PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektmanagement zwischen Veränderungsdruck und Widerständen
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Daniela Weigel
Für einen Markttest im Bereich Wundmanagement wurde von einem Medizinprodukteunternehmen eine reine Projektorganisation ausgewählt. Dabei entstanden verschiedene Paradoxien bereits bei der Zielplanung, beim Personaleinsatz wie auch während der Umsetzungsphase. Ablehnung und Widerstände seitens der Linienorganisation erzeugten gruppendynamische Prozesse im Projektteam. Aus dem Projekt lassen sich veränderte Anforderungen an Führungskräfte in Projekten wie auch wichtige Erkenntnisse für die spätere Anschlussfähigkeit von Projektergebnissen an die Gesamtorganisation aufzeigen.
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projektManagementaktuell | ausgabe 5.2016 42 erfahrung Unternehmen müssen sich immer mehr einer schnelllebigen Umwelt anpassen, um mit steigendem Preisdruck, einem immer härteren Kampf um Kunden und jährlich neu auf den Markt tretenden Konkurrenten fertig zu werden. Die Dynamik der Umwelt zwingt viele Unternehmen zu schnelleren Prozessabläufen und Entscheidungen, um den Anschluss an das Marktgeschehen nicht zu verlieren. In einem Unternehmen für Medizinprodukte wurde hierzu eine Verkaufsbzw. Vermarktungsstrategie getestet, um einen Wettbewerbsvorsprung zu generieren. Für den Markttest von veränderten Vertriebs- und Marketingstrukturen wurde hier die Abwicklung in Form von Projektmanagement gewählt, um Prozesse und Probleme schnellstmöglich in den Fokus eines Change Managements zu rücken. Dabei entstanden Reaktionen seitens der Organisation in Bezug auf die Projektgruppe, welche auf der Basis der Systemtheorie näher beleuchtet werden. Denn im Sinne der Systemabwehr haben soziale Systeme im Allgemeinen eine bestimmte Veränderungsresistenz, da diese tendenziell für die Ewigkeit gebaut sind und einen beträchtlichen Teil ihres Energieeinsatzes für die eigens entwickelte Kultur, Individualität und ihre verschiedenen Erscheinungsformen aufwenden [3, S. 3]. 1 Der Bedarf an einfachen Konzepten im Markt Die bestehende hierarchische und bürokratischfunktionale Arbeitsorganisation ist gerade in großen Organisationen oftmals untätig und zu schwerfällig, um mit der geforderten Schnelligkeit der Marktmechanismen umzugehen. Projektmanagement ist daher mehr als ein Instrument, vielmehr kann es als Bewältigungsform einer universellen Krise unserer bisher entwickelten hierarchischen Arbeits- und Problemlösungsorganisation verstanden werden [3, S. 3]. Dabei werden im Projektmanagement die Fähigkeiten eines Unternehmens über alle Hierarchien gebündelt, um schnellstmöglich erfolgreiche Strategien im Umgang mit neuen Herausforderungen zu entwickeln. Im Markttest eines Medizinprodukteherstellers brachte die Paarung von Innovation und Change Management im Rahmen eines Vorstandswechsels zusätzliche spannende Dynamiken und Reaktionen der Organisationsmitglieder mit sich, denn „Projektmanagement deckt die Schwächen unserer bestehenden hierarchischen und bürokratisch-funktionalen Arbeitsorganisation auf“ [3, S. 2]. Für die Planung des Projektes „Markenbildung im Gesundheitswesen“ wurde auf der Basis von Marktdaten und Marktforschungsuntersuchungen das Verordnungsverhalten von Ärzten sowie deren Einstellung zu den Produkten in diesem Marktsegment analysiert. Ein Ergebnis zeigte die oft fehlerhafte Zuordnung von Markennamen, Herstellern der Präparate