eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 28/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
51
2017
283 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Linguistisch fundiertes Requirements Management – klare Worte, klares Ziel

51
2017
Lars Schneider
Disziplin- und organisationsübergreifende Projekte sind eine Herausforderung. Systematisches Anforderungsmanagement ist eine zentrale Aufgabe in Großprojekten und hilft, Komplexität zu beherrschen und Missverständnisse zu vermeiden. Als kommunikativer Prozess erfordert Anforderungsmanagement ein Verständnis von und eine Vermittlung zwischen den Terminologien verschiedener Fachdisziplinen. Um den Leistungsgegenstand eines Projektes eindeutig und sprachlich präzise zu spezifizieren, müssen Anforderungsmanager potenzielle Fallstricke sprachlich formulierter Anforderungen kennen und vermeiden. Werkzeuge helfen, domänenspezifische Terminologien zu erfassen und erzwingen ihre konsequente Anwendung. Dies vermeidet Mehrdeutigkeiten und Unschärfen sprachlicher Anforderungen und legt die Grundfeste für eine erfolgreiche Projektausführung und die Vermeidung von Claims.
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WISSEN 43 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 Testfällen wird später im Zuge der Testdurchführung die Dokumentation der durchgeführten Tests (inklusive Testergebnissen) zugeordnet. In der Regel sind diese Dokumente rückverfolgbar aufeinander bezogen. Dies kann durch softwarebasierte Entwicklungswerkzeuge unterstützt werden (z. B. IBM Rational Doors). Im Anforderungsmanagement werden verschiedene Qualitätskriterien für solche Dokumente formuliert [1]: Anforderungsdokumente sollen zunächst vollständig sein, sodass alle relevanten Aspekte für die Entwicklung eines Systems berücksichtigt werden. Des Weiteren sind Konflikte zwischen Anforderungen zu vermeiden, indem man sie auf Konsistenz prüft. Auf der mittleren Ebene in Abbildung 1 sind einzelne Anforderungen oder Testbeschreibungen angesiedelt, die als elementare Aussagen angesehen werden können. Dies sind üblicherweise syntaktisch wohlgeformte Sätze, die den Ansprüchen der Grammatik natürlicher Sprache genügen. Allerdings sollen Anforderungen nicht nur grammatikalisch korrekt sein. Auch andere Kriterien werden als wichtig erachtet. Hier nennt Pohl [1] ebenfalls Qualitätskriterien: • Atomarität: Anforderungen sollen nur einen einzelnen Sachverhalt beschreiben, der als solcher auch einzeln prüfbar ist. Anforderungen sollten jedoch auch in der Dokumentation einzeln identifizierbar sein. Um das zu erreichen, wird normalerweise empfohlen, einer dokumentierten Anforderung einen eindeutigen und einzigartigen Identifikator zuzuweisen [2]. • Nachvollziehbarkeit: Anforderungen müssen nachvollziehbar sein, was bedeutet, dass die Herkunft und Motivation einer Anforde- >> Für eilige Leser Disziplin- und organisationsübergreifende Projekte sind eine Herausforderung. Systematisches Anforderungsmanagement ist eine zentrale Aufgabe in Großprojekten und hilft, Komplexität zu beherrschen und Missverständnisse zu vermeiden. Als kommunikativer Prozess erfordert Anforderungsmanagement ein Verständnis von und eine Vermittlung zwischen den Terminologien verschiedener Fachdisziplinen. Um den Leistungsgegenstand eines Projektes eindeutig und sprachlich präzise zu spezifizieren, müssen Anforderungsmanager potenzielle Fallstricke sprachlich formulierter Anforderungen kennen und vermeiden. Werkzeuge helfen, domänenspezifische Terminologien zu erfassen und erzwingen ihre konsequente Anwendung. Dies vermeidet Mehrdeutigkeiten und Unschärfen sprachlicher Anforderungen und legt die Grundfeste für eine erfolgreiche Projektausführung und die Vermeidung von Claims. „Am Anfang war das Wort“ - in der Regel legt der Auftraggeber mit sprachlich formulierten Anforderungen fest, welche Leistung er konkret beschaffen will und welche technischen oder wirtschaftlichen Anforderungen diese im Einzelnen zu erfüllen hat. Die Leistungsbeschreibung