eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 28/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2017
281 Gesellschaft für Projektmanagement

Führung in Bauprojekten

11
2017
Martin Rost
Rafaela Kraus
Nicole Graiss
Christoph Ehrhardt
Die aktuelle Forschung und die Zertifikatslehrgänge zum Projektmanagement (z. B. der GPM) lassen erkennen, dass den „weichen“ Faktoren im Projektmanagement immer mehr Beachtung geschenkt wird. Daher ist es verwunderlich, dass die Führung in den komplexen Projekten der Baubranche bislang kaum untersucht wurde, obwohl der Erfolg eines Bauprojektes entscheidend davon abhängt, wie die großen und äußerst heterogenen Teams geführt werden. In einer Studie von Graiss [1] wurden Interviews zum partizipativen Führen mit Experten für Bauprojekte inhaltsanalytisch ausgewertet. Hier erfahren Sie, welche Verhaltensweisen einen angemessenen und erfolgreichen Führungsstil im Bauprojektmanagement auszeichnen und erhalten konkrete Empfehlungen für die Steuerung Ihrer Projekte.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 34 WISSEN kann, da sich zum Beispiel die Führungssituationen mit Fortschreiten des Projektes verändern. Transaktionales und transformationales Führen müssen sich ergänzen Gute Führung besteht laut herrschender Lehrmeinung aus einer Kombination transaktionaler und transformationaler Verhaltensweisen [2]. Transaktionale Führung basiert auf dem Austauschprinzip und sichert die „Normalleistung“. Das Team erhält klare Ziele, erfüllt die vereinbarten Aufgaben und zeigt Engagement. Im Gegenzug gibt die Projektleitung Feedback, belohnt gute Leistungen mit Unterstützung und (evtl. auch monetärer) Anerkennung. Bei der transformationalen Führung hingegen geht es nicht um Geben und Nehmen, sondern um eine Transformation des Teams bzw. seiner einzelnen Mitglieder. Deren Werte und Einstellungen werden durch die Projektleitung so positiv beeinflusst, dass die Teammitglieder, ohne ständig Kosten und Nutzen zu bilanzieren, bereit sind, sich für das Projekt überdurchschnittlich zu engagieren und einzusetzen. Dazu müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: • Das Team vertraut der Projektleitung, sieht sie als Vorbild an, respektiert und bewundert sie. • Die Projektleitung gibt anspruchsvolle Ziele vor und schafft es, das Team für diese Ziele zu begeistern. Sie stärkt den Teamgeist und verbreitet Optimismus. • Die Projektleitung stellt Routinen, Gewohnheiten und Erwartungen infrage und ermuntert das Team, selbständig innovative Problemlösungen zu finden. • Die Projektleitung widmet sich individuell den Teammitgliedern, vermittelt ihnen Wertschätzung und entwickelt ihre Fähigkeiten und Stärken. An dieser Aufzählung wird einerseits deutlich, aushalten können muss. Da Projektleitungen verhältnismäßig wenig Belohnungs-, Bestrafungs- und funktionale Macht besitzen, ist ihre Reputation von größter Bedeutung, da sie dazu beiträgt, die Akzeptanz wichtiger Stakeholder und das Commitment des Teams zu sichern. Als Vorbild beeinflusst die Bauprojektleitung das Verhalten ihres Teams. Dennoch ist es fraglich, ob es in Bauprojekten einen „idealen Führungsstil“ oder eine „ideale Führungspersönlichkeit“ geben Termin- und Kostenüberschreitungen sowie technische Probleme sind bei großen Bauvorhaben an der Tagesordnung, zu trauriger Berühmtheit gelangten Beispiele wie der Berliner Flughafen und die Elbphilharmonie in Hamburg. Das Risiko eines Scheiterns ist bei Bauprojekten besonders groß, nicht nur aufgrund der Neuartigkeit und Komplexität der Aufgabe, auch der Zeitdruck ist enorm. Kosten werden oft absichtlich zu optimistisch geplant, alles soll „im ersten Anlauf“ geschafft werden und es gilt, die Interessen einer Vielzahl von - oft auch politischen - Stakeholdern zu wahren. Bauprojekte stellen daher an ihre Führung besonders hohe Anforderungen. Generelle Anforderung an die Führung von Bauprojekten Ein Bauprojekt kann als komplexer Personalmanagement- und Führungsprozess aufgefasst werden, bei dem es darum geht, verschiedene Gruppen von Individuen aus unterschiedlichen Disziplinen und Organisationen dazu zu