eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 27/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2016
274 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Eine Investition in die Normung ist eine Investition in die Zukunft

101
2016
Steffen Rietz
Ralf J.  Roeschlein
Das Projektmanagement und auch das Programm- und Portfoliomanagement blicken inzwischen auf eine erfolgreiche Phase der nationalen und internationalen Vereinheitlichung zurück. Vielfach bekannt sind Projektmanagementstandards, auch Tool-Standards, weniger die Normen des DIN und der ISO. Wer abteilungsübergreifend innerhalb seiner Branche entlang der Wertschöpfungskette oder auch länderübergreifend erfolgreich in Projekten arbeiten möchte, sollte Projektmanagementnormen kennen und konsequent nutzen. Genormte Begriffe, Prozesse, Strukturen und Vorgehensweisen helfen, den Synchronisationsaufwand in interdisziplinären oder internationalen Projekten deutlich zu minimieren. Unternehmen, die einen hohen Anteil ihrer Wertschöpfung in Projekten erbringen, können sich beim DIN und bei der ISO oder den Begleitmaßnahmen der GPM aktiv in die Normungsarbeit einbringen.
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projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 42 Wissen Sehr viele Organisationen kennen die heute verfügbaren Normen zum Projekt- und Multiprojektmanagement leider nicht oder zumindest nicht sehr gut. Viele wissen nicht einmal, dass es überhaupt Normen zum Projektmanagement gibt. Normen und Standards werden heute eher als lästig und verstaubt angesehen. „Wer freiwillig einer Norm gehorcht, setzt sich künstliche Restriktionen“ lauten gängige Statements, die nur sehr bedingt richtig und bestenfalls die halbe Wahrheit sind. Orientierung in der Normung Die mit der Implementierung von PM-Normen einhergehenden großen Vorteile werden häufig nicht gesehen oder zumindest unterschätzt. Warum ist das so? Und warum setzen sich Organisationen mit dem Thema nicht auseinander? Das häufigste dabei ins Feld geführte Argument: Wir sind ein praktisch und dynamisch orientiertes Unternehmen. Normen sind etwas für Bürokraten. Stimmt diese Aussage, oder verpassen die Unternehmen eine Chance, effizienter zu arbeiten? In der täglichen Praxis werden Begriffe wie Normen, Standards, Richtlinien, Regeln u. a. häufig verwechselt oder schlimmer noch: synonym verwendet. Dabei werden sie gern mit weiteren Begriffen in diesem Kontext wie z. B. Vorgehensmodell, Prozessmodell o. ä. vermischt. Dies ist so lange nicht problematisch, solange es keine praktische Relevanz hat. Treffen aber zwei kooperationswillige Projekte/ Bereiche/ Unternehmen aufeinander, von denen beide glauben sich an gängigen Standards zu orientieren, in ihren Arbeitsweisen aber nicht ansatzweise kompatibel zueinander sind, dann wird sehr viel Zeit und Geld benötigt, ein gemeinsames Verständnis für die gemeinsame Projektarbeit zu schaffen. In Deutschland und international gibt es mehrere Normungsinstitute. Den meisten in Deutschland lebenden Akteuren sind das DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.) für die nationalen Normen und die ISO (International Organization for Standardization) für die internationalen Normen bekannt. Daneben gibt es weitere Organisationen, die ebenfalls Normen veröffentlichen, so z. B. in Deutschland die DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. im DIN und VDE) oder auf europäischer Ebene CEN, CENELEC oder ETSI. Dieser Artikel soll Einblicke geben, wie eine Norm bzw. ein Standard entsteht. Zudem wird erklärt, worin Normen und Standards sich unterscheiden, wo die größten Nutzenpotenziale für Unternehmen und Organisationen liegen und welche Möglichkeiten der Einflussnahme schon in der Geburtsstunde einer Norm bestehen. Normen und Standards Das DIN schreibt auf seiner Webseite: „Eine Norm ist ein Dokument, das Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt. Sie