PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
51
2017
283
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Alles sagen. Wirklich alles!“
51
2017
Oliver Steeger
Manchmal beißen wir uns auf die Zunge. Verschweigen in Diskussionen Gefühle, Befürchtungen, Befindlichkeiten, Animositäten – kurz: alles, was peinlich werden könnte oder uns in die Bredouille bringt. Verständlich! Aber nicht hilfreich für die Diskussion. Denn diese verschwiegenen Positionen blockieren den Dialog und mögliche Lösungen. Vertreter des Ansatzes „Deep Democracy“ sagen: Diese Positio nen sind eh im „Feld“ – egal, ob sie jemand ausspricht oder nicht. Also Maske abnehmen und heraus damit, was einem auf dem Herzen liegt! Mit dieser grenzenlosen Offenheit bringt „Deep Democracy“ auch heillos zerstrittene Parteien wieder zusammen. Es mag laut dabei werden. Doch am Ende finden die Menschen Verbindung zueinander. Ein Instrument auch für das Stakeholdermanagement? Mit Caspar Fröhlich, Spezialist für Deep Democracy, loten wir die Chancen aus.
pm2830003
projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 REPORT 03 tive und Befindlichkeiten der verschiedenen Seiten - und über die Art und Qualität der Beziehungen. Dabei kann es auch dazu kommen, dass Ängste, Zorn und Ärger zum Ausdruck kommen und das würden alle Beteiligten aushalten müssen. Deep Democracy bezeichnet einen Ansatz, schwierige Konflikte zu bearbeiten und hartnäckige Blockaden etwa in Organisationen zu bearbeiten und zu lösen. Für Projektmanager dürfte dies spannend sein - und zwar für das Stakeholdermanagement. Kommunikationsprozesse mit Stakeholdern kommen bekanntlich häufig ins Stocken. Ja, Deep Democracy ist sicher interessant für Leute, die mit Stakeholdermanagement zu tun haben. Insbesondere als Ergänzung zu den bekannten Methoden. Prinzipiell geht es darum, mehr Transparenz in jene Interaktionsprozesse zu bringen, die Schwierigkeiten verursachen. Zum Beispiel? Beispielsweise, wenn der Kommunikationsprozess zwischen Interessengruppen abgebrochen wird oder über längere Zeit blockiert ist. Oder wenn der Projektmanager mit seinem traditionellen Repertoire nicht mehr weiterkommt. Dann empfehle ich, Inspiration bei Deep Democracy zu suchen. „VERBINDUNG IST ABGERISSEN“ Sie sagten „blockiert ist“? Wenn also ein sachlicher Dialog nicht mehr möglich ist? Unter Blockade verstehe ich eine Situation, in der sich verschiedene Gruppen oder Personen gegenseitig so verhalten, dass kein Fortschritt Deep Democracy: Mit „völliger“ Offenheit beim Stakeholdermanagement „Alles sagen. Autor: Oliver Steeger Caspar Fröhlich Caspar Fröhlich ist Unternehmensberater und Executive Coach für Führungskräfte und Geschäftsleitungen von internationalen Unternehmen. Er schreibt und lehrt über innovative Leadership-Ansätze, die Kunst gelingender Zusammenarbeit und über Ideen, wie man das Leben stärker an einer Life Mission ausrichten kann. Nach einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung mit Schwerpunkt Finance (lic. oec. publ., Universität Zürich) war er über zwölf Jahre im Management Consulting im Bereich Strategieentwicklung und Ertragssteigerungsprojekte für internationale Konzerne tätig. 2011 schloss er eine langjährige psychotherapeutische Diplom-Ausbildung am Institut für Prozessarbeit in Zürich ab. Weitere Informationen: www.froehlich-coaching.ch Foto: Amanda Nikolic Wirklich alles! “ Manchmal beißen wir uns auf die Zunge. Verschweigen in Diskussionen Gefühle, Befürchtungen, Befindlichkeiten, Animositäten - kurz: alles, was peinlich werden könnte oder uns in die Bredouille bringt. Verständlich! Aber nicht hilfreich für die Diskussion. Denn diese verschwiegenen Positionen blockieren den Dialog und mögliche Lösungen. Vertreter des Ansatzes „Deep Democracy“ sagen: Diese Positionen sind eh im „Feld“ - egal, ob sie jemand ausspricht oder nicht. Also Maske abnehmen und