bringen, gemeinsam Projektziele in einer bestimmten Zeit zu erreichen. Dafür brauchen Leitungen von Bauprojekten nicht nur das Fach- und Erfahrungswissen, um große Teams aus Spezialisten zu koordinieren und Beziehungen aufzubauen. Die vielen ineinander verwobenen, parallelen Prozesse bedeuten einen immensen Kommunikationsaufwand und erfordern entsprechende Skills. Die Projektleitungen müssen einerseits Verantwortung für das Projekt übernehmen und dabei anderseits ihre eigenen Grenzen kennen. Dies bedeutet auch, dass sie ihrem Team Vertrauen schenken, es in Entscheidungsprozesse einbeziehen und konstruktiv Feedback geben müssen. Gerade komplexe Bauprojekte erfordern zudem eine hohe Ambiguitätstoleranz, d. h. dass die Projektleitung Unklarheiten und Unsicherheit Partizipation als Erfolgsrezept für jede Situation? Führung in Bauprojekten Autoren: Martin Rost, Rafaela Kraus, Nicole Graiss, Christoph Ehrhardt >> Für eilige Leser Die aktuelle Forschung und die Zertifikatslehrgänge zum Projektmanagement (z. B. der GPM) lassen erkennen, dass den „weichen“ Faktoren im Projektmanagement immer mehr Beachtung geschenkt wird. Daher ist es verwunderlich, dass die Führung in den komplexen Projekten der Baubranche bislang kaum untersucht wurde, obwohl der Erfolg eines Bauprojektes entscheidend davon abhängt, wie die großen und äußerst heterogenen Teams geführt werden. In einer Studie von Graiss [1] wurden Interviews zum partizipativen Führen mit Experten für Bauprojekte inhaltsanalytisch ausgewertet. Hier erfahren Sie, welche Verhaltensweisen einen angemessenen und erfolgreichen Führungsstil im Bauprojektmanagement auszeichnen und erhalten konkrete Empfehlungen für die Steuerung Ihrer Projekte. WISSEN 35 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 zu selbstständigem Handeln ermutigt werden [7]. Gleichzeitig werden verbindliche und für alle geltende Entscheidungen sowie die Erfolgskontrolle durch die Führungskraft sichergestellt. Ein Zusammenhang zwischen partizipativer Führung und der Motivation, der Arbeitszufriedenheit und der Bindung der Mitarbeiter sowie damit verbundene Leistungssteigerungen konnten nicht nur in zahlreichen Studien nachgewiesen werden [8, 9], Partizipation der Mitarbeitenden entspricht auch der heutigen Vorstellung, wie in Organisationen zusammengearbeitet werden sollte. Man geht davon aus, dass das Kreativitätspotenzial von Teams steigt, wenn Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und die Mitarbeiter ihre Ideen einbringen und diskutieren können [10]. Wenngleich das Einbeziehen der Mitarbeiter die Entscheidungsgeschwindigkeit senkt und sich die Führungsforschung weitgehend einig ist, dass es den einen idealen Führungsstil nicht gibt, könnte partizipative Führung aufgrund der genannten Vorteile als ideal für Bauprojekte angesehen werden. Warum ist hier ein hohes Maß an Partizipation sinnvoll? Die Teams bestehen aus Spezialisten, die in ihren jeweiligen Gebieten meist mehr Erfahrung und Fachkompetenz besitzen als die Projektleitung. Ein partizipatives Vorgehen erhöht Man kann unschwer erkennen, dass in allen Phasen sowohl transaktionales als auch transformationales Führen wichtig ist. Dennoch gibt es auch situativ sehr unterschiedliche Anforderungen, wie zum Beispiel eine Schwerpunktsetzung beim Aufgreifen von Ideen zu Beginn und beim Kontrollieren des Fortschritts in der Umsetzungsphase. Wie viel Partizipation ist richtig? Comelli und von Rosenstiel [5, S. 85] verstehen unter Führung eine „zielbezogene Einflussnahme auf arbeitende Menschen“. Dabei bewegt sich das Ausmaß der Einflussnahme durch eine Führungskraft zwischen den Polen des autokratischen Führungsstils, bei dem die Führungskraft die Entscheidungen alleine trifft und eigenverantwortlichem Handeln der Mitarbeiter oder der Arbeitsgruppe, bei dem die Führungskraft bzw. die Führungskräfte vor allem den Kontext steuern und die Mitarbeiter die meisten Entscheidungen alleine treffen. Zwischen diesen beiden Polen ist der partizipative Führungsstil angesiedelt [6]. Das zentrale Merkmal des partizipativen Führungsstils ist es, dass das Team und weitere Akteure, wie zum