PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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Gesellschaft für Projektmanagement„Lieber noch mal nachdenken ...“
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Oliver Steeger
Vorsicht, Denkfehler! Sogar erfahrene Projektmanager tappen in die Fallen des Denkens. Sie halten Informationen irrtümlich für plausibel. Sie unterschätzen Risiken, überschätzen ihre eigene Kompetenz, stolpern bei Investitionsentscheidungen, beurteilen stark verdichtete Informationen falsch oder vermuten Zusammenhänge, wo keine sind. Fatal: Solche Denkfehler unterlaufen uns unbewusst. Wenn wir es merken, ist es zu spät. Prof. Stephan Schneider vom Institut für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel hat dafür einen Begriff: Informationspathologien. Ihnen entkommt niemand; sie sind uns angeboren. Wie Projektmanager sich dennoch vor den gefährlichen Irrtümern, Täuschungen und Trugschlüssen schützen können, dies erklärt er im Interview.
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Weshalb (auch) Projektmanager den Informationspathologien auf den Leim gehen „Lieber noch mal nachdenken …“ Autor: Oliver Steeger olly - Fotolia.com Vorsicht, Denkfehler! Sogar erfahrene Projektmanager tappen in die Fallen des Denkens. Sie halten Informationen irrtümlich für plausibel. Sie unterschätzen Risiken, überschätzen ihre eigene Kompetenz, stolpern bei Investitionsentscheidungen, beurteilen stark verdichtete Informationen falsch oder vermuten Zusammenhänge, wo keine sind. Fatal: Solche Denkfehler unterlaufen uns unbewusst. Wenn wir es merken, ist es zu spät. Prof. Stephan Schneider vom Institut für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel hat dafür einen Begriff: Informationspathologien. Ihnen entkommt niemand; sie sind uns angeboren. Wie Projektmanager sich dennoch vor den gefährlichen Irrtümern, Täuschungen und Trugschlüssen schützen können, dies erklärt er im Interview. Stephan Schneider Prof. Dr. Stephan Schneider ist Professor für ABWL und Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. Er studierte an der Universität Regensburg Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Wirtschaftsinformatik, Operations Research, Ökonometrie und Finanzwissenschaft. Später promovierte er an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Währenddessen war er freiberuflich in beratender und unterstützender Form bei zahlreichen Unternehmen tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Kognitions- und Sozialpsychologie, intelligente und lernende Organisationen sowie Wissensmanagement. REPORT 03 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 Eine bittere Erfahrung im Projektalltag: Ein Projektmanager findet auf seinem Schreibtisch den Statusbericht aus einem seiner Teilprojekte. Er blättert den Bericht durch, er lässt die Zahlen auf sich wirken. Er findet die Angaben stimmig, plausibel. Er zeichnet zufrieden den Bericht ab. Alles gut. Dann, zwei Wochen später, stellt der Projektmanager fest: Er hätte näher hinschauen müssen. Die plausibel scheinenden Zahlen stimmten hinten und vorne nicht. Das Teilprojekt steckte nämlich in Schwierigkeiten. - Meine Frage an Sie, Herr Prof. Schneider: Ist es riskant, wenn sich Projektmanager auf Plausibilität verlassen? Prof. Stephan Schneider: Gegenfrage: Auf was soll er sich denn sonst verlassen? Die Art und Weise, wie wir mithilfe der Plausibilität Informationen überprüfen, ist uns Menschen in die PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 3 30.05.2016 11: 16: 15 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 04 REPORT fehler als „Informationspathologien“. Wir kennen viele solcher Informationspathologien, die auch im beruflichen Alltag eine Rolle