schafft somit Klarheit über deren Eigenschaften, erleichtert den freien Warenverkehr und fördert den Export. Sie unterstützt die Rationalisierung und Qualitätssicherung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung. Sie dient der Sicherheit von Menschen und Sachen sowie der Qualitätsverbesserung in allen Lebensbereichen. Normen müssen im Konsens erstellt werden“ [1]. Damit dies gewährleistet ist, entsteht jede Norm in einem geregelten und sehr transparenten Normungsverfahren (Abb. 3), auf das später detailliert eingegangen wird. Normen sind nicht von Natur aus verbindlich. Sie werden es aber, wenn sie Bestandteil eines Vertrages oder eines Lasten-/ Pflichtenheftes werden. Gängige Vertragsformulierungen sind „… nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik“. Es ist sehr schwer nachzuweisen, dass diese so weich formulierte Forderung bzw. Selbstverpflichtung nach der Einhaltung des Standes von Wissenschaft und Technik erfüllt ist, wenn nicht einmal verfügbare Normen Berücksichtigung finden. Eine ebenso typische Falle sind die häufig überlesenen, weil Eine Investition in die Normung ist eine Investition in die Zukunft autoren: steffen Rietz, Ralf J. Roeschlein >> Für eilige Leser Das Projektmanagement und auch das Programm- und Portfoliomanagement blicken inzwischen auf eine erfolgreiche Phase der nationalen und internationalen Vereinheitlichung zurück. Vielfach bekannt sind Projektmanagementstandards, auch Tool-Standards, weniger die Normen des DIN und der ISO. Wer abteilungsübergreifend innerhalb seiner Branche entlang der Wertschöpfungskette oder auch länderübergreifend erfolgreich in Projekten arbeiten möchte, sollte Projektmanagementnormen kennen und konsequent nutzen. Genormte Begriffe, Prozesse, Strukturen und Vorgehensweisen helfen, den Synchronisationsaufwand in interdisziplinären oder internationalen Projekten deutlich zu minimieren. Unternehmen, die einen hohen Anteil ihrer Wertschöpfung in Projekten erbringen, können sich beim DIN und bei der ISO oder den Begleitmaßnahmen der GPM aktiv in die Normungsarbeit einbringen. PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 42 12.08.2016 10: 31: 20 Uhr Wissen 43 projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 ANSI (American National Standards Institute) als Vorlage für die Norm. Das Ergebnis ist trotz der internationalen Verbreitung des PMBOK keine internationale, sondern eine US-amerikanische Norm. Am Markt haben sich ergänzend inzwischen auch sogenannte „Quasi-Standards“ etabliert. Werden heute Projektmanagementdaten von einer PM- Software zur anderen ausgetauscht, geschieht dies in der Regel über das MS Project-Format aus dem Hause Microsoft (eingetragenes Markenzeichen der Firma Microsoft). Fast alle namhaften PM-Softwarehersteller haben eine Schnittstelle zu diesem Dateiformat. Quasi-Standards entstehen damit, wenn einzelne Produkte oder Arbeitsweisen eines Anbieters so viele Anwender vereinen, dass weitere Anbieter auf dem Markt sich diesem Thema nicht mehr verschließen können oder wollen. einen Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland verweisen kann [2], ist ein Standard nicht zwingend an ein Verfahren, an bestimmte Regeln oder den Konsens der Stakeholder gebunden. Diesem Umstand geschuldet entstehen Standards häufig viel schneller als Normen und dienen später dann der Normentwicklung [3]. Im Projektmanagement gibt es zahlreiche Standards, an denen Organisationen ihre Abläufe ausrichten bzw. anhand derer sie ihre Mitarbeiter ausbilden. Die bekanntesten sind die IPMA- ICB (Individual Competence Baseline 4.0 der International Project Management Association) und das PMI-PMBOK (Project Management Body of Knowledge des Project Management Institute). Letzteres macht auch den Unterschied einer Norm zu einem Standard recht deutlich. Das PMI veröffentlicht in regelmäßigen Abständen das aktualisierte PMBOK. Dieses dient