PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Beim „Change“ darf es keine Verlierer geben!
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Oliver Steeger
Das ständige Werkeln an Arbeitsabläufen, Organisationsaufbau und Abteilungszuschnitt: Viele Unternehmen gleichen einer Dauerbaustelle. Sie wollen sich laufend neu erfinden und dem Markt anpassen. Doch die vielen Changeprojekte behindern sich gegenseitig. Kaum ein Vorhaben bringt den erhofften „großen Sprung“. Mit der gegenwärtigen Praxis des Changemanagements geht Uwe Techt, Spezialist für die „Theory of Constraints“ und Critical Chain-Projektmanagement, deutlich ins Gericht. „Die Changeprojekte fassen die Kernprobleme in Unternehmen selten an der Wurzel“, sagt er. Seine Botschaft: Gute Veränderungsprojekte steigern die Effizienz signifikant, um 30 Prozent und mehr. Für solche Erfolge muss das Unternehmen aber Ziele und Inhalt dieser Projekte sorgfältig ermitteln, alle von der Veränderung Betroffenen „mitnehmen“ – und darauf achten, dass keine Verlierer zurückbleiben.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 20 REPORT Changeprojekte: Mit fünf „Leitfragen“ zum Wandel Beim „Change“ darf es keine Verlierer geben! Autor: Oliver Steeger Das ständige Werkeln an Arbeitsabläufen, Organisationsaufbau und Abteilungszuschnitt: Viele Unternehmen gleichen einer Dauerbaustelle. Sie wollen sich laufend neu erfinden und dem Markt anpassen. Doch die vielen Changeprojekte behindern sich gegenseitig. Kaum ein Vorhaben bringt den erhofften „großen Sprung“. Mit der gegenwärtigen Praxis des Changemanagements geht Uwe Techt, Spezialist für die „Theory of Constraints“ und Critical Chain-Projektmanagement, deutlich ins Gericht. „Die Changeprojekte fassen die Kernprobleme in Unternehmen selten an der Wurzel“, sagt er. Seine Botschaft: Gute Veränderungsprojekte steigern die Effizienz signifikant, um 30 Prozent und mehr. Für solche Erfolge muss das Unternehmen aber Ziele und Inhalt dieser Projekte sorgfältig ermitteln, alle von der Veränderung Betroffenen „mitnehmen“ - und darauf achten, dass keine Verlierer zurückbleiben. Herr Techt, Mitarbeiter stöhnen über die vielen Veränderungsprojekte in Unternehmen. An allen Ecken und Enden wird die Organisation umgebaut. Zudem fällt man hinter vorgehaltener Hand ein vernichtendes Urteil über diese Changeprojekte: Viele dieser Vorhaben misslingen. Sie scheitern am Widerstand von Interessengruppen. Die Mitstreiter verlieren die Motivation. Oder die Projekte bringen keine nennenswerten Ergebnisse. Aus Ihrer Sicht: Taugen die Werkzeuge und Vorgehensweisen des Changemanagements nichts? Uwe Techt: Nein, das hat wenig mit der Methodik zu tun. Eine Ursache für die Schwierigkeiten haben Sie bereits benannt: Die Unternehmen starten viele Veränderungsprojekte gleichzeitig. Den Projekten fehlt es dann an Ressourcen. Sie kommen nicht voran. So viele Changeprojekte kann das Unternehmen nicht bewältigen - zumal die Projekte sich inhaltlich in vielen Fällen widersprechen. Wichtig finde ich Uwe Techt Uwe Techt ist Geschäftsführer der VISTEM GmbH & Co. KG und gilt im deutschsprachigen Raum als Vorreiter und Experte für die Nutzung der „Theory of Constraints ( TOC)“ in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Er ist bekannt als strategischer Denker für grundlegende Veränderungsinitiativen. Uwe Techt hat eine Dirigentenausbildung absolviert, Betriebswirtschaftslehre studiert und mehrere Unternehmen gegründet und geleitet. Er ist als Autor von Büchern und Fachartikeln zu Durchbruchsinnovationen, Critical Chain-Projektmanagement und zur Theory of Constraints sowie als Topmanagement-Coach aktiv. Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 20 11.08.2016 13: 07: 04 Uhr REPORT 21 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 Inhalte, die eine Win-win-Situation ermöglichen, sind andere zuständig. Nämlich seine Auftraggeber. Damit spielen Sie auf einen wesentlichen Punkt an. Unsere Probleme bei Veränderungsprojekten liegen nicht beim Projektmanager und seinem Changemanagement. Sie liegen beim unpassenden Inhalt. Also soll die Methode das wettmachen, was bei der Lösungsfindung versäumt wurde? Bei einer schlechten Lösung, die zu Verlierern im Unternehmen führt, hilft auch kein Changemanagement etwa mit Dialogplattformen, Marketing oder Ähnlichem. Doch statt die Mängel bei den Inhalten, Lösungen und Zielen zu beseitigen, werden die Projektmanager aufgefordert, durch noch besseres Changemanagement die schlechten Inhalte durchzusetzen. Man will die Probleme der Changeprojekte an falscher Stelle beheben. Stattdessen müssen wir bessere Lösungen und Inhalte entwickeln, die anschließend mit der Methodik des Changemanagements umgesetzt werden. Die „gute Lösung“ Verstanden! An welchen Kriterien - oder Anforderungen - erkenne ich eine gute Lösung? Wie eben gesagt, eine gute Lösung führt zu einer Win-win-Situation für alle Beteiligten und Betroffenen. Das ist die erste Anforderung. Die zweite Anforderung ist: Die Lösung muss zu deutlichen, signifikanten Wirkungen führen. Wie darf ich dies verstehen? Ein Unternehmen verändert sich, weil es eine Wirkung davon erwartet. Das Unternehmen will bessere Ergebnisse erzielen. Genau da liegt das Problem! Viele Mitarbeiter oder andere Interessengruppen haben bei Changeprojekten den Eindruck, dass sie als Verlierer aus dem Projekt hervorgehen. Die Menschen haben feine Antennen dafür, wie sich Veränderungen auf ihren persönlichen Arbeitsplatz und ihre Karrierepläne auswirken. Ich will damit sagen: Changeprojekte, die Beteiligte und Betroffene potenziell zu Verlierern machen, haben es sehr schwer. Win-Win-situation fÜr aLLe Augenblick! Deshalb kann man doch nicht bei Veränderungen alle zu Gewinnern machen? So etwas kann doch nicht Maxime des Handelns sein? Wenn das Unternehmen diese Gruppen als Mitwirkende und Unterstützer braucht, dann wird es dafür sorgen müssen, dass sie dem Veränderungsprojekt gegenüber zumindest neutral bis wohlwollend eingestellt sind. Besser ist es, das Unternehmen gewinnt die Mitarbeiter für das Projekt als aktive und begeisterte Mitstreiter. Dies ist bekannt ... Mag sein. Entscheidend ist aber die Schlussfolgerung daraus: Das Unternehmen muss eine Lösung wählen, die keine dieser Gruppen zu Verlierern macht. Es muss dafür sorgen, dass alle Beteiligten und Betroffenen durch die Veränderungen gewinnen. Dass es zu einer Win-win- Situation für alle kommt. Hat denn der Projektmanager darauf Einfluss? Er kann doch nur seinen Projektauftrag methodisch umsetzen. Für die Lösung und die einen zweiten Aspekt, der aus meiner Sicht zu wenig beachtet wird: Der Inhalt der Projekte ist nicht optimal. Das hat nichts mit der Methode zu tun ... Nein, die Methode ist häufig in Ordnung. Die Methoden wie Terminplanung, Risikomanagement oder Ähnliches, sie sind ja bekannt und vielfach im Projektmanagement erprobt. Mir geht es an dieser Stelle um etwas anderes, nämlich um den Inhalt. Was soll wie mit welchen Zielen verändert werden? Wie ist die Lösung beschaffen, mit der man Effizienzprobleme in der Organisation beheben will? Da liegt das Problem. Ich meine: Viele Changeprojekte scheitern nicht an der Methode, sondern an ihren