PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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Gesellschaft für ProjektmanagementKomplexitätsdilemma
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Heinz Schelle
Lang, Dunja: Gefangen im Komplexitätsdilemma. Wie Sie mit Zielkonflikten, Bürokratie und Verhaltensparadoxien wirkungsvoll umgehen und Organisationen agil, flexibel und stark machen. Mit einem Vorwort von Gunther Schmidt. Edition Agile Managementsystemik Dunja Lang, ISBN 978-3739-223650, 277 S., EUR 29,90
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Lang, Dunja: Gefangen im Komplexitätsdilemma. Wie Sie mit Zielkonflikten, Bürokratie und Verhaltensparadoxien wirkungsvoll umgehen und Organisationen agil, flexibel und stark machen. Mit einem Vorwort von Gunther Schmidt. Edition Agile Managementsystemik Dunja Lang, ISBN 978-3739-223650, 277 S., EUR 29,90 Ein barocker Titel, der bei oberflächlichem Hinsehen zunächst in keiner Weise auf Projektmanagement hinweist. Das täuscht allerdings: Dunja Lang, auch als Referentin auf unseren Foren und als Autorin von „projektManagement aktuell “ bekannt, bringt zahlreiche Beispiele aus unserer Disziplin. Bei der Bewältigung von Komplexität - die Autorin orientiert sich hier an der Begriffsbestimmung von Dörner - geht es ihr vorrangig nicht um die technische Komplexität eines Projekts, sondern um Komplexität, wie sie sich in sozialen Systemen aus dem Agieren von Individuen ergibt. Unter Dilemmas (auch Dilemmata geschrieben) versteht sie Zielkonflikte, also Situationen, in denen Ziele, an denen unverändert festgehalten wird, als unvereinbar angesehen werden. Als Beispiel nennt Lang den Auftrag „Werde produktiver UND steigere die Mitarbeiterzufriedenheit“. Sehr positiv: Die Thematik „Zielkonflikte“ wurde bisher so ausführlich nirgends in der Projektmanagementliteratur behandelt. Die Sichtweise, die die Autorin einnimmt, erweist sich als überaus fruchtbar. Im Anschluss an die Problembestimmung führt die Autorin „Lösungen“ auf, die in Organisationen gewählt werden. Sie nennt sie „Lösungsfallen“, weil sie die Probleme zumeist nur vermehren. Ein Beispiel für eine solche Falle, die wir zurzeit in der Politik angesichts der Flüchtlingsströme besonders häufig beobachten, ist die Aktionismus-Falle. Bereits beim Lesen dieser Diagnose von verfehlten Lösungsansätzen war ich fasziniert von dem Buch, das auch mir immer wieder den Spiegel vorhielt. Diese Faszination ließ bis zu den letzen Seiten nicht nach, weil Lang geradezu spannend schreibt und - bei Publikationen über die Bewältigung von Komplexität nicht gerade häufig - zahllose, nicht konstruierte Beispiele aus ihrer Praxis bringt. Folgende größere Themenblöcke werden behandelt: Die schon erwähnte Komplexitätsfalle: Hier werden die elf häufigsten Fehler im Umgang mit Komplexität aufgeführt. Das Beispiel „Aktionismus“ wurde oben schon angeführt. Anregend zu lesen in diesem Zusammenhang die Analyse der Verbesserungsvorschläge nach dem Absturz des Flugzeugs von Germanwings in den französischen Alpen. Ein weiteres Beispiel ist die „Mehrdesselben-Falle“, die darin besteht, dass man Altbewährtes stur weiter und noch intensiviert fortsetzt. Die Komplexitätsdenke: Wie man notwendige von nicht notwendiger Komplexität unterscheidet und wie man organisierte Selbstorganisation entstehen lässt. Die Komplexität des Faktors Mensch: In diesem Kapitel ist vor allem aus meiner Sicht der neue Risikomanagementansatz der Autorin interessant. (Vgl. dazu auch den Artikel von Dunja Lang in projektManagement aktuell 5/ 2013.) Die Verfasserin übt Kritik an dem überkommenen Ansatz, der lediglich Pseudosicherheit erzeugt - übrigens ein Einwand, der auch von der Organisationspsychologie kommt - und plädiert für ein Metarisikomanagement, in dem der Prozess des Risikomanagements immer wieder kritisch überprüft wird und implizite und explizite Annahmen hinterfragt werden. In der anschließenden Fallstudie „Houston, wir haben ein Problem“ geht es um die Reorganisation eines Unternehmens in der Krise. Kritisch ist anzumerken, dass auf das Thema „Group Think“ nicht eingegangen wird. Wie z. B. die exzellente Studie von Irving L. Janis (Victims of Groupthink. Boston 1972) zeigt, kann es bei Risikoabschätzungen