und tatsächlichen Namen der Präparate. Bei einem Volumen von bis zu 60 Patienten pro Tag in der hausärztlichen Praxis und einer Fülle von Präparaten auf dem Markt ist es leicht nachzuvollziehen, dass einfach zu merkende Produktnamen öfter verordnet werden. Dies bestätigen auch eigene Marktbeobachtungen, die belegen, dass etablierte Markennamen zu einem nachhaltigen Wachstum über Jahre führen. Schnell wurde klar, dass das Unternehmen eine eigene Markenbildung im Bereich „Moderne Wundversorgung“ aufbauen musste. Ausgehend von der Kundenperspektive erkannte das Unternehmen die Chance zur Entwicklung eines einfachen und wirksamen Konzepts, ähnlich einem Standard in der Medikamentenversorgung. Im Sinne eines Brand Marketings wurden Werbematerialien mit Fokussierung auf den Markennamen und die Markenattribute entwickelt und entsprechende Verkaufstrainings mit einem neuen Wording durchgeführt. Die reine Projektorganisation mit voller Weisungsbefugnis und Verantwortung des Projektleiters und einer eigenständigen Einheit als Vertriebsteam auf Zeit schien in Anbetracht der kurzen Projektdauer, der Zusammensetzung des Projektteams aus internen und externen Mitarbeitern sowie der vertrieblichen Komplexität die bessere Form. Schiersmann und Thiel Projektmanagement zwischen Veränderungsdruck und Widerständen autorin: Daniela Weigel >> Für eilige Leser Für einen Markttest im Bereich Wundmanagement wurde von einem Medizinprodukteunternehmen eine reine Projektorganisation ausgewählt. Dabei entstanden verschiedene Paradoxien bereits bei der Zielplanung, beim Personaleinsatz wie auch während der Umsetzungsphase. Ablehnung und Widerstände seitens der Linienorganisation erzeugten gruppendynamische Prozesse im Projektteam. Aus dem Projekt lassen sich veränderte Anforderungen an Führungskräfte in Projekten wie auch wichtige Erkenntnisse für die spätere Anschlussfähigkeit von Projektergebnissen an die Gesamtorganisation aufzeigen. PM-aktuell_5-2016_Inhalt_01-88.indd 42 11.11.2016 12: 26: 28 Uhr erfahrung 43 projektManagementaktuell | ausgabe 5.2016 tionen der Firmenleitung, die Rahmenbedingungen, die Projektleitung und die Spielregeln erläutert. Auch eine erste Ausarbeitung einer Zielformulierung wurde vorgestellt. Eine Beteiligung des Managements und von Leitungsmitarbeitern aus dem Marketing und dem Vertrieb an diesem Treffen sprach für die hohe Priorität des Projektes, aber auch für den ausdrücklichen Projektauftrag durch den Vorstand. Die Komplexität des Projektes vor dem Hintergrund einer bisher noch unklaren Unternehmensausrichtung mit dem Ziel, Schnelligkeit und Anpassung an Märkte zu erreichen, gekoppelt mit der raschen Bildung eines neuen Teams in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister lassen vermuten, wie schwierig hier eine klare Zieldefinition war. Zwack und Pannicke sprechen von einer „großen Lücke zwischen angeblicher Zweckrationalität, humanistischen Idealen, die vor allem auch im Bereich des Change Managements unermüdlich beschworen werden - und dem, was viele Mitarbeiter in ihren Organisationen tagtäglich erleben“ [8, S. 112]. Versteht man Ziele als künftig erwünschte Zustände oder Entwicklungsprozesse, dann liegt der Fokus darauf, wie etwas erreicht werden soll. Der dabei wichtige Zielbildungsprozess, bestehend aus kreativen, interaktiven Prozessen, aus einer Präzisierung der Ziele und einer Operationalisierung in einem Zielesystem, wurde in diesem Projekt nicht vom kompletten Team, sondern in der