dann dem sehr kurzen Sätze in Lastenheften, die auf mitgeltende Unterlagen verweisen. Hinter der Formulierung „Es ist eine Entwicklung gemäß DIN, ISO [Norm-Nr. xy] nachzuweisen“ versteckt sich aus Sicht des potenziellen Auftragnehmers ein weiteres Dokument, die genannte Norm, und mit ihr mehrere Hundert anspruchsvolle Einzelanforderungen. Kann sich der Lastenheftleser beruhigt zurücklehnen, weil er sich durch eine normenkonforme Organisation seines gesamten Bereiches mit keiner Forderung konfrontiert sieht, die er nicht durch systematisches Arbeiten entlang implementierter Prozesse ohnehin täglich erfüllt? Ein Standard ist im Gegensatz zur Norm „nur“ eine Vereinheitlichung, die aber keinem verbindlichen Verfahren unterliegt. Während das DIN ca. 30.000 Experten vereint und koordiniert und als demokratisch legitimierter Regelsetzer auf Abb. 1: Normungsgremien national und international (Stand: Q3/ 2016) Siehe Abb. 2 PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 43 12.08.2016 10: 31: 24 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 44 Wissen Projektmanagement gewinnt sowohl national als auch international immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund werden - aktuell insbesondere auf internationaler Ebene - immer wieder neue Normungsprojekte angestoßen. Hierzu zählt u. a. das unter deutscher Leitung geführte Normungsprojekt zum Programmmanagement (die künftige ISO 21503). Aber auch Normen zur Governance von Projekten, Programmen und Portfolios (die künftige ISO 21505) oder zu diversen Projektmanagementmethoden zählen dazu (Abb. 1). Insgesamt darf in den nächsten Jahren mit mehreren Neuerscheinungen unter den Normen zum Projekt- und Multiprojektmanagement gerechnet werden. Im Gegensatz zu Standards und Richtlinien, die mehr oder weniger schnell veralten, ohne dass jemand dafür wirklich die Verantwortung trägt, orientiert sich die Normungsarbeit am Grundgedanken eines Produktanbieters, dem eine Produkthaftung zukommt. Das veröffentlichende Normungsgremium trägt die Verantwortung dafür, dass eine publizierte Norm richtig und vollständig bleibt. Ist dies nicht gegeben, wird die Norm überarbeitet oder zurückgezogen. Um dies zu gewährleisten, werden alle Normen spätestens alle fünf Jahre einer Überprüfung unterzogen. Auch wenn die ISO 21500 (im Jahr ihrer Ersterscheinung auf Platz 5 der Verkaufsschlager der ISO weltweit) noch keine fünf Jahre alt ist, macht eine erste Arbeitsgruppe sich bereits jetzt Gedanken über möglicherweise notwendig werdende Überarbeitungen oder Ergänzungen. Wie entsteht eine Norm? Normen werden in Normungsausschüssen entwickelt, die sich aus Experten der jeweiligen Themengebiete bilden. Das können Experten aus der Wissenschaft und Forschung sein. Viel wichtiger aber sind die aus der täglichen Anwendung geborenen Experten. Unternehmen, die täglich Schrauben in großer Stückzahl herstellen oder verarbeiten, sind entsprechend qualifiziert und motiviert, Schrauben und Muttern zu normen. Das ist im Projektmanagement nicht anders. Unternehmen, die viele und/ oder komplexe Projekte planen und steuern, die viele gut ausgebildete und erfahrene Projektleiter beschäftigen, die hochleistungsfähige PMOs etabliert haben, bringen sich in die Normungsausschüsse ein und helfen, die künftigen PM-Normen zu erarbeiten. Bei dieser Gelegenheit sei etwas Werbung gestattet: Experten und Erfahrungsträger aus der International (von der ISO genormt) werden derzeit zwei Normen zum Projektmanagement angeboten. Die ISO 21500, welche sich mit dem Einzelprojektmanagement beschäftigt, und die ISO 21504, welche das Projektportfoliomanagement beschreibt. Neben diesen Normen gibt es noch diverse weitere nationale Normen verschiedener Länder (z. B. die BS 6079 aus England), die aber meist auch nur eine nationale Bedeutung erlangen. Die genannten Normen sind alle allgemeingültiger Art. Daneben existieren ergänzend nationale