spielen. Angesichts der Gefahr durch Denkfehler: Ein Wunder, dass Projekte überhaupt gelingen! Langsam. Zunächst: Die Informationspathologien können, müssen aber nicht auftreten. Außerdem sind sie quasi der Preis dafür, dass wir überhaupt schnell und ökonomisch denken, lernen und entscheiden können. Wir kämen im Alltag ohne Faustregeln und Plausibilitätsprüfung kaum zurecht. Zum Beispiel? Manager brauchen bekanntlich stark verdichtete Informationen für ihre Entscheidungen. Sie können nicht mit vielen Detailinformationen arbeiten, sie brauchen Übersicht durch die Verdichtung. Beispielsweise führt ein PMO die Informationen aus den Projekten eines Unternehmens zusammen und verdichtet sie für Entscheidungsvorlagen. Jetzt kommt es: Anfang der 1970er-Jahre hat man entdeckt, dass zu stark verdichtete Informationen zu fehlerhaften Einschätzungen führen. Damals hat man die Beurteilung von Kreditanträgen bei risikobehafteten Unternehmen untersucht. Verdichtete Informationen können uns bei Entscheidungen in die Irre führen, dies sollten wir wissen. Aber dies heißt nicht, dass wir künftig ohne verdichtete Informationen auskommen sollen. Die Alternative zu verdichteten Informationen wäre, dass Manager sich mit einer Flut von Details beschäftigen. Dies ist beim besten Willen nicht möglich. AufpAssen und Achtgeben Müssen wir deshalb Denkfehler in Kauf nehmen, um überhaupt Entscheidungen treffen zu können? Nein. Wir sollten nur aufpassen und achtgeben, dass wir nicht in Denkfallen tappen. Kennen wir die verschiedenen Informationspathologien, so sind wir ein Stück weit geschützt vor ihnen. Dies halte ich für sehr wichtig für das Management. Das Denken bestimmt unser Handeln. Die Auseinandersetzung mit dem Denken sollte deshalb nach meiner Meinung auch eine Kernkompetenz im Projektmanagement und im Management all- Richtig. Wir regulieren das Gleichgewicht mit zwei Prozessen, der Assimilation und der Akkommodation. Bei der Assimilation von Informationen ordnen wir Informationen ohne großartige Strukturumbauten in unsere vorhandene Wissensstruktur ein. Kinder lernen, dass sie einen Apfel essen können und er gut schmeckt. Gibt man ihnen eine Birne, entdecken sie, dass auch diese Frucht gut schmeckt. Das ihnen bekannte kognitive Gegenstand-Essen-Schema passt sowohl für den Apfel als auch für die Birne. „Wir biegen uns die Welt zurecht“ Die Birne wird problemlos in die Struktur „essbar und lecker“ eingepasst. Was aber, wenn das Kind einen Bauklotz entdeckt? Misslingt die Assimilation, dann führt dies zu kognitiven Imbalancen, Widersprüchlichkeiten oder Dissonanzen. Das Kind lernt: Es geht nicht; den Bauklotz kann man nicht essen. Also wird das Schema „essbar und lecker“ verändert. Dies nennt man Akkommodation, eine strukturverändernde Anpassung. Was nun unser Thema betrifft: Bei Denkfehlern geht bei diesen und anderen grundlegenden Prozessen etwas schief. Die Äquilibration ist nur ein Beispiel für solche Prozesse. Es kann gelten: Wir machen etwas passend, was nicht passend ist. Wir biegen uns also die Welt zurecht, bis sie in unserem Denken zusammenpasst und keine Dissonanzen im Kopf entstehen - notfalls, indem wir die Informationen verfälschen? Ja. Aus Sicht der Psychologie stimmt dies. In der Wissenschaft bezeichnen wir solche Denk- Wiege gelegt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie ist uns angeboren. Angeboren - wie darf ich dies verstehen? Für uns sind Informationen plausibel, wenn sie für uns einleuchtend, glaubhaft, wahr oder richtig sind. Stellen wir das Prinzip der Plausibilität infrage, so stellen wir mehr oder weniger unsere geistige Existenz infrage. Schon Kinder denken und urteilen nach dem Plausibilitätsprinzip, dies hat der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget (1896-1980) schon vor vielen Jahrzehnten gezeigt. In der Praxis des Projektmanagements kann solch ein Denkfehler existenzbedrohend sein. Manche Projekte sind gescheitert, weil sich jemand auf Plausibilität verlassen hat - ohne die Fakten näher zu prüfen. Vielleicht betrachten wir die Gründe näher, weshalb wir mit dem Plausibilitätsprinzip scheitern können. Die Lernpsychologie hat gezeigt, dass wir beim Denken und Lernen ein Gleichgewicht suchen. Man spricht von der Gleichgewichtsregulierung, von der Äquilibration. Gemeint ist: Wenn eine Information beim Lernen nicht zu den übrigen Informationen passt, wird sie passend gemacht. Das heißt: Wir können beim Denken mit Ungereimtheiten und Widersprüchen nicht leben. Lieber verfälschen wir Informationen, konstruieren nicht bestehende Zusammenhänge, stellen falsche Verbindungen her, verlassen uns bei Beurteilungen auf eine zu dünne Datenlage, arbeiten mit problematischen Faustregeln oder gehen einem blinden Fleck beim Denken auf den Leim. Unser Denken arbeitet schnell, sicher und hocheffizient. Dennoch nimmt es manchmal „Abkürzungen“, die unbemerkt zu Denkfehlern führen. Wer die typischen Denkfehler kennt, kann sich gegen die Irrtümer schützen. Foto: lassedesignen - Fotolia.com PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 4 30.05.2016 11: 16: 16 Uhr REPORT 05 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 Sprechen wir bitte über gescheiterte Projekte - genauer, über die Analyse dieser Projekte. In der Rückschau scheinen die Ursachen für das Scheitern deutlich zu sein. Erstaunlich ist: Während des Projekts hat niemand diese Probleme erkannt. Stimmt. Dies ist auffällig. Haben wir es hier mit einer weiteren Informationspathologie zu tun? Ja, und zwar mit dem „Hindsight-Bias“, dem Rückschaufehler. In der Rückschau auf gescheiterte Projekte finden wir offensichtlich plausible Erklärungen. Man ist am Ende nicht unbedingt wirklich klüger? Nicht unbedingt. Auch hier kann gelten: Was bei der Rückschau nicht passt, wird passend gemacht. Das heißt: In der Rückschau stellt sich vielleicht alles einfacher dar, scheinen die Fehler offensichtlicher zu sein, als es während des Projekts eigentlich gewesen ist? Möglicherweise, ja. In bekannten Studien werden die Ursachen für erfolgreiche und gescheiterte Projekte analysiert. Und es tauchen immer die gleichen Fehler auf. Lernt man nicht aus der Vergangenheit? Sind Projektmanager während ihres Projekts zu optimistisch und sitzen dem „Optimistic-Bias“ auf, einer weiteren Informationspathologie? Wir lassen uns also blenden? Ja, in einem gewissen Sinne. Wichtig ist an dieser Stelle eine Einschränkung: Hinter diesen Informationspathologien steht keine Zwangsläufigkeit. Wir sollten deshalb präzise sagen: Es kann sein, dass wir von der Kundenorientierung auf das ganze Unternehmen schließen. Es muss aber nicht so sein. Dies sollten wir immer im Hinterkopf behalten, wenn wir über Informationspathologien sprechen. Vieles kann, nichts muss. der „OvercOnfidencebiAs“ Bleiben wir doch bitte weiter bei den Informationspathologien. Zwei typische Denkfehler haben Sie beschrieben: die fehlerhafte Einschätzung bei stark verdichteten Daten und den „Halo-Effekt“. Die Psychologie hat darüber hinaus viele verschiedene Informationspathologien beschrieben. Welche Informationspathologien spielen bei Projekten eine Rolle? Als Beispiel erkläre ich häufig den „Overconfidence-Bias“, er führt regelmäßig zu Fehlschlägen in Projekten. Männer neigen dazu, sich selbst zu überschätzen - Frauen übrigens seltener. Eine gesunde Selbstüberschätzung mag das wirtschaftliche Treiben anregen. Doch ist Selbstüberschätzung häufig mit Risiken verbunden, die wir dann nicht mehr als statistisch bedeutsam wahrnehmen. Diese