Projektfindungsphase von der Projektmanagerin und der Leitungsebene definiert. Bereits in der ersten Projekteinführungswoche spiegelten sich der Druck, der Zeitmangel sowie das unklare und teilweise widersprüchliche Zielesystem wider. Die Beziehung der Ziele untereinander war nicht geklärt - Ziele wie Markenbildung, schnelle Umsatzgenerierung, Nachhaltigkeit, schneller Zugang zu den Kunden und straffe Gebietsplanung mit individueller Reaktionsmöglichkeit auf aktuelle Patientenversorgungen standen in Konflikt zueinander. Damit verbunden war eine anfängliche Vorsicht bei den Mitarbeitern. Auch war den hauptamtlichen Mitarbeitern nicht ganz klar, warum ein externer Dienstleister eingeschaltet wurde. Ging es hier nur um die Erweiterung der Datenergebnisse oder sollte hier eine zukünftige Organisationsform in Sinne von Outsourcing getestet werden? Das Projektteam selber stellte eine neue, alternative und auch teilweise konkurrierende Sozialstruktur in der hierarchischen Organisation dar. sprechen von einer klaren Struktur zur zügigen Abwicklung, einer schnellen Reaktionsfähigkeit sowie einer hohen Identifikation der Mitarbeiter mit dem Projekt, verbunden mit einer hohen Motivation für den Prozess der Teamentwicklung [6, S. 114 f.]. Im vorliegenden Projekt standen die Zielvorgaben und die Zeitkorridore in Konkurrenz zueinander, was enormen Druck auf das Projektteam bewirkte. Neue Kundenkontakte aufzubauen, ein neues Konzept vorzustellen und für Nachhaltigkeit zu sorgen, um am Jahresende monatlich wachsende Umsatzzahlen zu generieren, schienen nicht zu bewältigende Herausforderungen zu sein. Dabei kam der Einführungsphase eines Projektes eine besondere Bedeutung zu, da hier die Weichen gestellt wurden und spätere Schwierigkeiten sich analytisch meist bis zum Start zurückverfolgen ließen. 2 Ein Projektteam zwischen Innovation und Widerständen Der Vorstands- und Managementwechsel brachte Erfolgsdruck auf das Projekt, weshalb die Testregionen von geplanten vier um weitere acht Regionen in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister erweitert wurden. In kürzester Zeit musste der externe Pharmadienstleister neue Mitarbeiter rekrutieren und schulen. Aus den vier internen Mitarbeitern und einer Verkaufsleiterin unterschiedlicher Vertriebsregionen sowie aus den acht Mitarbeitern des Outsourcing-Anbieters sollte schnellstmöglich ein funktionierendes Team entstehen. Um Widerständen gegen Änderungen und Befürchtungen einer Verschlechterung der bisherigen Arbeitsweise entgegenzuwirken, wurden beide Teams vor Projektstart in einem zweitägigen Kick-off-Meeting mit den neuen Aufgaben und Zielen vertraut gemacht. Im Zentrum standen hier erste Gruppenbildungsprozesse wie Norming und Forming, die durchzuführen waren, da die internen Mitarbeiter aus verschiedenen Teams und die Mitarbeiter des externen Dienstleisters sich gegenseitig noch nicht kannten. Die Teamentwicklung wurde von einer externen Agentur für Erwachsenen- und Teambildung unterstützt und umfasste ein Outdoor-Training mit weiteren gemeinsamen, teambildenden Maßnahmen. Neben dieser Teambildung standen in diesen Tagen weitere Ziele des Workshops im Vordergrund, wie das Erreichen eines gemeinsamen Informationsstandes. Es wurden die Inten- Training ibo Beratung und Training GmbH Im Westpark 8 | D-35435 Wettenberg T: +49 641 98210-300 F: +49 641 98210-500 training@ibo.de | www.ibo.de Beratung | Software | Training | Verlag Weiterbildung für Projektmitarbeiter Kompakt, agil, pragmatisch • Agile Methoden integriert • Strukturelle und kulturelle Themen verknüpft • Abgestimmte Inhalte über alle Module • Orientiert an internationalen Standards • Optimaler Praxistransfer Projektmanagement-Fachmann/ frau 2 Module x 2 Tage 13. - 16.03.2017, Hamburg 15. - 18.05.2017, Berlin 03. - 06.07.2017, München 04. - 07.09. 