauben angezogen oder einen Draht festgelötet ... Heute ist dies anders. Es gibt weniger Arbeitsstationen. Dafür kooperieren die Mitarbeiter, übernehmen mehr Verantwortung für das Ganze und erledigen komplexere Aufgaben. Diese neuen Modelle habe ich verinnerlicht und für unser Projekt adaptiert. Demnach gibt es in sert - etwa bei Details, wenn ein Handgriff beispielsweise nicht optimal angebracht oder ein Bauteil unseren Mitarbeitern im Weg war. Der Wille zum Mitwirken und Mitverbessern war übrigens ausgesprochen groß. Die Leute haben ja erkannt, dass ihre Vorschläge aufgenommen und diskutiert werden; dass wir ihren Vorschlägen vielfach gefolgt sind. Die Maschinen waren kein einfaches Werkzeug für den Bauarbeiter, sondern ein Herzstück des Projekts ... ... aus meiner Sicht ein Schlüsselelement für den Erfolg des Projekts. Entsprechend haben wir in der Teamorganisation Verantwortungen für die Maschinen gestaltet. Und wir haben Prozesse definiert, um die Maschinen am Laufen zu halten. Einige Maschinen mussten laut Definition zu 95 Prozent der Bauzeit verfügbar sein. Auf den Tag gerechnet: Bei 15 Stunden effektiver Bauzeit entspricht dies einer maximalen Ausfallzeit von einer Dreiviertelstunde. Am Ende kamen wir auf eine Verfügbarkeit von 97,5 Prozent. Wir sprachen vorhin von der Luftfahrt, von der Sie für Ihr Projekt gelernt haben. Standen weitere Branchen Pate? Die Luftfahrtbranche mit ihren ausgereiften Prozessen ist eines meiner Vorbilder. Dies hängt auch mit meinem persönlichen Werdegang zusammen: Ich bin Ingenieur, von Haus aus aber kein Bahningenieur. Ursprünglich stamme ich Die Toleranzen für die Hightech-Schienen liegen manchmal bei einem Millimeter. Foto: Transtec Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 14 10.11.2015 13: 25: 20 Uhr REPORT 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 dung kommt es an. Dort, wo Teile zu einem Ganzen zusammengefügt werden, gibt es Nahtstellen. Ein schöner Sprachgebrauch! Deswegen sprechen Sie auch von Nahtstellen- Management? Ja. Nach außen haben wir Nahtstellen zum übergeordneten Gesamtprojekt, dem Bau des Gotthard-Basistunnels. Und nach innen haben wir Nahtstellen zu Lieferanten. Die feste Fahrbahn ist ja ein Teil des Tunnelbauprojekts, ihr Projekt Teil eines Gesamtprojekts oder Programms. Dies konnten wir eben an einem Beispiel sehen: Sie mussten sich mit den Bahntechnikern abstimmen, die in anderen Teilen des Tunnels gearbeitet haben. Wie haben Sie diese Nahtstellen gemanagt? Nahtstellen managen heißt immer auch für das übergeordnete Projekt mitzudenken. Ich habe dafür aus meiner Zeit bei der Bundeswehr profitiert. Als Hauptmann und Kompaniechef wird man dazu ausgebildet, dass man bei seinem Handeln die übergeordnete Einheit berücksichtigt. Der Kompaniechef hat das im Blick, was das blöcke: Die Blöcke wurden uns just in time, auf den Tag genau herangebracht - und zwar direkt bis zum Ort des Einbaus. Wir haben gemeinsam mit diesem Lieferanten einen speziellen Transportwaggon entwickelt; die Blöcke mussten beispielsweise nicht von Paletten aus umgeladen werden. „naHTSTellen“ GemanaGT Sie haben die Prozesse in Ihrem Projekt stark standardisiert. Welche Auswirkungen hatte dies auf das Projektmanagement selbst? Wir mussten sorgfältig planen, sowohl beim Strukturplan unseres Projekts als auch beim Terminplan. Mit dem Strukturplan definiert man ja auch die Nahtstellen … Zum Verständnis: In der Schweiz sind mit dem Begriff „Nahtstellen“ die Schnittstellen gemeint … Mir gefällt der Begriff „Nahtstellen“ sehr gut. Schnittstellen hat etwas Trennendes. Nahtstellen drücken Verbindung aus und auf diese Verbintagesbericht erfasst; diese Daten und die Aufwände wurden unmittelbar danach der jeweiligen Kostenstelle zugeordnet. Unser Projektkaufmann hatte so zu jeder Zeit einen Überblick über die Kostenentwicklung. Er konnte diese Entwicklung auf den gebauten Kilometer genau mit dem Projektsteuerer abstimmen. - Daneben haben wir noch mehr gemessen: unsere Fehlerabweichungen, die Ausfallzeiten wegen Krankheit oder Arbeitsunfall und die Qualitätskontrolle der Vermessung bezüglich des Einhaltens des millimetergenauen Einbaus. Hinzu kamen Maschinenausfallzeiten und ihre jeweiligen Ursachen. Auf dieser Basis haben wir unsere Verfügbarkeitswerte berechnet und die Prognosen für Wartung und Instandhaltung der Maschinen entwickelt - was in das auf Verfügbarkeit basierende Wartungs- und Unterhaltskonzept mündete. Sie sprachen vorhin Ihre Lieferanten an. Wie waren Lieferanten eingebunden in diesen Prozess? Wir hatten sehr kreative Lieferanten, mit denen wir eine perfekte, durchgängige logistische Kette aufgebaut haben. Beispielsweise die Schwellen- Die Wartung des Betonzugs nach 16 Stunden Einsatz; Foto: Transtec Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 15 10.11.2015 13: 25: 24 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 16 REPORT arbeiter für diese extremen Anforderungen sensibilisiert? Das war ein Erziehungsprozess. Wir haben unsere über 100 Mitarbeiter intensiv geschult, trainiert und ihnen verdeutlicht, welche Qualität erforderlich ist und was für diese Qualität getan werden muss. Eine Projektmanagerin, ebenfalls aus der Baubranche, sagte mir kürzlich: Wer keine Fehler macht, der arbeitet auch nicht. Wie sind Sie mit Fehlern angesichts Ihrer hohen Qualitätsanforderungen umgegangen? Ich meine, dass man jeden Fehler machen darf - aber halt nur einmal. Wiederholen sich Fehler, können wir unsere Qualität nicht halten. So habe ich auch geführt. Unsere Führungskräfte brauchten Geduld und haben kontinuierlich auf die Qualitätsmaßstäbe und die Ziele des Projekts hingewiesen. Dies bedeutete auch: Wir mussten an der Baustelle vor Ort sein. Wir haben die Leute ins Gespräch gezogen, Gutes gelobt, aber auch auf Verbesserungspotenziale hingewiesen. stabil sind, konnten wir Geschwindigkeit und Leistung erhöhen. Dies klingt sehr selbstbewusst. Hand aufs Herz: Haben Sie diesen Erfolg erwartet? Offen gesagt, wir waren selbst davon überrascht, wie gut unser Projekt vorangekommen ist. Zudem haben wir durch unsere Terminplanung und das Terminmanagement sehr weit in die Zukunft blicken können - eine Vorausschau bis zu einem Dreivierteljahr. Und wir haben festgestellt, dass wir den Terminplan tagesscharf eingehalten haben. Dies gibt natürlich Sicherheit bei den Berechnungen. Wir sprechen viel über Technologie und Prozesse. Mich interessieren auch die Menschen des Projekts - etwa diejenigen, die im Tunnel vor Ort Beton gegossen haben. Vorhin haben Sie die erforderliche technische Präzision beschrieben. Betonbauer sind selten das exakte Arbeiten mit einem Spielraum von Millimeter- Bruchteilen gewohnt. Wie haben Sie Ihre Mitihm übergeordnete Bataillon von ihm erwartet und fordert. Was bedeutete dies konkret für Ihr Projekt? Wir bildeten mit unserem Projekt den „kritischen Pfad“ des Gesamtvorhabens. Bei Stillstand unseres