PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
121
2015
265
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Nachrichten
121
2015
pm2650090
Energy in Husum. Er sagte: „Ein Blick in andere, bereits hoch entwickelte Branchen lehrt uns, was passieren wird und wo sich Chancen für Deutschland ergeben.“ 1. Bewährte Lösungen werden übertragen und massenhaft umgesetzt. Stückzahleneffekte werden den Preis drücken und neue Anbieter aus Niedriglohnländern werden die Preisspirale beschleunigen. Im standardisierten Massengeschäft für Onshore-Windparks werden deutsche Unternehmen auf dem internationalen Markt kurzfristig durch Know-how- Vorsprung glänzen, sich im Preiskampf aber langfristig nicht durchsetzen können. 2. Es werden sich Nischenmärkte bilden, beispielsweise für Windkraftanlagen in Gebirgs- und Waldregionen oder effiziente Anlagen und Betreibermodelle für Schwachwindregionen. Mit diesen Nischenmärkten entstehen Chancen für leistungsstarke Mittelständler, die das internationale Projektmanagement beherrschen. 3. Forschung und die Beherrschung von Spitzentechnologien wird ein bevorzugtes Feld deutscher Ingenieure sein. Die Weiterentwicklung von Materialien, Konstruktions- und Errichtungsprinzipien sowie neuer Logistikkonzepte wird uns noch viele Jahre beschäftigen. 4. Die Beherrschung von Komplexität und Unsicherheit setzt eine hohe Planungsqualität und langjährige Erfahrung voraus, besonders im Offshore-Bereich. Zahlreiche Errichtungen in Nord- und Ostsee in nennenswerten Wassertiefen verschaffen uns in Deutschland einen Wissensvorsprung, der gehalten, vielleicht Ersatz durch leistungsstärkere Nachfolgegenerationen), was zwangsläufig zum Refitting führt, also zur Weiterverwertung demontierter Altanlagen - ähnlich wie der Gebrauchtwagenmarkt in der Automobilbranche. Der letzte Schritt, der die Entstehung einer neuen Branche abschließt, ist die gezielte wechselseitige Beeinflussung des neuen Wirtschaftssektors durch die Politik. Insbesondere das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (kurz: EEG) prägt die Landes- und Bundespolitik seit Jahren und steuert damit die weitere Branchenentwicklung. Jetzt folgt die Internationalisierung: Die Entwicklung des Windenergiesektors ist kein deutsches Phänomen. Hierzulande sind über 370.000 Arbeitsplätze im Erneuerbare-Energien-Sektor entstanden (weltweit schon über 7,6 Millionen), davon rund 140.000 im Windenergiesektor (weltweit über 1 Million). Dieses Arbeitskräftepotenzial wird auch gebraucht. Über 164 Länder der Erde haben konkrete Renewable Energy Policies. 65 Länder verfügen sogar über eine entsprechende Gesetzgebung; das EEG wurde nach deutschem Vorbild direkt oder modifiziert übernommen (vgl. Dokumentation: IRENA, Global Status Report Renewables 2015, S. 37 und 89). Das EEG ist damit ein deutscher Exportschlager. „Aus wirtschaftlichen Überlegungen sollte aber nicht nur die Gesetzgebung, sondern die Leistungskraft deutscher Projektleiter und Unternehmen exportiert werden“, erklärte Prof. Steffen Rietz, GPM Vorstand für Facharbeit und Normung, in seinem Impulsvortrag auf dem Branchentag Windenergie des BWE am 14. September 2015, am Vorabend der Leitmesse Wind- Projektmanagement in der Windenergie - facettenreich, anspruchsvoll und international! Nicht jeden Tag entsteht eine neue Branche. Ein solches Entstehen Schritt für Schritt hautnah zu verfolgen und auch daran mitzuwirken, dies ist eine spannende Aufgabe. Hunderttausende Menschen gestalten derzeit den Windenergiesektor: in Unternehmen, an Hochschulen, in Verbänden oder in Privatinitiativen. Die Vision und der Wille einer ganzen Generation realisieren sich. Auch