2017, Bad Nauheim 20. - 23.11.2017, Stuttgart Agiles Projektmanagement Für Projektmitarbeiter und Projektleiter 08.05. - 09.05.2017 Marburg/ Lahn www.ibo.de/ projektmanagement-seminare aktuell & praxiserprobt Beratung & Buchung Telefon 0641 98210-300 Anzeige PM-aktuell_5-2016_Inhalt_01-88.indd 43 11.11.2016 12: 26: 29 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 5.2016 44 erfahrung management und Hierarchie, die innere Organisation des Projektmanagements selber sowie die Mechanismen und Gruppenprozesse innerhalb der Projektgruppe und die Beziehungen zu anderen Gruppen der Organisation von elementarer Bedeutung. „Klare Organisation hält den Projektgruppen den Rücken frei. Projektmanagement kann nicht funktionieren, wenn es nicht auf gut arbeitende Gruppen als Grundelemente zurückgreifen kann“ [3, S. 29]. Die neue Vertriebsweise konzentrierte sich auf die Spezialisierung von nur wenigen Produkten und die Vernachlässigung des restlichen Sortiments, bis hin zur Betreuung von vorselektierten Kunden und Routen mit der täglichen Vorgabe einer erhöhten Kundenkontaktzahl. Aufgrund der hohen Aufmerksamkeit der Organisation gegenüber dem Projekt wurden solche ersten Eindrücke von den Vertriebsmitarbeitern außerhalb des Teams besonders kritisch beobachtet und heruntergespielt, um noch stärker an bisher üblichen Routinen festzuhalten. Es kam zu persönlichen Angriffen, da die Projektteilnehmer ihre bisherigen Kunden nicht mehr betreuen konnten und somit vermeintlich Mehrarbeit für die alten Teamkollegen entstand. Zusätzlich konnten die Projektmitarbeiter nicht mehr aktiv mit dem gesamten Sortiment unterwegs sein, wodurch ihnen angebliche Umsatzverluste angelastet wurden, die das gesamte alte Team belasten würden. Trotz aller Widerstände und negativen Bewertungen der neuen Arbeitsweise durch Nichtprojektteilnehmer konnten die angestrebten Umsatzziele vom Projektteam erzielt und die neue Arbeitsweise mit einem komplett neuen Markenauftritt erfolgreich umgesetzt werden. Der notwendige Raum für Reflexion und Änderungen in den Arbeitspaketen machten Nachjustierungen bei den Werbematerialien und bei der Vertriebsweise möglich, sodass nach Projektende lediglich die weiterentwickelte Vertriebskampagne auf die restliche Organisation übertragen werden musste. Diese Herausforderung an sich stellte einen weiteren Change-Prozess dar, denn Mitarbeiter, die gegen das Projektteam Widerstand aufgebaut hatten, mussten letztlich ihre Vorurteile abbauen und gemeinsam den Erfolg des Projektteams in ihre Regionen tragen. 3 Herausforderungen für Führungskräfte im Projektmanagement Gerade vor dem Hintergrund einer Zusammenarbeit von internen und externen Mitarbeitern sich eindeutig, dass bei neuen Projektgruppen der Prozess der Formung bzw. „Selbstfindung“ und soziale Entwicklungsprozesse zugelassen werden müssen. Die Führungsaufgaben im Projekt unterschieden sich hierbei von der Führung in der klassischen hierarchischen Organisation: Die Entwicklung von Organisationsbewusstsein, eine permanente Selbstreflexion, der Widerspruch zur Hierarchie sowie Gruppenprozesse mussten erkannt und gelenkt werden. Für ein effektives und