PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2016
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Der Project Canvas – Projekte interdisziplinär definieren
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Frank Habermann
Der „Project Canvas“ ist ein wirksames Instrument zur Projektdefinition. Es ist als „Open Source“ frei verfügbar und richtet sich aufgrund seiner intuitiven Anwendbarkeit ebenso an NichtProjektexperten wie an erfahrene Projektmanager, die ihren Methodenkoffer bereichern wollen. Das Instrument ist besonders nützlich für interdisziplinäre Gruppen, die vor oder während des Projekts ein gemeinsames Verständnis erlangen wollen. Der Project Canvas folgt den Prinzipien des Project Excellence-Modells und steht im Einklang mit Standards wie ICB, ISO oder PMBOK. Das Instrument kann genutzt werden, gleich ob Sie Ihr Projekt nach Scrum, Prince2, V-Modell oder einem unternehmenseigenen Ansatz durchführen. Freier Download des Project Canvas unter http://overthefence.com.de
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projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 36 Wissen „Unklares Projektverständnis” und „Kommunikationsprobleme“ sind häufig genannte Ursachen für Projekte in Schieflage [1]. An dieser Stelle setzt der „Project Canvas“ an. Er ist ein Werkzeug zur Gewinnung eines gemeinsamen Projektverständnisses - nicht nur, aber insbesondere - in interdisziplinären Gruppen. Hierzu verfügt der Project Canvas über spezielle Merkmale, die im Rahmen einer mehrjährigen wissenschaftlichen Forschung spezifiziert und erprobt wurden. Mittlerweile wurde das Instrument in zahlreichen Praxisprojekten erfolgreich angewendet. Die meisten kennen das, Menschen aus verschiedenen Unternehmensbereichen versuchen sich über einen Projektgegenstand zu verständigen: Da fließen professionelle Sichtweisen ebenso ein wie persönliche Interessen, manches bleibt unausgesprochen, vieles wird überhört und noch mehr geht im Missverständnis der Fach- und Expertensprachen unter. Diese Situation ist anstrengend, bisweilen sogar ärgerlich. Besonders kritisch ist sie dann, wenn es sich um die Phase der Projektinitialisierung handelt. Denn in der Startphase eines Projekts werden die - inhaltlichen wie sozialen - Grundlagen für die weitere Arbeit geschaffen, und damit die Basis für den Projekterfolg. Ein leistungsfähiges Werkzeug zur Projektdefinition ist der „Project Canvas“. Der „Canvas“ wurde als allgemeines Instrument im Kontext der Geschäftsmodellentwicklung populär [2]. Im Folgenden wird erörtert, wie das Instrument für das Projektmanagement adaptiert und genutzt werden kann. Zunächst werden Herkunft, Zielsetzung und Eigenschaften des Project Canvas beleuchtet. Im Mittelpunkt des weiteren Artikels stehen dann ausgewählte Praxisbeispiele und gewonnene Anwendungserfahrungen. Hintergrund und Historie Der Canvas, wie er durch Osterwalder/ Pigneur [2] bekannt gemacht wurde, kombiniert zwei Ansätze, deren Geschichte länger zurückreicht: „Graphic Templates“ und „Management Frameworks“. Bereits in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts begannen Architekten und Designer, die Wünsche und Anforderungen ihrer Kunden auf vorbereiteten „Musterkarten“ zu visualisieren. Seit den 1990er-Jahren wurde das visuelle Begleiten von Prozessen („Graphic Facilitation“ oder auch „Visual Facilitation“) in Deutschland bekannt und wird mittlerweile in einer Vielzahl von Situationen nutzbringend eingesetzt. Das Zerlegen eines komplexen Zusammenhangs in seine Komponenten („Building Blocks“) und das Erfassen der entsprechenden Inhalte in „Containern“ haben grafische Templates mit Management Frameworks gemein. Eines der berühmtesten dürfte das von McKinsey in den 1970er-Jahren entwickelte „7-S-Framework“ sein [3]. Es zerlegt eine Unternehmung in sieben Kernkomponenten. Nichts anderes tut ein Project Canvas: Er zerlegt einen komplexen Zusammenhang - nämlich ein Projekt - in seine Kernkomponenten. Doch erst durch die Verbindung des Rahmenwerks mit visueller Prozessbegleitung entsteht ein neuartiges Werkzeug. Canvas - als Methode - hat sich mittlerweile in mehreren Anwendungsfeldern bewährt. So gibt es neben dem „Business Model Canvas“ (zur Entwicklung eines Geschäftsmodells) einen „Product Canvas“ (zur Definition von Produkten), einen „Communication Canvas“ (zur Definition von Kommunikationsstrategien) und vielerlei Typen mehr. Auch der in diesem Artikel vorgestellte Project Canvas ist nicht der einzige seiner Art. Zwei andere seien besonders erwähnt: • Der Project Canvas, der im Jahre 2012 als Erster das Licht der Welt erblickte, wurde von James Kalbach erstellt [4]. Dieser arbeitete seinerzeit als „Principal User Experience Strategist“ bei USEEDS. Der Canvas umfasst zehn Projektbausteine und stellt „User“ sowie „User Benefits“ in den Mittelpunkt. Dies ist der Kernkompetenz von USEEDS geschuldet, welche die Softwareentwicklung, speziell das User Interface Design, fokussiert. Der Kalbach- Canvas ist speziell für derartige Projekte geeignet. Ein flexibler Ansatz, der mit allen Vorgehensmodellen kombinierbar ist Der Project Canvas - Projekte interdisziplinär definieren autor: Frank Habermann >> Für eilige Leser Der „Project Canvas“ ist ein wirksames Instrument zur Projektdefinition. Es ist als „Open Source“ frei verfügbar und richtet sich aufgrund seiner intuitiven Anwendbarkeit ebenso an Nicht-Projektexperten wie an erfahrene Projektmanager, die ihren Methodenkoffer bereichern wollen. Das Instrument ist besonders nützlich für interdisziplinäre Gruppen, die vor oder während des Projekts ein gemeinsames Verständnis erlangen wollen. Der Project Canvas folgt den Prinzipien des Project Excellence- Modells und steht im Einklang mit Standards wie ICB, ISO oder PMBOK. Das Instrument kann genutzt werden, gleich ob Sie Ihr Projekt nach Scrum, Prince2, V-Modell oder einem unternehmenseigenen Ansatz durchführen. Freier Download des Project Canvas unter http: / / overthefence.com.de PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 36 29.01.2016 8: 19: 54 Uhr Wissen 37 projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 von mindestens zehn interdisziplinären Projekten). Bei den Befragten handelt es sich um über 100 Projektleiter/ -innen und Unternehmensberater/ -innen (aus großen und kleinen Unternehmen verschiedener Branchen sowie Selbstständige). Über die Hälfte der Befragten ist in agilen wie in traditionellen Managementmethoden ausgebildet; die restlichen Personen sind es in mindestens einer der beiden Projektmanagementrichtungen. Die „Projektprofis“ kommen in Bezug auf interdisziplinäre Projektkommunikation zu folgenden Aussagen: • Wege der Kommunikation: In einer frühen Projektphase wird die direkte „mündliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht“ mit Abstand als bester Kommunikationsweg in interdisziplinären Teams eingestuft. An zweiter Stelle rangiert die „formelle schriftliche Kommunikation (Dokumentenaustausch o. Ä.)“. Als weniger geeignet werden indessen die „mündliche Kommunikation via Telefon/ Internet“ sowie die „informelle schriftliche Kommunikation (Chat o. Ä.)“ angesehen. Über ein Drittel der befragten Projektprofis wertet diese beiden Kommunikationswege gar als ungeeignet für eine frühe Projektphase. • Zweck der Kommunikation: Soziale Faktoren werden als vorrangig angesehen, um zu einem gemeinsamen Projektverständnis zwischen den Expertengruppen zu gelangen. So werden die „Entwicklung eines Gruppengefühls“ und das „persönliche Kennenlernen“ in frühen Projektphasen höher eingestuft als der „Austausch von Fakten“ und „professionellen Standpunkten“. Gleichwohl werden auch diese Aspekte als wichtig eingestuft. • Formen der Zusammenkunft: Das Treffen in der engen Projektgruppe (Projektkernteam) wird als die beste Form der Zusammenkunft gewertet, um zu einer abgestimmten Projektdefinition zu gelangen. Das Treffen in der Großgruppe (erweitertes Projektteam) sowie Individualgespräche zwischen einzelnen Experten werden mit Abstand als weniger zielführend eingeschätzt. • Instrumente/ Medien der Kommunikation: In einem interdisziplinären Meeting werden einzig „einfache Schaubilder, Handzeichnungen, Tafelbilder“ und „gesprochenes Wort (Stories/ Erklärungen)“ als uneingeschränkt hilfreich angesehen. Andere Kommunikationsinstrumente wie „grafische Animationen“, „vorbereitete Präsentationen“, „Prototypen“, „Prozessmodelle“, „geschriebener Text“ oder • Nicht-Gehört-Werden: Einzelne Personen besitzen keine ausreichende Möglichkeit, den eigenen Standpunkt deutlich zu machen; Nicht-zu-Wort-Kommen. • Offene Enden: Wichtige Aspekte eines Projekts werden gar nicht besprochen oder nur andiskutiert; es werden keine oder zu wenig verbindliche Verabredungen getroffen. • Unverständliche Sprache: Es werden zu viele unbekannte Fachbegriffe verwendet; wichtige Informationen bleiben für einen Teil der Projektgruppe „codiert“. • Uninformierte Entscheidungen: Personen stimmen Entscheidungen zu, jedoch ohne notwendige Sachinformationen zu besitzen bzw. ohne sich ausreichend informiert zu fühlen. • Technik als Hürde: Vorgeschlagene Kommunikations-Tools werden nicht von allen genutzt - etwa weil die Tools nicht reibungslos laufen oder weil ein hoher Aufwand für die Installation und Einarbeitung besteht (oder vermutet wird). • Keine geeignete Moderation: Ein interner Moderator wird als nicht neutral wahrgenommen; ein externer (neutraler) Moderator versteht zu wenig von den Projektinhalten. • Unbekannte Methoden: Zur Visualisierung von Ergebnissen oder Erklärung von Sachverhalten werden Hilfsmittel eingesetzt, die von einigen Teilnehmern nicht beherrscht bzw. akzeptiert werden. • Unterschiedliche Ausgangslage: Verschiedene Expertengruppen besitzen im Projektvorfeld unterschiedliche Informationen; im Dialog wird dies erst spät oder gar nicht erkannt. • Keine gemeinsame Dokumentation: Die Dokumentationen der verschiedenen Expertengruppen stimmen in Logik, Aufbau, Gliederung oder Format nicht überein; Zugriffs- und Verständnisprobleme. Praktiken zur Förderung der Projektkommunikation Welche Lösungsansätze existieren in der Praxis, um die erkannten Mängel zu adressieren? Zur Beantwortung dieser Frage wurde nach einem ausgiebigen Literaturstudium (zu Projektmanagement, Gruppenmoderation, kooperativer Entscheidungsfindung, agilen Methoden, Design Thinking, Unternehmensmodellierung, Wissensmanagement u. a.) eine Befragung konzipiert, die sich an Praktiker richtete, die besondere Projekterfahrungen aufweisen (Management/ Leitung • Ein weiterer spezieller Canvas ist „Project Square“ von TURN AROUND [5]. Das Instrument zielt auf Anwendungssituationen, in denen Projekte in einer kritischen Phase sind und „umgedacht“ sowie „umgelenkt“ werden müssen. Project Square kommt folgerichtig mit so besonderen Bausteinen daher wie den „Schäden“, die ein Projekt verursachen kann, oder der „Geisteshaltung“, die einem Projekt zugrunde liegt. Diese Ausgangssituation begründete Anfang des Jahres 2013 den Bedarf, einen universellen Project Canvas zu entwerfen. Zum einen nämlich hatte sich die Methode „Canvas“ zum kooperativen Modellieren von komplexen Zusammenhängen bewährt. Zum anderen gab es im Anwendungsfeld „Projektmanagement“ zwar bereits ein gutes Dutzend Canvases, doch waren diese durch ihre Sprache, Form und Struktur auf besondere Projektarten oder -situationen ausgerichtet. Gesucht wurde daher ein Canvas, der für jede Art von Projekt und Projektgruppe geeignet ist. Die Entwicklung und die Einsatzmöglichkeiten dieses universell anwendbaren Project Canvas werden im Folgenden beschrieben. Mängel der Projektkommunikation Was behindert eigentlich eine „gute“ Kommunikation im Projekt, selbst wenn bei allen Beteiligten der Wille zur Zusammenarbeit besteht? Um ein geeignetes Instrument zur Förderung der interdisziplinären Projektkommunikation zu entwickeln, sollte diese Frage zuerst untersucht werden. Zu diesem Zweck wurde eine (nicht repräsentative) Auswahl an Personen befragt. Bei den über 400 Befragten handelt es sich um fachliche und technische Experten aus privaten wie öffentlichen Organisationen sowie - um das allgemeine Muster besser verstehen zu können - um Künstler, Designer, Architekten, Ingenieure, Städteplaner, Journalisten sowie politische und soziale Aktivisten. Alle Personen