Selbstüberschätzung ist keine Kleinigkeit. Daran können Projekte scheitern. gemein werden. - Um konkret auf Ihr Beispiel vom Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen: Der Projektmanager wird immer mittels Plausibilität die Projektberichte prüfen. Doch wenn er die Fehleranfälligkeit dieses Denkens kennt, so wird er in bestimmten Fällen näher hinschauen und die Zahlen detailliert prüfen. Manche Denkfehler sind ärgerlich, man kann sie geradezu als Dummheit bezeichnen. Trotzdem geht man ihnen regelmäßig auf den Leim. Davon lebt beispielsweise die Werbebranche. Sie lässt Produkte von attraktiven Models präsentieren … … und der Mensch schließt von der Person auf das Produkt. Ist die Person hübsch und elegant, so wird für ihn das Produkt ebenfalls hübsch und elegant. Diese Informationspathologie nennt sich „Halo-Effekt“, sie ist sehr bekannt. Der Halo- Effekt besagt: Wir neigen dazu, von einer einzelnen Eigenschaft auf das Ganze zu schließen. Dies ist übrigens auf Automobilausstellungen gut zu beobachten. Neue Automodelle werden häufig von jungen, attraktiven Menschen umgeben. Wir übertragen die Attraktivität der Models unbewusst auch auf das Auto. Dieser Effekt kann uns auch im Berufsleben begegnen. Beispielsweise schließen wir bei der Auswahl eines Dienstleisters von dessen Kundenorientierung auf das gesamte Unternehmen. Wir schließen unbewusst von der einzelnen Beobachtung, dass die Kundenorientierung gut ist: Aha, das ganze Unternehmen ist gut. Ursache von Denkfehlern: Stark verdichtete Daten können bei Entscheidungen auf die falsche Fährte führen. Foto: pfpgroup - Fotolia.com PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 5 30.05.2016 11: 16: 16 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 06 REPORT Das bisher investierte Geld ist ja weg. Es ist versunken. Es bringt rein rechnerisch nichts, sich an diesen versunkenen Kosten bei der Investitionsentscheidung zu orientieren. Viel wichtiger ist es, ob die aktuelle Investition etwas bringt. Daran sollte man sich orientieren. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Angenommen, Sie haben sich Theaterkarten gekauft. Am Tag der Aufführung stellen Sie fest, dass Sie keine Lust auf den Theaterbesuch haben. Sie hatten einen anstrengenden Tag. Sie würden sich lieber mit einem Buch entspannen. Trotzdem gehen Sie ins Theater. Sie haben ja bereits Geld investiert. „MentAle KOntOführung“ Steht eine Art „mentale Kontoführung“ dahinter? Nein, mit der „mentalen Kontoführung“ ist eine andere Informationspathologie gemeint. Wir beurteilen eine Situation - beispielsweise eine Investition - durch sogenannte „mentale Konten“. Wir führen quasi eine mentale Buchführung. Nochmals das Beispiel mit den Theaterkarten: Angenommen, jemand hat sich für 30 Euro eine Theaterkarte gekauft. Vor der Vorstellung bemerkt er, dass er auf dem Weg zum Theater die Karte verloren hat. An der Abendkasse könnte er eine neue Karte kaufen. Dies aber tun nur wenige Menschen. Wenden wir das von der Anwendung von Mustern, von sogenannten Schemata. Wir sind immer auf der Suche nach Mustern. Muster schaffen für uns Ordnung. Doch manchmal ist keine Ordnung zu finden. - Ich biete Ihnen noch ein ähnlich erstaunliches Phänomen: Menschen neigen auch dazu, Informationen stärker zu gewichten, die die eigene Einstellung und eigenen Erwartungen bestätigen. Diese Informationspathologie nennt man Bestätigungsfehler oder „Confirmation-Bias“. Hier sehen wir, dass die unbewusste Bewertung von Informationen eine wichtige Rolle bei den Informationspathologien spielt. Kennen Sie das Phänomen der „Sunk Costs“? „Versunkene Kosten“ - was darf ich darunter verstehen? Dies hat damit zu tun, wie wir Investitionsentscheidungen fällen. Angenommen, man investiert