schnelles Arbeiten in diesem Projekt wurde vom Vorstand für die Projektteams der Länder Frankreich, Österreich und Deutschland rund eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt, wobei innerhalb eines Dreivierteljahres in der Umsetzungsphase bereits ein erstes Ergebnis von Qualität generiert werden sollte. Allein diese Vorgabe und das bereitgestellte Budget zeigen bereits die hohen Erwartungshaltungen sowie den Druck und die Schnelligkeit, mit welcher gearbeitet werden musste. Aus diesem Grund wurden die Projektgruppe und deren Tätigkeit firmenweit im Intranet und per E-Mail angekündigt sowie in nationalen Vertriebstreffen offiziell vorgestellt. An Schnittstellen zur EDV sowie zum Marketing wurden entsprechende Mitarbeiter entlastet, um der Projektgruppe zuarbeiten zu können. Für ein schnelles Arbeiten im Projekt wurden zusätzlich eine externe Marketingreferentin sowie ein Gesprächstrainer zeitweise eingebunden, um fehlende Ressourcen seitens der Organisation auszugleichen. Bereits hier entwickelte sich eine erste Konfliktsituation im Sinne eines Verteilungskonfliktes zwischen dem Projektteam und der restlichen Organisationseinheit. Nichtprojektmitarbeiter empfanden das Projektbudget als eine Verschwendung von Geldern und als ungerechte Ressourcenverteilung. Dabei waren in dieser Konfliktsituation verschiedene Motive zu finden, wie das Sichern von Macht, finanzielle Gründe, das Bestreben, die eigene Karriere anzustoßen, oder auch die Absicht, die eigenen Sozialkontakte in der Firma zu sichern. Gerade bei Verteilungskonflikten in Betrieben, wenn es um Machtverlagerung oder die Auswirkungen einer neuen Organisationsform geht, muss die gerechte Verteilung unter sich ändernden Bedingungen immer wieder hergestellt werden, was nicht ohne Konflikte ablaufen wird [1, S. 42 f.]. Bei Verteilungskonflikten kommt es daher zu einem ausgeprägten Wettbewerbsverhalten. Für eine organisatorische Integration des Projektes waren dadurch das Verhältnis von Projekt- Dass bestehende Systeme wie die bisherige Organisationsstruktur auf schwere Eingriffe in das Organisationsleben mit Systemabwehr reagieren, ist im Sinne der Systemtheorie von Niklas Luhmann ein bekanntes Phänomen. Gerade bei der Auswahl von Projektmitarbeitern spielten Neid und Eifersucht der bisherigen Kollegen eine Rolle, vor allem wenn Projektmitarbeiter im neuen Team mögliche neue und vermeintlich „höhere“ Positionen einnahmen, die entgegen der hierarchischen Karriereleiter vergeben wurden [3, S. 16]. Die sozial- und organisationspsychologische Seite darf dabei nicht unterschätzt werden. Gerade im vorliegenden Projekt wurden sehr erfolgreiche Außendienstmitarbeiter ausgewählt, die offen für Neuerungen und kreative Lösungen waren. Bereits vor diesem Hintergrund wurde das Projekt noch vor Beginn von den restlichen Kollegen als vermeintliche „Eintagsfliege“ heruntergespielt. Hinzu kam, dass die vier firmeninternen Mitarbeiter ebenso wie die Projektleiterin als ehemalige Verkaufsleiterin für die Zeit des Projektes aus den bisherigen alten Teams „herausgerissen“ wurden. Aus systemischer Betrachtung arbeitete dieses neue Projektteam systemisch geschlossen, sprich autonom von seinen bisherigen Teams, war aber über die System-/ Umwelt-Grenze mit der Umwelt lose gekoppelt und umweltoffen [1, S. 59 f.]