Beispiel zentrale Stakeholder, in die Entscheidungsfindung mit einbezogen und dass transformationale Führung für Bauprojekte gerade dann unerlässlich ist, wenn zum Beispiel hoher Zeitdruck eine große Arbeitsbelastung mit sich bringt oder unvorhergesehene technische Schwierigkeiten bewältigt werden müssen. Transformationales Führen ist jedoch nicht einfach. Die Projektleitung muss nicht nur eine enorme Leistungsbereitschaft und absolute Integrität vorleben, sie muss auch eigene Interessen hintanstellen und bereit sein, Risiken mitzutragen. Transaktionales Führen ist eine Führungsmethode, bei der bestimmte Regeln umgesetzt werden, die „transaktionale Projektleitung“ hingegen muss sich das Vertrauen des Teams verdienen, sich bewähren. Aber auch die Anforderungen an das Team sind höher, es ist gefordert, selbstverantwortlicher und selbstbestimmter zu handeln. Je nach aktuellen Herausforderungen treten eher transaktionale oder transformationale Führungselemente in den Vordergrund. Typische Führungsthemen in den Phasen von Bauprojekten Die Projektphasen in Bauprojekten unterscheiden sich sehr stark. Die Theorie des situativen Führens fordert von der Führungskraft, die jeweilige Situation zu analysieren und dann zu entscheiden, wie sie führen will, also zum Beispiel, in welchem Umfang sie ihre Mitarbeiter beteiligt oder in welchem Umfang sie Kontrolle ausübt [3]. Diese sehr abstrakte Vorgehensweise hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt, wohl aber die Idee, dass in unterschiedlichen Funktionsbereichen, zum Beispiel im Vertrieb, in der F&E oder in verschiedenen Situationen, wie zum Beispiel in Krisen, unterschiedlich geführt werden sollte. Projekte in der Baubranche stellen nicht nur generell besondere und vielfältige Anforderungen an Führungskräfte und ihren Führungsstil. Auch die Führungssituation ändert sich mit der Projektphase ganz wesentlich. Während es in den ersten Phasen, wie der Planung, darum geht, möglichst kreative neuartige Ideen mit den vielfältigen Anforderungen der Stakeholder zusammenzuführen, steht in späteren Phasen die effiziente Umsetzung der Planung im Vordergrund. Neuartige Ideen sind nur noch zur Bewältigung unvorhergesehener Probleme notwendig. Typischerweise stellen sich in den einzelnen Phasen des Projektmanagements (nach DIN 69901) folgende Herausforderungen für die Führung (Tab. 1). PM-Phase Führungsanforderungen Initialisierung • Ideen aufgreifen • das Team an deren Bewertung beteiligen • „Lessons learned“ aus früheren Projekten aufgreifen Definition • ein Kernteam bilden • das Team an der Analyse und Bewertung von Entscheidungsalternativen beteiligen • Konsens und Commitment sichern Planung • Klärung: Wer macht was, wann, wie? • das Team an der Planung beteiligen • Konsens und Commitment des Teams sichern Steuerung • das Team motivieren und das Commitment sichern • Teambildung und -entwicklung • Umsetzung von Plänen: delegieren/ beteiligen • Zielfortschritte kontrollieren • Unterstützen Abschluss • eine Abschlussbesprechung durchführen • Leistungen würdigen, Dank an das Team und die einzelnen Mitglieder • individuelles Feedback geben Tab. 1: Typische Führungsaufgaben in den Phasen des Projektmanagements [4] projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 36 WISSEN nischen Anforderungen, nach Ansicht der Interviewpartner entstehen die meisten großen Herausforderungen und Probleme bei Bauprojekten jedoch in der Regel durch Probleme im zwischenmenschlichen Bereich bzw. Führungsprobleme: „The high number of undesirable developments in construction projects can quite possibly be assigned to the lack of leadership. Yes, the mind is missing.“ Eine Ursache dafür ist gemäß den Befragten die Tatsache, dass Bauprojektleiter meist einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund haben und zu wenig Wissen und Verständnis darüber vorhanden sei, was gute Führung eigentlich bedeute. Diese ist laut der Studie von Graiss [1] von enormer Bedeutung für das Erreichen der Projektziele: „The better you lead, the more target-oriented you move forward.