PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Vergabe öffentlicher Großprojekte als Erfolgsfaktor
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Ina Gamp
Auf der 17. Beschaffungskonferenz fand eine Diskussionsrunde zur „Vergabe und Steuerung von Großprojekten: Weichenstellung für ein professionelles Projektmanagement“ unter anderem mit hochrangigen Vertretern des Bundesverkehrs- und des Bundesverteidigungsministeriums statt. Es wurde dargelegt, welche Reformvorhaben für Rüstungsprojekte und öffentliche Großprojekte im Baubereich im Hinblick auf ein verbessertes Projektmanagement geplant sind. Durch eine den Zielen und Risiken angemessene Vergabe und Steuerung können Projekterfolge gesichert werden. Notwendig sind Rahmenbedingungen mit klaren Verantwortungsstrukturen, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und auf gemeinsame Ziele hin zusammenzuarbeiten. Die Diskussion zeigte u.a. den Reformbedarf des geltenden Vergaberechts.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 KONGRESSE 15 Am 24. und 25. September 2015 fand in Berlin die 17. Beschaffungskonferenz statt, die sich als die zentrale Leitveranstaltung rund um die Themen Vergaberecht, Prozessoptimierung in Einkauf und Logistik sowie E-Procurement etabliert hat. In seinem einführenden Grußwort erläuterte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Uwe Beckmeyer, die Ziele des im Juli 2015 vorgelegten Gesetzentwurfes zur Modernisierung des Vergaberechts. Vor dem Hintergrund der Wachstumsstrategie der Europäischen Kommission „Europa 2020“ soll eine intelligente und nachhaltige Wirtschaft gefördert werden. Strategische Beschaffungsziele stehen dabei ebenso im Fokus wie einfachere und flexiblere Regeln. Aus dem Auditorium des Eröffnungsplenums wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern die besonderen Belange öffentlicher Großprojekte bei der anstehenden Vergaberechtsreform bereits ausreichend berücksichtigt wurden. Das Thema „Projektmanagement“ war erstmals durch eine eigene Veranstaltung auf dem Kongress vertreten. Norman Heydenreich, Hauptstadtrepräsentant der GPM, moderierte einen Round Table zum Thema „Vergabe und Steuerung von Großprojekten: Weichenstellung für ein professionelles Projektmanagement“. Diskussionsteilnehmer waren unter anderem: Dr. Veit Steinle, Abteilungsleiter Grundsatzangelegenheiten im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), und Dr. Lutz Wenzel, Unterabteilungsleiter für Zentrale Aufgaben der Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). Wie können die Rahmenbedingungen für den Erfolg öffentlicher Großprojekte durch eine optimierte Vergabe verbessert werden? Mit dieser Leitfrage eröffnete Norman Heydenreich die Diskussion. Er führte aus, dass es bei der Vergabe von Großprojekten darum geht, die wirtschaftlichsten und geeignetsten Anbieter zu beauftragen, zugleich die notwendige frühzeitige Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern zu ermöglichen und die oft zu große Projektkomplexität zu reduzieren. Die Spielregeln dafür gibt das Vergaberecht vor: Dessen Ziele sind vorrangig die Förderung des internationalen Wettbewerbs, die Förderung des Mittelstands und die Korruptionsbekämpfung. Projektfreundliche Rahmenbedingungen für den Erfolg von Großprojekten zu schaffen, gehört bisher jedoch nicht zu den Zielsetzungen des Vergaberechts. Da zurzeit eine Reform des Vergaberechts ansteht, sollte die Diskussion über eine Optimierung der Vergabe aus Sicht der GPM auf zwei Ebenen geführt werden: 1. Welche Erfahrungen gibt es aus der Praxis, wie Vergaben von Großprojekten im Rahmen des bestehenden Rechts projektfreundlich gestaltet werden können? 