. Im Projekt sind demnach über informelle Kontakte und Gespräche bereits erste Eindrücke und neue Arbeitsweisen des Projektteams in die alten Teams getragen worden. Es kam zu Anfeindungen unter den Projektmitarbeitern, sodass gemeinsam mit der Projektleiterin eine Reflexionsschleife eingebaut wurde. Es stellte sich ein strategisches Nachdenken und Hinterfragen ein, sodass über die eigene Systemabwehr kritisch nachgedacht wurde. Beide Gruppen (Projektgruppe und die restliche Organisation) waren damals nicht aufeinander angewiesen, weshalb das System der Projektgruppe die Umwelt neu definierte und somit nur für sie relevante Informationen in das Projekt einfließen ließ. Die informellen Kontakte zu den alten Teamkollegen wurden auf private Kontakte reduziert. Es wurden keine Projektinformationen mehr nach außen gegeben. Somit konnte die Projektgruppe Unsicherheiten reduzieren und sich Raum und Zeit für die eigentliche Projektarbeit schaffen. Diese bewusste zeitliche Veränderung des Informationsflusses und die Abgrenzung von den ehemaligen, „alten“ Teamkollegen ließen das Projektteam enger zusammenwachsen. Hier zeigte Anzeige PM-aktuell_5-2016_Inhalt_01-88.indd 44 11.11.2016 12: 26: 29 Uhr erfahrung 45 projektManagementaktuell | ausgabe 5.2016 nen Projekten ist es daher für die Projektteilnehmer häufig schwer, in ihre alten Teams zurückzukehren, gerade wenn die Arbeitsatmosphäre im Projektteam besonders kommunikativ-förderlich war und von den alten Teams globale Kritik und unerwartetes Misstrauen geäußert wurden. Es sind gerade diese Paradoxien, die einen Organisationswiderspruch entstehen lassen, wenn man ein gut arbeitendes Projektmanagement mit der alten hierarchischen Organisation verbinden möchte. Gerade die Mehrfachzugehörigkeit und Mehrfachloyalität der Projektmitarbeiter birgt emotionale und sozialstrukturelle Probleme. Obgleich sich der Mitarbeiter für den Projektzeitraum im Projekt befindet, ist er doch in seinem „alten“ Team beheimatet, wobei die Gruppe eifersüchtig das Fremdgehen des Mitglieds begutachtet [4, S. 49]. Führungskräfte müssen sich selber wie auch ihre Mitarbeiter reflexiv beobachten, denn im Sinne der systemischen Führung geht es um das Lernen vom System. Ein strenges Einhalten von Projektzielen und Vorgaben muss daher immer wieder überprüft und bei Bedarf entsprechend angepasst werden. Führung muss daher darauf abzielen, Feedback- Schleifen und einen Abgleich der eigenen und betrieblichen Sichtweisen zuzulassen, damit Projektmitarbeiter Bedenken, Sachargumente und Anregungen noch vor der eigentlichen Zielsetzung eruieren und gegenüber der Leitungsebene geltend machen können [5, S. 25]. Letztlich blieb bei den vier internen Vertriebsmitarbeitern die Wahrnehmung eines Widerspruchs, ein diffuses Gefühl, dass die Erklärung, warum ein externer Dienstleister eingesetzt wird, nicht in Ordnung sei. Westermayer und Stein verweisen hier auf die Leitlinien von Ed Nevis, der von „Awareness“ spricht als „Reflexion dessen, was genau der Widerspruch eigentlich ist, worin das irritierende Gefühl begründet ist“ [7, S. 91 f.]. Es geht hier um ein klares Bewusstsein über das gesamte Problemfeld. In welche Richtung kann und soll sich das Projekt entwickeln? Ohne dieses Bewusstsein kann nach Ed Nevis keine Energie mobilisiert und weitere Maßnahmen können nicht richtig durchgeführt werden. Gerade bei konkurrierenden Zielen ist es erforderlich, Präferenzen zu definieren sowie Haupt- und Nebenziele zu gliedern. Kühl, Matthiesen und Schnelle sprechen sich jedoch bei komplexen Projekten für die Akzeptanz von Planabweichungen als Anlass zur Nachbesserung der Ziele aus. „Je undurchsichtiger das