und internationale branchenspezifische Normen wie z. B. die DIN EN 14724 oder die DIN EN 16601-10 zum Raumfahrt-Projektmanagement, das heißt die Branchenspezifika der Luft- und Raumfahrt abbildend. Blick in die aktuelle Normenlandschaft Bis heute haben sich einige Normen zum Projektmanagement etabliert - nationale wie auch internationale (Abb. 2). In Deutschland gibt es drei Normen zum Projektmanagement. Die DIN 69900 gehört zum ältesten Teil der Projektmanagementnorm und beschäftigt sich mit der Netzplantechnik. Die DIN 69901 umfasst insgesamt fünf Teile und beschreibt das Projektmanagementsystem an sich, d. h. das Einzelprojektmanagement. Die jüngste Norm ist die DIN 69909. Sie umfasst insgesamt vier Teile und beschäftigt sich mit dem Multiprojektmanagement und den Anforderungen an eine Organisation. Normen zum Projektmanagement • DIN 69900: 2009-01: Projektmanagement - Netzplantechnik; Beschreibungen und Begriffe • DIN 69901: 2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 1: Grundlagen - Teil 2: Prozesse, Prozessmodell - Teil 3: Methoden - Teil 4: Daten, Datenmodell - Teil 5: Begriffe • DIN ISO 21500: 2016-01: Leitlinien Projektmanagement (Basis: ISO 21500: 2012 Guidance on project management) Normen zum Multiprojektmanagement • DIN 69909: 2013-03: Multiprojektmanagement - Management von Projektportfolios, Programmen und Projekten - Teil 1: Grundlagen - Teil 2: Prozesse, Prozessmodell - Teil 3: Methoden (Ausgabe 2015-11) - Teil 4: Rollen (Ausgabe 2015-11) • ISO 21504: 2015: Project, programme and portfolio mangement - Guidance on portfolio management • ISO/ DIS 21505: 2015-08: Project, programme and portfolio mangement - Guidance on gouvernance • ISO CD2 21503: Project, programme and portfolio mangement - Guidance on programme management Abb. 2: Normen zum Projektmanagement PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 44 12.08.2016 10: 31: 24 Uhr Wissen 45 projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 Er wird entweder seine internen Prozesse konzernweit umstellen müssen oder alternativ der Öffentlichkeit und seinen Stakeholdern erklären müssen, warum unternehmensinterne Vorgaben von internationalen Normen abweichen. Und so wird von der Gesamtphilosophie einer Norm bis hin zu detaillierten Formulierungen („können“ vs. „müssen“ vs. „sollten“ usw.) um viele Aspekte hart gerungen. Ergebnis sind häufig Kompromisse, deren Entstehung nicht nur viel Zeit kostet, sondern auch partielle Ungleichgewichte hervorbringt. Wer sich hier frühzeitig informiert, sich gegebenenfalls sogar einbringen will, engagiert sich in der Normung aktiv oder zumindest durch die Abgabe seiner Stimme. Entstehung deutscher Normen beim DIN Projektmanagementnormen in Deutschland werden durch den NQSZ4 betreut und verantwortet und durch deren Mitglieder erarbeitet. Einer der ganz maßgeblichen Beitragsleister ist die Konsensprinzip erfordert in diesem Zeitraum immer wieder Abstimmungen mit anderen Unternehmen und ermöglicht Einblicke auch in deren Ziele und Interessen. Allein dieser fachliche Austausch ist vielen die Beteiligung wert. (Abb. 1 und Abb. 3) Konkret kommt es nicht selten vor, dass sich z. B. die Repräsentanten Frankreichs und der USA bei internationalen Normenworkshops intensiven fachlichen Auseinandersetzungen stellen müssen. Das liegt nicht nur daran, dass hier ein tendenziell US-amerikanisches und ein tendenziell europäisches Projektmanagementverständnis aufeinander treffen. Es liegt ergänzend daran, dass die entsendeten Kollegen nicht nur die Landesvertreter ihrer nationalen Normungsgesellschaften sind, sondern auch Arbeitnehmer in unterschiedlichen Konzernen, im konkreten Fall z. B. bei Airbus/ EADS und bei Boeing. Wenn internationale Normen entstehen, die kompatibel zur Arbeitsweise des einen, aber nicht des anderen sind, so wird der vermeintliche „Verlierer“ der Abstimmung einem relativen Druck ausgesetzt. Praxis sind