2. Vorschläge an den Gesetzgeber zur Optimierung des Vergaberechts im Sinne der Projektfreundlichkeit. Großprojekte im Rüstungsbereich sind zunehmend in der öffentlichen Diskussion: Kostenüberschreitungen in Milliardenhöhe, Verzögerungen um Jahre - das alles belastet den Steuerzahler und wird auch als Risiko für die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands wahrgenommen. Daher ging die erste Frage nach den wesentlichen Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen aus einer vom BMVg beauftragen Analyse zentraler Rüstungsprojekte insbesondere in Bezug auf spezifische Vergabestrategien und den großen Anteil von Entwicklungsarbeit bei Rüstungsprojekten an Dr. Lutz Wenzel. Dr. Wenzel führte aus, dass sich aus dieser Studie sowohl projektspezifische als auch übergreifende Erkenntnisse ergeben haben: Defizite bei einem an der militärischen Fähigkeitslage orientierten Programmmanagement, keine ausreichende Dokumentation der PM-Prozesse, ein nicht anforderungsgerechter Projektansatz sowie unzureichendes Anforderungsmanagement. Komplexität und Risiken würden oftmals am Anfang eines Projektes unterschätzt oder durch politische Rahmenbedingungen verdeckt. GPM erstmals auf der Beschaffungskonferenz in Berlin Vergabe öffentlicher Großprojekte als Erfolgsfaktor Autorin: Ina Gamp >> Für eilige Leser Auf der 17. Beschaffungskonferenz fand eine Diskussionsrunde zur „Vergabe und Steuerung von Großprojekten: Weichenstellung für ein professionelles Projektmanagement“ unter anderem mit hochrangigen Vertretern des Bundesverkehrs- und des Bundesverteidigungsministeriums statt. Es wurde dargelegt, welche Reformvorhaben für Rüstungsprojekte und öffentliche Großprojekte im Baubereich im Hinblick auf ein verbessertes Projektmanagement geplant sind. Durch eine den Zielen und Risiken angemessene Vergabe und Steuerung können Projekterfolge gesichert werden. Notwendig sind Rahmenbedingungen mit klaren Verantwortungsstrukturen, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und auf gemeinsame Ziele hin zusammenzuarbeiten. Die Diskussion zeigte u. a. den Reformbedarf des geltenden Vergaberechts. PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 15 29.01.2016 8: 18: 12 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 16 KONGRESSE jekte - auch weiterhin eine Matrixorganisation haben. Die Weiterentwicklung der organisationalen Projektmanagementkompetenz wird dabei auf zwei Ebenen angegangen: Kurzfristig geht es um schnelle Verbesserungen im Projektmanagement. Dazu gehören: Ausreizung des öffentlichen Organisations- und Dienstrechts, Einholung externer Unterstützung in den Projekten, Anwerbung von Spezialisten für den gehobenen Dienst, Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter durch passgenaue Angebote, die trotz Ressourcenmangels und Zeitaufwands eine mittelfristige Optimierung bringen. Langfristig ist die Verbesserung der prozessualen und organisatorischen Aufstellung für die Rüstungsbeschaffung entscheidend. Dazu zählt die Einrichtung eines IT-gestützten Prozessportals, das auch dem Wissensmanagement dient. Über eine eigene Projektmanagerkarriere als Laufbahn in der Bundeswehr wird intern nachgedacht. Nicht jedes Projekt hat die Komplexität eines Rüstungsprojekts, doch man kann aus diesen auch für andere Großprojekte lernen, so Norman Heydenreich. Bei allen öffentlichen Großprojekten ist es unbedingt erforderlich, die Beschaffungsstelle frühzeitig in die gesamte Projektstrategie und -planung einzubeziehen. Projektmanagement ist eine Schlüsselkompetenz für die Verwaltung, die intern in ausreichendem