heraus damit, was einem auf dem Herzen liegt! Mit dieser grenzenlosen Offenheit bringt „Deep Democracy“ auch heillos zerstrittene Parteien wieder zusammen. Es mag laut dabei werden. Doch am Ende finden die Menschen Verbindung zueinander. Ein Instrument auch für das Stakeholdermanagement? Mit Caspar Fröhlich, Spezialist für Deep Democracy, loten wir die Chancen aus. Herr Fröhlich, ein Beispiel aus dem Alltag: Zwei Kinder streiten sich. Die Eltern greifen ein, versuchen die Wogen zu glätten, zu schlichten, schnell einen Kompromiss mit ihren Kindern zu finden, wieder Ruhe in die Familie zu bringen - und vor allem jede weitere Eskalation zu vermeiden. Aus Sicht von „Deep Democracy“ würde man genau das Gegenteil tun. Man würde den Streit noch weiter forcieren. Die Kinder dürfen allen Zorn und alle Vorwürfe ausdrücken. Keine Äußerung - sei sie noch so heftig - wird unterdrückt. Liege ich mit dieser Vermutung richtig? Caspar Fröhlich: Tendenziell nicht falsch - wobei „forcieren“ ein zu starkes Wort ist. Mit Deep Democracy arbeiten wir eher in der Welt der Erwachsenen. Zu Ihrer Frage: Aus Deep Democracy-Sicht geht es bei Konflikten darum, mehr zu verstehen über die Ausgangslagen, MoprojektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 04 REPORT Da stimme ich Ihnen zu. Wobei das selten böse Absicht ist - im Gegenteil! Aber: Aus diesem „Beschneiden“ kann sich ein Problem entwickeln, ohne dass der Projektmanager dies bemerkt. Er hat ja einen Auftrag, vorgegebene Ziele, dies darf er nicht in Frage stellen. So sind Gegenmeinungen zu diesen Zielen nicht erwünscht, schon gar nicht „unsachliche“ Beiträge, wie persönliche Befindlichkeiten oder Gefühle. „LASSEN SIE UNS DOCH SACHLICH BLEIBEN“ Diese Befindlichkeiten wird er also als unsachlich und nicht zielführend unterdrücken … Ja, dies haben viele schon erlebt. Dann heißt es: „... aber lassen Sie uns doch sachlich bleiben.“ So etwas ist oft gut gemeint. Aber damit verbunden ist ein unausgesprochenes Werturteil: Allein die Sache interessiert. Spannend dabei ist: Dies muss man oft gar nicht deutlich sagen. Beteiligte in einer Gruppe wissen genau, was opportun ist zu sagen - und mit welchen Meinungen man sich überaus unbeliebt macht. Sie passen sich an und vermeiden bestimmte Positionen, die manchmal als Widerstand empfunden werden könnten. In hierarchisch strukturierten Organisationen macht man als Mitarbeiter schmerzhafte rüchte machen die Runde, auch bewusst in die Welt gesetzte Unwahrheiten. Die Atmosphäre ist gereizt, man begegnet sich mit Misstrauen. Vorwürfe und persönliche Angriffe werden laut. Die verschiedenen Seiten handeln nur noch aus ihrer subjektiven Position heraus, wollen diese nicht mehr verlassen und hören sich gegenseitig kaum mehr zu. Projektmanager dringen mit vernünftigen Argumenten längst nicht mehr durch. Alles scheint festgefahren, man will buchstäblich nicht mehr am gemeinsamen Tisch sitzen, sich nicht mehr in einem Raum begegnen. Wie kommt es zu dieser Dynamik? Solche Blockaden ergeben sich unter anderem daraus, dass bestimmte Positionen im System - oder im „Feld“, wie man bei Deep Democracy sagt - verdrängt, marginalisiert oder tabuisiert sind. Da sind wir wieder bei dem Beispiel mit den Kindern. Die Eltern glätten die Wogen. Sie halten den Konflikt nicht aus. Deshalb unterbinden Sie bestimmte Äußerungen. Wenn Sie das mit Erwachsenen machen, kann es sein, dass sich die Aggressivität gegen Sie richtet. Projektmanager diskutieren häufig sachlich, analytisch, logisch. Damit dürften sie - gewollt oder ungewollt - bestimmte Positionen beschneiden. mehr möglich ist. Ein Gefühl der Paralyse, der Ohnmacht, beschreibt es auch gut. Also mehr als nur das Ende einer sachlich-rationalen Diskussion? Ja. Bei Blockaden wollen die Menschen nicht mehr miteinander reden. Sie sitzen in einem Konflikt. Die Verbindung ist abgerissen. Ich erkläre dies