immer gesucht, auch in den Normungsausschüssen. Konkret im NQSZ, dem Normenausschuss Qualitätsmanagement, Statistik und Zertifizierungsgrundlagen arbeiten im Bereich Projektmanagement z. B. Repräsentanten von Siemens, Daimler, der ZF, der DLR und anderen Unternehmen. Es könnten mehr Unternehmen mehr Experten delegieren. Neben der partiellen Unwissenheit um diese Möglichkeit der direkten und aktiven Beteiligung an der Normung scheuen gerade KMU diese Tätigkeit vielleicht auch aus Zeit- und Kostengründen. Normungsarbeit ist ehrenamtliche Tätigkeit, d. h., Mitarbeiter müssen von der Arbeit freigestellt und unentgeltlich eingesetzt werden, wobei das Unternehmen sogar noch Mitgliedsgebühren an das DIN (ca. 1.000 EUR pro entsendetem Mitarbeiter und Jahr) entrichtet. Auf der Nutzenseite steht dann aber neben der Einflussnahme auch ein wesentlicher Informationsvorsprung. Involvierte Unternehmen kennen Normungsstrategien und Normeninhalte schon Jahre vor dem ersten Erscheinungstag der Norm. Das Abb. 3: Normungsverfahren und Normungsarbeit PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 45 12.08.2016 10: 31: 28 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 46 Wissen nagement fragt häufig nach den Kosten, bestenfalls nach dem Aufwand-Nutzen-Verhältnis, möglichst quantifiziert. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass hinter jeder Prozessoptimierung bzw. -einführung zuallererst eine Verhaltensänderung steht. Es geht nicht darum, eine Norm zu kaufen (= wenige Hundert Euro), sondern primär darum, eine Norm zu implementieren (= je nach Unternehmensgröße und Ausgangssituation ein vierbis siebenstelliger Betrag). Wenn eine Organisation sich entscheidet, neue Denk- und Arbeitsweisen im Projektmanagement einzuführen, muss dies immer mit einer Verhaltensänderung der Mitarbeiter einhergehen. Es ist somit ein Veränderungsprojekt, welches auch so umzusetzen ist. Die Vorteile für eine Organisation, ihr Projektmanagement basierend auf einer existierenden Norm aufzusetzen, sind sehr vielfältig. Es beginnt damit, dass ein existierender, in der Praxis erprobter Prozessablauf vorliegt und nur geringfügig auf die individuellen Firmenbelange angepasst werden muss. Detaillierungs- und Customizing-Aufwände entstehen zwar, aber die grundsätzliche Richtigkeit des Ansatzes ist von Beginn an garantiert. Des Weiteren unterliegen viele Normen durch den vorgeschriebenen „5-Jahres-Wartungszyklus“ einer ständigen Weiterentwicklung, also dem nationalen und internationalen Abgleich mit anderen Normen bzw. dem Stand der Technik. Eine Organisation kann somit immer auf den aktuellen Stand zurückgreifen und den Aufwand für eigene Prüfungen auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Normungsworkshops oder prüft Normenentwürfe auf nationaler Ebene und stimmt darüber ab (Abb. 1). Die nationalen, in unserem Fall deutschen Anmerkungen, Kommentare oder ggf. Widersprüche sind dann in Abstimmung mit den nationalen Kommentaren anderer Länder wiederum Basis der nächsten internationalen Überarbeitungsschleife (Abb. 3). Die notwendige Abstimmung unter den zahlreichen Ländern und die Unmöglichkeit, sich rund um den Globus einmal monatlich treffen zu können, begründet den lang erscheinenden Entstehungsprozess einer Norm. (Im ISO TC 258 werden die Interessen von fast 40 Ländern koordiniert. Vertreten sind alle Kontinente und alle führenden Industrienationen.) Nicht selten hat eine 20bis 30-seitige Norm eine fünfjährige Entstehungsgeschichte. Aber so erhalten alle, auch deutsche Normungsexperten beim DIN direkten Einfluss auf das aktuelle internationale Normungsgeschehen. Nicht zuletzt ist die lange Phase der Auseinandersetzung mit den Inhalten auch ein wesentlicher Teil aktiven Stakeholdermanagements. Das Konsensprinzip ist wichtiger Bestandteil der Schaffung langfristiger Akzeptanz bei den späteren Anwendern. Vorteile von Projektmanagementnormen für