Inhalten und Zielen. Der Projektauftrag ist unmöglich umzusetzen. Da hilft das beste Changemanagement nicht. Unmöglich umzusetzen? Zum Beispiel? Bei vielen Changeprojekten sind die Mitarbeiter nicht restlos von den angestrebten Veränderung überzeugt. Sie halten die Lösungen, mit denen Probleme in Unternehmen beseitigt werden sollen, für ungeeignet. Deshalb setzen sie sich nur mit begrenzter Energie für das Projekt ein. Oder sie behindern sogar das Projekt, werfen ihm Steine in den Weg. Unter diesen Schwierigkeiten leiden viele Veränderungsprojekte. Die geplanten Veränderungen finden nicht immer ungeteilten Beifall. Manche Veränderungen sind schmerzhaft für Mitarbeiter. Wer sagt, dass dies so sein muss? Ich kenne kaum ein Changeprojekt, bei dem es nur Gewinner gibt. Manchmal müssen Arbeitsplätze abgebaut oder verlagert werden. Viele Changeprojekte implementieren Lösungen, die die Kernprobleme in Unternehmen nicht an der Wurzel packen. Foto: Rawpixel.com - Fotolia.com PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 21 11.08.2016 13: 07: 05 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 22 REPORT Welche Risiken sollten dies sein? Diskutieren wir das Beispiel von eben: Ein Unternehmen will sich so verändern, dass es 30 Prozent mehr Projekte jährlich bearbeiten kann. Ein Risiko besteht darin, dass es dem Vertrieb derzeit unmöglich ist, 30 Prozent mehr Projekte zu akquirieren. Es fehlt an Nachschub von Projekten. Bald wird es in einigen Abteilungen nichts mehr zu tun geben. Mitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze - und verlassen das Unternehmen. Dem Unternehmen drohen dabei auch Spitzenkräfte verloren zu gehen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass gute Lösungen auch schädliche Risiken und Nebenwirkungen haben können. Solche Risiken und Nebenwirkungen müssen bei der Entwicklung der Lösung ausgeschlossen werden. risiken erkennen Was ist mit Ihrer vierten Anforderung? Die ist recht kurz zu formulieren. Viele Unternehmen sind heute sehr komplex und kompliziert organisiert. Sie sind in der Regel übersteuert; es ter mit. Zudem finden solche Ziele auch in der Unternehmensspitze große Zustimmung. Der Führungskreis stellt sich komplett hinter das Projekt und unterstützt es. Zwei Anforderungen an Changeprojekte haben Sie formuliert: die Win-win-Situation und den großen Sprung nach vorne, den das Projekt ermöglicht. - Welche Anforderungen gibt es darüber hinaus? Drei weitere Anforderungen habe ich noch. Eine davon ist: Die Veränderung darf kein Risiko beinhalten. Mit Verlaub, ein risikoloses Veränderungsprojekt ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn Sie unter Risiken die Unwägbarkeiten bei der methodischen Umsetzung meinen, dann bin ich bei Ihnen. Aber diese Risiken meine ich hier nicht. Mir geht es um Gefahren, die sich aus dem Ergebnis des Wandels ergeben. Ich spreche von signifikanten Risiken, die das Unternehmen gefährden können. Es darf sich kein Risiko daraus ergeben, dass die Veränderung erfolgreich realisiert wird. Dies klingt zunächst banal ... ... ist es aber aus meiner Sicht nicht. Es geht bei Veränderungsprojekten nicht um Trippelschritte, also darum, dass hier oder dort die Produktivität um einen halben Prozentpunkt verbessert wird. Dies reicht nicht aus. So etwas bringt das Unternehmen nicht voran. Wir brauchen große Sprünge nach vorne, Effizienzgewinne von 20 oder 30 Prozent. Nur mit solchen - realistischen! - Zielen können Sie alle Beteiligten motivieren. Die Botschaft eines Veränderungsprojekts an die Organisation muss lauten: Es wird schwierig werden, diesen