Maße vorhanden sein muss. Auch der Bericht der von Bundesminister Dobrindt geleiteten Reformkommission des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zeigt umfangreiche Verbesserungspotenziale bei den öffentlichen Großprojekten auf - im Bauwesen, einer zweiten Reformbaustelle der Bundesregierung bei den öffentlichen Großprojekten. Der Bericht enthält unter anderem auch Empfehlungen zur Optimierung der Vergabe. Aufgrund zahlreicher Fehlentwicklungen bei öffentlichen Großprojekten - zum Beispiel bei Stuttgart 21, beim Berliner Flughafen oder der Elbphilharmonie - hat das Bundesverkehrsministerium 2013 die Reformkommission Bau von Großprojekten einberufen und alle Stakeholder zur Teilnahme eingeladen. Weil jeder gespürt habe, dass sich etwas ändern müsse, sei ein bemerkenswerter Kompromiss gelungen, obwohl die Mitglieder einer solchen Kommission durchaus unterschiedliche Interessenlagen hätten, führte der für die Reformkommission zuständige Abteilungsleiter im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Dr. Veit Steinle, Rüstungsprojekte unterliegen einer gesonderten Verordnung, nämlich der Verordnung für Verteidigungsgüter, die sich aus einer speziellen EU-Richtlinie ableitet. Darin ist das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb Standard. Notwendig ist aus Sicht des BMVg eine Optimierung der spezifischen Vergabestrategien und Vertragsstrategien gegenüber potenziellen Auftragnehmern in Abhängigkeit von den jeweiligen Zielen und Risiken. Für Großprojekte der Bundeswehr sind dabei projektspezifische, rechtssichere, ausgewogene Verträge die zentrale Basis. Mittels eines Leitfadens wird vorgegeben, wie Verträge geplant, gestaltet, verhandelt und umgesetzt werden müssen. Ein IT-gestütztes Vertragsmanagementsystem inkl. Klauselbibliothek sowie Dokumenten- und Fristenmanagement unterstützt die Arbeit. Ziel ist es, den Vertrag noch stärker auf das jeweilige Projekt zuzuschneiden. Dafür müssen die Vertragsjuristen schon bei der ersten Entstehung der Leistungsbeschreibung und in die Vorbereitung der Vertragsverhandlungen eingebunden werden. Zu den wesentlichen Punkten, die dabei zu beachten sind, gehören unter anderem: Nutzungsrechte, Haftungsregelungen, Vertragsbeendigungen bei dauerhafter Nichterfüllung, verhandelbare/ nicht verhandelbare Klauseln, Ausschlusskriterien. Die neuen Großprojekte sollen in eine Programmorganisation überführt werden, in die beispielsweise die Juristen, die Techniker und die Verhandlungsführer mit integriert sind, erläuterte Dr. Wenzel die neue Strategie. Natürlich werde das BMVg - angesichts der ca. 1.000 Pro- Uwe Beckmeyer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie; Foto: Wegweiser Media & Conferences GmbH/ Thomas Kierok Eine Risiko- und Transparenzkultur zu etablieren, sei ein wesentliches Ziel der Reformvorschläge, denn sie trage dazu bei, dass Risiken in den Projekten frühzeitig erkannt und nachhaltig angegangen werden. Hierzu sei ein einheitliches Risikomanagement, inklusive eines standardisierten, ebenenübergreifenden, konsistenten Berichtswesens, erforderlich. Für mehr Transparenz bei den Entscheidungsprozessen und den Projektfortschritten brauche man mehr Standardisierung im Projektmanagement, Vereinheitlichung von Methoden und Werkzeugen, Entwicklung von Dokumentenvorlagen, Checklisten und Planungstools auf Basis von etablierten Standards und Best Practice-Ansätzen. Auditorium des Eröffnungsplenums; Foto: Wegweiser Media & Conferences GmbH/ Thomas Kierok Anzeige ALLE LEISTUNGEN AUS EINER HAND! FÜR X-MOMENTS, DIE BEWEGEN. Projektmanagement | Prozessmanagement | Change Management