Organisationen Ergänzend zu den bereits geschilderten Vorteilen durch die Mitarbeit im Normungsprozess für einige wenige bleibt für viele andere die Frage, welcher Vorteil sich aus einer normenkonformen Arbeit im Unternehmen ergibt. Das Ma- Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (GPM). Durch die Fach- und Normungsexperten der GPM Fachgruppe „Normen im Projektmanagement“ werden Normentexte vorbereitet und Normenentwürfe eingereicht (Abb. 3). Die GPM hat sich damit seit den frühen Anfängen bis heute als ein zuverlässiger Partner und Leistungsträger im Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement etabliert. In der oben genannten Fachgruppe bringen sich neben Siemens, Daimler und T-Systems auch viele KMU und Beratungshäuser aktiv ein. Das permanente Bemühen der Abstimmung mit allen Unternehmensgrößen und -typen sowie Vertretern möglichst vieler Branchen ist nicht nur dem eigenen Anspruch im Sinne der Qualitätssicherung der entstehenden Normenentwürfe geschuldet, sondern macht auch die Normungsarbeit selbst schon zu einem positiven Ergebnis und Erlebnis. (In eigener Sache: Aktuell steht ganz konkret die DIN 69901 auf dem Prüfstand im Rahmen der „5-Jahres-Inventur“. Wer gern noch mitarbeiten möchte, ist herzlich eingeladen, die Fachgruppe der GPM zu unterstützen.) Entstehung internationaler Normen bei der ISO Die ISO setzt sich im Gegensatz zur DIN nicht vorzugsweise aus Branchen-, sondern systematisch aus Landesvertretern zusammen. Jedes international tätige Technical Commitee hat entsprechende nationale Spiegelgremien. Dieses entsendet die Experten in die internationalen Abb. 4: Projektmanagement- und Normungsexperten des TC 258 in Toronto (2015); Foto: Jouko Vaskimo, ISO PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 46 12.08.2016 10: 31: 29 Uhr Wissen 47 projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 nagement, und Ralf J. Roeschlein, dem Leiter der Fachgruppe „Normen im PM“ als stellvertretendem Obmann beim DIN, ist die GPM in dem Thema flächendeckend präsent und stellt ihre Fachkompetenz regelmäßig unter Beweis und zur Verfügung. Als größter Projektmanagement-Fachverband in Deutschland, aber auch innerhalb der IPMA kommt der GPM noch eine weitere Rolle zu. Durch permanente Aufklärung über die Möglichkeiten einer normenkonformen oder standardisierten Arbeitsweise soll insbesondere für die vielen ergänzenden und die wenigen konkurrierenden Normen sensibilisiert werden. Aus Unwissenheit und mangelnder Auseinandersetzung mit dem Thema machen leider viele implementierungswillige Unternehmen immer noch einen typischen Anfängerfehler: Sie suchen DIE EINE für sie passende Norm, um sich an dieser zu orientieren. Möglich, sogar sinnvoll wäre • die Schaffung eines gemeinsamen Grundverständnisses über einen Begriffsstandard, • die Sicherstellung von Effektivität und Effizienz über eine prozessorientierte Norm, • die beteiligten Akteure über einen kompetenzbasierten Standard zu befähigen, • einen Gesamtrahmen für das Unternehmen oder zumindest den relevanten (z. B. Entwicklungs-)Bereich über eine Norm zum Multiprojektmanagement zu schaffen und • die langfristige Entwicklung des Projekt-, Programm- und Portfoliomanagements im Unternehmen über die Implementierung eines Reifegradmodells abzusichern [4]. Die GPM kann dabei einerseits über zahlreiche Fach- und Projektgruppen Empfehlungen aussprechen, welche Normen mit welchen Standards sehr, nur bedingt oder nicht kompatibel sind. Und vor allem können die GPM Vertreter in den Normungsgremien Einfluss darauf nehmen, dass künftig eher harmonisch abgestimmte und weniger konkurrierende Normen entstehen. Ausblick Schon seit vielen Jahren ist ein deutlicher Trend zur Professionalisierung des Projektmanagements zu spüren. Sowohl der unaufhaltsame technische Fortschritt als auch die zunehmende Internationalisierung ganzer Branchen erhöhen die Anzahl geplanter Projekte