waren mehrfach in interdisziplinären Projekten tätig oder sind es gar regelmäßig. Gefragt wurde nach beobachteten bzw. selbst erlebten Kommunikationsproblemen während der Initialisierung von Projekten, etwa bei der Vorbereitung eines Vorhabens, der Projektangebotserstellung oder einem Kick-off- Meeting. Die folgende Liste umfasst häufig genannte Mängel in der Projektkommunikation. Die Reihenfolge stellt keine Gewichtung dar. PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 37 29.01.2016 8: 19: 54 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 38 Wissen mations- und Output-Faktoren. Dieses prozessorientierte Modell fußt auf einer Zeitleiste. Über allem steht der Sinn und Zweck des Projekts. Verbindende Metapher: Um eine integrierende Wirkung zu erreichen, muss die Logik des Canvas auf einem gemeinsamen, disziplinen- und erfahrungsübergreifenden Projektverständnis gründen. Doch was vermittelt ein solch allgemeines Projektverständnis? Um diese Frage zu beantworten, wurden Menschen innerhalb und außerhalb von Betrieben, mit und ohne Projekterfahrung, aus insgesamt über 70 Ländern nach derjenigen Metapher gefragt, die sie am ehesten mit einem „Projekt“ verbinden. Das am häufigsten genannte Bild war die „Reise in unbekannte Gefilde“ [6]. Diese Metapher wurde zur Grundlage für die Strukturierung und Visualisierung des Project Canvas (Abb. 2). Allgemein verständliche Sprache: Die im Project Canvas verwendeten Begriffe müssen von allen Menschen im Projekt verstanden werden, unabhängig von deren Position, Projekterfahrung und fachlicher Prägung. Die Canvas-Terminologie muss im besten Sinne „allen gemein sein“! Wäh- Project Canvas - Aufbau und Merkmale Der im Folgenden vorgestellte Project Canvas ist ein Werkzeug zur Projektdefinition. Der Project Canvas will bekannte Kommunikationsmängel mindern und die Verständigung innerhalb von heterogenen Personengruppen fördern - und dies für alle Projektarten und Gruppenkonstellationen. Zu diesem Zweck verfügt der Project Canvas aufbauend auf den guten Praktiken des Projektmanagements über folgende Eigenschaften: • einfacher Aufbau • verbindende Metapher • allgemein verständliche Sprache • offener Ansatz - agil wie traditionell • im Einklang mit PM Standards Einfacher Aufbau: Der Project Canvas ist so simpel wie möglich aufgebaut. Er umfasst nur das Allernötigste, nämlich die wichtigsten Bausteine eines Projekts und deren Hauptverbindungen. Abbildung 1 visualisiert den Project Canvas. Er besteht aus insgesamt elf Projektbausteinen. Sie gliedern sich in je drei Input-, Transfor- „Games und Rollenspiele“ finden ebenfalls Befürworter - jedoch auch Skeptiker. • Einsatz von Moderatoren/ Moderatorinnen: Alle befragten Projektprofis bewerten die Wirksamkeit einer „guten Moderation“ als sehr hoch, um die Kommunikation in einem interdisziplinären Meeting zu fördern. Allerdings sind die Anforderungen an eine „gute Moderation“ äußerst anspruchsvoll und sehr heterogen. So fordern über drei Viertel der Befragten, dass ein geeigneter Moderator sowohl die „fachlichen Aspekte“ als auch die „technischen Aspekte“ verstehen und zusätzlich die „Methoden des Projektmanagements beherrschen“ sollte. Diese Kompetenzen sind wohlgemerkt zusätzlich gefordert zu den „Methoden der Gesprächsführung“ (welche alle Befragten fordern). Uneinigkeit besteht ferner in der Frage, ob der Moderierende eine aktive Projektrolle besitzen sollte. Immerhin ein Drittel wünscht sich dies. Ebenso viele halten es für hilfreich, wenn der Moderierende „fremde Beiträge kommentiert oder bewertet“. Abb. 1: Der Project Canvas; Grafik: http: / / overthefence.com.de PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 38 29.01.2016 8: 19: 56 Uhr Wissen 39 projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 allen relevanten Aspekten zu beschreiben und so auf Vollständigkeit und Plausibilität zu testen. Der ausgefüllte „Projektidee“-Canvas visualisiert somit das Projektverständnis in der ersten Vorstufe eines Projekts. Derart ist er geeignet, für eine Projektinitiative zu werben, etwa bei potenziellen Promotoren und