an einem Beispiel. Projekte haben ein konkretes Ziel. Sie sollen eine Ausgangssituation zum Besseren verändern. Das Projekt bringt Neues, Innovatives in ein Feld von Bestehendem und Traditionellem. Es entsteht die Frage, wie sich das Alte mit dem Neuen produktiv verbindet, wie die beiden Pole miteinander so in Verbindung treten, dass ein Drittes entstehen kann. Dieser Kreativprozess liegt jedem Projekt zugrunde. Der Projektmanager hat dabei die Aufgabe, die beteiligten Vertreter der verschiedenen Interessengruppen ins Boot zu holen. Klingt bekannt …! Manchmal kann man als Projektleiter die Gruppen durch Information, Gespräche und Interessenausgleich gewinnen, also durch das klassische Stakeholdermanagement. In anderen Fällen gelingt dies aber nicht. Vielleicht kennen Sie dieses Problem: Alle Argumente sind ausgetauscht. Auch über eine Reihe von Sitzungen kann kein Entscheid oder Konsens erreicht werden. Ge- Deep Democracy in der Diskussion; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 REPORT 05 Was ist mit heftiger Enttäuschung über das Projekt? Mit Angst vor dem Verlust von Privilegien? Mit Frust, Zorn, Ärger, mit persönlichen Empfindlichkeiten? Ich kann mich nur wiederholen ... ... sogar dann, wenn es so richtig laut wird? Erhöhte Lautstärken sind Zeichen von Gefühlen, wie Ohnmacht, Zorn, Wut oder manchmal auch Trauer. Das ist nicht per se schlecht oder schlimm. Das muss man als Leitungsperson oder Projektmanager auch einmal aushalten können. Eine typische Interaktion gerade in Firmen folgt dem Schema: eine Seite betont die Sachdimension … Etwa so: „Stellt mal die Emotionen zurück! Die Sache ist wichtig, wir müssen über die Sache reden! “ Und die andere Seite fokussiert auf die Befindlichkeit: „Nein, wir müssen nicht nur über die Sache sprechen, sondern auch darüber, wie es uns bei der Sache geht.“ So eskaliert der Widerstreit weiter: Die eine Seite erwidert: „Nein, wir müssen zu einem Ziel kommen, Gefühlsduselei Sie fordern damit den Widerstand ja geradewegs heraus! ! Aus Sicht von Deep Democracy sagen wir, dass wir auf diese Weise den Widerstand, der sowieso da ist, transparent machen. Wie gesagt - er ist ohnehin da! Wir bringen also Klarheit in die Kommunikation. Daraus gewinnen wir eine gute Ausgangslage; wir können anschließend mit den Positionen arbeiten. Deshalb werden die Menschen ermutigt, ihre Position ohne Hemmnis zu äußern. DEN WIDERSTAND TRANSPARENT MACHEN Ein Beispiel - was ist mit der Angst vor Veränderungen? Widerstand hat praktisch immer mit konkreten Ängsten zu tun: etwa Angst vor Jobverlust, vor Verlust von Interaktion mit bestimmten Kollegen oder vor Zurückstufungen. Solange diese Punkte nicht auf dem Tisch sind, können sie auch nicht bearbeitet und gelöst werden. Erfahrungen mit Meinungsäußerungen, die nicht zum Mainstream oder zur Meinung der Führungsleute passen. Diese Erfahrungen wirken! Dies dürfte doch eher die Ausnahme sein, oder? Nein, dies erleben Sie im Alltag vielfach. Ein Beispiel? Gerne! Am Ende der Besprechung erkundigt sich der Besprechungsleiter: „Noch Fragen? “ Alles schweigt. Doch dieses Schweigen bedeutet nicht, dass alle Fragen oder Widerstände ausgeräumt sind. Vieles wird verschwiegen und unterdrückt. Was würden Sie nach der Besprechung tun? Bei Deep Democracy würde man die Besprechungsteilnehmer sehr aktiv in den Dialog holen. Ich würde fragen: „Was war für Sie das Wichtige in der Präsentation? “ Oder: „Haben Sie Kommentare, erste Reaktionen auf das Gesagte? “ Oder: „Welche Meinungen gibt es noch? - Ich bin besonders interessiert auch an sehr skeptischen und kritischen Voten.