Projekts hätte das Gesamtprojekt gestanden. Wir haben diesen Umstand aber als Chance gesehen, unsere Arbeit um sieben Monate beschleunigt und damit direkt auf den Terminplan des Gesamtprojekts eingewirkt. ProjekT um SieBen monaTe BeScHleuniGT Beschleunigt - auch dank der ausgefeilten Prozesse? Ja, im gewissen Umfang spielten auch die Prozessoptimierungen und die technischen Innovationen eine Rolle. Als wir wussten, dass unsere Methoden funktionieren und unsere Prozesse So urteilen die Assessoren über das Projekt im Gotthard-Basistunnel Die Assessoren des Wettbewerbs „Deutscher Project Excellence Award 2015“ haben das Projekt intensiv durchleuchtet und bewertet. Sie nennen die herausragenden Leistungen im Projektmanagement: Führung, Motivation, Projektkultur Führung, Stakeholdermanagement und Planung wurden als Kernaufgabe der Projektleitung verstanden und konsequent umgesetzt. Die Projektmitarbeiter waren stolz auf ihre Aufgabe und bezeugten im Assessment ihre ungewöhnlich hohe persönliche Identifikation mit dem Projekt. In einer Projektkultur des Vertrauens war das Team zu Höchstleistungen motiviert. Es herrschte eine Atmosphäre und Verbindlichkeit der Beteiligten wie in einem mittelständischen Familienbetrieb. Innovationskraft Das Projekt hat eine beeindruckende Innovationskraft bewiesen, insbesondere unter Berücksichtigung der weltweit bislang einzigartigen technischen Anforderungen an den Gleisbau. Grenzen des Machbaren wurden dabei nicht akzeptiert, sondern analysiert und überwunden; übliche Fertigungsverfahren und -prozesse wurden komplett überarbeitet. Den Erfolg beweisen unter anderem die gelungene Vorverlegung des Fertigstellungstermins, die patentierten neuen Verfahren sowie die überaus hohe Zufriedenheit der Stakeholder. „Nahtstellenmanagement“ Die vielfältigen Schnittstellen der beteiligten Gewerke im Projekt sowie der Supply Chain und zum übergeordneten Programm wurden effizient und zudem wertschöpfend gemanagt. Vorbildhaft wurden die sogenannten „Nahtstellen“ als Verbindungen zu anderen Bereichen verstanden und nicht etwa als Grenzen. Stakeholdermanagement Alle Stakeholder wurden kontinuierlich einbezogen. Das fand laufend und als integrierter Bestandteil der Prozesse statt - und nicht über eine separate Stakeholdermatrix. Um das Projekt und seine Fortschritte greifbar zu machen und zu dokumentieren, wurden über den Projektverlauf professionelle Imagefilme erstellt. Qualitätsmanagement Qualitätsmanagement war ein Leitmotiv im gesamten Projekt und ein entscheidender Erfolgsfaktor bei Personal, Planung und den Prozessen. Dieser Ansatz hat sich bezahlt gemacht in der Termintreue des Projekts, dem Ausbleiben von Claims und der Vereinfachung des Projektcontrollings für dieses Großprojekt. Dank laufender Qualitätskontrolle der Einzelschritte wurde auch die Übergabe des Bauwerks an den künftigen Betreiber mit hoher Effizienz ermöglicht. Die Qualität, Abwicklung und Prozesseffizienz kann dem Vergleich mit einer Serienproduktion nach Industriestandard Stand halten. PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 16 10.11.2015 13: 25: 25 Uhr REPORT 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 Für Fachaufgaben habe ich meine Fachleute. Ich habe beispielsweise einen Terminplaner im Team, der hervorragend mit Softwaretools umgeht. Was mich betrifft: Ich halte die Übersicht. Ich begleite, lasse mir Lösungen erklären, stelle kritische Fragen und diskutiere mit meinen