muss hierbei vollständig, eindeutig und korrekt sein. Neue, spät kommunizierte oder spät entstandene Anforderungen lösen im späteren Engineering und Herstellprozess kosten- und zeitintensive Iterationsschleifen aus und sind daher zu vermeiden. Daher kommt der Qualität einer Anforderungsspezifikation eine große Bedeutung zu. Dieser Beitrag stellt hierfür einen methodischen und werkzeugunterstützten Ansatz vor. 1 Sprachliche Zeichen im Anforderungsmanagement „Natürliche Sprache“ bezeichnet in der Sprachwissenschaft die von Menschen gesprochene Sprache. In Projekten werden Anforderungen üblicherweise in natürlicher Sprache verfasst. Insofern lohnt es sich, einmal die sprachwissenschaftliche Perspektive auf Anforderungen einzunehmen. Anforderungsartefakte, wie etwa Lasten- und Pflichtenhefte, sind komplexe sprachliche Konstrukte, die sich in mehreren Ebenen aus einfacheren sprachlichen Zeichen zusammensetzen (vgl. Abb. 1). Auf der höchsten Ebene in Abbildung 1 finden sich die „üblichen“ Dokumente des Anforderungsmanagements. Das Lastenheft des Kunden wird im Zuge des Systems Engineerings in das Pflichtenheft des Lieferanten überführt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung technischer Systeme werden aus dem Pflichtenheft Testspezifikationen abgeleitet. Den beschriebenen Linguistisch fundiertes Requirements Management - klare Worte, klares Ziel Autor: Lars Schnieder projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 44 WISSEN von Terminologienormung gesprochen (vgl. Begriffsbildungsprozess in [6]). Ein Beispiel einer solchen Terminologienorm ist die DIN 69901-5, welche die für das Projektmanagement relevanten Begriffe definiert. Terminologische Probleme ergeben sich dadurch, dass die Zuordnung von Begriff und Benennung in natürlichen Sprachen keiner 1: 1-Relation entspricht. Vielmehr kann es zu 1: n-Relationen kommen, bei denen einem Begriff mehrere Benennungen zugeordnet werden können (Synonymie) (bspw. Samstag und Sonnabend) und einer Benennung mehrere Begriffe (Homonymie) (bspw. modern und modern). Fachlexik und Alltagslexik sind zudem nicht vollständig disjunkt. Aus den Fachsprachen gehen lexikalische Elemente in die Allgemeinsprache oder auch in andere Fachsprachen über. Damit ist jedoch oft ein unbeabsichtigter Wissensverlust verbunden oder eine bewusst selektive Übernahme des Fachbegriffs. Dies führt dazu, dass die assoziierten Begriffe eine Verengung erfahren, aber auch durch die Verwendung im neuen Fachgebiet eine semantische Erweiterung erfahren können [7, 8]. 2 Semantische Qualität sprachlicher Artefakte im Anforderungsmanagement Werden die oben genannten Qualitätskriterien für Einzelanforderungen verletzt, schlägt sich dies erfahrungsgemäß auch in ihrer sprachlichen Gestaltung nieder. Die einzelnen auftretenden Effekte und Defekte werden ausführlich von Rupp et al. an Beispielen aufgezeigt und im so genannten „SOPHIST Regelwerk“ zusammengefasst [2]. Dieses „SOPHIST Regelwerk“ bildet eine anerkannte Grundlage für das natürlichsprachliche Requirements Engineering im deutschsprachigen Raum. Dieses Regelwerk wird seit mehreren Jahren erfolgreich in kleinen, mittleren und großen, nationalen und internationalen Projekten unterschiedlichster Branchen angewendet. Im Folgenden werden einige typische Fallstricke bei der Formulierung von Anforderungen kurz vorgestellt. • Passivkonstruktionen sind zu vermeiden: Das Agens (der Ausführer einer Handlung) wird nicht genannt. Beispiel: „Versuchsspezifisch definierte Daten müssen aufgezeichnet werden.