Auftraggebern. Praxisbeispiel: Die Non-Profit-Organisation „Citizens for Europe“ (citizensforeurope.org) fördert Projekte zur Stärkung der Bürgergesellschaft in Europa. In diesem Zusammenhang stellt sie u. a. Budgets für Themenkampagnen zur Verfügung. Im Rahmen solcher öffentlicher Ausschreibungen bewerben sich Dutzende von Teams mit diversen Ideen, die zudem sehr unterschiedlich „zu Ende gedacht“ sind. Um die Vergleichbarkeit der eingehenden Ideenskizzen zu verbessern, erprobte „Citizens for Europe“ in ihrer jüngsten Ausschreibung den Project Canvas. Jedes sich bewerbende Team musste seine Projektidee anhand eines Project Canvas ausarbeiten und einsenden. Dadurch stieg nicht nur die Vergleichbarkeit der Eingänge, sondern es konnte auch eine deutliche Qualitätszunahme festgestellt werden. „Projektantrag“-Canvas Größere Projekte werden selten allein aufgrund einer Ideenskizze bewilligt. Stattdessen folgt - falls die Projektidee Anklang findet - eine Phase der Projektvorbereitung. Prince2 nennt diese Phase „Projektbeschreibung“; verwandte Prajektdokumente wie Project Charter o. ä. übernommen werden. Anwendung und Praxisbeispiele Der Project Canvas ist immer dann ein wirksames Instrument, wenn ein Projekt definiert werden soll. Diese „Projektdefinition“ wird in der Regel nicht einmalig, sondern mehrmals im Projektverlauf durchgeführt. Zum einen stufenweise auf dem Weg von der Projektidee bis zum tatsächlichen Projektauftrag. Zum anderen im laufenden Projekt, etwa bei Projektveränderungen oder auch, wenn festgestellt wird, dass Projektauffassungen im Laufe der Zeit divergieren. Abbildung 3 illustriert typische Anwendungssituationen für den Project Canvas. Das Instrument kann einmalig, in einer der genannten Situationen genutzt werden. Es kann aber auch den gesamten Zyklus von der Projektidee bis zum abgeschlossenen Projekt begleiten. Derart bildet der Project Canvas ein „lebendes Dokument“, das adaptiert und fortgeschrieben werden kann und so den Projektverlauf widerspiegelt. „Projektidee“-Canvas Gute Ideen haben viele. Doch eine Idee zu haben, das reicht alleine nicht. Soll eine Idee jemals Aussicht auf Förderung erfahren, muss sie schlüssig, vollständig und in sich stimmig dargestellt werden. Der Project Canvas unterstützt genau dies. Er erlaubt es, eine Projektidee in rend der Entwicklung des Project Canvas wurden daher Feldtests mit Hunderten von Menschen gemacht, auch mit solchen, die Projekte außerhalb von Betrieben durchführen, etwa Künstlern und Sportlern. Aussortiert wurden alle „erklärungsbedürftigen“ Begriffe, die unklar blieben oder mehrdeutig erschienen. Dazu zählten auch solche Begriffe, die in der Welt des Projektmanagements durchaus üblich sind, aber eben dieses spezielle Vorwissen erfordern (etwa Begriffe wie „Scope“, „Stakeholder“ u. ä.). Die Verständlichkeit der Sprache betrifft nicht zuletzt die Formulierung von Fragen, die ein wichtiger Bestandteil des Canvas sind. Diese den Projektbausteinen zugeordneten Fragen leiten und begleiten die Definition eines Projekts. Offener Ansatz: Der Project Canvas ist sowohl in seiner Terminologie als auch Struktur neutral und mit allen Denkschulen des Projektmanagements kombinierbar. Er lässt sich sowohl in agilen Projektszenarien einsetzen (Scrum u. a.) wie in prototypischorientierten und phasenorientierten Vorgehensmodellen (V-Modell u. a.). Im Einklang mit Standards: Trotz seiner Einfachheit und Offenheit ist der Project Canvas so gestaltet, dass er im Einklang mit den bestehenden Standards des Projektmanagements steht. Der Aufbau des Project Canvas orientiert sich an den Prozessmodellen der wichtigsten Projektmanagement-Richtlinien, etwa PMBOK Guide, Prince2, PM3, DIN 69901 und ISO 21500. Die mit dem Project Canvas erzielten Ergebnisse können daher unmittelbar in weiterführende Pro- Abb. 2: Die „Reise in unbekannte Gefilde“ als Projektmetapher PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 39 29.01.2016 8: 19: 58 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 40 Wissen Projekt ist und soll“. Um solch divergierende Auffassungen einzufangen oder von