Mitarbeitern - das sind die wesentlichen Aufgaben. Gerade diese Querschnittsfunktion macht aus meiner Sicht einen guten Projektmanager aus. ProjekTmanaGer alS „kaPiTän“ Ein Projektmanager muss nicht etwa mit Terminplanungs-Tools umgehen können … … aber ich muss mich in kritische Aufgaben schnell einarbeiten und Zusammenhänge der Terminplanung erkennen können. Sagen wir es so: Eine Art Befähiger für das Team, ein „Enabler“, der dem Team hilft, seine Leistung zu entfalten? Nein, ich vergleiche meine Rolle eher mit der eines Kapitäns. Treten Probleme auf, etwa im Risikomanagement, so habe ich das Schiff zu steuern. Bei ruhiger See hat man es als Kapitän etwas einfacher, aber bei rauem Wetter muss man auf der Brücke sein, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen. Konkret: Ich habe mich beispielsweise um die strukturelle Entwicklung des Projekts gekümmert, ich fühle mich als kreativer Treiber des Projekts. Das Stakeholdermanagement lag ganz bei mir, ich zwischen denen in weißer Kleidung und in blauer Kleidung. Fatal wäre der Eindruck bei Mitarbeitern, dass sie im Tunnel die Drecksarbeit machen und die Ingenieure in den Büros nur meckern. Deshalb habe ich meine Führungskräfte dringend angehalten, sich mit den Bedürfnissen unserer Leute im Tunnel auseinanderzusetzen. Und: Vertrauen zu Mitarbeitern baut man auch auf, indem man gegebene Versprechen hält. Dies alles reduziert auch den Stress bei der Führung. Der Stress reduziert sich - inwiefern? Ich denke an Missstimmung im Team und Konflikte mit Mitarbeitern. Diese Probleme entstehen, wenn Mitarbeiter glauben, dass sie ungerecht behandelt werden. Hinzu kommt: Die Mitarbeiter im Tunnel mussten zuverlässig ihre Leistung bringen und hohe Qualitätsmaßstäbe einhalten. Wir konnten ihnen nicht ständig jemanden zur Seite stellen, der jeden Handgriff kontrolliert. Vertrauen ist also keine Einbahnstraße. Die Mitarbeiter mussten uns vertrauen - und wir den Mitarbeitern. Es handelte sich um gegenseitiges Vertrauen. VerTrauenSraT reduzierT STreSS Eben sagten Sie, Sie hätten das Team für dieses Projekt komplett neu zusammengestellt und gegründet. Es handelte sich um ein Start-up im reinsten Sinne. Ist es schwierig, Mitarbeiter mit ausreichend Branchenkenntnissen für solch anspruchsvolle Tunnelbauprojekte zu gewinnen? Mitarbeiter müssen nicht zwingend aus dieser Branche kommen. Wie gesagt, ich entstamme ursprünglich auch nicht dem Eisenbahnbau. Ich habe bereits Mobilfunknetze aufgebaut, Windenergieprojekte durchgeführt und bin erst dann zur Schwelle gekommen. Wichtig ist, dass man als „quereinsteigender“ Projektleiter oder auch Teilprojektleiter sich für die Branche interessiert, logisch denkt, Erfahrungen aus anderen Branchen anwendet und weiß, wie man sich des gesunden Menschenverstands bedient. Was muss ein Projektmanager können, wenn er am weltgrößten Eisenbahntunnel mitarbeitet? Letztlich ging es dabei auch um Disziplin? Natürlich! Ein Beispiel dafür: Wir haben das Alkoholverbot auf unserer Baustelle sehr streng durchgesetzt und uns auch von einigen Mitarbeitern trennen müssen. Wir haben viele Diskussionen geführt, um aus den Mitarbeitern eine Mannschaft zu formen, die wirklich die Leistung bringt, die wir brauchten. Wobei man übrigens den Mitarbeitern nie das Gefühl geben darf, dass man der „Boss“ ist, dem man zu gehorchen hat. „eine GemeinScHafT auS GleicHen“ Die Devise: Unter dem Bauhelm sind alle gleich. Sagen wir besser: Wir sind