“ Der Facilitator spricht; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 06 REPORT wähnten Vergleich mit der Paartherapie zu bleiben: Es muss auch nicht jedes Ehepaar, das sich etwa über Urlaubsziele uneinig ist, direkt zum Paartherapeuten. Richtig. Ich will damit auch deutlich machen: Hartnäckige Blockaden beim Stakeholdermanagement sind deshalb weder ein Indiz für Fehler des Projektmanagers noch für vermeintlich untaugliche Methoden. Die Blockaden zeigen nur, dass der Prozess mit neuen Werkzeugen fortgesetzt werden sollte. Ein Punkt interessiert mich: Wir haben eben von unausgesprochenen Positionen gesprochen. Sie blockieren den Fortgang des Dialogs, sie behindern die Entwicklung. Wie kommt es, dass das Aussprechen dieser Positionen den Prozess wieder in Gang bringt? Wenn jemand seiner Wut über ein Projektziel Luft macht, dann ändert dies ja nichts an der Sache selbst. In der Sache ist alles beim Alten. Ein Beispiel: Eine Bürgerinitiative will einen neuen Bahnhof mitten in der Stadt verhindern. Sie wird sich schwerlich von ihrem Ziel abbringen lassen - auch dann nicht, wenn sie ihren Zorn artikuliert hat. Eine gute Frage. Sie haben natürlich recht: Die Meinungen als solche bestehen weiter in diesem Feld. Das ist wie gut und böse, arm und reich - ideen aus der Quantenphysik und den Weisheitslehren wie dem Taoismus. Heute wird der Ansatz weltweit angewandt. Etwa in der Therapie und auch bei gesellschaftlichen Polaritäten und Konfliktherden etwa in Palästina, Bosnien oder Südafrika. Und dann eben in der Wirtschaft, etwa beim Führungskräftetraining, bei Changemanagement, Konfliktbearbeitung und der Arbeit mit Großgruppen. Sie sprachen von gesellschaftlichen Polaritäten? Was versteht man darunter? Polaritäten etwa zwischen Arm und Reich, zwischen Bürgerkriegsparteien, zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Deep Democracy ist auch bekannt unter dem Begriff „Worldwork“. Arnold Mindell hat beispielsweise durch Deep Democracy Rechtsradikale und Antifaschisten in einen Raum bekommen und im Feld einen hochemotionalen Dialog ermöglicht. ES IST NICHT DIE FRAGE, WER „RECHT“ HAT Verstanden! Sie sagten vorhin, nicht jeder Projektmanager braucht für sein Stakeholdermanagement Deep Democracy. Um beim eben erführt zu nichts, das ist Blödsinn! “ Und wieder die andere Seite: „Das ist überhaupt kein Blödsinn! Das ist mir das Allerwichtigste! ! “ Für welche Seite interessiert man sich aus Sicht von Deep Democracy? Für die emotionale Seite? Nein, Deep Democracy interessiert sich für alle Positionen im Feld - gleich, ob es sich um Argumente, unbegründete Standpunkte, persönliche Befindlichkeiten oder Emotionen handelt. Dies ist entscheidend! Wir stellen uns die Frage: Welche grundsätzlichen Kräfte wirken in diesem Feld oder in dieser Interaktion? Welche auch gegensätzlichen Meinungen existieren? Und welche werden davon nicht zum Ausdruck gebracht? POLARITÄTEN IM PROZESS Mit Verlaub - dies klingt ein wenig wie Paartherapie. Die Ähnlichkeiten damit sind nicht zufällig. Der Begründer von Deep Democracy, Arnold Mindell, ursprünglich Physiker, hat sich in Zürich am Jung-Institut zum Lehranalytiker weitergebildet. Neben den psychologischen Ansätzen von Jung finden sich im Deep Democracy-Ansatz Grund- Die Positionen in der Kontroverse; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 REPORT 07 Häufig merken die beiden Seiten mit einem Mal, dass sie in der Tiefe etwas Gemeinsames verbindet. Beispielsweise bei einem umstrittenen Bauprojekt, dass sie sich beide Seiten für eine lebenswerte Stadt einsetzen. Die einen sehen in diesem Bauprojekt das Mittel dazu, die anderen im Erhalt des Bestehenden. In diesen Momenten merken sie: Ihre hinter allem liegenden Ziele sind ähnlich. Dies bringt Entspannung und auch Verbundenheit. Die Unterschiede in der Sache sind dann vielleicht gar nicht mehr so wichtig - oder sie werden nicht mehr mit derselben Aggressivität ausgefochten. Mit Verlaub - da melde ich Zweifel an. Eine gemeinsame Basis, die Verbundenheit, ist hilfreich, keine Frage. Doch dies ebnet nicht die Differenzen in der Sache ein. Der Projektmanager will beispielsweise ein neues