Problem, desto häufiger müssen die Beteiligten bei einem logisch-linearen Planungsprozess zurückspringen und Ziele modifizieren“ [4, S. 69]. Die Planungssystematik mit ihren nacheinander ablaufenden Phasen verliert dabei an Linearität und erfordert einen kontinuierlichen Projektprozess. „Der Systemwiderstand des alten Systems äußert sich auch darin, dass Ergebnisse einer neuen Organisation mit besonderer Kritik und Skepsis betrachtet werden“ [4, S. 48]. Bei gut gelungekam der Gestaltung der Teamentwicklung, also der Entwicklung von einer Arbeitsgruppe zu einem wirklichen Team, eine besondere Leitungs- und Führungsaufgabe zu. Projektmanagement umfasst demnach weit mehr als die Planung und Kontrolle von Projektterminen und Budgets. Es muss sich vor allem mit den psychosozialen Prozessen von Teamarbeit wie auch mit der Bewältigung von Konflikten auseinandersetzen. Die Entwicklung eines in sich kooperativen wie auch kompetitiven Teams, verbunden mit dem Umgang mit Widerständen und mit der Anschlussfähigkeit des Projektes an etablierte und fest verankerte Strukturen, stellt dabei besondere Anforderungen an Führung und Management. Gerade beim Einsatz eines externen Dienstleisters in Zusammenarbeit mit langjährigen Mitarbeitern des Auftraggebers besteht die Gefahr, dass diese Mitarbeiter anfangs in Wettbewerb zueinander stehen und sich Formen eines sozialen Konfliktes entwickeln. Jedem Mitarbeiter im Vertrieb ist das klar. Im Rahmen von Change Management und Veränderungsprozessen haben die Ergebnisse solcher Projekte natürlich auch Einfluss auf die weitere Arbeitsstruktur der restlichen Organisation. Dass dies Unruhen und Ängste bei den Mitarbeitern außerhalb des Projektes auslöst, muss dabei von Führungskräften und Management ernst genommen werden. Anzeige PM-aktuell_5-2016_Inhalt_01-88.indd 45 11.11.2016 12: 26: 30 Uhr projektManagementaktuell | ausgabe 5.2016 46 erfahrung [6] Schiersmann, C./ Thiel, H.: Projektmanagement als organisationales Lernen. Ein Studien- und Werkbuch (nicht nur) für den Bildungs- und Sozialbereich. Opladen 2000 [7] Stein, B./ Westermayer, G.: Die Notwendigkeit der Entwicklung von Lernkulturen in Zeiten rasanten Wandels. In: Busch, R. (Hrsg.): Change Management und Unternehmenskultur, Konzepte in der Praxis. München und Mehringen 2000, S. 84-101 [8] Zwack, J./ Pannicke, D.: Surviving the Organisation. Einige Landkarten zur Navigation im ganz normalen organisationalen Wahnsinn. In: Schreyögg, A./ Schmidt-Lellek, C., (Hrsg.): Die Organisation in Supervision und Coaching. Wiesbaden 2009, S. 111-125 Schlagwörter Change Management, gruppendynamische Prozesse, Paradoxien, soziale Systeme, Umgang mit Widerständen Elemente der ICB 4.0 2.01 Selbstreflexion und Selbstmanagement, 2.06 Teamarbeit, 3.13 Change und Transformation Autorin Daniela Weigel ist Diplom Pflege- und Gesundheitswirtin und hat einen Master of Arts in „Management and Leadership“. Sie ist als Fachberaterin Wundmanagement in der Pharmaindustrie tätig. Anschrift: E-Mail: Daniela_Weigel@web.de der Gruppe und des Projektes, wie auch einer Reflexion der bisherigen Unternehmens- und Arbeitskultur, um mögliche Anschlusspunkte des Projektes an die Organisation zu erkennen. Ein wichtiger Punkt ist dabei der Umgang mit Unsicherheiten, was nach der Systemtheorie eine der Hauptaufgaben von Systemen darstellt. Mitarbeiter müssen in Wandelprozessen wahrgenommene Irrationalitäten weniger persönlich nehmen. Gerade bei diesen ständigen Prozessen führen Ereignisse