eine Gemeinschaft aus Gleichen. Als Projektmanager verstehe ich mich als „Primus inter Pares“. Im Übrigen: Eine Kampfgruppe beim Militär kann nur funktionieren, wenn sich alle aufeinander verlassen können - vom Befehlshaber bis zum Schützen. Nach diesem Prinzip habe ich auch meine Mitarbeiter geführt. Konkret - was folgt daraus für die Praxis? Führungsverantwortliche sollten immer ein offenes Ohr für ihre Mitarbeiter haben. Dies kostete natürlich zusätzlich Zeit, Kraft und Energie - vor allem am Anfang unseres Projekts, als die Mitarbeiter noch viele Anliegen hatten. Wir haben deshalb versucht, diese Anliegen zu kanalisieren. Wir haben einen Vertrauensrat gegründet mit Mitgliedern der Mitarbeiter und der Führungskräfte. Dieser Rat hat regelmäßig getagt, manchmal alle sechs Wochen, mindestens aber einmal im Quartal. Immer wieder ging es um alltägliche, aber wichtige Fragen: etwa um Zulagen, um die Qualität der Kantine oder vermeintlich ungerechte Behandlung. Bedenken Sie: Wir haben unser Team ja komplett neu aufgebaut. Wir konnten auf keine vorhandenen Strukturen setzen. Die Mitarbeiter kannten sich nicht, sie wurden bunt zusammengewürfelt. Wir hatten an der Baustelle jeweils zu 45 Prozent deutsche und österreichische Mitarbeiter, hinzu kamen Kollegen aus Osteuropa. Stichwort „Vertrauensrat“. Vertrauen im Team muss man zunächst einmal aufbauen. Wie gelingt dies? Es darf keine Front geben zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitern, sozusagen Die Rolle des „Master Communicators“: Projektleiter Detlef Obieray im Gespräch mit Journalisten. Foto: Transtec Gotthard PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 17 10.11.2015 13: 25: 31 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 18 REPORT zweigt; nach oben hin wurden die Informationen verdichtet. Sie haben also stark auf mündliche Kommunikation gesetzt? Ja, ich denke, dass uns die mündliche Kommunikation stark gemacht hat. Jeder wusste, was in seinem Nachbarbereich an Aufgaben und Problemen anstand. Jeder erhielt die für ihn wichtigen Informationen, und er konnte für ihn wichtige Fragen klären. Auch Konflikte und Meinungsverschiedenheiten konnten wir auf diese Weise klären. Wir haben uns den Grundsatz der Offenheit gegeben. Wir haben Konflikte offen angesprochen. Da wurde manchmal heftig gestritten - und am Ende eine gute Lösung gefunden. Vorhin haben Sie ein Stichwort genannt, das ich abschließend aufgreifen möchte. Es geht ums Stakeholdermanagement. In Deutschland hat man mit Eisenbahnprojekten nicht immer gute Erfahrungen gemacht, um dies vorsichtig auszudrücken. Das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ hat viel Widerstand bei den Stakeholdern ausgelöst. Wie hat die Schweizer Bevölkerung Ihr Projekt aufgenommen? Ausgesprochen positiv, ganz anders als in Deutschland. Die Schweizer begeistern sich für das Projekt. Von Vorteil ist dabei natürlich, dass dieses Infrastrukturprojekt per Volksentscheid mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Dies erklärt auch, weshalb sich hier so viele Menschen hinter das Vorhaben stellen. Der erste Gotthard-Eisenbahntunnel mit 15 Kilometern Länge wurde um 1880 eröffnet. Er ist bis heute in Betrieb. Man hat damals für Generationen gebaut. Dies ist heute nicht anders. Bei solchen Projekten muss man in die Zukunft denken und über mehrere Generationen hinweg rechnen, was meiner Meinung nach die Schweizer erkannt haben. Wie wirkt sich dies auf das Projekt aus? Unglaublich motivierend - für alle Mitarbeiter. Wer daran mitwirkt, erfährt hier eine große Wertschätzung. Die Schweizer sind stolz auf dieses Projekt, und den Menschen, die dieses Projekt vorantreiben, begegnen sie mit großer Sympathie. Daraus zogen viele unserer Mitarbeiter ihre Motivation, wenn sie mit dem Betonzug im Morgengrauen in den Tunnel eingefahren sind.  