Einkaufszentrum bauen. Die Bürgerinitiative ist dagegen. Punktum. Da stimme ich Ihnen zu. Trotzdem finden die Beteiligten häufig auch etwas rational Verbindendes. Nehmen wir als Beispiel ein Kostensenkungsprojekt. Sowohl Leitung als auch Belegschaft wollen, dass ihr Unternehmen wettbewerbsfähig bleibt. Da haben beide Seiten ein ähnliches Motiv. Aber uneinig ist man sich über den Weg, wie dieses Ziel oder das Grundmotiv zu erreichen ist. Diese Gemeinsamkeiten werden bei Deep Democracy herausgearbeitet - und sie werden erst greifbar, wenn beide Seiten klar Stellung bezogen, sich menschlich akzeptiert haben und sich verbunden fühlen. Dann besteht Dies erklärt noch nicht, wie es zu dieser Verbundenheit zwischen den Parteien kommt … Bei der Arbeit mit Deep Democracy beobachten wir, dass sich im Fortgang eines Prozesses meistens zwei gegensätzliche Positionen herausbilden. Wir fragen dann die beiden Seiten: „Wie geht es dir mit diesem Argument von der anderen Seite? “ Oder: „Welche Gefühle lösen bei dir die Sacheinwände der anderen Seite aus? “ Oder: „Wie seht ihr die anderen mit ihren Befindlichkeiten? “ In diesem Moment besteht die gute Chance, dass die Seiten mehr in Kontakt treten. Sie beginnen sich für die andere Seite zu interessieren. IM GROSSEN KREIS Für deren Argumente? Ja, auch. Aber auch auf einer menschlichen Ebene, emotional. Wenn sich die Beteiligten auf einen Deep Democracy-Prozess einlassen, so üben sie implizit, die Position der anderen zu betrachten, sie einzunehmen, sie auch auszuprobieren. Ein solcher Prozess findet in einem großen Raum statt. Die Beteiligten sitzen im großen Kreis. Die Positionen werden dann von den Personen in diesem Innenraum verkörpert und aufgestellt. So entwickelt sich die typische Interaktionsdynamik: Zu Beginn sind die Personen fest in ihren ursprünglichen Meinungen verankert. Mit der Zeit beginnen sie auch ein wenig auf der anderen Seite zu stehen, sich für deren Gefühle, Argumente und Befindlichkeiten zu interessieren. diese Polaritäten existieren immer. Es geht bei alledem nicht um die Frage, ob und welche Seite „recht“ hat. Wir fragen uns: Wie gehen wir damit um, dass verschiedene Sichtweisen und Positionen existieren? Augenblick! Ein Deep Democracy-Prozess führt nicht dazu, dass am Ende sich alle einhellig einer Meinung anschließen? Nein, nicht unbedingt. Aber der Prozess kann dazu führen, dass die beteiligten Personen mehr Empathie für die andere Seite entwickeln. Dass sie auf einer menschlichen Ebene mehr Verbundenheit spüren. Das ermöglicht oft, andere, neue Arten von Kompromissen oder Lösungen zu entwickeln. Klingt paradox! Man sagt sich schroff ins Gesicht, welcher Meinung man ist - und findet darüber Verbundenheit? Es muss nicht notwendigerweise schroff sein, sich gegenseitig klar zu sagen, welche Meinung man vertritt. Man kann das auch mit Respekt und Souplesse zum Ausdruck bringen. Wenn man zusätzlich zur eigenen Meinungsäußerung auch Interesse an der anderen Seite erkennen lässt, so entsteht automatisch Verbundenheit. Es sind nicht die unterschiedlichen Meinungen, die uns trennen. Der Abbruch des Interesses an anderen Positionen trennt uns! Deep Democracy strebt an, das Wechselspiel zwischen den sich gegenseitig bedingenden unterschiedlichen Positionen wieder in Gang zu bringen. Annäherung durch größtmögliche Offenheit; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 08 REPORT ... etwa wie man ein Kleidungsstück anprobiert? Ja, wieso nicht? So, wie Sie ein Kleidungsstück anprobieren, können Sie nachspüren, wie sich diese fremde Position anfühlt. Wie kommen Sie mit ihr zurecht? Was macht sie aus Ihnen? Wie reagieren Sie darauf, was stört Sie und was ist Ihnen vielleicht sympathisch? Je mehr Teilnehmer andere Positionen für sich probieren können, dabei diese Positionen nicht nur begreifen, sondern auch spüren und empfinden, desto eher löst