permanent. Auch die steigende Produktkomplexität, gepaart mit einem steigenden Individualisierungsgrad sorgen für eine Rückkehr projekthafter Arbeitsweisen auch den harmonischen Abgleich mit anderen Vorgehensmodellen auf ein Minimum reduzieren. Dieses verbleibende Minimum sind die Ergänzung von Branchenspezifika und ggf. eine nicht linear verlaufende eigene Unternehmensentwicklung. Je mehr Organisationen eine Norm einsetzen, desto besser wird das gegenseitige Verständnis, da insbesondere die Begrifflichkeiten und Methoden genormt sind. Kostspielige Missverständnisse mit Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern können so vermieden werden. Besonders deutlich wird dies bei global agierenden Unternehmen. Eine wörtliche Übersetzung deutscher Texte trifft selten die inhaltlich beabsichtige Aussage. Bezieht man sich hingegen auf Normenbestandteile, so ist schnell klar, welche Intention sich im Gesamtkontext hinter bestimmten Rollenmodellen oder Prozessschritten verbirgt. Je nach Ausgangslage vor der Umstellung auf ein normenkonformes Projektmanagement kommen weitere positive Effekte hinzu. Unternehmen berichten immer wieder, dass die neuen Rollenmodelle den Mitarbeitern mehr Verantwortung übertragen und eine größere Aufgabenvielfalt ganz maßgebliche Auswirkungen auf die Motivation jedes Einzelnen hat. Die einheitlichen Vorgehensweisen vereinfachen die Schnittstellen und erlauben die Vereinheitlichung von Dokumententemplates und/ oder die Harmonisierung der eingesetzten Software. Kommunikationsprozesse werden verschlankt und die Führungsebene des Unternehmens kann Projekte deutlich besser miteinander vergleichen, weil Planung, Steuerung und Reporting in einer Multiprojektlandschaft einem einheitlichen Verständnis folgen. Das Engagement der GPM in der Projektmanagementnormung Die GPM engagiert sich seit Jahrzehnten in der Projektmanagementnormung. Sie blickt zurück auf die Anfänge unter maßgeblicher Gestaltung des heutigen GPM Ehrenmitglieds Gernot Waschek. Er war schon in den 1960er-Jahren an den Anfängen der Netzplantechnik beteiligt. Heute ist Reinhard Wagner, der Ehrenvorsitzende der GPM, Head of Delegation des deutschen Expertenteams des DIN bei internationalen Normungsworkshops und Convenor des Programme Management. Mit Prof. Steffen Rietz, Obmann des DIN-Normenausschusses zum Projektma- Training ibo Beratung und Training GmbH Im Westpark 8 | D-35435 Wettenberg T: +49 641 98210-300 F: +49 641 98210-500 training@ibo.de | www.ibo.de Beratung | Software | Training | Verlag Weiterbildung für Projektmitarbeiter Kompakt, agil, pragmatisch • Grundausbildung in vier Tagen (2 Module) • Agile Methoden integriert • Optimaler Praxistransfer • Orientiert an internationalen Standards • Strukturelle und kulturelle Themen verknüpft • Abgestimmte Inhalte über drei Ausbildungsstufen Grundausbildung (4 Tage) Projektmanagement-Fachmann/ -frau 14. - 17.11.2016, Köln 13. - 16.03.2017, Hamburg 15. - 18.05.2017, Berlin 03. - 06.07.2017, München Seminarprogramm zum Download Alle Infos zum neuen Ausbildungskonzept unter www.ibo.de/ projektmanagement-seminare Neues Konzept! 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Obmann im DIN und war maßgeblich an der Entwicklung von DIN 69900, 69901 und 69909 sowie der ISO 21500 und 21504 beteiligt. Des Weiteren ist Ralf J. Roeschlein Dozent für Projektmanagement und PM-Software an verschiedenen Universitäten und Hochschulen im In- und Ausland. Anschrift: Shift Consulting AG, Mühlstraße 16 d, 82346 Andechs (Region Starnberg-AmmerSee), Tel.: 08152/ 9 29 92 9-0, E-Mail: Ralf.Roeschlein@shift-ag.com Literatur [1] www.din.de/ de/ ueber-normen-und-stan dards/ basiswissen [2] Herber, J.: www.wuerzburg.ihk.de/ innova tion-und-umwelt/ innovation-technologie/ nor men-und-standardisierung/ unterschied-normenund-standards.html. IHK Würzburg-Schweinfurt, 2014 [3] DIN e. V.: Leitfaden zum Kartellrecht. 