Wie darf ich dies verstehen - lehnte sich eng an die Architektur unserer Prozesse an? Wir haben unser Projekt stark durch Prozesse gegliedert, darüber haben wir vorhin gesprochen. Diese Prozesse - oder besser: diese Prozesslandschaften - wurden in einem Projekthandbuch beschrieben. An dieser Struktur orientierte sich auch die Standardagenda. Wir haben folgende Themen behandelt: Arbeitssicherheit und Qualität zu Beginn jeder Besprechung, anschließend je nach Projektphase Themen wie Gesundheit, Umwelt, Ausführungsplanung, Änderungen und Changemanagement, Einkauf, Maschinen und Technik, Ausführung und Arbeitsvorbereitung, Stand der Arbeiten, Logistik, Inbetriebsetzung, Nachweisführung und Validierung, Dokumentation und Systemdokumentation, Instandhaltung und Zustandsfesthaltung, Ersatzteile des gebauten Gewerkes, Kaufmännisches und Finanzen, Risikomanagement, Meilensteine und Terminplanung, Organisation und Personal. - Das waren die wesentlichen Traktanden. mündlicHe kommunikaTion Klingt nach einem umfangreichen Programm. Die Besprechung hat, morgens begonnen, häufig bis mittags gedauert. Jeder Bereich des Projekts hatte auch seine eigenen Jour-fixe-Besprechungen mit ähnlicher Standardagenda. So hat der Leiter des Baus diese Besprechung mit seinen Bauleitern und Polieren durchgeführt. Nach unten hat sich dieses Besprechungssystem verwar Master Communicator. Wobei es bei dieser Kommunikation nicht nur um den Sachdialog ging, sondern auch darum, bei anderen Begeisterung für das Projekt zu wecken, Vertrauen aufzubauen und andere in das Projekt einzubeziehen. Der Master Communicator ist also das Gesicht des Projekts, auch seine Stimme nach außen? Ein Beispiel illustriert die Rolle des Master Communicators: Wir haben von Anfang an das Projekt durch ein Filmteam begleiten lassen. Aus dem Videomaterial haben wir zwei Filme erstellt - einer davon hat mehrfach Filmpreise gewonnen. Deshalb wurde ich eingeladen, als Diskutant an einer Podiumsdiskussion der Münchner Medientage teilzunehmen. Auch solche Kommunikationsaufgaben muss ein Projektmanager wahrnehmen wollen. „jour fixe“ alS ScHarnier der kommunikaTion Sprechen wir doch bitte weiter über die Kommunikation - und zwar die Kommunikation im Projekt selbst. Wie kann man bei solch einem komplexen Projekt sicherstellen, dass alle wichtigen Informationen auch jeden erreichen? Wir haben uns in der Führung wöchentlich montags zu einer Jour-fixe-Besprechung getroffen. Diese Sitzung war die zentrale Drehscheibe für Informationen. Wir hatten eine Standardagenda, sie lehnte sich eng an die Architektur unserer Prozesse an. Der „Betonshuttle“ - eine Innovation aus dem Projekt; Foto: Detlef Obieray Roland Gareis Consulting GmbH Reisnerstraße 40/ 1 1030 Wien T +43 1 367 70 22 Consulting, Training, Coaching, Innovating, Events > Consulting auf Basis der originären Managementansätze RGC PROCESS, RGC PROJECT, RGC CHANGE > >> Anforderungsmanagement > >> Prozessmanagement > > Anforderungsmanagement > > PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 18 10.11.2015 13: 25: 33 Uhr