sich die blockierte Situation auf. Dies alles dürfte ein sehr anstrengender Prozess sein? Manchmal - vielleicht wie beim Fußballspielen, wenn man noch nie Fußball gespielt hat. Doch mit Training und Wiederholung geht es wie alles leichter von der Hand. Ist Emotionen zu zeigen und auszuhalten anstrengend, dann kann ein Deep Democracy-Prozess anspruchsvoll sein. Man wird ja sichtbarer, transparenter, vielleicht auch menschlicher für die anderen. Nochmals das Beispiel Changeprojekt: Sich als Projektmanager oder Leitungsperson zum Arbeitsplatzabbau zu bekennen, in die entsetzten Gesichter der Mitarbeiter zu blicken, den lauten Protest zu hören - dies ist nicht leicht. So etwas sind wir nicht gewohnt, wir sind darin nicht trainiert. DER „FACILITATOR“ - ANDERS ALS EIN MODERATOR Bei „Deep Democracy“ sind die Gruppen nicht auf sich allein gestellt. Ein Unparteilicher bebeispielsweise an Zorn über ein Bauprojekt oder über einen spät mitgeteilten Arbeitsplatzabbau bei einem Changeprojekt. Bei Deep Democracy gehen wir davon aus, dass dieser Zorn - als Position - im Feld ist. Egal, ob er geäußert wird oder wer ihn äußert. Nochmals - eine merkwürdige Betrachtungsweise. Was soll sie bringen? Anfangs ist diese Sichtweise wirklich ungewohnt. Sie fühlt sich künstlich an. Doch dadurch werden Positionen von Personen getrennt betrachtet. Dies ermöglicht, dass eine Person verschiedene Positionen im Feld einnimmt und vertreten kann. Darüberhinaus kann eine Position von verschiedenen Personen zum Ausdruck gebracht werden. Daran merkt man: Eine Position hat etwas „Überpersönliches“. VERSUCHSWEISE IN FREMDE POSITIONEN „EINSTEIGEN“ Aha! Es geht dann nicht um eine konkrete Person mit ihren Befindlichkeiten, etwa um einen Herrn Schmitz, der sich sowieso gegen jede Veränderung sperrt, sondern es geht um die Befindlichkeit selbst, die ohnehin da ist und auf den Tisch muss. Egal, wer sie vertritt. Genau. Und diese Betrachtung hat einen Vorteil. Sie erleichtert es Teilnehmern, sich mit anderen Positionen zu befassen und zu beschäftigen, wenn sie verstanden haben, dass diese andere Position ohnehin und zwangsläufig im Feld ist. Sie können versuchsweise in die fremde Position einsteigen und diese Seite vertreten. die Chance, dass man aufeinander zugeht. Vielleicht in kleinen Schritten: Der Projektmanager fühlt sich mit seiner Sichtweise von den Stakeholdern verstanden und akzeptiert. Vielleicht kann er Details seiner Pläne doch anpassen. Dies wiederum wird bei den Stakeholdern als Entgegenkommen gewertet; sie relativieren ebenfalls einige ihrer Forderungen. Garantien für Lösungen gibt es nicht. Weder Deep Democracy noch andere Methoden können sicherstellen, dass es zu einer Einigung kommt. POSITIONEN „BESETZEN“ PERSONEN Vieles läuft offenbar darauf hinaus, dass die Beteiligten auch einmal andere Position als die eigene „ausprobieren“. Richtig. Deep Democracy hat ein auf den ersten Blick merkwürdig wirkendes Verständnis von Positionen oder Meinungen in einem Diskussionsfeld. Man betrachtet Positionen losgelöst von den konkreten Personen, die diese zum Ausdruck bringen. Man sagt: Die Gruppe - oder das Feld - organisiert sich so, dass die Positionen quasi einzelne Personen „besetzen“. Moment! Eine Position „besetzt“ eine Person? Das klingt doch recht merkwürdig ... Es mag verrückt klingen. Doch die Idee dahinter ist: Eine Person spricht nur eine Position aus, die ohnehin im Feld ist. Die Person wird so zum „Medium“ der Position. Bildlich gesprochen: Die Position schnappt sich eine Person, die dann diese Position zum Ausdruck bringt. Denken Sie Projektmanager profitieren von Deep Democracy; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 REPORT 09 ohnehin im Raum sind, also unausgesprochene Positionen zur Sprache zu bringen. Konkret geht das in der Form des Nachfragens - wie wir dies vorhin besprochen haben. Zweitens: Der