“ Wie sollte „angemessene“ Führung im Bauprojektmanagement aussehen? Aus den Aussagen der befragten Experten kann abgeleitet werden, dass Partizipation der Mitarbeiter und weiterer Stakeholder in den frühen Phasen der Projektplanung einen sehr starken positiven Effekt auf den Projekterfolg hat. In diesen trägt ein hoher Partizipationsgrad offenbar wesentlich zum Projekterfolg bei und vermeidet Folgeprobleme in späteren Phasen. In der Umsetzungsphase des Projektes kann ein zu hohes Maß an Partizipation aber auch hinderlich Je mehr Fragen die Projektleitung mit Ja beantwortet, desto wichtiger wird ein partizipatives Vorgehen. Dies kann in einer gemeinsamen Beratung mit dem Team bestehen, aber auch eine umfassende Beteiligung bedeuten. Je mehr Fragen mit Nein beantwortet werden, desto eigenständiger kann die Projektleitung agieren, sie sollte jedoch auch prüfen, ob ihr Vorgehen mit in der Organisation verwendeten Vorgehensmodellen für das Projektmanagement im Einklang steht. Wie steht es aktuell um die Führung von Bauprojekten? Graiss [1] hat im Rahmen ihrer qualitativen Studie zur Führung in Bauprojekten Experteninterviews mit Projektmanagern im Bausektor geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Alle befragten Experten hatten mindestens 15 Jahre Erfahrung im Management großangelegter Bauprojekte. Graiss befragte die Experten u. a. zur Bedeutung von Führungskompetenzen im Bauprojektmanagement, zum Einfluss von Führung auf den Projekterfolg und zum Einsatz partizipativer Führung in verschiedenen Situationen und Projektphasen. „The predominant leadership style actually is the missing leadership.” Dieses Zitat aus der Expertenbefragung zeigt, dass mangelhafte oder gar fehlende Führung in Bauprojekten keine Ausnahme darstellt. Das Projektmanagement bei Bauvorhaben orientiert sich sehr stark an techdaher nicht nur die Qualität von Entscheidungen, es steigert auch deren Akzeptanz und die generelle Leistungsbereitschaft des Teams. Die Teammitglieder bekommen Gelegenheit, voneinander zu lernen, und können von ihren unterschiedlichen Erfahrungen profitieren. Trotzdem muss eine Führungskraft in ihrem Führungsverhalten immer der jeweiligen Führungssituation und den beteiligten Personen gerecht werden. So treten die positiven Effekte von Partizipation nur auf, wenn die für Partizipation notwendigen Rahmenbedingungen vorhanden sind: • Erstens sollte sich das Team Beteiligung wünschen, die Mitglieder sollten sozial kompetent sein und sich vertrauen [11]. • Zweitens sollte Teilhabe in der Organisations- oder Landeskultur positiv bewertet werden. Dies ist besonders bei internationalen Vorhaben zu berücksichtigen. • Drittens gelingt Partizipation dann am besten, wenn die Teamgröße überschaubar ist oder kleinere Teilgruppen gebildet werden können. • Und viertens spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Partizipation bedeutet ein hohes Maß persönlicher Interaktion, die zeitaufwendig ist, während mit dem Projektfortschritt der Zeitdruck steigt. In späteren Projektphasen gibt es daher immer weniger Möglichkeiten, partizipative Prozesse zuzulassen. Die Checkliste zur Situationsanalyse (Tab. 2) gibt Hinweise, welcher Partizipationsgrad in Entscheidungssituationen gewählt werden sollte (in Anlehnung an [4]). Fragen zu Situationsanalyse Ist die Entscheidung, die getroffen werden soll, für das Projekt bzw. Projektergebnis bedeutsam? Ist das Problem unstrukturiert? Ist vermutlich eine Lösungsalternative besser als eine andere? Sind mögliche Lösungsalternativen noch nicht (alle) bekannt? Fehlen der Projektleitung evtl. Informationen, um eine qualitativ hochwertige Entscheidung allein treffen zu können? Steht das Team hinter den Zielen, die durch die Problemlösung erreicht werden sollen? Ist die erfolgreiche Umsetzung der Entscheidung von der Akzeptanz der Entscheidung durch das Team abhängig? Wäre eine autoritäre Entscheidung seitens der Projektleitung für das Team inakzeptabel? Wird die gewählte Lösungsalternative vermutlich zu Konflikten im Team führen? Fehlen der Projektleitung die disziplinarischen Befugnisse, um eine autoritäre Entscheidung durchzusetzen? Tab. 2: Checkliste „Wie viel Partizipation ist sinnvoll? “ WISSEN 37 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 Abb. 1: Positive Effekte von Partizipation gehen im Projektverlauf zurück; Grafik: eigene Darstellung Anzahl Personen Projektphase hoher Partizipationsgrad niedriger Partizipationsgrad dings wird in der Studie auch deutlich, dass in den Anforderungsprofilen und Auswahlprozessen für Projektmanager in der Baubranche eine Fokussierung auf die technischen Kompetenzen zulasten anderer Kompetenzen stattfindet: „It is more important to manage and to integrate all participants and create a common spirit and unterstanding of the project.