eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 28/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2017
281 Gesellschaft für Projektmanagement

Das Dreikörperproblem der sozialen Komplexität

11
2017
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2017 68 WISSEN Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Ehrlich und Priesberg sitzen in einem Restaurant und kämpfen mit dem Essen. Schon seit geraumer Zeit beobachtet Ehrlich einen Gast, der sich zunehmend in Rage redet vor dem Inhaber, dem Koch und einer Kellnerin. Schließlich steht er wutentbrannt auf, knallt seine Serviette auf den Tisch und verlässt das Lokal schnellen Schrittes. „Schade“, sagt Ehrlich, als er ihm hinterhersieht. „Dabei hätte es für ihn auch anders ausgehen können, ich würde es ihm gönnen. Das Essen ist hier wirklich ungenießbar.“ Angewidert schneidet er sein sehniges Steak in Stücke. Priesberg entgegnet: „So schlecht ist es auch wieder nicht. Und wenn der Gast seine Beschwerde dem Koch höflich vorgetragen hätte, anstatt aufgeregt nach dem Inhaber zu rufen, dann wäre er gehört worden.“ Ehrlich schaut ihn direkt an: „Du kennst doch das Dreikörperproblem aus der Physik: Sonne, Erde und Mond. Kleinste Störungen können die derzeitigen Umlaufbahnen ins Chaotische ändern - ich frage mich manchmal, welche Auswirkungen die vielen erdnahen Satelliten einst haben werden.“„Gute Argumente gegenüber dem Koch wären für den Gast besser gewesen, anstatt zu meckern“, bekräftigt Priesberg seine Aussage. „Hier besteht doch eine ganz klare Ursache-Wirkungs-Beziehung.“ „Soso“, schmunzelt Ehrlich. „Ich hatte mal eine ähnliche Situation, allerdings mit einem externen Dienstleister. Die Mitspieler waren ein Teileentwickler, sehr sympathisch und kompetent, ein nerviger Teamleiter, der sich in alles eingemischt hatte, und ein neutraler Firmeninhaber. Und ich, der leidende Kunde.“ „Lass‘ mich raten: Der Entwickler und du, ihr habt euch verstanden, und der Teamleiter hat alles über den Haufen geworfen“, entgegnet Priesberg. „So war es. Der Entwickler entsprach der Kellnerin, der Teamleiter dem Koch und der Chef dem Restaurantinhaber. Und ich war der wütende Gast: Ein richtig gutes Bauteil sollte in Serie gehen. Der Teamleiter mochte es nicht und hat mir vorgeschrieben, wie ich es zu sehen habe. Sein Ton war gelinde gesagt unverschämt“, holt Ehrlich aus. „Also hast du den Chef geholt“, ergänzt Priesberg. „In meiner Verzweiflung rief ich eine Besprechung zu viert ein, Entwickler, Teamleiter, Firmeninhaber und ich.“ Ehrlich fährt fort: „Kaum legten wir los, da hat mich der Teamleiter schon beschimpft, wir säßen doch nur zusammen, weil ich früher ausfällig geworden bin.“ „Und was hat das jetzt mit chaotischen Auswirkungen zu tun? “ fragte Priesberg. „Überleg mal. Ich stand mit dem Rücken zur Wand. Ursprünglich wollte ich lospoltern, bis ich spontan auf folgende Idee kam: Mit dem Entwickler verstand ich mich. Er hatte alles richtig gemacht. Also stärkte ich ihm den Rücken, indem ich seine Leistungen vor seinem obersten Chef ausdrücklich gelobt und ihn dabei sehr zuvorkommend behandelt habe. Dem Chef habe ich signalisiert, dass ich ihn in seiner Rolle verstehe und seinen Handlungsspielraum hervorgehoben“, führt Ehrlich aus, bis ihn Priesberg unterbricht: „Und der Teamleiter: Der hat doch von dir sicher jetzt deine volle Kritik abbekommen.“ „Ganz im Gegenteil, ich habe ihn nicht einmal beachtet. Nachdem ich fertig war, habe ich den Raum verlassen und mitbekommen, wie sich der Teamleiter gegenüber dem Chef und dem Entwickler zu rechtfertigen begann. Das Ergebnis war ein stabiles Serienbauteil. Der Teamleiter wurde auf ein anderes Projekt versetzt, das ihm besser gefiel.“ Priesberg überlegt: „... wie ist das wohl passiert … hm den Entwickler hast du auf deine Seite gebracht - guter Schachzug. Aber der Chef, der war doch neutral, ihr kanntet euch nicht.“ „Aber ich habe ihn unter Zugzwang gesetzt, indem ich seine Rolle vor seinen Mitarbeitern lobend hervorgehoben habe. Da musste er handeln, sonst wäre er ja nicht stark. Ich habe mir ihn mit dem Entwickler zu Verbündeten gemacht und ein mentales System geschaffen, das sich günstig für die Lösung - das Bauteil - auswirkte, denn das System hatte jetzt die Macht, den Teamleiter in die Schranken zu weisen“, betont Ehrlich. Priesberg schließt beeindruckt: „Und wenn du auf die Provokation des Teamleiters eingegangen wärst, dann hätten ihn sein Chef und der Entwickler in Schutz genommen. Ein anderes System also, das den Teamleiter zwar gestärkt, aber die Serienreife des Bauteils unmöglich gemacht hätte. Das erste System bot maximale Wirkung bei minimalem Aufwand - das zweite System Chaos ohne Ergebnis. Der Hebel sozialer Komplexität.“  Autor Dr. Jens Köhler, BASF SE. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com Projektgeschichten und Fallstudien Das Dreikörperproblem der sozialen Komplexität Autor: Jens Köhler