www.nextlevelconsulting.eu — Beratung — Coaching — Interim Management — Aus- und Weiterbildung — IT-Lösungen — Interventionen NL_Ins_Image_210x145.indd 1 03.03.2015 15: 30: 34 PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 16 29.01.2016 8: 18: 17 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 KONGRESSE 17 aus. Der abschließende Bericht der Reformkommission beinhaltet insgesamt zehn Kernhandlungsempfehlungen. Auf folgende Punkte wies Dr. Steinle besonders hin: • „Vergabe an den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten“ - ein ganz wichtiger Punkt nicht nur bei Großprojekten, denn das billigste Angebot berge zuweilen die Gefahr, dass über Nachträge versucht werde, die angestrebte Auftragsrendite zu erreichen, so der Abteilungsleiter. Der Prüfstein sei, ob derjenige, der die Entscheidung treffe, auch den politischen Mut zu der Aussage habe, dass ein bestimmter Anbieter nachweislich nicht geeignet sei. Oftmals tue man sich bei der Rechtfertigung vor dem entsprechenden Vergabegremium schwer, nicht den billigsten zu nehmen. Angesichts knapper Etats zahle sich jedoch dieser Mut langfristig aus, wenn dadurch Projekte in der Endabrechnung günstiger würden. Hier müsse allerdings noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet wer- Anzeige ALLE LEISTUNGEN AUS EINER HAND! FÜR X-MOMENTS, DIE BEWEGEN. Projektmanagement | Prozessmanagement | Change Management www.nextlevelconsulting.eu — Beratung — Coaching — Interim Management — Aus- und Weiterbildung — IT-Lösungen — Interventionen NL_Ins_Image_210x145.indd 1 03.03.2015 15: 30: 34 Dr. Lutz Wenzel (links), Bundesministerium der Verteidigung, und Norman Heydenreich, GPM; Foto: www.paulhahn.de PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 17 29.01.2016 8: 18: 21 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 18 KONGRESSE Reformbedarf bei der Vergabe von Großprojekten - Die GPM zur Novellierung des Vergaberechts Das Vergaberecht regelt, wie öffentliche Auftraggeber beim Einkauf von Waren, Bau- und Dienstleistungen oder der Vergabe von Konzessionen vorgehen müssen. Die Vorschriften zum Vergabeverfahren stellen Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung sicher. Dadurch soll beim Einkauf der öffentlichen Hand das beste Preis-Leistungs-Verhältnis am Markt erzielt werden. Struktur und Inhalt des deutschen Vergaberechts sind derzeit sehr komplex. Der Bundestag hat im Dezember 2015 das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts verabschiedet. Dieses wird durch Rechtsverordnungen ergänzt, die im ersten Quartal 2016 vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Anlass ist die Umsetzung der drei neuen EU-Vergaberichtlinien, die bis April 2016 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Diese EU-Richtlinien auf der Grundlage der Wachstumsstrategie der Europäischen Kommission „Europa 2020“ führen für das deutsche Vergaberecht zu einem erheblichen Anpassungsbedarf. Ziele der Vergaberechtsreform Mit der Umsetzung der Richtlinien soll das bisherige System modernisiert und ein einfacheres und anwenderfreundlicheres Vergaberecht geschaffen werden. Öffentliche Auftraggeber und Unternehmen sollen zukünftig auch mehr Flexibilität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge haben. Dazu werden unterschiedliche Regelwerke, insbesondere für die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen, zusammengeführt und vereinheitlicht. Die Vergabeverfahren selbst sollen schneller und effizienter werden. So sollen Mindestfristen gekürzt werden und Verhandlungen mit Bietern im Vergabeverfahren leichter möglich sein als bisher. Soziale Dienstleistungen, wie