Anfang an gering zu halten, macht es Sinn, regelmäßige Statusgespräche durchzuführen. Diese können durch den Project Canvas unterstützt werden. Des Weiteren ist ein „Projektstatus“-Canvas immer dann hilfreich, wenn es zu markanten Einschnitten im Projektverlauf kommt. Derartige Einschnitte können von vornherein geplant sein, etwa bekannte Entscheidungspunkte/ Meilensteine, oder auch ungeplant, etwa unvorhergesehene Änderungen in der Umwelt oder im Team. Praxisbeispiel: Das EMF Institut für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut in Berlin. Im Zuge eines Innovationsprojekts wählte es ein prototypisches Vorgehen. In iterativen Phasen wurden (Produkt-)Prototypen entwickelt und dem Kunden präsentiert. Die aus dem Feedback des Kunden gewonnenen Erkenntnisse begründeten die Definition der jeweils nächsten Iterationsstufe. Diese „Re-Definition“ des Projekts, das heißt die sich ergebenden Konsequenzen für Qualitätskriterien, Meilensteine usw., wurden mittels des Project Canvas erarbeitet und dargestellt. Dieser neue, visuelle Projektstatus wurde dann im wahrsten Wortsinn zum „Leitbild“ des folgenden Projekts - bis zum kommenden Status-Review. gemäßen Struktur können die Inhalte des Project Canvas, zum Beispiel die Beschreibung von Umfeldbedingungen, Ressourcen, Teamstrukturen usw., unmittelbar in andere Antragsdokumente übernommen werden. Praxisbeispiel: Ein weltweit führender Technologiekonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik nutzte den Project Canvas zur Vorbereitung und Beantragung eines Strategieprojekts. Von vier im Vorfeld identifizierten möglichen strategischen „Aktionsfeldern“ sollte eines ausgewählt und projektiert werden. Der Project Canvas wurde zunächst genutzt, um die vier mit den Aktionsfeldern verbundenen Projektszenarien zu beschreiben und so ein besseres Verständnis der Projektalternativen zu erhalten. Für das ausgewählte Aktionsfeld wurde dann mittels des Project Canvas ein konkreter Projektentwurf ausgearbeitet und die Beantragung entsprechend begleitet. „Projektstatus“-Canvas Bereits vor mehr als 150 Jahren äußerte der Philosoph Arthur Schopenhauer die Erkenntnis, dass „bei gleicher Umgebung jeder Mensch doch in einer anderen Welt lebt“. So wie unsere individuellen Wahrnehmungen des Tagesgeschehens variieren, so verändern sich im Laufe eines Projekts auch die Auffassungen darüber, „was das xisbegriffe sind unter anderem „Machbarkeitsstudie“ oder „Business Case-Analyse“. Häufig ist dieser Schritt mit eigenen Ressourcen und einer speziellen Organisationsform ausgestattet, besitzt also selbst Projektcharakter („Vorprojekt“). In solchen Fällen kann bereits ein Project Canvas erstellt werden, um das - nicht selten mehrmonatige - Vorprojekt zu definieren. Das angestrebte Ergebnis des Vorprojekts ist schließlich ein fundierter Projektantrag. Der hauptsächliche Nutzen des Project Canvas im Antragsstadium besteht darin, allen zukünftigen Projektbeteiligten ein gemeinsames Projektverständnis zu ermöglichen („Durchdenken und Abstimmen“). Interdisziplinäre Experten, Auftraggeber und sonstige Stakeholder (etwa das Linienmanagement) sollen ihre Perspektiven einbringen und das Projekt in allen wesentlichen Aspekten verstehen und mittragen. Hierzu zählt auch die Vereinbarung der Management- und Steuerungsprinzipen des zukünftigen Projekts, etwa das Vorgehensmodell (agil, prototypisch usw.) sowie das begleitende Reporting und Controlling. Der Project Canvas ist in dieser Entwurfsphase nicht zuletzt ein Hilfsmittel, um weitere wichtige Dokumente zu erstellen, etwa die von den PM-Richtlinien im Rahmen einer Projektbeantragung geforderten Dokumente „Statement of Work“, „Business Case“ oder „Project Charter“. Aufgrund seiner offenen und standard- Abb. 3: Anwendung des Project Canvas im Projektverlauf Anzeige PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 40 29.01.2016 8: 20: 02 Uhr Wissen 41 projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 Zweck einen Project Canvas-Workshop durchzuführen. Vorbereitung: Eingeladen werden alle „Auftraggeber“ des Projekts (Sponsoren/ Owner) sowie