“ Hierbei bleibt unklar, wer oder was konkret die Aufzeichnung vornehmen soll. Auf welcher technischen Einheit werden Anforderungsmanagement spielen, insbesondere in interdisziplinären Projekten, unterschiedliche domänenspezifische Terminologien eine Rolle. Abbildung 2 verdeutlicht den grundlegenden Zusammenhang zwischen sprachlichen Phänomenen (Benennungen), der realen Wirklichkeit (Gegenstand) sowie der geistigen Abstraktion (Begriff). In der Sprachwissenschaft wird dies als „semiotisches Dreieck“ bezeichnet. Der sprachliche Repräsentant (Benennung), der auf eine außersprachliche Wirklichkeit (Gegenstand) referenzieren kann, ist über eine mentale Einheit (Begriff) auf den Gegenstand dieser außersprachlichen Wirklichkeit bezogen [4]. In diesem Sinne sind terminologische Einheiten eine auf Konventionen beruhende Zuordnung von Benennungen zu Bedeutungen. In der Alltagssprache werden terminologische Einheiten implizit gebildet, indem Benennung und Bedeutung miteinander assoziiert werden [4]. So etablieren sich Begriffe regelmäßig von alleine. In Fachsprachen dagegen wird die Zuordnung von Benennung und Begriff explizit definiert und ausgehandelt [5]. Ein solcher Definitionsprozess kann sogar in einem institutionalisierten Rahmen geschehen. Hierbei wird dann rung im Planungs- und Entwicklungsprozess klar sein sollte. • Korrektheit: Anforderungen sollen korrekt sein, wobei Korrektheit als Notwendigkeit der Anforderung zu verstehen ist. • Eindeutigkeit: Eindeutigkeit muss gegeben sein, sodass eine Anforderung nur eine einzige Lesart aufweist. • Verständlichkeit: Um eine schnelle Interpretation zu gewährleisten, ist auch Verständlichkeit ein wichtiges Kriterium. Auf der untersten bedeutungstragenden Ebene befinden sich Lexeme (Abb. 1). Das Wort Lexem (altgr. λέξις léxis ‚Wort‘) ist ebenfalls ein Fachausdruck der Sprachwissenschaft (Linguistik). Lexeme bilden die Bausteine unseres Wortschatzes, des Lexikons einer Sprache. Als Träger der begrifflichen Bedeutung sind sie auf bestimmte Gegenstände oder Erscheinungen der außersprachlichen Wirklichkeit bezogen. Einzelanforderungen in Projektspezifikationen werden also mithilfe von Lexemen aufgebaut. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen allgemeinsprachlicher Lexik (beispielsweise Wörter wie: muss, kann, soll) und fachsprachlicher Lexik wie beispielsweise komplexe fachbezogene Terminologien. Im Abb. 1: Sprachebenen und Anforderungen Abb. 2: Semiotisches Dreieck nach Ogden und Richards [3] WISSEN 45 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 der Affinität für sprachliche Fragestellungen und aus Zeitgründen unterbleibt dieser jedoch oftmals in Projekten. Aus diesem Grund kann eine Werkzeugunterstützung, mit der die sprachliche Beschaffenheit von Anforderungen teilautomatisiert analysiert werden kann, eine große Arbeitserleichterung für den Anforderungsmanager darstellen. Im Bereich der Lexik sind einerseits die oben skizzierten Mängel innerhalb natürlicher Sprachen von besonderem Interesse (vgl. Beispiel aus Abb. 3 und 4). Zusätzlich verwendet aber jede Disziplin ihre eigene Fachsprache, sodass Vorschriftszeichens 291 („Parkscheibe“) zu einer Parkfläche muss bekannt sein.“ Die zuvor genannten Defizite in Anforderungen können durch Reviews ermittelt werden. Die Anforderungen müssen anschließend korrigiert und verbessert werden. Dies erfordert bei den Autoren von Anforderungen und ihren Reviewern neben dem erforderlichen Fachwissen ein fundiertes sprachliches Wissen und ein reflektierendes Verständnis für natürliche Sprache. Zudem muss ein rigider methodischer Prozess eingehalten werden, der eine gleichbleibende Aufmerksamkeit erfordert. Gerade bei mangelndie Daten gespeichert? Gibt es weitere Anforderungen an die Art der Aufzeichnung, z. B. Datenformate oder Aufbewahrungsfristen? • Informationsverluste durch Vollverben mit semantisch geringer Eigenaussage müssen vermieden werden. Beispiel: „Die Kreuzungsoberfläche muss als 3-D-Flächenmodell vorliegen.“ Hier helfen „W-Fragen“, die Anforderung zu konkretisieren. Woher kommt das 3-D-Flächenmodell? Wer erstellt es? • Es müssen mess- und testbare Formulierungen von Eigenschaftswörtern verwendet werden. Beispiel: „Die Benutzeroberfläche muss intuitiv bedienbar sein.