PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Führung und Achtsamkeit – Ein Widerspruch?
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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Wissen 67 projektManagementaktuell | ausgabe 4.2016 Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Priesberg sucht Ehrlich in dessen Büro auf. Ehrlich ist mit seinem neuesten Spielzeug beschäftigt, einem alten Plattenwechsler. Die Schellackplatte dreht sich bereits, und er beobachtet fasziniert, wie der Tonarm die Nadel richtig positioniert, indem dieser auf der rotierenden Schallplatte durch ein Fahrgestell im Tonkopf von innen zum Außenrand gezogen wird, sich dann erhebt, das Fahrgestell einzieht und die Nadel sanft auf die Außenrille aufsetzt. „Das nenne ich Achtsamkeit. Der Tonarm merkt genau, wo die Platte ihren Rand hat“, spricht Ehrlich mehr zu sich selbst, wobei Priesberg die Szene ziemlich befremdlich findet. „Ich habe ein Problem mit einem Projektleiter. Er ist überaus aktiv, scheint aber wenig in seinem Projekt bewegen zu können“, spricht Priesberg. Ehrlich dreht sich um und entgegnet: „Für welches Projekt ist er denn zuständig? “ „Eigentlich nichts Spannendes, es geht um ein IT-System zur elektronischen Ablage von Dokumenten - das papierlose Büro eben. Allerdings können die Benutzer individuelle Funktionalitäten auswählen, der Projektleiter möchte das aber über die Abteilungen hinweg vereinheitlicht haben.“ Ehrlich gähnt: „Ach so, das ist erst mal nichts Revolutionäres.“ „Dann sollte dein Projektleiter doch auch sein Handwerk anwenden können, aber es scheint nicht zu klappen“, entgegnet Priesberg resigniert. Ehrlich überlegt: „Wann hat ein Projektleiter Macht? “ Priesberg schüttelt den Kopf: „Welch eine seltsame Frage! “ „Nun mal langsam, Herr Kollege“, erwidert Ehrlich. „Ist ein Projektleiter mächtiger als das Team oder die Stakeholder? Kann er alle Eventualitäten antizipieren und entsprechend handeln? “ Priesberg entgegnet spontan: „Natürlich nicht! “ „Welche Aufgabe hat er dann? “, hakt Ehrlich unerbittlich nach. „Er oder sie muss Entscheidungen herbeiführen“, stöhnt Priesberg. „Genau ... und auch wissen, wann nichts mehr entschieden werden kann. Im klassischen Führungsmodell ordnet die Führungskraft qua ihres Wissens die richtigen Maßnahmen an. Heutzutage geht das nicht mehr, da einzelne Personen kein Arbeitsgebiet überblicken können. Also muss die Führungskraft zuhören, aufmerksam sein und die Eigendynamik der Umgebung erkennen und berücksichtigen“, erläutert Ehrlich. Priesberg setzt sich hin. „Ich bin verwirrt. Was hat das mit meinem hyperaktiven Projektleiter zu tun? “ „Ganz einfach“, fällt ihm Ehrlich ins Wort. „Dein Projektleiter versucht ständig, seine Sicht der Dinge durchzusetzen, ohne auf sein Umfeld zu achten. Es ist wie eine Maschine, die aus dem Takt geraten ist. Er und sein Umfeld sind nicht mehr synchron, nur dass das Letztere stärker ist und dein Projektleiter so nichts mehr bewirkt. Er wird gewissermaßen stets auf sein unzulängliches Handeln hingewiesen und wehrt sich dagegen. Deswegen wirkt er so aktiv, ohne etwas zu bewegen.“ Priesberg überlegt: „Ich glaube, du hast wieder einmal mein Weltbild durcheinandergebracht. Projektleiter und Führungskräfte sind nicht mehr ‚oben‘, sondern schwächer als ihre Umgebung? Dann haben sie überhaupt keine Macht.“ „Doch, natürlich: Wenn ein Projekt initiiert wird, dann kann der Projektleiter das Team aufsetzen, sich die Unterstützung des Managements einholen, einschließlich für zukünftige Durststrecken. Das erfordert Achtsamkeit gegenüber dem Management. Aber sobald das Projekt startet, ist diese Umgebung erst mal fest und entwickelt ihre eigene Dynamik. In dieser Phase wird der Projektleiter geführt und sollte sich auf das Spiel der Kräfte einlassen. Und wenn eine Projektlösung individuelle Funktionalitäten bietet, werden diese auch ausgeschöpft. Hier sollte nicht eingegriffen werden, insbesondere wenn diese Funktionen gewollt sind. In dieser Phase sollte der Projektleiter seine Benutzer in Richtung der Möglichkeiten des IT-Systems lenken - mit einer dazu passenden Governance -, und das erfordert wiederum Achtsamkeit gegenüber den Benutzern“, führt Ehrlich aus. Priesberg überlegt: „Also ist es wie bei deinem Plattenwechsler: Sobald man auf den Startknopf gedrückt hat, läuft alles nach dem freien Spiel der Kräfte ab. Ein Eingreifen würde die Musikwiedergabe nur verschlechtern. Macht hat ein Projektleiter also nur in ganz bestimmten Phasen.“ Ehrlich grinst: „Vielleicht sollte dein Projektleiter zu mir kommen und ein paar Schallplatten abspielen sehen. Dann ist er mehr als entspannt: Das Denken tritt in den Hintergrund, und die Sinne öffnen sich für die Dinge, denen man ausgesetzt ist.“ Autor Dr. Jens Köhler ist bei der BASF SE beschäftigt. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Steuerung über Soft Skills und Kommunikationsprozesse. Anschrift: BASF SE, GB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com Projektgeschichten und Fallstudien Führung und Achtsamkeit - Ein Widerspruch? autor: Jens Köhler Anzeige Projektmanagement. Prozessorientiert. Durchdachte Prozesse geben in den Unternehmen die Abläufe vor. So werden zielsicherer Projektabwicklung im gesamten Projektportfolio. CONTACT Hannover | 22.09. Stuttgart | 28.10. Jetzt kostenlos anmelden! PM-aktuell_4-2016_Inhalt_01-88.indd 67 12.08.2016 10: 31: 42 Uhr