die GPM beteiligt sich mit ihrem PM-Wissen und ihren Erfahrungen am Aufbau dieser Zukunftsbranche. Jede neue Branche hat immer einen Keim. Startpunkt ist häufig ein innovatives Produkt. So auch in der Windenergie. Die seit vielen Jahrhunderten bekannte Windmühle hat einen neuen Zweck gefunden: Sie mahlt heute nicht mehr Getreide, sondern erzeugt dank technologischer Weiterentwicklung elektrische Energie. Dieses Innovationsprojekt wurde bereits vor vielen Jahren erfolgreich abgeschlossen. In Deutschland sind heute fast 30.000 Windenergieanlagen installiert; mehrere Hunderttausend Anlagen sind es weltweit. Der Praxis zeigt: Die Produktidee hat sich längst durchgesetzt. Auch die Rollout-Projekte zur Markterschließung sind erfolgreich abgeschlossen. Nun entstehen begleitende Dienstleistungen. Im Windenergiesektor sind dies beispielsweise das Gutachtenwesen und die Weiterentwicklung von Messverfahren und meteorologischen Prognosen. Auch neue Sektoren in der Versicherungsbranche zur Absicherung der Errichtung und des Betriebs von Windparks sowie produktspezifische Instandhaltungsstrategien kommen hinzu. Projekte zur Methodenentwicklung und -implementierung sowie zahlreiche Unternehmensgründungen sind zu beobachten. Haben sich die Experten der aufkeimenden Branche etabliert, richtet sich auch die Aus- und Weiterbildung darauf ein. Neue Studienrichtungen fokussieren das, was anfänglich als Modewelle galt, aber schon bald zu einem regelmäßigen Arbeitskräftebedarf führt. Zyklisch folgen Projekte zu Produkt- und Produktgruppenoptimierungen, danach zur Technologieoptimierung. Typisch für die Windenergie sind Retrofits (das Nachrüsten von Altanlagen) und das Repowering (Abbau von Altanlagen und Podiumsdiskussion auf dem Windbranchentag mit Dr. Lorenz Schneider, Daniel Meier, Carlo Reeker (Moderation), Dirk Jesaitis, Jan Koschinski und Prof. Steffen Rietz (v. l. n. r.) - viele der Projektmanagementexperten in der Runde sind auch Vertreter der GPM. Foto: Steffen Rietz projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 90 NACHRICHTEN PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 90 10.11.2015 13: 28: 14 Uhr Errichterschiff zwischen Sylt und Helgoland. Der Windpark Amrumbank West mit 288 MW auf 32 km 2 leitet seinen Strom über ein 85 km langes Kabel an die schleswig-holsteinische Küste; Projektbudget > 1 Mrd. EUR. Foto: Steffen Rietz NACHRICHTEN 91 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2015 brauch zu nennen, etwa die G20-Staaten. „Dazu kommt noch der komplette arabische Raum. Dort herrscht nicht nur regelmäßig Katerstimmung, wenn der Ölpreis sinkt, sondern dort erleben wir ganzjährig viele Sonnenstunden pro Tag, und es weht ein permanenter Steppen- und Wüstenwind - hervorragende Bedingungen für erneuerbare Energien“, ergänzt Dr. Lorenz Schneider von der Tilke Gruppe, Leiter der SIG Go International, der seit 17 Jahren am arabischen Golf Bauprojekte leitet. Bereits an der Landesgrenze der Bundesrepublik begegnen Projektmanager einer anderen Mentalität und Arbeitskultur. Mit der Entfernung nehmen solche Unterschiede im Denken und Handeln noch zu. Sprachbarrieren und kulturbedingte Kommunikationsschwierigkeiten, andere Währungen, damit ein geändertes Inflations- und zusätzliches Wechselkursrisiko sowie andere klimatische Bedingungen - auf solche Risiken muss man sich einstellen. Für im Ausland engagierte Projektmanager kommen außerdem viele rechtliche Aspekte hinzu: etwa das Arbeits- und Sozialrecht, das Steuerrecht, das internationale Vertragsrecht, die Gepflogenheiten des Gastlandes in Präsentations- und Verhandlungssituationen bis hin zu den sich ständig ändernden