großen Sprung nach vorne zu meistern. Doch wenn er uns gelingt, dann haben wir ein hohes Maß von zusätzlicher Wettbewerbsfähigkeit erzielt. Diese Botschaft gibt der Organisation die Kraft, Gewohnheiten zu verändern und Aufgaben auf neue Weise zu bearbeiten. Klingt abstrakt ... Ich mache Ihnen dies gerne an einem Beispiel deutlich. Angenommen, ich kann durch neue Prozesse jährlich 30 Prozent mehr Projekte abwickeln, dann zieht dieses Ziel die Mitarbei- Problem in vielen Unternehmen: Zu viele Changeprojekte behindern sich gegenseitig - und führen kaum zu echtem Fortschritt. Foto: BillionPhotos.com - Fotolia.com Anzeige PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 22 11.08.2016 13: 07: 07 Uhr REPORT 23 Frage bezieht sich auf die unerwünschten Effekte der derzeitigen Arbeitsweise in der Organisation. fÜnf Leitfragen Nicht so schnell bitte. Eben haben Sie ein Beispiel genannt. Ein Unternehmen will mehr Projekte durchführen. Stellen wir uns die erste Frage: Was ist das Ziel, das anzustrebende Ergebnis der Veränderung? Zehn Prozent mehr Projekte im Jahr mit gleicher Mannschaft ... Zehn Prozent ist gut, aber kein großer Sprung. 30 Prozent mehr Projekte wären ein großer Sprung. Gut, 30 Prozent. Man darf ja Wünsche äußern. Die zweite Frage: An was erkennen wir, dass wir nicht dort sind, wo wir hinwollen? Eine mögliche Antwort ist: Das Unternehmen hat zwar genug gute Mitarbeiter, die deutlich mehr Projekte bearbeiten könnten. Doch die Mitarbeiter arbeiten ineffizient. Sie sind nämlich gezwungen, Multitasking zu betreiben. Sie arbeiten für mehrere Projekte gleichzeitig. Die Prioritäten der Projekte verändern sich laufend, je nachdem, welches Projekt von den Terminen her gerade „anbrennt“. Die Mitarbeiter müssen zwischen Projekten und Aufgaben springen; vieles müssen sie parallel bearbeiten. Bei diesem Multitasking verlieren sie viel Zeit ... dass anfangs schnell wirkende Maßnahmen umgesetzt werden, die allein dazu dienen, für das Projekt zu werben. Sie stehen in keinem Zusammenhang mit dem Ziel. Von solcher Kosmetik halte ich wenig. Ziehen wir eine Zwischenbilanz. Wir haben fünf Anforderungen an die Inhalte von Changeprojekten. Sie haben es richtig formuliert - an die Inhalte. Wir sprechen von der Lösung, die von dem Changeprojekt umgesetzt wird. Wir sind noch nicht beim Projekt selbst. Wenn gute Inhalte und Lösungen für das Veränderungsprojekt gefunden sind, dann kann man über die Methodik sprechen und Erfolg versprechende Vorgehensweisen wählen. Vorher nicht. Verstanden! - Aber eine Lösung zu finden, die allen Anforderungen genügt, dies scheint keine banale Aufgabe zu sein. Wie geht man vor? Die Aufgabe ist wirklich anspruchsvoll. Für diese Suche gibt es einen Prozess, der die Denkwerkzeuge der Theory of Constraints nutzt. Methodisch ist also ein guter Weg vorgezeichnet. Da bin ich gespannt … Es handelt sich um fünf Leitfragen. Die erste Frage ist: Wohin wollen wir eigentlich mit dem Unternehmen? Was ist das Ziel, das anzustrebende Ergebnis der Veränderung? Daran schließt sich die zweite Frage an: An was erkennen wir, dass wir nicht dort sind, wo wir hinwollen? Die gibt zu viele Prozesse, Kennzahlen und Regeln. Deshalb sollte die angestrebte Veränderung das Unternehmen nicht noch komplexer und komplizierter machen. Ganz im Gegenteil: Verspricht die Lösung einfachere Strukturen und Abläufe, so wird man Mitarbeiter dafür gewinnen und die Lösung besser umsetzen können. - Die fünfte und letzte Anforderung zielt schon auf das Methodische: Der Veränderungsprozess ist so aufzubauen, dass man alle Beteiligten Schritt für Schritt