die wichtigsten „Interessenten“ (Stakeholder). Ferner teilnehmen sollen die Mitglieder des zukünftigen Projektteams (soweit bekannt). Reserviert werden muss ein ausreichend großer Raum mit einem „runden Tisch“, an dem alle Beteiligten Platz finden. Benötigt werden ferner Stifte, Haftnotizen sowie ein großformatiger Ausdruck des Project Canvas („Canvas-Poster“). Darüber hinaus entscheidet sich die Projektleiterin „Fragenkarten“ und eine „Tischversion“ des Project Canvas einzusetzen. Alle Unterlagen erhält sie von der Over the Fence-Website. Rollen der Teilnehmer: Der Projektleiterin ist es besonders wichtig, dass alle Projektbeteiligten die (durchaus unterschiedlichen) Interessen der Kunden und Auftraggeber aus HR, IT und Vertrieb verstehen und zu einem gemeinsamen Bild for- • Dauer: von einer Stunde bis zu mehreren Tagen (bei Großprojekten) • Medieneinsatz: vom reinen „Pen & Paper“ bis zu Technikunterstützung An dieser Stelle soll beispielhaft ein typisches Einsatzszenario skizziert werden. Das Projektbeispiel betrifft die Einführung einer Online-Trainingsumgebung für das Vertriebspersonal in einem großen mittelständischen Unternehmen. Der Anbieter ist ausgewählt, das Projektbudget von gut einer viertel Million Euro genehmigt, das Projekt jedoch noch nicht gestartet. Das Projektteam rekrutiert sich aus verschiedenen Fachabteilungen (Vertrieb, HR, IT) sowie externen Experten (Berater und Softwarehersteller). In der Projektvorbereitung wurde arbeitsteilig agiert; zum Start des Projekts nun soll ein einheitliches Projektverständnis erlangt bzw. sichergestellt werden. Die aus dem HR-Bereich stammende designierte Projektleiterin entscheidet sich, zu diesem Ein praktisches Beispiel zur Anwendung des Project Canvas Die Anwendung des Project Canvas erfolgt in der Regel in Workshops. Project Canvas-Workshops sind so vielfältig wie die Kommunikations- und Arbeitsweisen von Menschen und Organisationen. Wie Sie den Project Canvas am besten einsetzen, bestimmen der konkrete Anwendungszweck (von der Ideenskizze bis hin zum Projektreview), die Art und Größe des Projekts sowie die Rahmenbedingungen Ihrer Organisation. Eckpunkte von Project Canvas-Workshops sind: • Moderation: mit externer Moderation oder selbst organisiert • Personenzahl: von Kleinstbis Großgruppen von 20 oder mehr Personen • Gruppenart: vom Projektkernteam bis zum erweiterten Kreis mit Stakeholdern • Begegnungsform: von Treffen am selben Ort bis zu virtuellen Meetings Anzeige PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 41 29.01.2016 8: 20: 02 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 1.2016 42 Wissen [6] Habermann, F./ Schmidt, K.: The Project Canvas - A Visual Tool to Jointly Understand, Design and Initiate Projects, And Have More Fun at Work. Gumroad E-Book, 1 st Edition, Berlin 2014 Schlagwörter Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Project Canvas, Project Charter, Projektkommunikation, Projektmanagement, Teamentwicklung Kompetenzelemente der ICB 4.0 2.03 Persönliche Kommunikation, 2.06 Teamarbeit, 3.02 Anforderungen und Ziele Autor Dr. Frank Habermann ist Professor für Betriebswirtschaft an der HWR Berlin. Als Berater und Manager verantwortete er über 50 meist internationale Projekte aus den Bereichen HR, IT und Organisationsentwicklung. Anschrift: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Badensche Straße 50, 10825 Berlin, Tel.: 030/ 3 08 77-14 86, E-Mail: Frank. Habermann@hwr-berlin Fazit und Ausblick Die Initiative „Over the Fence - Projects Newly Discovered” hat sich zum Ziel gesetzt, einfache, aber wirkungsvolle Werkzeuge für „Menschen in Projekten“ zu entwickeln. Diese Werkzeuge sind in vielerlei Projektszenarien anwendbar und für alle Projektmanagementansätze - agile wie traditionelle - geeignet. Die Initiative folgt dem Open Source-Gedanken: Die angebotenen Werkzeuge sind (größtenteils) kostenlos beziehbar und für den individuellen Einsatzzweck adaptierbar. Das erste Werkzeug, das im Jahr 2013 entwickelt wurde, ist der Project Canvas. Seit seiner Veröffentlichung wurde er in Hunderten von Fällen zur Beschreibung