“ Die Befragten sehen in der Dominanz von Ingenieuren ohne ausreichende Führungsfähigkeiten den wesentlichen Grund für fehlende oder ungeeignete Führung im Bauprojektmanagement. Die Kompetenz- und Leadership-Forschung zeigt, dass neben Fach- und Methodenkompetenzen auch starke Ausprägungen in den Bereichen der sozialen und personalen Kompetenzen benötigt werden [12, 13]. „Leadership Skills“ wie z. B. kommunikative Fähigkeiten, Empathie oder Konfliktfähigkeit müssen Fach- und Methodenkompetenzen ergänzen, um erfolgreich in Projekten im Bausektor führen zu können [14]. Hohe Fach- und Methodenkompetenz sollte von Projektleitungen zwar weiterhin selbstverständlich als „Pflicht“ erwartet werden, ohne die Ergänzung durch Leadership Skills sind die Herausforprofil eine Führungskraft im Bauprojektmanagement verfügen sollte. Was müssen Führungskräfte im Bauprojektmanagement können? Um den Anforderungen im Bauprojektmanagement gerecht zu werden, benötigen Führungskräfte nach der Studie von Graiss [1] starke Ausprägungen in den Fach- und Methodenkompetenzen. Die Grundlage dafür legen die Projektleiter in der Regel durch ein Studium im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich (insbes. Architektur, Bauingenieurwesen etc.). Im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es keine oder kaum Projektmanager mit einem ausschließlich wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund. Fachkompetenzen werden in diesem wissens- und erfahrungsintensiven Bereich des Bauprojektmanagements als eine entscheidende Voraussetzung für den Führungserfolg gesehen: „… technical knowledge is important. People coming from the pure process side will always have difficulties, because they do not understand the needs of the other project participants.“ Allerwirken. „The leadership style has to be somehow democratic and participative. … You have to gather the information, but at a certain point you have to say: ‘Now it is enough, and we do it this way.’” Die getroffenen Entscheidungen müssen während einer Bauphase exakt umgesetzt und möglichst nicht mehr verändert werden. Der Einfluss der Mitarbeitenden ist in diesen Phasen naturgemäß geringer. Insgesamt lässt sich daraus ableiten, dass die Effektivität und Effizienz partizipativer Führung in Bauprojekten im Projektverlauf abnimmt. Darüber hinaus bestätigt die Studie von Graiss [1], dass partizipative Führung nur dann effizient ist, wenn die Gruppengröße überschaubar ist und das jeweilige Teammitglied tatsächlich etwas beitragen kann, also über die entsprechenden Kompetenzen verfügt und eine für die Aufgabenstellung im Projekt bedeutsame Rolle spielt (Abb. 1). Die für die jeweilige Projektphase angemessene Balance zwischen Partizipation und Vorgaben zu finden, stellt eine hohe Anforderung an die Führungskraft dar. Deshalb wird im folgenden Abschnitt diskutiert, über welches KompetenzprojektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 38 WISSEN Was muss ein partizipativer Projektleiter können? Flexibilität und Informationsaustausch in der Organisation fördern Informationen mit Personen auf allen Ebenen der Organisation teilen Organisatorische Hindernisse beseitigen, damit andere an der Entscheidungsfindung beteiligt werden können Diejenigen, die von den Entscheidungen am meisten betroffen sind, besonders in die Entscheidungsfindung einbeziehen Ziele gemeinsam entwickeln und einvernehmlich vereinbaren Bereit sein, Macht und Autorität mit anderen zu teilen Eher auf Überzeugung setzen und nicht