in ein Projekt. Später werden weitere Investitionen erforderlich; man investiert weiter, weil man bereits eine Menge Geld in dieses Vorhaben gesteckt hat. Augenblick! Zurückliegende Investitionen geben den Ausschlag dafür, dass man weiter investiert? Vielleicht kennen Sie dies privat von Ihrem Auto her. Sie investieren bei einem alten Auto in weitere Reparaturen, eben weil sie schon so viel Geld in das Auto gesteckt haben, statt sich zu fragen, ob ein neues Auto rechnerisch nicht günstiger wäre. Auf die Praxis übertragen: Projektmanager sollten bei der Dokumentation der Lessons Learned achtgeben, dass sie nicht Opfer des „Hindsight- Bias“ werden. Oder auch dann, wenn sie dokumentierte Erfahrungen aus anderen Projekten nutzen wollen. Auch für Mentoren kann es hilfreich sein, den „Hindsight-Bias“ im Hinterkopf zu behalten. denKen sucht Muster, WO Keine sind Gestatten Sie mir, eine weitere Beobachtung zu beschreiben. Bei der Rückschau auf Projekte suchen Fachleute nach Zusammenhängen und Mustern, wo gar keine Muster zu finden sind. Sie versuchen quasi Informationen zusammenzusetzen, die überhaupt nicht zusammengehören können. Sie spielen auf die Clustering-Illusion an, diese ist wirklich spannend. Man hat Probanden eine völlig zufällig zusammengesetzte Buchstabenreihe gezeigt. Kaum jemand konnte akzeptieren, dass in dieser Reihe kein Muster „versteckt“ war. Viele Probanden haben Nicht-Zufälligkeit unterstellt. Sie haben mit aller Kraft nach einem Muster gesucht, wie immer dieses auch geartet sein kann. Klingt fast unheimlich … Nein, unheimlich ist dies nicht! Sondern ganz natürlich: Das menschliche Denken ist geprägt Informationspathologien wirken sich auf die Beurteilung von Risiken aus - und können zu falschen Einschätzungen führen. Foto: Rawpixel.com - Fotolia.com Anzeige PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 6 30.05.2016 11: 16: 19 Uhr REPORT 07 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 Die Hauptquelle für unser bewusstes Denken ist das unbewusste Denken. Ich zeige dies an einem Beispiel. Vor politischen Wahlen werden regelmäßig Prognosen veröffentlicht. Wenn nun nach der Wahl eine Prognose nicht mit den erzielten Wahlergebnissen übereinstimmt, so korrigieren Politiker dies unbewusst. Wenn etwa 40 Prozent prognostiziert wurden und eine Partei mit 30 Prozent abschneidet, so erinnern sich Politiker nach der Wahl an Prognosen von 35 Prozent. Die Werte, die zu weit auseinanderliegen, werden angeglichen. Dann ist die Prognose in der Rückschau wieder plausibler. Wie vorhin gesagt: Was nicht passt, wird passend gemacht. Das Denken schreckt nicht davor zurück, plump Fakten zu verändern, damit sie sich wieder ins große Bild fügen. De facto belaufen sich die Kosten in beiden Fällen auf 60 Euro. Vorhin sagten Sie, dass all diese Denkfehler unbewusst sind. Natürlich! Wüssten wir, dass wir gerade einen Denkfehler machen, so würden wir ihn sofort korrigieren. Auch den Begriff „Fehler“ sollten wir dabei nicht zu rigide, zu hart nehmen. Sprechen wir umgangssprachlich von einem Fehler, so meinen wir, dass etwas falsch ist. In unserem Zusammenhang bezeichnet der Begriff eher etwas anderes: nämlich etwas Fehlendes. Etwas, das nicht da ist. Etwas, das anders ist, als es sein könnte. Augenblick! Ich kann nicht folgen. Was fehlt da genau? Beispiel anders: Diese Person hat sich an der Abendkasse eine Karte für 30 Euro reservieren lassen. Auf dem Weg zum Theater verliert sie etwas: nicht eine Theaterkarte, sondern dieses Mal 30 Euro. In diesem Fall würden die Menschen dennoch eine Karte an der Abendkasse kaufen. denKfehler unterlAufen unbeWusst In beiden Fällen hat man 30 Euro verloren, entweder bar oder als Karte. Dennoch werden die Verluste anders „verbucht“ und