Projektmanager kann schauen, dass er der Selbstorganisationskraft der Gruppe, die er leitet, Raum gibt zur Entfaltung. CHANCEN FÜR PROJEKTMANAGER Konkret? Was bedeutet dies für den Projektmanager? Zum Beispiel alle Beiträge und Positionen der Gruppenmitglieder gleich wertzuschätzen. Also beispielsweise nicht beurteilen, ob etwas gerade in den Zusammenhang passt. Drittens kann er etwa beim Dialog mit Stakeholdergruppen versuchen, nicht primär seine Position in den Dialog „hineinzubringen“, sondern die Dialoge zwischen Personen oder Gruppenteilen zu stärken und zu vertiefen. wichtige Position im Feld nicht unterstützen und einnehmen, so verliert er seinen Nutzen für die Gruppe. Oder verfolgt der Facilitator ein Ziel, nimmt er eine Position ein, dann marginalisiert er alle anderen im Feld, die gegen dieses Ziel oder diese Position sind. Auch dann kann er diese Gruppen nicht mehr unterstützen. In Deep Democracy sagt man, ein Facilitator muss „flüssig“ sein, um zwischen den Positionen zu wechseln. Dies erfordert mehr als nur mentale Flexibilität und die übliche Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Der Perspektivenwechsel in der Sache mag vielleicht noch einfach sein, doch der Perspektivenwechsel in der Emotion benötigt eine vertiefte Beschäftigung mit dem eigenen inneren Positionenfeld. Eine Frage zum Abschluss: Was kann ein Projektmanager von Deep Democracy lernen? Oder anders: Kann er überhaupt etwas von Deep Democracy für seine Praxis übernehmen? Da finde ich einige Ansatzpunkte. Er kann erstens versuchen, die Dialoge zu facilitieren, die gleitet den Dialog, ein sogenannter „Facilitator“. Handelt es sich um eine Art Moderator? Ein Facilitator hat die Aufgabe, den Rahmen zu bewahren und die Beteiligten immer einzuladen, von ihren Erfahrungen in einzelnen Positionen zu berichten. Damit ist er kein unparteilicher Moderator im klassischen Sinne. Der Facilitator beobachtet und teilt seine Beobachtungen der Gruppe mit. Er meldet der Gruppe beispielsweise, welche Gefühle er im Feld gerade beobachtet. Er lädt zum Innehalten ein. Er interveniert, macht Angebote, aber er greift nicht steuernd in den Prozess ein. Er hat nicht wie ein Moderator das Ziel, beispielsweise nach zwei Stunden bestimmte Ergebnisse zu erwirken. Vermutlich keine einfache Tätigkeit? Nein, häufig nicht. Beobachten und melden, dies klingt zunächst nach einer einfachen Aufgabe. Doch ein Facilitator muss ja auch starke Gefühle zulassen. Da kommt manch einer schnell an seine Grenze. Denn: Kann ein Facilitator eine Endlich Gehör finden; Abbildung: apinan - Fotolia.com projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 10 REPORT damit alle gedanklich ankommen im Raum. Welche Stimmungen bringen die Leute mit? Eine Stimmung mag sein, dass jemand glücklich ist hier zu sein und Vorschläge zu dem Thema machen zu können. Es kann aber auch sein, dass jemand unglücklich im Raum sitzt, weil er eigentlich Wichtigeres zu tun hätte - oder dass jemand dieses Thema überhaupt nicht interessiert. Was auch immer. Die Teilnehmer bekommen damit generell auch die „Erlaubnis“, in abweichenden Richtungen zu denken und zu fühlen. Sie merken: Hier muss sich niemand dem Mainstream unterordnen. Man kann so sein, wie man gerade ist. Und wenn man dann die Inhalte bespricht, kann man auch ohne Vorgaben bestimmte Beiträge leisten. Hmm ... Es geht doch nicht um Stimmungen, sondern um Positionen. Aus Deep Democracy-Sicht sind auch Stimmungen Positionen im Feld. Stimmungen können den Dialog blockieren. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Mit einem internationalen Team habe ich eine Telefonkonferenz zu einem fast abgeschlossenen Projekt durchgeführt. Ich hatte das Ziel, sachlich den letzten Projektmeilenstein in Angriff gleichzeitig die Dialoge unter den Gruppen nähren und andere Meinungen und Positionen einladen. WIE IM PROJEKTALLTAG UMSETZEN? Klingt abstrakt. Arbeiten wir doch bitte mit einem Beispiel. Ein Workshop mit Stakeholdern. Das Projekt wird diskutiert. Wie würden Sie als Projektmanager vorgehen? Ich stelle das Programm in der Besprechung vor. Doch bevor wir in die Inhalte einsteigen, frage ich nach den Stimmungen. Ist wie ein Check-in, Augenblick! Der Projektmanager ist per se parteiisch. Er vertritt seine Projektziele. Wie soll er allparteilich facilitieren? Da stimme ich Ihnen zu! Der Projektmanager hätte in dieser Situation zwei Hüte gleichzeitig auf: Einerseits hat er sein Ziel im Blick, andererseits ist er völlig offen für alle Positionen, auch wenn diese dem Ziel auf den ersten Blick nicht unbedingt dienlich sind. Natürlich ist das anspruchsvoll. Das heißt, seine Position mit hineinnehmen, aber auch andere Positionen einladen und unterstützen … Ja, genau. Beides gleichzeitig. Es ist ein „Sowohl-als-auch“. Seine Sicht hineinbringen und Buchtipp Caspar Fröhlich: Deep Democracy in der Organisationsentwicklung: Treiber für den Wandel - Spannungsfelder und Störungen positiv nutzen. 1. Auflage, Schäfer-Poeschel, 2016, Hardcover, 264 Seiten, ISBN 978-3-7910- 3524-6, EUR 39,95; auch als E-Book im PDF-Format erhältlich Brücken bauen zwischen den Positionen „im Feld“; Abbildung: apinan - Fotolia.com REPORT 11 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 sich diesen zu benennen. Klar, dass dies zu einer Blockade führt. Der weitere Dialog würde dann durch diesen „Elefanten“ blockiert? Ja. Niemand spricht darüber - doch alle denken über diesen Elefanten nach. Deshalb empfehle ich, dass schnell auch über den Fortfall von Arbeitsplätzen geredet wird. Wir müssen zügig zu den Fragen vordringen, die die Leute wirklich betreffen und bewegen. Manchmal handelt es sich aus Sicht der Projektmanager auch um Banalitäten: Ein Baum, der für ein Bauprojekt gefällt werden soll. Die Frage, wie Parkplätze vergeben werden. Anders gesagt: Nicht der Projektmanager gibt den Ton an und legt fest, was wichtig ist. Richtig! Die Stakeholder geben dies vor. Oder vielmehr: Die Positionen im Feld, die von einzelnen Personen zum Ausdruck gebracht werden. Einleuchtend - aber praktisch doch recht schwierig bei größeren Gruppen … Für größere Gruppen gibt es eine gute Methode. Ich bitte die Teilnehmer, sich zu zweit auszutauschen über ihre Stimmung. Wenn die Leute zurückkommen ins Plenum, dann frage ich nach: Über was wurde gesprochen? Je mehr und offener über die Stimmungen gesprochen wird, desto transparenter und offener ist meiner Erfahrung nach der weitere Dialog. Ein weiteres Beispiel? AUSTAUSCH IM PAAR Gerne, bitte! Einige Projekte führen für bestimmte Stakeholdergruppen zu ungünstigen Konsequenzen. Beispielsweise das eben angesprochene Changeprojekt. Ein Fehler besteht darin, dass zu spät auch über Personalabbau gesprochen wird. Damit hat man quasi immer einen „Elefanten im Raum“, der alles überlagert, aber niemand traut zu nehmen. Doch die Gruppe wollte gar nicht am Meilenstein arbeiten, die sachliche Arbeit war der Gruppe in diesem Moment unwichtig. Unwichtig - weshalb? Wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, war ein Großteil der Gruppe mit dem Gedanken beschäftigt, dass die Zusammenarbeit bald beendet sein würde. Es hatte bereits ein Prozess des Abschiednehmens eingesetzt. Ähnliches kann sich übrigens auch am Projektbeginn ergeben, etwa beim Kick-off: Der Projektmanager informiert die Mitarbeiter über die Ziele, die Hintergründe und den Plan für das Projekt. Doch die Mitarbeiter sind innerlich mit etwas ganz anderem beschäftigt - damit, eine Gruppe zu bilden und den eigenen Platz im Projekt zu finden. Da stehen für den einzelnen Mitarbeiter völlig andere Fragen im Raum: „Was bedeutet diese Gruppe für mich? Wie bin ich in diese Gruppe integriert, wie angesehen? Wie kommt meine Individualität in dieser Gruppe zum Ausdruck? “ Anzeige