auf Machtausübung Mitarbeiter ermutigen, neue Ideen zu äußern Sich über Ideen und Beiträge von anderen - auch Kritikern und Gegnern - freuen Bereit sein, die eigene Vorstellungen in Frage zu stellen Teammitgliedern die Informationen geben, die sie benötigen, um ihre Arbeit gut zu machen Teammitglieder ermächtigen, Entscheidungen zu treffen, die ihre Arbeit vereinfachen Mitarbeiter in die Lage versetzen, Probleme selbst zu lösen, anstatt ihnen zu sagen, was sie tun sollen Mitarbeiter ermutigen, ihre Stärken einzusetzen Mitarbeitern helfen, sich weiterzuentwickeln Mitarbeitern viele Möglichkeiten bieten, neue Fähigkeiten zu erlernen Tab. 3: Checkliste „Merkmale partizipativen Führens“ Fazit/ Ausblick Insgesamt bestätigt die Studie von Graiss [1], dass trotz hochentwickelter Planungs- und Qualitätsmanagement-Tools im Bauprojektmanagement, den Leadership Skills und einer entsprechenden Auswahl und Entwicklung geeigneter Führungspersönlichkeiten bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Grund dafür ist neben generellen Berührungsängsten zwischen Sozialwissenschaften und (Bau-)Ingenieurwissenschaften die traditionelle Dominanz einfach erfassbarer Projektparameter, wie sie im „magischen Dreieck“ des Projektmanagements - bestehend aus Kosten-, Zeit- und Leistungszielen - zum Ausdruck kommen. Um sich diesen nur scheinbar eindeutigen Zielen in komplexen Aushandlungs- und Abstimmungsprozessen mit einer Vielzahl Beteiligter anzunähern, benötigen Bauprojektmanager neben Fach- und Methodenkompetenz vor allem Leadership Skills. Zudem scheint die Fähigkeit der Selbstreflexionsfähigkeit in Bezug auf die sich ständig weiterentwickelten Anforderungen zentraler Kompetenzen für Führungskräfte und Rost und Renzl et al. [16, 17] zeigen in ihren strategieorientierten Kompetenzlisten auf, wie Effizienz mit Innovationsorientierung in Organisationen und Projekten verknüpft werden kann. Aufbauend auf der vorliegenden Studie und der Literatur sollten derartige Kompetenzmodelle neben Fach- und Methodenkompetenzen (insbes. Fachwissen, Planungsfähigkeit, systematischmethodisches Vorgehen, analytische Fähigkeiten) auch Sozial- und Leadership-Kompetenzen (z. B. Delegieren, Beziehungsmanagement, Verantwortungsübernahme, Konfliktlösungsfähigkeiten, Team- und Kooperationsbereitschaft oder Dialogfähigkeit) enthalten. Zudem sollte die Führungsperson in der Lage sein, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und sich eigeninitiativ ständig weiterzuentwickeln [18]. Die Einschätzung derartiger Kompetenzen in Entwicklungs- und Auswahlprozessen kann in Interviews mit Fragen zu erfolgskritischen Situationen im bisherigen Arbeitsleben erfolgen [19, 20]. Die erfolgskritischen Situationen lassen sich mit der Critical Incidents-Technik erheben. derungen im Bauprojektmanagement jedoch nicht zu bewältigen. Die Verwirklichung eines partizipativen Führungsstils bringt weitere Kompetenzanforderungen aus diesem Bereich mit sich. Projektleitungen müssen die Rahmenbedingungen für Partizipation schaffen, offen und tolerant sein, bereit sein, Verantwortung abzugeben, Teammitglieder handlungsfähig machen und sensibel sein für die Ressourcen und Bedürfnisse der Teammitglieder (Tab. 3). Um diese Kompetenzen bei Bauprojektmanagern zu fördern, sollten Kompetenzmodelle für die Auswahl und Entwicklung von Führungskräften verändert werden. Kompetenzmodelle beschreiben die Anforderungen an einen Job oder eine Jobfamilie [15]. In der Kompetenzforschung wurden verschiedene Modelle und Kompetenzlisten entwickelt, auf denen derartige Kompetenzmodelle für Unternehmen in der Baubranche aufgebaut werden können. Heyse und Erpenbeck [12] beschreiben in ihrem „Kompetenzatlas“ das ganze Spektrum menschlicher Kompetenz in 64 Teilkompetenzen. Tett et al. [13] bieten eine ausführliche und empirisch fundierte Beschreibung WISSEN 39 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 Journal of Work and Organizational Psychology 23, 2, 2012, S.-277-294 [9] Mehrabi, Javad/ Safaei, Nematollah/ Kazemi, Ali: Studying the Effect of Leader’s Participative Behaviors on Employee’s Effectiveness Perception and Performance (Kohdasht Municipality as Case Study). In: International Journal of Academic Research in Business and Social Sciences 03, 01, 2013, S.