führen zu diametral entgegengesetzten Investitionsentscheidungen? Richtig. Die Entscheidung hängt nicht von dem Wert der Investition ab, sondern wie wir sie verbuchen. Im Fall der verlorenen Karte verbuchen viele Menschen mental den Verlust der Karte sowie den Nachkauf auf dasselbe mentale Konto „Theaterbesuch“. Auf dem Konto stehen zweimal 30 Euro. Die Summe von 60 Euro ist ihnen dann zu teuer für den Theaterbesuch. Beim anderen Fall - beim Verlust des Geldes - werden die verlorenen 30 Euro mental auf ein anderes Konto verbucht, etwa allgemeine Ausgaben. Das Konto für den „Theaterbesuch“ wird nur mit 30 Euro für die Karte an der Abendkasse belastet. Dann ist es nicht zu teuer. Also: Im ersten Fall scheint man für die Theateraufführung 60 Euro zu bezahlen, in dem zweiten Fall nur 30. Vorsicht, (Denk-)Falle! Viele Menschen neigen dazu, gutem Geld schlechtes hinterherzuwerfen. Beispielsweise investiert man weiter in ein ungünstig laufendes Projekt, weil man bereits eine Menge Geld in dieses Vorhaben gesteckt hat. Dabei wäre es finanziell klüger, dieses Projekt zu begraben. Foto: Gina Sanders - Fotolia.com Anzeige PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 7 30.05.2016 11: 16: 20 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 08 REPORT Angenommen, jemand neigt zur Selbstüberschätzung (erste Pathologie), sucht Lösungen für Probleme nur in den Bereichen, in denen er die meisten Erfahrungen hat (zweite Pathologie), und er geht zudem dem Halo-Effekt auf den Leim (dritte Pathologie). Diese Kombination ist gut möglich! Pathologien bestehen ja nicht isoliert voneinander. Eine bestimmte Person ist ja nicht Kandidat nur für eine einzige Pathologie - etwa für die Pathologie der „Sunk Costs“. Wenn Pathologien auftreten, können sie auch zu mehreren auftreten. Spannend daran ist: Handlungsempfehlungen, mit denen man jeweils einzelne Pathologien vermeidet, können sich dann diametral entgegenstehen. Das ist dann verblüffend! risiKO beiM uMgAng Mit risiKen Vorhin ist der Begriff „Risiko“ gefallen. Informationspathologien können den Umgang mit die Chance, unangestrengt zu denken, aber leider auch die Möglichkeit, unbewusst Fehler zu machen. WissenschAftlich sehr gut Abgesichert Die Wissenschaft beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit Informationspathologien und dem Phänomen, dass sich das Denken selbst hinter das Licht führt. Wie stark abgesichert sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse? Sie sind sehr gut abgesichert. Die Erkenntnisse sind teilweise schon recht alt und wurden seither vielfach durch Experimente bestätigt. Besteht die Gefahr, dass in einer Situation mehrere Denkpathologien zusammenwirken und das Risiko enorm vergrößern? Wir haben ja bislang nur von einzelnen Phänomenen gesprochen. Gute Frage! Die Gefahr besteht in der Tat. Und genau dieses Verändern, dieses „passend Machen“ fehlt uns in unserem bewussten Denkprozess. Verglichen mit dem Autofahren: Wir nehmen beim Denken unbewusst eine Abkürzung und merken erst später, vielleicht an der nächsten Ausfahrt, dass irgendetwas anders ist. Auch dann, wenn wir meinen, dass wir alles bewusst durchdacht hätten, kann am Ende etwas fehlen. Damit bin ich bei dem Begriff des Fehlers im Sinne von „etwas Fehlendem“. Klingt kompliziert! Auf den ersten Blick vielleicht. Eigentlich ist es nicht kompliziert. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat diesen Mechanismus anhand von zwei Gedächtnissystemen verdeutlicht. Das Denken gemäß System 1 läuft unbewusst und automatisch ab; es ist relativ schnell und kann bestimmten Heuristiken folgen. Das Denken nach System 2 ist bewusst, logisch, umfassend - aber relativ langsam. Das Denken nach System 1 strengt nicht an, es schont geistig gesehen unsere Ressourcen. Es eröffnet uns Informationspathologien gehören zum menschlichen Denken. 