“ Aus dieser Anforderung geht nicht hervor, welche Kriterien für eine intuitive Bedienbarkeit erfüllt sein müssen. Einen Ansatzpunkt zur Beschreibung der Bedienbarkeit in Anforderungen bietet beispielsweise die Normenreihe EN ISO 9241. • Verwendete Zahl- und Mengenwörter müssen hinterfragt werden: Universalquantoren werden oftmals leichtfertig verwendet, sodass es zu Übergeneralisierungen kommt. Beispiel: „Die durchschnittliche Zeitdauer zwischen der Beendigung des Schrankenschließvorgangs und dem Eintreffen des Zuges muss über alle Züge ermittelt werden.“ In diesem Beispiel ist, neben der Passivkonstruktion, auch der Universalquantor unzulässig, da eine Mittelwertbildung nur über die von der sensorischen Einrichtung auch tatsächlich erfassten Objekte möglich ist. Alle Züge können möglicherweise nicht erfasst werden (beispielsweise durch Verdeckung). • Hinterfragen schwammiger Substantive: Oft werden Nomina verwendet, die auf einer sehr hohen Abstraktionsebene angesiedelt sind, obwohl in den Anforderungen bereits stärker konkretisiert werden könnte. Ein Beispiel ist die Anforderung „Die Zuordnung eines Verkehrszeichens zu einer Straße muss bekannt sein“. Hierbei kann der Terminus Straße gemäß einschlägiger Richtlinien weiter in seine Bestandteile dekomponiert und die Anforderung somit weiter präzisiert werden (Abb. 3). Gleichermaßen kann auch der Terminus Verkehrszeichen im Sinne der Straßenverkehrsordnung (StVO) in seine Bestandteile dekomponiert werden (Abb. 4). Aus der Kombination dieser beiden Betrachtungen kann eine Präzisierung der vorherigen Anforderungen resultieren: „Die Zuordnung des Abb. 3: Verfeinerung von Anforderungen durch Abbildung fachsprachlicher Lexik (Begriffsbeispiel Straße) Abb. 4: Verfeinerung von Anforderungen durch Abbildung fachsprachlicher Lexik (Begriffsbeispiel Verkehrszeichen) projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 46 WISSEN ten für die Entwicklung und prototypische Erprobung intelligenter Mobilitätsdienste im öffentlichen Straßenraum zu schaffen. Von Beginn an wurden Forschungspartner in die Anforderungserhebung mit eingebunden, weshalb frühzeitig ein umfassendes und organisationsübergreifendes Anforderungsmanagement im Projekt etabliert wurde. Eine besondere Herausforderung ergab sich aus der Heterogenität der Partner, die sich in dem Projekt trafen. Wissenschaftler aus den Verkehrswissenschaften, der Informatik, der Elektrotechnik und anderen Disziplinen waren ebenso vertreten, wie Praktiker aus der Automobil- und Eisenbahnindustrie. Jede dieser Organisationen und Fachdisziplinen lebte mehr oder weniger in ihrem eigenen fachlichen Sprachraum. Um für die anschließende öffentliche Ausschreibung und Vergabe von Leistungen gemäß der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) eine vollständige und erschöpfende Leistungsbeschreibung zu erhalten, wurde ein großes Augenmerk auf die Gewährleistung der sprachlichen und inhaltlichen Qualität der Anforderungen gelegt. Hierbei hat das Projekt von einem linguistisch fundierten methodischen Ansatz profitiert. Das Vorgehen war hierbei wie folgt: • Export der Anforderungen aus dem Werkzeug IBM Rational Doors und Konvertierung der Daten in für sprachtechnologische Werkzeuge verarbeitete Formate. • Import der Anforderungen in das sprachtechnologische Werkzeug SDL Multiterm Extract und Aufbereitung der in den Anforderungen verwendeten Terminologie. Auf dieser Grundlage wurde eine Indikatorenliste erarbeitet (allgemeinsprachliche und fachsprachliche Lexeme). • Die erstellte Indikatorenliste wurde auf den Anforderungsbestand angewendet. Ein eigens entwickeltes Werkzeug hat die vorhandenen Anforderungen mit einem Fehlercode annotiert, wenn ein hierfür einschlägiger sprachlicher Indikator im Anforderungstext gefunden wurde. • Die vom Werkzeug annotierten Anforderungen wurden einem vertieften sprachlichen Review unterzogen und in der Folge sprachlich umformuliert, bzw. in mehrere Anforderungen unterteilt. Im Projekt AIM bestand die Indikatorenliste schließlich aus insgesamt 847 allgemeinsprachlichen Lexemen. Die Indikatoren wurden für die Analyse in mehrere Kategorien eingeordnet: auf einem aktuellen Stand gehalten werden. Wird diese Möglichkeit konsequent wahrgenommen, können fachsprachliche Diskrepanzen schnell aufgedeckt und Explizitheit und Transparenz hergestellt werden. Potenziellen Missverständnissen wird dadurch vorgebeugt. 