-140-152 [10] Huang, Xu/ Iun, Joyce/ Liu, Aili/ Gong, Yaping: Does participative leadership enhance work performance by inducing empowerment or trust? The differential effects on managerial and non-managerial subordinates. In: Journal of Organizational Behavior 31, 1, 2010, S.-122-143 [11] Wegge, Jürgen/ Schmidt, Klaus-Helmut: Der Projektleiter als Führungskraft. In: Wastian, Monika/ Braumandl, Isabell/ Rosenstiel, Lutz von (Hrsg.): Angewandte Psychologie für Projektmanager. Ein Praxisbuch für die erfolgreiche Projektleitung. 2. Auflage Springer-Verlag, Berlin 2012 [12] Heyse, Volker/ Erpenbeck, John : Kompetenztraining: 64 modulare Informations- und Trainingsprogramme für die betriebliche, pädagogische und psychologische Praxis. Schäffer- Poeschel-Verlag, Stuttgart 2009 [13] Tett, Robert. P./ Guterman, Hal A./ Bleier, Angela/ Murphy, Patrick J.: Development and Content Validation of a “Hyperdimensional” Taxonomy of Managerial Competence. In: Human Performance 13, 3, 2000, S.-205-251 [14] Toor, Shamas-ur-Rehman/ Ofori, George: Literatur [1] Graiss, Nicole: Participative Leadership within Construction Project Management. Master Thesis, HfT Stuttgart, Stuttgart 2015 [2] Bass, Bernard M./ Avolio, Bruce J./ Jung, Dong I./ Berson, Yair: Predicting unit performance by assessing transformational and transactional leadership. In: Journal of Applied Psychology 88, 2, 2003, S.-207-218 [3] Vroom, Victor H./ Yetton, Phillip W.: Leadership and decision-making. Univ. of Pittsburgh Press, Pittsburgh 1973 [4] Wastian, Monika/ Kraus, Rafaela/ Rosenstiel, Lutz von: Projektteams und -manager beraten und coachen. Hogrefe-Verlag, Praxis der Personalpsychologie, Göttingen 2016 [5] Comelli, Gerhard/ Rosenstiel, Lutz von: Führung durch Motivation: Mitarbeiter für Organisationsziele gewinnen. Band 5 von Innovatives Personalmanagement, 2. Auflage Vahlen- Verlag, München 2001 [6] Tannenbaum, Robert/ Schmidt, Warren H.: How to Choose A Leadership Pattern. In: Harvard Business Review 36, 2, 1958, S. 95-101 [7] Newman, Alexander/ Rose, Philip S./ Teo, Stephen T. T.: The Role of Participative Leadership and Trust-Based Mechanisms in Eliciting Intern Performance: Evidence from China. In: Human Resource Management 55, 1, 2016, S.-53-67 [8] Benoliel, Pascale/ Somech, Anit: The health and performance effects of participative leadership. Exploring the moderating role of the Big Five personality dimensions. In: European und die eigenen Kompetenzen von zentraler Bedeutung zu sein, um mit Herausforderungen angemessen umgehen zu können. Ein Entwicklungsfokus sollte bei Projektleitungen im Bauprojektmanagement daher neben der Weiterentwicklung von Fachkompetenzen auf der Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen liegen. Die Anwendung des partizipativen Führungsstils ist nach Graiss [1] nur in den Anfangsphasen eines Bauprojektes sinnvoll. Durch partizipative Führung kann das Wissen des gesamten Teams und weiterer Stakeholder optimal für noch relativ offene und unstrukturierte Entscheidungsprozesse genutzt werden. Bei der Ausführung bzw. Umsetzung der getroffenen Entscheidungen in den späteren Projektprojektphasen wird dieses Wissen allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß benötigt. Die „Kosten“ für den sehr umfangreichen Diskussionsprozess bei partizipativen Führungsprozessen würden den Nutzen durch zusätzliche entscheidungsrelevante Informationen übersteigen. Daher ist es in diesen Phasen effizienter, die Partizipation einzuschränken bzw. genau zu prüfen, ob Teammitglieder in Entscheidungsprozesse einbezogen werden sollten (Tab. 2). Die Anpassung des Führungsstils stellt Führende und Mitarbeiter allerdings vor große Herausforderungen. Nur wenn die Mitarbeiter verstehen, warum die Führungskraft sie in bestimmten Phasen in Entscheidungsprozesse mit einbezieht, in anderen aber weitgehend autonom entscheidet und Anweisungen gibt, kann ein derartiges Führungshandeln erfolgreich sein.  