Umweltauflagen. Auch ist ein Projektteam beispielsweise mit neuen Rollen und Stakeholdern und mit ungewohnten Kalkulationsschemata konfrontiert. Mancher vermisst dort schmerzlich seine vertraute heimische Arbeitsumgebung. Aber auch diese vertraute Umgebung kann sich sehr schnell unter internationalem Einfluss ändern. „Die Adwen GmbH, ein in Bremen ansässiges Unternehmen, ist ein Joint Venture zwischen der französischen AREVA- und der spanischen Gamesa-Gruppe. Noch vor jedem Projektstart sind hier Einflüsse aus drei Ländern zu spüren“, berichtet Jan Koschinski, Leiter des dortigen PMO. Und wir werden im internationalen Konsolidierungsprozess der Branche noch weitere Fusionen, auch Neugründungen und Insolvenzen sehen. Für die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Ökonomische und ökologische Erfolge internationalisieren“ bleibt die Erkenntnis, dass in Deutschland gewonnene Projektmanagementerfahrung im Ausland sehr hilfreich ist - aber nur die Hälfte dessen ausmacht, was man braucht. Zahlreiche Umstände ändern sich, Neues tritt hinzu. „Es bleibt sehr spannend, diese junge Branche bei der weltweiten Entwicklung zu beobachten - und selbst ein aktiv gestaltender Teil der Entwicklung zu sein“, wie Prof. Steffen Rietz sagt. In welche Regionen geht die Reise für die Windenergie „made in Germany“? Ziel kann es nur sein, den vorhandenen Technologie- und Knowhow-Vorsprung konsequent zu nutzen. Daniel Meier von der WKN AG, GPM Fachgruppenleiter „PM Windenergie“, erklärt: „Deutschland hat neun unmittelbare Nachbarländer. Wir sind unter anderem in polnischen Windparkprojekten vertreten und diese internationale Projektarbeit ist inzwischen fester Bestandteil meiner regelmäßigen Arbeit.“ Neben den 65 Staaten, die das EEG übernommen haben, sind als Zielgruppe Länder mit hoher Wirtschaftskraft, hohem Wirtschaftswachstum und entsprechend hohem Energieversogar ausgebaut werden kann - sofern er nicht leichtfertig verspielt wird. Zahlreiche Offshore-Akteure vor den deutschen Küsten sind keine deutschen Unternehmen. 5. Die klischeehaft anmutenden deutschen Tugenden - etwa Disziplin und Pünktlichkeit - führen zu erfahrungsbasierten Prozessmodellen für die Errichtung von Windparks, die uns hoffentlich in der Zukunft bei international ausgeschriebenen Großprojekten Zeit- und Kostenvorteile sowie hohe Qualitätsstandards in der Projektabwicklung verschaffen. Vielversprechende Ansätze (GWPPM u. a.) sind bereits erkennbar. Wissen ist das Einzige, was wächst, wenn man es teilt - gerade in der Verbandsarbeit innerhalb der GPM. Am 14. September 2015 hat sich die GPM mit einem Impulsvortrag und einer Podiumsdiskussion „Ökonomische und ökologische Erfolge internationalisieren“ am Windbranchentag Schleswig-Holstein des BWE beteiligt. Die auf dieser Veranstaltung gesammelten Informationen und diskutierten Erfahrungen fließen in viele GPM Kanäle: • 15.9.2015: Fachgruppensitzung PM in der Windenergie „First Movement - wie sich Projektmanagement in der Windbranche weiterentwickelt“ • 17.9.2015: Sitzung des Forschungsbeirats des BWE, Bundesverband Windenergie, parallel zur WindEnergy, einer der Leitmessen der Branche • 1./ 2.10.2015: GPM Seminar „Erfolgreiches Managen internationaler Projekte“ • 13.10.2015: Workshop zur Erweiterung der „Recommendation for Schedule Management“, die gerade den Automotive-Spezifika entwächst und auch Branchenspezifika der Windenergie abbildet • 19.11.2015: Erarbeitung eines Projektmanagementtrainings in Form eines Assessment-Centers mit Vertretern des WEA-Herstellers Senvion, des BWE und der Fachhochschule Westküste PM-aktuell_5-2015_Inhalt_01-100.indd 91 10.11.2015 13: 28: 17 Uhr