3 Vorgehensweise zur Prüfung sprachlicher Qualität im Anforderungsmanagement Abbildung 5 stellt ein Verfahren dar, wie der lexikalische Ansatz in einem konkreten Projekt umgesetzt werden kann. Es basiert auf den in wissenschaftlicher und industrieller Praxis gesammelten Erfahrungen des Autors. Es dient als Grundlage für den Einsatz von Beschreibungsmitteln, Methoden und Werkzeugen als Kern der Anforderungserstellung und -analyse. Die Schritte werden nachfolgend im Einzelnen erläutert. Das werkzeuggestützte linguistisch fundierte Requirements Engineering wurde exemplarisch im Projekt „Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM)“ des Instituts für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) angewendet. Ziel des Projektes AIM war es, einen umfassenden Baukashier auch Anforderungen an einen konsistenten Fachsprachengebrauch gestellt werden. Innerhalb einer einzelnen Disziplin ist eine solche Konsistenz bereits schwer herzustellen; in interdisziplinären Projekten kann Konsistenz nur noch durch gezieltes Terminologiemanagement erreicht werden. Dies gilt insbesondere für große Entwicklungsprojekte. Idealerweise werden hierbei allgemeinsprachliche und fachsprachliche Lexeme als semantische Netze modelliert. In diesen konstituieren sich Lexeme durch ihre Benennung (Lemma), eine natürlichsprachliche Begriffsbeschreibung (Definition) sowie durch einen Bezug zu ihrem sprachlichen Geltungsbereich (Varietät). Typisierte Relationen verbinden diese Lexeme miteinander. Ein Beispiel einer zweisprachigen Terminologie wäre eine Übersetzungsrelation eines deutschen terminologischen Eintrags ins Englische. Insofern dient eine Terminologie als gedankliche Stütze, mit der die Präzision und die Vollständigkeit von Anforderungen erhöht werden kann. Die Werkzeugunterstützung sollte nicht nur eine Terminologie zur Verfügung stellen, sondern auch erlauben, dass der Autor der Anforderungen eine eigene Terminologie erstellt oder fortschreibt. So kann die Anforderungsterminologie Abb. 5: Methodisches Vorgehen eines werkzeuggestützten linguistisch fundierten Requirements Engineerings WISSEN 47 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2017 Probleme. In: Hoffmann, Lothar, et al. (Hrsg.): Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft. Band 1, De Gruyter, Berlin 1997, S. 679-689 [8] Rehbein, Jochen: Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen. In: Hoffmann, Lothar, et al. (Hrsg.): Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft. Band 1, De Gruyter, Berlin 1997, S. 689-710 Schlagwörter Anforderungen, Kommunikation, Linguistik, Projektziele, Requirements Engineering Kompetenzelemente der ICB 4.0 3.02 Anforderungen, Ziele und Nutzen Autor Dr.-Ing. Lars Schnieder (37); Studium Wirtschaftsingenieurwesen in der Fachrichtung Bauingenieurwesen an der TU Braunschweig und der University of Nebraska at Omaha (USA); von 2005 bis 2011 tätig bei Siemens Industry Mobility Rail Automation, anschließend Übernahme der Leitung des Projektes „Anwendungsplattform Intelligente Mobilität“ (AIM) am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR); das Projekt AIM wurde 2016 im Rahmen des Deutschen Project Excellence Awards ausgezeichnet. Seit 2016 ist er in der ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH verantwortlich für den Geschäftsbereich Sicherheitsbegutachtung für die Segmente Automotive, Industry und Rail. Anschrift: ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH, Am Alten Bahnhof 16, 38122 Braunschweig, Tel.: 05 31/ 238 80 71, E-Mail: Lars.Schnieder@ese.de ten systematisch erfassen und überblicken. Dies gilt umso mehr für ein linguistisch fundiertes Anforderungsmanagement. Um im Projektteam eine hohe Akzeptanz für sprachwissenschaftliche Ansätze zu erreichen, ist es unbedingt notwendig, die Anzahl der fehlerhaften Indikationen eines solchen Ansatzes möglichst gering zu halten. Das hier vorgestellte Vorgehen fokussierte auf lexikalische Aspekte von Anforderungen und stellt einige grundlegende Konzepte und Modelle dazu vor. Syntaktische Aspekte wie Passivkonstruktionen oder ein unklarer Bezug von Adjektiven können mit tiefergehenden computerlinguistischen Ansätzen untersucht werden. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte Part-of-Speech-Tagging, bei dem Wortarten (engl. part of speech) auf Grundlage der Definition eines Wortes und seines Kontexts maschinell erkannt werden. Hierzu wird sowohl die Definition des Wortes als auch sein Kontext analysiert. Mit solchen umfassenden Analysefunktionen kann der Anforderungsmanager bei der Überarbeitung der Anforderungen unterstützt werden. Viele Unternehmen verfügen allerdings noch nicht über vernetzte Terminologien, wie sie hier vorgestellt wurden. Das führt zu teuren Missverständnissen und Nachforderungen in Projekten. Einfach anwendbare Verfahren zur Terminologieerarbeitung können auf Basis der in diesem Artikel skizzierten Methodik aufgebaut und in das Anforderungsmanagement integriert werden.  Literatur [1] Pohl, Klaus: Requirements Engineering: Grundlagen, Prinzipien, Techniken. Dpunkt, Heidelberg 2007 [2] Rupp, Chris, et al.: Requirements-Engineering und -Management. Professionelle, iterative Anforderungsanalyse für die Praxis. Hanser, München 2007 [3] Ogden, Charles/ Richards, Ivor: The meaning of meaning: a study of the influence of language upon thought and of the science of symbolism. Routledge, London 1966 [4] Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 2001 [5] Picht, Heribert/ Laurèn, Christer: Ausgewählte Texte zur Terminologie. TermNet, Wien 1993 [6] DIN 820-2: 2012-12: Normungsarbeit - Teil 2: Gestaltung von Dokumenten [7] Hoffmann, Lothar: Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen: theoretische und methodische a) Ambiguität: lexikalische Einheiten mit mehreren einander unähnlichen Bedeutungen b) Atomarität: lexikalische Einheiten, die indizieren können, dass eine Anforderung nicht atomar ist (zum Beispiel nebenordnende Konjunktionen) c) Bezug: substituierende lexikalische Einheiten, bei denen potenziell die Gefahr besteht, dass der substituierte Inhalt nicht richtig zugeordnet und aufgelöst werden kann (zum Beispiel Personalpronomen) d) Vagheit: unterspezifizierte lexikalische Einheiten, deren Interpretationsspielraum durch Kriterien eingeschränkt werden muss (zum Beispiel Adjektive) e) Verbindlichkeit: Indikatoren für die Verbindlichkeit einer Anforderung (ausschließlich durch die Verwendung der Hilfsverben können, müssen, sollen) f) Quantor: lexikalische Einheiten, die eine Aussage über die Menge von etwas machen (zum Beispiel kein, alle) g) Implizitheit: lexikalische Einheiten, die relativ abstrakt sind und die spezialisiert werden können; hier werden bereits terminologische Fragestellungen wichtig (zum Beispiel: Schnittstelle; Verben und Nominalisierungen) h) Bedingung: lexikalische Einheiten, die indizieren, dass an eine Anforderung noch weitere Bedingungen geknüpft sein können i) Frage: Indikatoren für direkte oder indirekte Fragen (Interrogativpronomen) In sprachlicher Analyse war es möglich, dass lexikalische Indikatoren durchaus mehreren Kategorien zugeordnet wurden. Die auf diese Art streng systematisch durchgeführte Analyse und Steuerung von Anforderungen über die gesamte Projektlaufzeit war ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Projekt. So haben auch die Assessoren des Deutschen Project Excellence Awards nach einem intensiven Projektreview in ihrem Feedbackbericht hervorgehoben, dass ein besonders gutes Requirements Engineering wesentlich dazu beitrug, „die unüblich hohe Anzahl von Ausschreibungen und den Umgang mit den Lieferanten unter den restriktiven Anforderungen der Fördermittelgeber zur Zufriedenheit Aller zu bewältigen“. 4 Zusammenfassung und Fazit Ein erfolgreiches Anforderungsmanagement braucht eine Werkzeugunterstützung, nur so lässt sich die Fülle der Inhalte und Abhängigkei-