eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 28/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2017
284 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Eine halbe Million Stahlsterne für die „Himmelskuppel“

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2017
Oliver Steeger
Besucher von Abu Dhabi oder Dubai kommen aus dem Staunen nicht heraus: Die atemberaubende Architektur besticht nicht nur durch die Höhe der Wolkenkratzer. Die Vereinigten Arabischen Emirate setzen auch in der Formensprache Trends und schaffen das, was Fachleute „Leuchtturmarchitektur“ nennen. Neueste Beispiele sind zwei Museumsbauten, der Louvre in Abu Dhabi und das im Dezember 2016 eröffnete Etihad-Museum in Dubai. Auch beim Projektmanagement setzten diese beiden Projekte Trends. Die Digitalisierung hält Einzug auf den Baustellen. Karina Breitwieser von Waagner-Biro Stahlbau hat als Leiterin für Projektmanagement an beiden Projekten mitgewirkt. Sie weiß, dass bei solch komplexen Projekten Daten und Informationen immer wichtiger werden – sowohl im virtuellen Raum der Planung als auch auf der realen Baustelle im Wüstensand. Im Interview berichtet Karina Breitwieser über Projekte im Nahen Osten, über innovatives Informationsmanagement, Kooperation im virtuellen Raum und die „digitale Baustelle“ von morgen. „Vieles ist noch Zukunftsmusik“, sagt sie. Doch was bei diesen Prestigebauten heute zu beobachten ist – dies könnte das Bauprojektmanagement revolutionieren.
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Wie die Digitalisierung das Projektmanagement revolutioniert Eine halbe Million Stahlsterne für die „Himmelskuppel“ Autor: Oliver Steeger Besucher von Abu Dhabi oder Dubai kommen aus dem Staunen nicht heraus: Die atemberaubende Architektur besticht nicht nur durch die Höhe der Wolkenkratzer. Die Vereinigten Arabischen Emirate setzen auch in der Formensprache Trends und schaffen das, was Fachleute „Leuchtturmarchitektur“ nennen. Neueste Beispiele sind zwei Museumsbauten, der Louvre in Abu Dhabi und das im Dezember 2016 eröffnete Etihad-Museum in Dubai. Auch beim Projektmanagement setzten diese beiden Projekte Trends. Die Digitalisierung hält Einzug auf den Baustellen. Karina Breitwieser von Waagner-Biro Stahlbau hat als Leiterin für Projektmanagement an beiden Projekten mitgewirkt. Sie weiß, dass bei solch komplexen Projekten Daten und Informationen immer wichtiger werden - sowohl im virtuellen Raum der Planung als auch auf der realen Baustelle im Wüstensand. Im Interview berichtet Karina Breitwieser über Projekte im Nahen Osten, über innovatives Informationsmanagement, Kooperation im virtuellen Raum und die „digitale Baustelle“ von morgen. „Vieles ist noch Zukunftsmusik“, sagt sie. Doch was bei diesen Prestigebauten heute zu beobachten ist - dies könnte das Bauprojektmanagement revolutionieren. Frau Breitwieser, wer heute spektakuläre Architektur sehen will, der reist in arabische Länder. Beispielsweise nach Abu Dhabi oder Dubai. An zwei großen Museumsprojekten war Ihr Unternehmen beteiligt. Es hat kühne architektonische Visionen umgesetzt. Beispielsweise wird das Louvre-Museum in Abu Dhabi von einer pilzförmigen Kuppel überspannt, einer haubenartigen Stahlkonstruktion von 178 Metern Spannweite und 24 Metern Höhe. Karina Breitwieser: Die Spannweite und die geringe Höhe dieser Kuppel waren eine enorme Herausforderung. Doch das technisch Spannende an diesem Projekt ist, dass dieses Dach auf nur vier Lagern ruht. Dies muss man sich in dieser Dimension vorstellen! Wirklich herausfordernd für uns war die Analyse der Bauzustände. Wir haben nicht nur berechnet, wie diese Stahlkonstruktion