mitnehmen kann. Es geht also um Transparenz und Begreifbarkeit des Projekts? Ja! Und Begreifbarkeit beinhaltet auch eine sichtbare, große Wirkung, die durch die Veränderung erreicht wird. Nach jedem Schritt des Projekts sollte eine solche Wirkung zu erkennen sein. Schon der erste Schritt des Projekts sollte zu signifikanten Ergebnissen führen. „Quick Wins“ - aber keine kosmetik Gemeint sind die klassischen „Quick Wins“, von denen Changemanager häufig sprechen? Offen gesagt: Mir gefällt der Begriff „Quick Wins“ nicht richtig. Oder sagen wir es so: Wenn diese „Quick Wins“ zu Anfang des Projekts keine Kosmetik sind, sondern wirklich geradlinig auf das Endergebnis zusteuern, dann bin ich d’accord mit Ihnen. Doch ich habe häufig beobachtet, Anzeige PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 23 11.08.2016 13: 07: 07 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 24 REPORT trieb. Der Vertrieb sagt, dass das Unternehmen mehr Projektaufträge braucht - und nicht weniger. Er sagt, dass jeder Projektauftrag sofort gestartet werden muss - statt zu warten, bis die Organisation freie Kapazität hat und das Projekt konzentriert bearbeiten kann. Das ist der Konflikt. Und nun bohren wir noch etwas weiter. Hinter diesem Konflikt steht eine falsche Annahme. Kennen wir diese Annahme, haben wir die Wur- Die Lösung wäre: Die Zahl der Projekte insgesamt reduzieren. Einen Prozess installieren, durch den nur so viel Projekte gestartet werden, wie die Organisation bewältigen kann. Nein, wir müssen noch etwas tiefer bohren für eine wirklich gute Lösung. Wir fragen nach dem Konflikt, der es dem Unternehmen derzeit unmöglich macht, die Ursache für das Multitasking zu beseitigen. Die Schwierigkeit liegt beim Ver- ... die Mitarbeiter müssen Aufgaben liegen lassen, sich in andere Aufgaben eindenken, das Liegengebliebene wieder zur Hand nehmen. Dadurch geht viel Zeit verloren. Außerdem erzeugt Multitasking enormen Stress. Es kommt zu Fehlern. Die Krankheitsrate unter den Mitarbeitern steigt, einige fallen durch Burn-out aus. Die nächste, dritte Frage wäre nun vermutlich: Wie kommt es zu diesem Multitasking? Ja. Was ist die Ursache für die unerwünschten Effekte? Welches Kernproblem liegt dem zugrunde, was wir beobachten? Für unser Beispiel: Welche Kernursache steht hinter dem Multitasking? Was ist verantwortlich dafür, dass es überhaupt zu diesem Kernproblem kommt? „tiefenboHrung“ zur Lösung Keine Ahnung. Das Unternehmen bearbeitet zu viele Projekte gleichzeitig. Es hat mehr Projekte gestartet, als die Organisation bewältigen kann. Das heißt, die Organisation wird mit Projekten überlastet. Ständig werden Prioritäten neu gesetzt, Mitarbeiter zu „Feuerwehraktionen“ geholt, Aufgaben neu verteilt. Richtig. Gemeinsam Lösungen suchen für den Wandel: Mitarbeiter auf dem „Denkweg“ mitnehmen. Foto: Rawpixel.com - Fotolia.com Fünf Anforderungen an Changeprojekte Erstens: Das Changeprojekt führt im Unternehmen zu großen Sprüngen, zu viel besseren Unternehmensergebnissen. Alle Beteiligten brauchen ein motivierendes Ziel, um am Wandel mitzuwirken. Der Change muss sich lohnen. Zweitens: Changeprojekte brauchen die persönliche Unterstützung, zumindest das Wohlwollen aller Beteiligten und von den Veränderungen Betroffenen. Deshalb darf der Changeprozess zu keinen Verlierern führen, die dem Vorhaben die Mitwirkung versagen oder es durch ihren Widerstand behindern. Also: Die Lösung, die durch das Changeprojekt in der Organisation umgesetzt werden soll, führt erkennbar zu einer allseitigen Win-win-Situation. Drittens: Der Wandel darf kein existenzielles