2015 [4] Rietz, S.: Projektmanagementstandards zur externen Orientierung. In: Wagner, R. (Hrsg.): Beratung von Organisationen im Projektmanagement. Symposion Publishing, 2015 Schlagwörter DIN, ISO, Normungsprozess, PM-Normung, PM-Standardisierung Kompetenzelemente der ICB 4.0 1.02 Governance, Strukturen und Prozesse, 1.03 Compliance, Standards und Regelungen Autoren Prof. Dr.-Ing. Steffen Rietz vertritt das Lehrgebiet Technisches Projektmanagement im Fachbereich Technik der FHW. Nach mehreren Jahren in der Automobilindustrie liegt sein Schwerpunkt noch heute in Projekten zur Proin die Produktionsbereiche (Single Piece Flow u. ä.). Nicht zuletzt hat die steigende Projektanzahl vielerorts auch die Beziehungen der Projekte unternehmensintern und Unternehmensgrenzen überschreitend sprunghaft ansteigen lassen und damit dem Mutiprojektmanagement eine deutlich höhere Bedeutung verschafft, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. In den letzten zehn Jahren lag bei vielen Organisationen der Fokus auf der Prozess- und Methodengestaltung zur sicheren Abwicklung einzelner Projekte. Sowohl national als auch international ist inzwischen der Trend hin zum Multiprojektmanagement stark zu spüren. Dies zeigt sich u. a. darin, dass nach der ISO 21500 direkt mit der ISO 21504 (Projekt-Portfoliomanagement) gestartet und diese umgesetzt wurde. Auch prägt der immer stärker werdende internationale Einfluss unsere deutschen Normen zum Projektmanagement. Nicht zuletzt haben sich rund um das Qualitätsmanagement verschiedene Managementsysteme gebildet, die zunehmend zu einem integrierten Managementsystem verschmelzen. Hier stellt sich die Frage: Wird auch das Projektmanagement bald ein integraler Bestandteil des integrierten Managementansatzes sein oder wird es bewusst nicht integriert? Sollte es zu einer Verschmelzung kommen, drängt sich gleich die Frage nach der logischen Konsequenz auf: Werden Projektmanagementsysteme bald zertifiziert, ähnlich der ISO 9000 ff.? Eines ist klar: Es wird in den nächsten Jahren viel passieren und die GPM wird die Zukunft in diesem Bereich weiterhin maßgeblich mitgestalten.  Haftungsausschluss Die Inhalte dieser Zeitschrift werden von Verlag, Herausgeber und Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet und zusammengestellt. Eine rechtliche Gewähr für die Richtigkeit der einzelnen Angaben kann jedoch nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für die Websites, auf die verwiesen wird. Es wird betont, dass wir keinerlei Einfluss auf die Inhalte und Formulierungen dieser Seiten haben und auch keine Verantwortung für sie übernehmen. Grundsätzlich gelten die Wortlaute der Gesetzestexte und Richtlinien sowie die einschlägige Rechtsprechung. www.thost.de THOST Projektmanagement koordiniert und steuert die Entwicklung, Planung und Realisierung komplexer Projekte in den Bereichen Immobilien, Mobilität, Anlagen und Energie. Zu unseren Leistungen zählen das ganzheitliche Projekt-, Risiko- und Vertragsmanagement sowie die Steuerung komplexer Prozesse aus der Industrie unter Berücksichtigung der vielfältigen Interessenslagen im Projekt. Damit sichern wir zielführend Projekterfolg und Kundennutzen. V I S I O N E N W E R D E N W I R K L I C H K E I T . PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 48 12.08.2016 10: 31: 31 Uhr www.thost.de THOST Projektmanagement koordiniert und steuert die Entwicklung, Planung und Realisierung komplexer Projekte in den Bereichen Immobilien, Mobilität, Anlagen und Energie. Zu unseren Leistungen zählen das ganzheitliche Projekt-, Risiko- und Vertragsmanagement sowie die Steuerung komplexer Prozesse aus der Industrie unter Berücksichtigung der vielfältigen Interessenslagen im Projekt. Damit sichern wir zielführend Projekterfolg und Kundennutzen. V I S I O N E N W E R D E N W I R K L I C H K E I T . PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 49 12.08.2016 10: 31: 32 Uhr