zum Beispiel zur Integration arbeitssuchender Menschen, sollen in einem erleichterten Verfahren vergeben werden können. Für effizientere Vergabeverfahren soll zudem die stärkere Nutzung elektronischer Mittel sorgen. Die nachhaltige Beschaffung soll durch Erweiterung der Möglichkeiten für Auftraggeber, soziale, ökologische und innovative Aspekte bei der öffentlichen Beschaffung einzubeziehen, gestärkt und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge geltende sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen einhalten. Voraussetzungen für den Erfolg von öffentlichen Großprojekten Die Novellierung orientiert sich nicht genügend an dem Ziel, Voraussetzungen für den Erfolg von öffentlichen Großprojekten zu schaffen. Dieser Erfolg ist jedoch wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Entscheidende Ursache für die Probleme großer öffentlicher Projekte ist die fehlende Bündelung der Interessen und Kräfte der Projektbeteiligten, insbesondere der Auftraggeber und Auftragnehmer, auf gemeinsame Projektziele. Dies ist vor allem eine Frage der Governance von öffentlichen Projekten - d. h. der Etablierung von klaren Prinzipien, Verantwortungsstrukturen, Projektbeauftragungsverfahren und einer förderlichen Projektkultur. Großprojekte erfordern Flexibilität, Übernahme von Verantwortung, Kooperation und aktives Risikomanagement. Auftraggeber müssen Verantwortung übernehmen und entsprechend ihrer Verantwortung aktiv Einfluss nehmen. Angemessene organisationale Kompetenz und Entscheidungsspielräume der öffentlichen Auftraggeber sind dafür Voraussetzung. Die notwendige Kooperation der Beteiligten wird oft wegen zu geringer Margen, unsachgemäßer Verteilung der Risiken und fehlender Transparenz erschwert. Bei der Vergabe von Großprojekten geht es darum, die wirtschaftlichsten und geeignetsten Anbieter zu beauftragen, die notwendige frühzeitige Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern zu ermöglichen und die oft zu große Komplexität zu reduzieren. Durch eine an die spezifischen Ziele und Risiken von öffentlichen Großprojekten angepasste Vergabe und Vertragsgestaltung können die Rahmenbedingungen für ein professionelles Projektmanagement und für den Projekterfolg maßgeblich verbessert werden. Forderungen der GPM zur Novellierung des Vergaberechts Bei der Novellierung des Vergaberechts sollte daher die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für den Erfolg von öffentlichen Projekten als Vergabeziel berücksichtigt werden. Das heißt insbesondere: • Vorrang der Eignung des Anbieters vor dem Preis • Ermöglichung einer frühzeitigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern • Gewerke, die in hoher Abhängigkeit zueinander stehen, können im Regelfall unter einem Dach gebündelt werden • Stärkung des Ermessens- und Entscheidungsspielraums des öffentlichen Auftraggebers • Einschränkung der Möglichkeiten von Wettbewerbern, den Zuschlag im Nachprüfungsverfahren zu verzögern Vergaberecht und Innovation Das bisherige Vergaberecht fördert das Innovationspotenzial nur in geringem Umfang durch vergaberechtliche Instrumente (z. B. Nebenangebote bzw. wettbewerblicher Dialog). Die Vergaberechtsreform etabliert mit der sogenannten Innovationspartnerschaft (§119 GWB-E) ein vollkommen neues Verfahren, um das Innovationspotenzial der Privatwirtschaft nutzbar zu machen. Fraglich bleibt jedoch, ob und wie groß die Bereitschaft zur Anwendung des Verfahrens ist. Denn die Förderung von Innovationen setzt Know-how und Mut aufseiten der Auftraggeber voraus, da diese für die Beurteilung von innovativen Konzepten verantwortlich sind. Darüber hinaus