Risiko mit sich bringen. Damit sind in erster Linie Risiken gemeint, die sich aus der implementierten Lösung ergeben. Sie darf nicht das Unternehmen in seiner Substanz gefährden, indem beispielsweise Mitarbeiter mit Schlüsselqualifikationen verloren gehen, Kunden verunsichert oder Investoren irritiert werden. Viertens: Die Lösung darf die Organisation nicht noch komplexer und komplizierter machen, als sie schon ist. Also nicht noch mehr Regeln, Prozesse und Bestimmungen. Ganz in Gegenteil, nach dem Veränderungsprozess sollte die Organisation einfacher sein als vorher. Fünftens: Der Prozess des Veränderungsprojekts soll Beteiligte und Betroffene bei jedem Schritt „mitnehmen“. Inhalt und Vorgehensweise des Projekts sind transparent und begreifbar. Durch die ersten Umsetzungsschritte werden deutlich erkennbare Erfolge erzielt - ohne dass es sich dabei um „kosmetische Maßnahmen“ handelt. PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 24 11.08.2016 13: 07: 08 Uhr REPORT 25 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 Dies sagen Sie richtig: Wir nehmen an, dass wir die Effizienz des Unternehmens steigern können, indem weniger Projekte durchgeführt werden. Das Unternehmen sollte also die gefundene Lösung nicht direkt „ausprobieren“, dies wäre fahrlässig. Es muss sie weiter durchdenken. Eine Frage dabei ist: Welche unerwünschten Nebenwirkungen sind mit der Lösung verbunden? Welche Hindernisse gibt es? acHtgeben auf unerWÜnscHte nebenWirkungen Unerwünschte Nebenwirkungen - auf unser Beispiel bezogen: Möglicherweise beschweren sich Kunden, dass ihr Projekt nicht sofort nach Auftragserteilung gestartet wird. Das Projekt muss warten, bis es an der Reihe ist. Manche Kunden werden dadurch verärgert. Das könnte zutreffen. Der Kunde würde dem Unternehmen das Projekt wieder entziehen. Und möglicherweise auch die anderen Projekte, die er beauftragt hat. Vielleicht klingt die Lösung sehr vielversprechend, doch diese Nebenwirkung könnte zu großen, existenziellen Risiken führen. Man muss dafür eine Lösung finden: Das Unternehmen könnte dem Kunden per Vertrag garantieren, dass sein Projekt pünktlich fertig wird - auch dann, wenn man das Vorhaben nicht sofort startet. Man kann ihm sogar einen Termin vor seinem Zieltermin garantieren. Also etwa: „Wir schaffen es nicht nur zum vereinbarten Termin, sondern sogar garantiert vier Wochen früher.“ zel des Problems gefunden. Und wir können den Konflikt lösen. Spannen Sie mich bitte nicht auf die Folter! Die falsche Annahme - um was handelt es sich bei unserem Beispiel? Unternehmen meinen, dass sie viele Projekte schaffen, wenn sie in ihrer Organisation möglichst viele Projekte starten. Diese Annahme ist falsch. Wahr dagegen ist: Unternehmen schließen mehr Projekte ab, wenn sie weniger Projekte starten. Die Organisation arbeitet effizienter und leistet mehr, wenn weniger Projekte gestartet werden. Wenn dies von allen Beteiligten verstanden ist, wenn sich alle damit restlos einverstanden erklären, dann kann das Unternehmen sich verändern. Lassen Sie mich bitte Übersicht gewinnen. Fünf Leitfragen bestimmen den Prozess. Die erste Frage nach den Zielen und den anzustrebenden Ergebnissen. Die zweite nach den unerwünschten Effekten und nach den Beobachtungen, an denen das Unternehmen erkennen kann, dass es seine Ziele nicht erreicht. Die dritte Frage nach den Kernursachen für diese unerwünschten Effekte. Die vierte Frage nach dem Konflikt, der verhindert, dass die Kernursachen beseitigt werden. Die fünfte Frage nach der falschen Annahme, die diesem Konflikt zugrunde liegt. Richtig. Aber die so