am Ende aussehen wird - sondern auch, welche Verformungszustände sich während der Bauphase einstellen. Sie sprechen von Verformungszuständen. Vermutlich nimmt die Konstruktion, die ja nur auf wenigen Lagern ruht, während der verschiedenen Bauphasen unterschiedliche Formen an. Dies hängt mit dem Eigengewicht zusammen. Verstehe ich dies richtig so? Ja. Wir haben gemeinsam mit den Tragwerksplanern eine Geometrie für die Kuppel ausgearbeitet und die Verformung der Tragkonstruktion berechnet. Danach haben wir diese Konstruktion auf einem Traggerüst aufgebaut - und zwar überhöht, wie dies in der Fachsprache heißt … … also noch nicht in der Geometrie des Endzustands, zunächst etwas steiler … … richtig! Als wir die Unterstützungskonstruktion weggenommen und die Konstruktion auf die Lager abgesenkt haben, hat sich die Kuppel verformt. Sie wurde unter ihrem Eigengewicht flacher. Wir hatten damit eine flachere Geometrie, anders als während des Baus. Diese verschiedenen geometrischen Zustände haben wir vorausberechnet. Karina Breitwieser Karina Breitwieser (54) leitet seit 2004 die Abteilung Projektmanagement bei Waagner-Biro Stahlbau. Dieser Bereich von Waagner-Biro plant komplexe Fassadenprojekte in Zusammenarbeit mit bekannten Architekten und Ingenieurbüros und wickelt diese weltweit bis zur Übergabe ab. Neben dem operativen Tagesgeschäft befasst sich Karina Breitwieser mit der Zukunft der Projektabwicklung. Sie diskutiert in Fachkreisen Konzepte und gestaltet die Entwicklung strategisch. So hat sie sich mit dem Thema Digitalisierung und BIM unter anderem im Rahmen ihres Engagements für den Arbeitskreis „Zukunft der Bauprozesse“ des OEIAV intensiv auseinandergesetzt. Foto: Trevor Palin REPORT 21 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 22 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 tragenden Skelettkonstruktion, etwa aus Stahl. Hinzu kommen raumbildende Elemente, beispielsweise Paneele aus verschiedenen Materialien oder Verglasung aus hochwertigen Spezialgläsern. Dafür entwickeln wir technische Lösungen, fertigen die Bauteile und montieren sie. Ein wichtiger Schritt dabei ist, dass wir diese Lösung eng mit dem Architekten, den Ingenieuren und Fachplanern des Kunden entwickeln. Das ist unsere Herausforderung - wie können wir technisch die Vision des Planungsteams umsetzen? Dies klingt noch sehr abstrakt. Nehmen Sie beispielsweise die Kuppel des Berliner Reichstags, die wir gebaut haben. Am Beginn stand eine Skizze des Architekten Sir Norman Foster - eine wunderschöne Handskizze, in der die ganze architektonische Aussage spürbar war. Die Kunst für uns besteht dann darin, dass wir in der gemeinsamen Planungsphase mit dem Architekten, den Ingenieuren und Fachplanern technisch baubare Lösungen für diese Architektur finden. Es ist uns ausgesprochen wichtig zu verstehen, wohin der Architekt will. Die so erarbeitete Lösung setzen wir dann in der Realität um. Vieles, was am Reißbrett spannend aussieht, stößt im Staub der Baustelle auf Schwierigkeiten. Es gibt physikalische Randbedingungen für innerhalb eines Jahres eine Lösung umsetzen, von der Planung bis zur Fertigstellung. Das Eröffnungsdatum hing mit einem nationalen Feiertag zusammen. Beim routinemäßigen Check der Tragkonstruktion hat sich aber gezeigt, dass der ursprüngliche Entwurf für die Stahlkonstruktion instabil und überlastet war. Lassen Sie mich raten: Der Eröffnungstermin war nicht verhandelbar ... Darin bestand die Herausforderung! Der Termin hatte eine historische Bedeutung in den Emiraten. Kurz, wir hatten extrem wenig Zeit, mit allen Beteiligten eine neue Lösung zu finden, die auch vom Tragwerksplaner