gibt es im Gesetzentwurf keine relevanten Neuerungen, um Innovationen zu befördern. Insbesondere sind Nebenangebote nur bei ausdrücklicher Autorisierung durch öffentliche Auftraggeber zugelassen. Norman Heydenreich, Hauptstadtrepräsentant der GPM PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 18 29.01.2016 8: 18: 22 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 im europäischen Umfeld gar keine Aufträge mehr. Das BMVI werde deshalb darauf dringen, dass neue Methoden wie BIM verstärkt zur Anwendung kommen, und noch im Dezember einen entsprechenden Stufenplan der Öffentlichkeit vorstellen. Die Umsetzung dieser Empfehlungen sei Bestandteil des „Aktionsplans Großprojekte“, den das BMVI im Dezember 2015 dem Bundeskabinett vorgelegt hat und der von diesem verabschiedet wurde. Dr. Dieter Laux, Polizeiakademie des Landes Hessen, betonte vor allem den Aspekt der frühzeitigen und gelungenen Kommunikation zwischen Vergabestelle und Fachleuten und warb für ein eigenes Teilprojekt „Beschaffung“, das weit vor der Vergabevorbereitung den Kontakt zur Vergabestelle hält, Risiken mit ihr erhebt und Zwischenergebnisse abstimmt. Dadurch ließen sich Fehlentwicklungen schneller identifizieren und korrigieren. Voraussetzung dafür sei eine Teilprojektleitung mit Erfahrung in Beschaffungsfragen und besonderer Kommunikationsfähigkeit. Es sei wichtig, diese Kommunikation frühzeitig herzustellen und sicherzustellen, dass die Anforderungen und Vorstellungen der Beteiligten auch verstanden werden. Dass die Vergabestelle als unabhängige Stelle nicht an Weisungen eines Projektes gebunden ist, werde nämlich oft überden, auch über politische Legislaturen hinweg zu planen. • „Verbindliches Risikomanagement für Großprojekte und Erfassung von Risiken im Haushalt“ - das werde eine sehr „harte Nuss“ in der Zukunft. Es sei aber für die Kostenwahrheit und Termintreue unverzichtbar. • „Partnerschaftliche Projektzusammenarbeit“ - dieser Aspekt werde im deutschen Bauwesen vielfach ins Gegenteil verkehrt. Zu häufig herrsche eine Kultur des Misstrauens, bei der jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht sei. Auf Baustellen müsse hingegen wieder eine Kultur des Miteinanders geschaffen werden. Dieses Thema müsse daher dringend adressiert werden. • „Klare Prozesse und Zuständigkeiten im Projekt“ und „Stärkere Transparenz und Kontrolle“ seien für die angestrebten Verbesserungen ebenfalls besonders wichtig. Dazu gehöre unter anderem, dass diejenigen, die für die Realisierung eines Projektes verantwortlich sind, auch über die notwendigen personellen und fachlichen Kompetenzen verfügen. • „Nutzung digitaler Methoden - Building Information Modeling (BIM)“ - da sei man international sehr viel weiter als in Deutschland. Unternehmen, die keinen Nachweis erbringen können, dass sie mit BIM arbeiten, bekämen Diskussionsteilnehmer (von links nach rechts): Jörg Pekruhl, Oracle, Dr. Veit Steinle, BMVI, Dr. Lutz Wenzel, BMVg, Norman Heydenreich, GPM, Stefan Hitter, RAe Hoffmann, Liebs, Frisch und Partner, sowie Dr. Dieter Laux, Polizeiakademie des Landes Hessen; Foto: www.paulhahn.de Anzeige PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 19 29.01.2016 8: 18: 26 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2016 20 KONGRESSE Schlagwörter Beschaffungswesen, Reformkommission öffentliche Großprojekte, Rüstungsprojekte, Vergaberecht Kompetenzelemente der ICB 4.0 1.02 Governance, Strukturen und Prozesse, 3.02 Anforderungen, Ziele und Nutzen, 3.03 Leistungsumfang und Lieferobjekte, 3.09 Beschaffung und Partnerschaften, 3.11 Risiken und Chancen Autorin Ina Gamp ist politische Referentin