ermittelte Lösung ist doch nur eine Vermutung, die aus einer logischen Herleitung resultiert. Ordnung ins Chaos bringen: Ein Schema von Leitfragen kann helfen, gute Lösungen für den Wandel in Organisationen zu finden. Foto: ra2 studio - Fotolia.com Anzeige PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 25 11.08.2016 13: 07: 09 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 26 REPORT jektive Annahmen kann man sich wesentlich schneller und besser einigen als über bereits fertig ausformulierte Lösungen. Im Übrigen: Es können sich dadurch wichtige Erkenntnisse ergeben, die man im Führungskreis bislang noch gar nicht beachtet hat. Vielleicht gibt es einen Grund, die eigenen Annahmen nochmals zu überprüfen. Oder der Führungskreis erkennt bei den Gesprächen mit den Mitarbeitern Weiteres: etwa neue Nebenwirkungen oder Risiken. konseQuentes controLLing Den Erkenntnisprozess nochmals mit den Mitarbeitern durchlaufen - dies ist aufwendig. Es ist aufwendig und es kostet Kraft. Doch diese Aufgabe ist mit Sicherheit leichter und schneller zu lösen, als später Widerstände zu bekämpfen. Wenn allseitige Einigkeit über die Lösung erreicht wird, haben Sie später bei der Umsetzung keine Schwierigkeiten etwa durch Widerstände. Nochmals zurück zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs. Wir haben eingangs festgehalten, wie wichtig eine optimale Lösung - also der Inhalt - für ein Changeprojekt ist. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass man inhaltliche Mängel durch „mehr Changemanagement“, durch mehr Methodik wettmachen will. Nicht selten werden Projektmanager gezwungen, durch Methodik eigentlich unmögliche Lösungen durchzusetzen. Sprechen wir doch bitte abschließend über diese methodische Seite. Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig für die Methodik bei Changeprojekten? Für die Umsetzung braucht man konsequentes Controlling von Realisierung und Wirksamkeit. Man muss nachhalten, ob die Veränderungen auch die erwarteten Ergebnisse bringen. Bleibt die Wirkung aus, dann sollte das Changeprojekt nicht einfach weitergeführt werden. Solche Abweichungen zwischen Plan und Umsetzung sollten hellhörig machen. Irgendetwas ist da ja faul. Da sollte man genauer hinsehen. Also das Projekt anhalten? Zumindest die Abweichungen genau untersuchen. Viele neigen dazu, das Projekt noch intensiver voranzutreiben und zu hoffen, dass die weiteren Maßnahmen den erwünschten Effekt bringen. Dies halte ich für falsch. Denn die Ursache für die Abweichung ist ja nicht behoben. arbeitern den Denkweg nochmals zurückzulegen, den auch der Führungskreis gegangen ist. Also alle Leitfragen nochmals durchzuspielen? Ja. Dabei empfehle ich, mit Annahmen zu arbeiten. Also keine voreiligen Diagnosen treffen wie „Wir bearbeiten zu viele Projekte“. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für solch eine Annahme: Wenn das Unternehmen mehr Projekte bearbeiten will, dann muss es das schädliche Multitasking beseitigen. Sie sehen, es ist nur eine Annahme. Sie spiegelt meinen Blick auf die Welt. Die Frage an die Mitarbeiter: „Seht ihr diese Annahme ähnlich? Deckt sich diese Annahme mit euren Erfahrungen, Einschätzungen und Interessen? “ Wenn ja, dann hat man eine gemeinsame Basis für die weitere Diskussion. Die Brücke ist gebaut, und der Gesprächspartner hat diese Brücke angenommen. Von dieser Einigkeit aus kann man gemeinsam etwa zu dem Schluss kommen, dass zu viele Projekte die Ursache für dieses Multitasking sind. So tastet sich das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern durch den gesamten Erkenntnisprozess