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JETZT ANMELDEN! nla_Inserat_Agile_210x145.indd 1 03.03.2016 09: 08: 56 PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 8 30.05.2016 11: 16: 21 Uhr REPORT 09 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2016 Die in der „Neuen Erwartungstheorie“ beschriebene Informationspathologie könnte sich mit einer weiteren Informationspathologie „verbünden“. Durchaus, ja! Beispielsweise mit der Intelligenzfalle. Die Intelligenzfalle - wie sie der bekannte Denkforscher Edward de Bono bezeichnet - besagt, dass wir abweichende Einschätzungen und Meinungen nur schwer akzeptieren können. Als Mensch verfügen wir per se über Intelligenz. Wir haben also guten Grund für unsere Meinung. Hat nun jemand eine andere Meinung, so fühlen wir uns genötigt, unsere Meinung zu verteidigen. Den anderen von unserer Meinung zu überzeugen. Oder unsere Meinung zumindest klarer zu machen. Dies erschwert es natürlich, dass wir uns etwa bei Problemlösungen auch mit alternativen Einschätzungen und Vorschlägen befassen. Es ist also sehr schwierig, die eigene Position zu relativieren? Ähnlich wie bei der Selbstüberschätzung? Genau nach diesem Satz! Analog bei drohenden Verlusten. Menschen vermeiden sichere Verluste und wählen stattdessen die Option mit unsicheren Verlusten. Bezogen auf das Risikomanagement kann dies bedeuten: Ein Projektmanager tendiert möglicherweise dazu, große, aber unsichere Verluste zu riskieren, statt sichere, aber kleine Verluste. Steht er vor der Alternative, durch Plan A sicher 5.000 Euro zu verlieren, durch Plan B möglicherweise 50.000 Euro … … so wird er möglicherweise aufgrund dieses Denkfehlers zu Plan B tendieren. Da gilt eben nicht der Satz vom Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach. Jedoch möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass aufgrund der vorliegenden beispielhaften Daten eine Risikoeinschätzung nur schwer möglich ist. Aber prinzipiell haben Sie recht. Darf ich da noch einen draufsetzen? Bitte. Legen Sie los! Risiken stören. Sie beeinflussen das Erkennen und das Beurteilen von Risiken. Manchmal ignorieren wir Risiken, manchmal unterschätzen wir sie - und manchmal erkennen wir sie nicht einmal. Bauen wir dort bitte eine Brücke zur Praxis. Meine Frage: Können Pathologien das Risikomanagement in Projekten beeinflussen? Ja, dies können sie. Ich denke an die „Neue Erwartungstheorie“, in der Wissenschaft besser unter der englischen Bezeichnung „Prospect Theory“ bekannt. Der Kernpunkt dieser Theorie ist: Menschen scheuen Risiken, wenn von Gewinnen die Rede ist. Und sie sind risikofreudig, wenn man von Verlusten spricht. In risikoreichen Situationen bevorzugen Menschen sichere Gewinne vor unsicheren Gewinnen. Sie akzeptieren lieber einen kleinen, aber sicheren Gewinn, statt einen hohen, jedoch unsicheren Gewinn. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach? 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So funktioniert es natürlich nicht. Hand aufs Herz: Können wir unserem Denken noch trauen? Wir können nicht anders, als ihm zu trauen. Eben haben wir von der Selbstüberschätzung gesprochen. Diese Informationspathologie betrifft vor allem Männer. Man kann Männern diese Selbstüberschätzung nicht nehmen; die Männer müssten aufhören, Mann zu sein (lacht). denKfehler AKzeptieren (und AufpAssen! ) Dies gilt auch für das Denken? Wir denken, und dabei passieren eben Denkfehler. Ebenso wenig, wie wir verhindern können, dass Emotionen über unser Denken mitbestimmen. Wir Menschen sind so. Aber: Wir können versuchen, den Informationspathologien weniger auf den Leim zu gehen - wenn wir sie