in der Hauptstadtrepräsentanz der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Anschrift: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Hauptstadtrepräsentanz, Hausvogteiplatz 12, 10117 Berlin , Tel.: 030/ 36 40 33 99-72, E-Mail: i.gamp@gpm-ipma.de fasste Norman Heydenreich die Diskussion zusammen. Vergabe und Steuerung komplexer Projekte brauchen Rahmenbedingungen mit klaren Verantwortungsstrukturen, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und auf gemeinsame Ziele hin zusammenzuarbeiten. Das hat Auswirkungen auf den Vergabeprozess. Trotz der Unterschiede in den verschiedenen Ressorts und staatlichen Ebenen gibt es eine große Gemeinsamkeit der Problemlagen und Erfahrungen. Daher ist der ressortübergreifende Erfahrungsaustausch so wichtig. Die Diskussion hat auch gezeigt, dass das geltende Vergaberecht die Rahmenbedingungen für öffentliche Großprojekte in Deutschland eher erschwert. Im dem von Dr. Johannes Ludewig moderierten Expertengespräch am Abend „Privat und Staat im Dialog - Potenziale für Innovation und Bürokratieabbau“ wurde der Gesetzentwurf zur Vergaberechtsreform zum Teil kontrovers bewertet. Dr. Thomas Solbach, Referatsleiter Öffentliche Aufträge, Vergabeprüfstelle, Immobilienwirtschaft im BMWI, erläuterte den weiteren Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Während der vorgelegte Gesetzentwurf im Herbst in die parlamentarische Beratung gehe, würden gleichzeitig die Verordnungsentwürfe zur Vergaberechtsreform erarbeitet. In beiden Prozessen hätten interessierte Verbände die Möglichkeit, ihre Sicht einzubringen. In der abschließenden Plenumsdiskussion und zahlreichen Einzelgesprächen sprach sich die GPM dafür aus, bei der anstehenden Reform die Rahmenbedingungen für den Erfolg von öffentlichen Großprojekten stärker zu berücksichtigen (siehe Kasten auf S. 18). sehen. Ein zu spätes Einbeziehen der Vergabestellen kann dazu führen, dass diese das Projekt nach seinem Start noch zu Fall bringen. Änderungen des Vergaberechts sollten nur in großen Abständen durchgeführt werden, da durch jede Änderung zunächst mehr Unsicherheit bei den zahlreichen Vergabestellen entstehe und es oft Jahre dauert, bis diese durch neue Rechtsprechung, Ausbildung und Erfahrung überwunden ist. Jörg Pekruhl, Oracle, sprach sich dafür aus, dass auch die Anbieter möglichst frühzeitig in die Kommunikation einbezogen werden sollen. Er wies darauf hin, dass Großprojekte - angesichts der hohen Komplexität - heute durch leistungsfähige IT-gestützte Projektmanagementlösungen unterstützt werden, die auch von den Vergabestellen genutzt werden könnten. Stefan Hiller, Jurist mit Spezialisierung auf Vergaberecht, wies darauf hin, dass bei Großprojekten das Risiko für Verzögerungen und Kostensteigerungen aufgrund ihrer Komplexität nicht ausgeschlossen, allerdings unter anderem durch folgende Erfolgsfaktoren reduziert werden könne: professionelles Projektmanagement mit stetiger Kosten- und Terminkontrolle, mehrere Gewerke unter Berücksichtigung der vergaberechtlichen Zulässigkeit unter einem Dach bündeln, eindeutige Leistungsvorgaben für die Auftragnehmer, rechtssichere Gestaltung der Projektverträge und hohe Kompetenz der Projektbeteiligten. Durch eine Vergabe und Steuerung öffentlicher Großprojekte, die den Zielen und Risiken angemessen ist, können die Voraussetzungen für den Projekterfolg maßgeblich verbessert werden, Von links nach rechts: Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates, Dr. Veit Steinle, BMVI, Dr. Thomas Solbach, BMWI; Foto: www.paulhahn.de PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 20 29.01.2016 8: 18: 30 Uhr