Agil entwickeln - Verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Project Office verbindet agiles Teamwork mit hoher Prozesssicherheit. Dynamisch anpassbare Best Practices und Prozessvorlagen schaffen verlässliche Leitplanken. Mit leistungsstarken agilen Elementen wie Tasks, Issues, Activities und dezentraler Planung unterstützen Sie Ihre Teams direkt bei der Wertschöpfung und machen sie schneller und produktiver. 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Anschrift: Ernst & Young Real Estate GmbH, Arnulfstraße 59, 80636 München, Tel.: 0 89/ 1 43 31-2 09 31, E-Mail: Nicole.Graiss@de. ey.com Prof. Christoph Ehrhardt ist Partner der Ernst & Young Real Estate GmbH (Stuttgart) sowie der Global TAS Real Estate, Hospitality & Construction Leader und Mitbegründer des Masterprogramms „International Project Management“ an der Hochschule für Technik (HfT) Stuttgart. Anschrift: Ernst & Young Real Estate GmbH, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart, Tel.: 07 11/ 98 81-1 92 10, E-Mail: Christoph. Ehrhardt@de.ey.com Autoren Dr. Martin Rost ist wissenschaftlicher Assistent an der Universität Stuttgart und forscht zu Kompetenzmanagement, Netzwerken, Innovationsprojekten und dynamischen Fähigkeiten von Unternehmen. Zudem berät er Unternehmen zu Themen in den Bereichen Personal- und Organisationsentwicklung. Anschrift: Betriebswirtschaftliches Institut, Universität Stuttgart, Stockwerk 6a, Keplerstraße 17, 70174 Stuttgart, Tel.: 07 11/ 6 85-8 36 45, E-Mail: Martin.Rost@bwi.uni-stuttgart.de Prof. Dr. Rafaela Kraus lehrt Personalmanagement an der Universität der Bundeswehr München und berät Unternehmen in den Bereichen Projektmanagement und Human Resources Management. Anschrift: Fakultät für Betriebswirtschaft, Universität der Bundeswehr München, Werner- Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg, Tel.: 0 89/ 60 04-42 55, E-Mail: Rafaela.Kraus@ unibw.de Developing Construction Professionals of the 21 st Century: Renewed Vision for Leadership. In: Journal of Professional Issues in Engineering Education and Practice 134, 3, 2008, S.-279-286 [15] Campion, Michael A./ Fink, Alexis A./ Ruggeberg, Brian J./ Carr, Linda/ Phillips, Geneva M./ Odman, Ronald: Doing Competencies well: Best practices in competency modelling. In: Personnel Psychology 64, 1, 2011, S.-225-262 [16] Rost, Martin: Kompetenzmanagement und Dynamic Capabilities. Eine empirische Fallstudie bei einem Unternehmen aus der Automobilzulieferindustrie. Eul-Verlag, Lohmar 2014 [17] Renzl, Birgit/ Rost, Martin/ Kaschube, Jürgen: Gestaltung des Wandels mit struktureller und kontextueller Ambidextrie am Beispiel eines Technologieführers in der Automobilzulieferbranche. In: Journal of Competence-Based Management 6/ 2012, S.-77-100 [18] Briscoe, Jon P./ Hall, Douglas T.: Grooming and picking leaders using competency frameworks: Do they work? An alternative approach and new guidelines for practice. In: Organizational Dynamics 28, 2, 1999, S. 37-51 [19] McClelland, David C.: Identifying Competencies with Behavioral-Event Interviews. In: Psychological Science 9, 5, 1998, S.-331-339 [20] Nerdinger, Friedmann W.: Formen der Beurteilung. In: Rosenstiel, Lutz von/ Domsch, Michel/ Regnet, Erika (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern. Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2009, S.-192-203 Schlagwörter Bauprojekte, Führung, Führungsstil, Leadership, Partizipation, Projektleitung, Projektmanagement Kompetenzelemente der ICB 4.0 2.06 Teamarbeit, 2.05 Führung, 2.03 Persönliche Kommunikation, Haftungsausschluss Die Inhalte dieser Zeitschrift werden von Verlag, Herausgeber und Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet und zusammengestellt. Eine rechtliche Gewähr für die Richtigkeit der einzelnen Angaben kann jedoch nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für die Websites, auf die verwiesen wird. Es wird betont, dass wir keinerlei Einfluss auf die Inhalte und Formulierungen dieser Seiten haben und auch keine Verantwortung für sie übernehmen. Grundsätzlich gelten die Wortlaute der Gesetzestexte und Richtlinien sowie die einschlägige Rechtsprechung.