und Vorgehensweisen der Geschäftsführung zu Unsicherheiten, die durch das System wiederum reduziert werden [8, S. 116]. Widersprüchlichkeit wird zum Normalfall und Eindeutigkeit kann nicht erreicht werden, weshalb eine Befreiung von Paradoxien, also eine bewusste Disidentifikation den notwendigen Abstand schafft, von dem aus wieder entschieden und gewählt werden kann [8, S. 118]. Es empfiehlt sich gerade in Change-Prozessen und Phasen des Projektes eine verstärkte Zuwendung zu Familie und Freunden, um das Engagement gegenüber der Firma und die eigene Selbstfürsorge gut auszubalancieren. Literatur [1] Berghaus, M.: Luhmann leicht gemacht. Köln, Weimar, Wien 2004 [2] Heimerl, P./ Sichler, R.: Strategie, Organisation, Personal, Führung. Stuttgart 2012 [3] Heintel, P./ Krainz, E. E.: Projektmanagement, Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? Wiesbaden 1988 [4] Kühl, S./ Matthiesen, K./ Schnelle, T.: Raus aus der Routine. In: Harvard Business Manager, Projektmanagement, Projekte richtig planen und steuern, 2011, Edition 3, S. 60-69 [5] Rolf, A.: Das Santiago Prinzip. Führung und Personalentwicklung im lernenden Unternehmen. Köln 2000 4 Empfehlungen für den Einsatz von Projektmanagement bei Veränderungsprozessen Es folgt ein Resümee mit Erkenntnissen und Empfehlungen für andere Change Manager/ -innen - auch unter dem Motto: Was haben wir daraus gelernt oder was würden wir beim nächsten Mal anders machen? Versteht man Projektmanagement als Instrument zur Veränderung in Organisationen, so stellt die Implementierung selbst bereits eine Systemintervention dar. Projektgruppen, ihre Zusammensetzung, ihre Lebensdauer und Aufgabenstellung, ihre Konflikte mit der Hierarchie, ihre Probleme, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten, sind daher eigene Aufgaben, die in einem organisatorisch klar ausgewiesenen Projektmanagement thematisiert und bewältigt werden müssen. Gerade in diesem Projekt mussten die Projektmitarbeiter mit Widersprüchen leben, weshalb ständig ambivalente Gefühle aktiviert wurden. Dabei macht die Selbstreflexion nicht nur eine Reflexion der Organisationsabläufe, sondern vor allem auch der Gefühle und Widerstände notwendig [5, S. 60]. Im Rahmen der Selbstbeobachtung spielen Variation und Modifikation von Kognitionen, Emotionen, Motivationslagen und Handlungstendenzen eine wesentliche Rolle. „Wer Selbstbeobachtung beherrscht und einsetzt, kann sein Verhalten auch für die Zielerreichung weniger günstiger Situationen besser kontrollieren und entsprechend reagieren“ [2, S. 469]. Für Führungskräfte bedeuten selbstorganisierende Prozesse jedoch auch eine begrenzte zielgerichtete Gestaltbarkeit der Organisation [2, S. 178]. Zur organisatorischen Integration des vorliegenden Projektes bedarf es daher eines bewussten Umgangs mit den Prozessen innerhalb Haftungsausschluss Die Inhalte dieser Zeitschrift werden von Verlag, Herausgeber und Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet und zusammengestellt. Eine rechtliche Gewähr für die Richtigkeit der einzelnen Angaben kann jedoch nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für die Websites, auf die verwiesen wird. Es wird betont, dass wir keinerlei Einfluss auf die Inhalte und Formulierungen dieser Seiten haben und auch keine Verantwortung für sie übernehmen. Grundsätzlich gelten die Wortlaute der Gesetzestexte und Richtlinien sowie die einschlägige Rechtsprechung. PM-aktuell_5-2016_Inhalt_01-88.indd 46 11.11.2016 12: 26: 31 Uhr