in Projekten eine verheerende Rolle spielen, indem es zu einem Gefühl der Unverletzlichkeit und zu einem unrealistischen Optimismus führen kann. Und noch eine Anmerkung: Die Analyse von impliziten und expliziten Annahmen bei Risikoanalysen ist übrigens von Mason und Mitroff bereits vor vielen Jahren mit der „Strategic Assumption and Surfacing Technique (SAST)“ zur Perfektion entwickelt, aber leider kaum beachtet worden. Der Verfasserin sei gedankt, dass sie diese Vorgehensweise sehr stark betont. Der Umgang mit Dilemmas und das Thema des Wandels der Organisationskultur: Diese Themen werden in Kapitel 2 vertieft. Lang unterscheidet verschiedene Arten von Zwickmühlen (auf der Organisationsebene, auf der Teamebene, auf der Ebene des Individuums) und führt fünf Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen auf, nämlich Durchsetzen - andere Kulturen und die Dilemmas einfach übergehen -, Nachgeben - die eigene Sicht aufgeben -, Kompromiss, Versöhnung und Dilemmas ignorieren. Natürlich präferiert die Autorin die Versöhnung, die sie nach einem Zitat von Trompenaars als „aktiven Prozess“ bezeichnet, „um zwei Werte, die anscheinend nicht vereinbar sind, zu integrieren“. Das Vorgehensmodell „Change R Evolution: Im letzten Kapitel präsentiert Lang ihr Vorgehensmodell. Sie wendet sich hier gegen das übliche additive Projektmanagement, bei dem zunächst versucht wird, die sachlogische Komplexität in den Griff zu bekommen. Erst anschließend wird dann im klassischen Changemanagement daran gegangen, die beabsichtigte Lösung zu „verkaufen“, also Akzeptanz zu erreichen. Ihr Ansatz, der in neuerer Zeit auch von anderen Autoren propagiert wird, lautet „Integratives Change- und Projektmanagement“. Die „ganzheitliche Problemlösungsmethodik für komplexe Probleme“ - komplex hier jetzt im Sinne von sozialer und sachlicher Komplexität - vollzieht sich in sechs Schritten: 1. Ist-Soll-Diskrepanz ganzheitlich aus mehreren Perspektiven erfassen, 2. Ausgangslage und Zielsetzung analysieren und neu modellieren, 3. Zusammenhänge und Spannungsfelder verstehen, 4. Gestaltungs- und Lenkungsmöglichkeiten erarbeiten, 5. mögliche Problemlösungen beurteilen und 6. Problemlösungen umsetzen und verankern. Den einzelnen Schritten werden dann Instrumente aus dem reich bestückten Werkzeugkasten der systemischen Beratung zugeordnet, so Buchbesprechungen Komplexitätsdilemma Wie Sie mit Zielkonflikten, Bürokratie und Verhaltensparadoxien wirkungsvoll umgehen und Organisationen agil, flexibel und stark machen Dunja Lang GEFANGEN IM KOMPLEXITÄTS- DILEMMA Mit einem Vorwort von Gunther Schmidt EDITION AGILE Wissen 57 projektManagementaktuell | ausgabe 3.2016 PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 57 30.05.2016 11: 18: 59 Uhr Hüsselmann, C./ Seidl, J. (Hrsg.): Multiprojektmanagement. Herausforderungen und Best Practices. Symposion Publishing GmbH, Düsseldorf 2015, 351 S., ISBN 978- 3863296803, EUR 59,- Fachgruppen sind wichtige Institutionen der GPM. In ihnen kommen Interessierte aus Theorie und Praxis mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein Themengebiet zusammen und pflegen den „interdisziplinären“ Austausch, der gerade bei Themen des Projektmanagements wichtige Ergebnisse verspricht. Häufig geschieht dies im Stillen. Die Öffentlichkeit erfährt oft lediglich über indirekte Kanäle von dem erfolgreichen Austausch. In der Fachgruppe Multiprojektmanagement ist dies anders. Das vorliegende Buch zeigt ein breites Spektrum unterschiedlicher Aspekte des Themas und lässt uns teilhaben an der breit gefächerten Diskussion, die in den letzten Jahren über das immer wichtiger werdende Thema Multiprojektmanagement geführt wurde. Wie der Titel bereits signalisiert - Multiprojektmanagement. Herausforderungen und Best Practices -, geht es hier nicht um eine Einführung in das Thema. Ein knappes Einleitungskapitel klärt die wesentlichen Begriffe, um den Leser auf die IPMA-, GPM- und DIN-Sicht auszurichten, die wesentlichen Begriffe zu definieren und abzugrenzen. Danach geht es im Buch direkt zur Sache - wesentliche Einzelaspekte, Fragestellungen, über die jeder früher oder später stolpert, der mit dem Thema in der Praxis konfrontiert wird, werden aufgegriffen und differenziert behandelt. Die Grobgliederung • Herausforderungen für das Multiprojektmanagement, • Karrierepfade im Projektmanagement, • Methoden und Best Practices (im Multiprojektmanagement und Portfoliomanagement), • Organisation des Multiprojektmanagements - Einführung von Multiprojektmanagement und • ein Ausblick, wie es in diesem Thema weitergehen wird, wirkt auf den ersten Blick schlüssig, wie ein nachvollziehbarer roter Faden. Die Kapitel stehen aber für sich alleine. Sie greifen einzelne Aspekte heraus und behandeln sie intensiv. Die Reihenfolge, in der die Kapitel gelesen werden, ist von daher je nach Vorkenntnissen und aktueller Interessenslage frei wählbar. Nach einem Überblick über das gesamte Buch fallen jedem, je nach aktueller Interessenslage, sofort einzelne Kapitel ins Auge. „Der Nutzen von Multiprojektmanagement“ ist ein Artikel, der besonders den Beitrag von Multiprojektmanagement bei der Umsetzung von Unternehmensstrategien herausarbeitet. Transparenz und Übersicht sind notwendig, um eine Ausrichtung der Projektlandschaft an den Unternehmenszielen zu erreichen, und das in einer Welt zunehmender Komplexität und Dynamik. Die Zuordnung der Ressourcen auf das Wesentliche ist dabei das Minimum. Anpassungen an laufende Änderungen sind notwendig. Sich ändernde Rahmenbedingungen und damit auch wechselnde Prioritäten sind eine Herausforderung. Mein zweiter Blick fiel auf das Thema Karriere und vor allem auf Karrierepfade im Projektmanagement. Eine Thematik, die in vielen Organisationen noch unbefriedigend gelöst wurde, aber entscheidenden Einfluss auf die Attraktivität der Aufgabe Projektmanagement in einer Multiprojektmanagement-Umgebung hat. Nach der Gehalts- und Karrierestudie der GPM von 2013 scheinen nur 31,2 Prozent der befragten Projektleiter zufrieden mit ihren existierenden Karriereperspektiven zu sein. Grund genug, sich das an der IPMA Competence Baseline orientierte Karrieremodell genauer anzusehen. Multiprojektmanagement-Strukturen, PMO, Programm- und Portfoliomanagement ermöglichen weitergehende Perspektiven für Projektleiter und Führungskräfte. Sie erlauben aber auch „Rotation“ als Mittel zur systematischen Entwicklung hoch qualifizierten Projektmanagementpersonals. Im dritten Abschnitt des Buches geht es um Methoden des Multiprojektmanagements und Erfahrungen bei der Umsetzung. Unter anderem wird auch die Nutzung von Erfahrungen aus durchgeführten Projekten und vor allem eben auch in einer Multiprojektmanagement-Umgebung beleuchtet und auf praktische Umsetzung fokussiert. Lessons Learned bei Einzelprojekten gehören zum professionellen Einsatz von PM. Wirklich gut gemacht, und damit für alle Projekte nutzbar, ist die Aufbereitung der Erfahrungen - in der Praxis eher selten anzutreffen. Richtig herausfordernd wird es, wenn es gilt, die MPM-Erfahrungen nutzbar zu machen. Die Autoren arbeiten hier die Interessenslagen der Projektleiter/ -innen heraus. Sie betrachten vorrangig die erfolgreiche Durchführung ihres Einzelprojekts und haben nur Multiprojektmanagement projektManagementaktuell | ausgabe 3.2016 58 Wissen Instrumente und Vorgehensweisen kennenlernen. Mich hat vor allem begeistert, welche Fülle neuer Einsichten sich erschließt, wenn man die Perspektive des Umgangs mit Dilemmas einnimmt. Für mich ein weiteres Argument für die multiperspektivische Sicht auf ein Projekt, wie sie sich in neuerer Zeit immer mehr herauskristallisiert. Autor: Heinz Schelle Change! 15 Fallstudien zu Sanierung, Turna round, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung. Stuttgart 2010). Abschließende Bewertung Wer das Buch liest, wird hoch bereichert werden. Zumindest habe ich selbst die Erfahrung gemacht. Wenn der Leser nicht selbst aus der systemischen Ecke kommt, wird er zahlreiche neue etwa dem Schritt 3 u. a. die Kraftfeld- und Stakeholder-Analyse. An einer nicht trivialen Fallstudie, in der es darum geht, die IT-Landschaft eines Unternehmens neu zu gestalten, wird die Vorgehensweise sehr konkret erläutert. Reizvoll wäre in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit dem Modellansatz von Berner, einem Psychologen und einem der führenden Autoren auf dem Gebiet des kulturellen Wandels (Berner, W.: Fortsetzung auf Seite 54 PM-aktuell_3-2016_Inhalt_01-84.indd 58 30.05.2016 11: 19: 00 Uhr