noch einmal durch. Was, wenn Mitarbeiter die Annahme nicht teilen? Möglich, ja. Vielleicht sagt jemand: Ich sehe dies anders, ich halte die Annahme für falsch. Dann wird man über die Annahme sprechen. Über sub- Der Kunde wird sich dann möglicherweise überlegen, ob er dem Unternehmen das Projekt entzieht. - Das Unternehmen denkt also so lange nach, bis es auch für solche Nebenwirkungen Lösungen gefunden hat. Alle Beteiligten müssen sich vollständig einig sein, dass die Lösung richtig ist und es zu keinen schädlichen Nebenwirkungen mehr kommt. Erst dann kann man das Changeprojekt starten. Alle Beteiligten? Habe ich das richtig verstanden? Im Sinne der angestrebten Win-win-Situation sollten alle Beteiligten und Betroffenen in diesen Prozess einbezogen werden. In der Praxis sieht dies so aus: Der Führungskreis des Unternehmens erarbeitet in einem Initialworkshop die Lösung und erzielt vollständige Einigkeit. Alle in diesem Kreis stehen hinter dieser Lösung. Danach bezieht das Unternehmen die Mitarbeiter ein - zumindest die, die an der Veränderung mitwirken sollen oder die von ihr betroffen sind. mit mitarbeitern Den „DenkWeg“ zurÜckLegen Man könnte ihnen den Plan präsentieren und sie um ihre Meinung bitten ... Dies ginge natürlich. Aber ich halte eine andere Strategie für besser, gemeinsam mit den Mit- Hinter vielen Problemen in Unternehmen steht ein Konflikt. Der Konflikt wiederum beruht auf einer falschen Annahme. Wer bei der Lösungssuche bis zu dieser Annahme vorgestoßen ist, startet mit guten Erfolgschancen in sein Changeprojekt. Foto: NicoElNino - Fotolia.com PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 26 11.08.2016 13: 07: 10 Uhr REPORT 27 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2016 Analog zum Beispiel des Autofahrens: Das Auto fährt nicht los, weil die Handbremse angezogen ist. Also tritt der Fahrer noch mehr aufs Gaspedal … … oder baut sogar noch einen zweiten Motor ein. Das Problem liegt allerdings in der gezogenen Handbremse. Bezogen auf das Projekt bedeutet dies: Es liegt ein Fehler vor. In einigen Fällen ist die Maßnahme vollständig realisiert und trotzdem stellt sich kein Erfolg ein. Dann ist es beim Entwickeln der Lösung zu einem Fehler gekommen, vielleicht eine falsche Annahme oder ein Irrtum bei der Bearbeitung der fünf Fragen. Dies ist aber eher selten. Wesentlich häufiger ist diese Ursache: Die Mitarbeiter haben neue Prozesse entworfen, es wurde beraten und geschult - und doch hat’s niemand realisiert. Die Mitarbeiter haben signalisiert, dass die Handbremse gelöst ist … … aber sie ist nicht gelöst. Die Maßnahme wurde unvollständig umgesetzt, deswegen wirkt sie nicht. Um bei dieser Analogie zu bleiben: Vielleicht gibt es Hindernisse, die Handbremse zu lösen, Schwierigkeiten, die niemand vorhergesehen hat. Vielleicht ist diese Aufgabe besonders schwierig und die Mitarbeiter brauchen weitere Unterstützung. Man sollte die Bremse aber auf jeden Fall lösen, bevor es weitergeht. Der Changeprozess darf zu keinen Verlierern führen, die das Vorhaben durch ihren Widerstand behindern. Die Lösung, die durch das Changeprojekt in der Organisation umgesetzt werden soll, muss deshalb erkennbar zu einer allseitigen Win-win-Situation führen. Foto: Rawpixel.com - Fotolia.com Anzeige Seminare für Projektmanager: «Selbstmanagement im Projekt» startet am 21. September 2016; «Agiles Projektmanagement» vom 29. - 30. September 2016; «Risikomanagement in IT-Projekten» am 29. September 2016; «Projektmanagement - Projektleitung & Teamführung» vom 24. - 26. 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