von Projekten benutzt. Die Praxisbeispiele umfassen vielfältige Projektsituationen, von der ersten Ideenskizze bis zum Statusreview eines laufenden Projekts. Einige dieser Beispiele wurden in diesem Artikel erwähnt. Viele Menschen, die den Project Canvas in der Vergangenheit genutzt haben, gaben Rückmeldung über das Gute und das zu Verbessernde. Dies wurde aufgegriffen und der Project Canvas entsprechend weiterentwickelt. Zeitgleich sind professionelle Moderations-, Workshop- und Trainingsmethoden entstanden, die den Nutzen des Project Canvas weiter steigern und die helfen, das Leben in Projekten zu erleichtern. Der Project Canvas sowie begleitendes Workshop- Material und weiterführende Literatur sind erhältlich unter http: / / overthefence.com.de. Literatur [1] Project Management Institute (Hrsg.): The high cost of low performance: the essential role of communications, pulse of profession. In: Depth Report, PMI, Newtown Square, 2013 [2] Osterwalder A./ Pigneur Y.: Business model generation - a handbook for visionaries, game changers, and challengers. John Wiley & Sons, Hoboken 2010 [3] Waterman, R./ Peters, T./ Phillips, J.: Structure Is Not Organization. In: Business Horizons, Band 23, 1980, Heft 3, S. 14-26 [4] Kalbach, J.: The Project Canvas - Defining Your Project Visually. http: / / uxtogo.useeds.de/ 2012/ 05/ 25/ the-project-canvas-defining-yourproject-visually, Stand: 5.3.2015 [5] Turn Around (Hrsg.): Der Project Square. http: / / turnaroundpm.com/ project-square, Stand: 11.2.2015 men. Die Projektleiterin bittet daher die eingeladenen Bereichsleiter aus HR, IT und Vertrieb, im Workshop ihre Perspektive auf das Projekt zu teilen. Mit den Mitgliedern des Projektteams verabredet sie, dass im Workshop jede Person für mindestens einen „Baustein“ des Project Canvas verantwortlich ist, also zum Beispiel „Umfeld bedingungen“, „Ergebnis“, „Risiken“, „Qualität“ oder „Zeit“. Die Projektleiterin selbst übernimmt den „Zweck“. Alle Teammitglieder werden mit den entsprechenden Canvas-Fragenkarten ausgestattet. Der Workshop selbst läuft wie folgt ab: Beginn - Projektgeschichte: Die Arbeit am Canvas beginnt damit, dass jeder Kunde bzw. Auftraggeber seine Sicht des Projekts mitteilt. Während ein Kunde, also zum Beispiel der Vertriebsleiter, die Geschichte des Projekts - also Hintergründe, Motivation, Ziele usw. - erzählt, sollte er nicht unterbrochen werden. Die Teammitglieder hören aufmerksam zu und machen sich Notizen (entsprechend der verabredeten Arbeitsteilung nach „Projektbausteinen“). Am Ende werden also drei „Projektgeschichten“ erzählt und entsprechende Notizen angefertigt. Mitte - Fragen und Antworten: Die Teilnehmenden interviewen nacheinander die Kunden/ Auftraggeber, um Antworten auf die Fragen zu ihrem jeweiligen Projektbaustein zu erhalten. Auch wenn die Reihenfolge grundsätzlich offen ist, so hat es sich bewährt, dass zuerst der „Zweck“ geklärt wird und anschließend die Rolle der „Kunden“. Sobald alle Fragen zu einem Baustein beantwortet sind, werden die entsprechenden Aspekte auf Haftnotizen notiert. Dann wird der nächste Baustein „erfragt“, so lange, bis alle Projektbausteine geklärt sind. Ende - Zusammenfassung und Reflexion: Nun wird das großformatige Canvas-Poster an der Wand befestigt. Die Teammitglieder bringen nacheinander - Baustein für Baustein - beginnend mit dem Zweck ihre Haftnotizen an dem Canvas-Poster an. Gemeinsam werden die Ergebnisse diskutiert und verbessert. Eventuelle Widersprüche werden identifiziert und aufgelöst. Der Vorgang ist abgeschlossen, wenn das gesamte Projekt in allen Bausteinen zur Zufriedenheit aller Teilnehmenden definiert ist. Die Projektleiterin ist glücklich: An der Wand hängt nun ein Bild der gemeinsamen Projektwelt - die visualisierte gemeinsame Projektreise. Und der Workshop dauerte gerade einmal drei Stunden. Beilagen in diesem Heft • 2 x GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. • ifmme Institut für moderne Managemententwicklung • Roland Gareis Consulting GmbH Wir bitten um Beachtung. PM-aktuell_1-2016_Inhalt_01-68.indd 42 29.01.2016 8: 20: 02 Uhr