schon nicht ganz verhindern können. Das heißt, Sie können sich mit den Informationspathologien auch versöhnen? Ich persönlich kann dies sehr gut. Ich finde die Informationspathologien teilweise liebenswert. Es menschelt. Angenommen, Sie hätten für Projektmanager ein kleines Taschenbuch für die Hosentasche, in dem hochwirksame Strategien gegen alle Informationspathologien beschrieben wären. Der Projektmanager müsste in dem Büchlein nur nachschlagen. Um Himmels willen! Wie langweilig wäre die Welt. Wir müssen uns mit den Pathologien arrangieren. Einerseits macht niemand die Fehler bewusst. Andererseits - gemäß dem Rechtgrundsatz „Ignorantia legis non excusat“ - schützt Unwissenheit nicht vor Strafe. Oder in unserem Fall: Unwissenheit schützt nicht vor Schaden. In diesem Spannungsfeld sollten wir unsere persönliche Balance bei den Informationspathologien finden. Und wer sein Geld etwa in ein lieb gewonnenes Auto steckt, das rein vernünftig betrachtet schon viel zu viel „Sunk Costs“ verschlungen hat, dem soll diese fröhliche Leidenschaft nicht genommen werden. wollen Sie zusätzliche Finanzmittel für Ihr Projekt gewinnen. Ihnen schwebt eine Summe von 50.000 Euro vor. Über diesen Betrag ist zu reden. Doch kurz bevor Sie die Summe nennen, sprechen Sie eine andere Zahl aus. 200.000. 200.000 Euro? Nein, es kommt nur auf die Zahl an. Es kann auch eine technische Zahl sein, 200.000 Volt beispielsweise. Wichtig ist, dass diese Zahl fällt und Ihren Verhandlungspartnern als Anker unbewusst im Gedächtnis bleibt. Gemessen an dieser Zahl wird Ihren Partnern tendenziell der Betrag von 50.000 Euro nicht mehr so hoch vorkommen. Eine Zahl lügt bekanntlich nicht, doch sie wird psychologisch gut verpackt dargereicht. In der Werbung und im Marketing macht man sich solche geschickt gesetzten Anker zunutze. Die Zahlungsbereitschaft kann auf diese Weise manipuliert werden. Je höher die vorher als Anker genannte Zahl ist, desto größer ist die Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen. Und, wie gesagt, die Zahl muss kein Eurobetrag sein. Sie kann etwa aus der technischen Spezifikation stammen. Aber auch hier muss betriebswirtschaftlich gesehen angemerkt werden, dass solche Bereitschaften davon abhängen, ob es sich um High- oder Low-Involvement-Produkte handelt. Ansonsten wäre die Sache ziemlich einfach: Mit dieser Frage berühren sie meine Forschungen. Aus meinen Arbeiten ergeben sich durchaus Zusammenhänge zwischen der Selbstüberschätzung und der Intelligenzfalle. Derjenige, der sich selbst überschätzt, stuft sich auch als intelligent ein. Er geht dann vielleicht davon aus, dass ihm keine Fehler etwa beim Projektmanagement unterlaufen. Die Kombination beider Pathologien kann sich also verstärken? Sie haben richtig gesagt: kann. Wie vorhin erwähnt, dürfen wir nirgends von einer Zwangsläufigkeit ausgehen. Wir sprechen von Möglichkeiten. Aber dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie Pathologien zusammenwirken oder sich quasi die Klinke in die Hand geben können. Diesen Punkt sollte man im Blick behalten. dAs denKen sucht „AnKer“ Mich interessiert noch eine weitere Gruppe von Informationspathologien. Ich habe von „Anker-Effekten“ gehört - und zwar im Zusammenhang mit Manipulation, etwa bei der Werbung. Die „Anker-Effekte“ machen sich Marketing und Werbung gezielt zunutze. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Angenommen, in einer Verhandlung „Das schaffe ich! “ - Meistens Männer neigen zur Selbstüberschätzung, ebenfalls ein Denkfehler. Der Fehler der Selbstüberschätzung unterläuft unbewusst. Gerade deshalb sollten Männer auf diesen Fehler achtgeben. Foto: lassedesignen - Fotolia.com PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 10 30.05.2016 11: 16: 22 Uhr