akzeptiert wurde und zu seiner architektonischen Intention passte. Wir sprechen hier ja von Gebäuden, die architektonisch Trends setzen; die Architektur findet weltweit Beachtung. Genau für solche Gebäude liefern wir unseren Beitrag, dies ist unser Geschäft. Wir liefern im Wesentlichen die Hülle, etwa die Fassade aus Stahl, Glas oder Metallpaneele. TERMINDRUCK BEI MUSEUMSBAU Die Hülle - was darf ich mir genau darunter vorstellen? Zumeist bestehen diese Gebäude aus einer Der Moment, in dem die Kuppel ihre endgültige Form annimmt, dürfte ein spannender Moment gewesen sein. Ja, wirklich. Da haben alle Beteiligten den Atem angehalten. Die Unterstützungskonstruktion wurde Schritt für Schritt entfernt. Dann senkte sich diese gewaltige Kuppel in ihre endgültige Form. Ein Grund zum Jubeln, als die Konstruktion exakt das tat, was wir in dreidimensional angelegten Konstruktionsmodellen ermittelt hatten. Bei allen unseren Projekten ist dies ein großartiger Moment: wenn das Tragwerk die vorausberechnete Geometrie einnimmt. Gelingt alles, wie es der Architekt will? Wie wir es mit ihm technisch entwickelt und versprochen haben? Dies messen wir dann natürlich auch mit hochpräzisen Geräten nach. Wir glauben selbstverständlich immer an unsere Berechnungen, wir wissen mit solchen Konstruktionen umzugehen. Und trotzdem, ein spannender Moment. Wir müssen ja immer den Wahrheitsbeweis antreten: Wir müssen dafür sorgen, dass der Bau am Ende auch gelingt, dass alles funktioniert. In Dubai standen Sie bei einem anderen Projekt unter enormem Zeitdruck. Es handelt sich dabei um das Etihad-Museum, ein Museum zur Geschichte und Kultur der Vereinigten Emirate, das im Dezember 2016 eröffnet wurde. Wir kamen spät in das Projekt - und mussten Eine haubenartige Kuppel überspannt das Louvre in Abu Dhabi - eine Stahlkonstruktion von 178 Metern Spannweite und 24 Metern Höhe. Foto: Waagner-Biro REPORT 23 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 flussen kann. Mit diesen Randbedingungen müssen wir auf Baustellen leben. Aber wir können durch die Nutzung von Daten und Informationsmanagement beispielsweise die Basis für Entscheidungsprozesse verbessern. So machen wir das Projektmanagement effizienter und beschleunigen die Abwicklung. ENTSCHEIDUNGEN BRAUCHEN INFORMATIONEN Inwieweit bilden Entscheidungen einen Hebel? Projektmanager in Planungsbüros oder auf Baustellen treffen ständig Entscheidungen. Diese Entscheidungen haben Einfluss darauf, wie schnell, kosteneffizient und gut der Bau vorankommt. Beispielsweise haben wir bei dem Louvre-Projekt einen detaillierten Plan ausgearbeitet, in welcher Reihenfolge die Bauteile gefertigt und montiert werden. Hatten wir später über eine Änderung dieser Reihenfolge zu entscheiden, so mussten wir natürlich den Status kenwelcher Form braucht. Dann muss er dafür sorgen, dass diese Daten dann auch jeweils verfügbar sind. Das ist das, was ich als Informationsmanagement bezeichne. Bei unseren Projekten bewegen wir uns vielfach auf globalem Parkett. Die Beteiligten der Projekte und auch unsere Teammitglieder sind weltweit verteilt - räumlich getrennt in verschiedenen Erdteilen und in verschiedenen Zeitzonen. Beim Informationsmanagement müssen diese Distanzen überbrückt werden. Dies ist die eine Herausforderung, die ich für das Bauwesen der Zukunft sehe. Zumindest bei Projekten, wie wir sie durchführen. Wie gelingt es dem Projektmanager, alle Beteiligten so mit Daten und Informationen zu versorgen, dass sie optimal arbeiten können? Provozierend gefragt: Weshalb sind Daten auf Baustellen so wichtig, etwa hinsichtlich der Termineinhaltung? Sie haben doch keinen Einfluss darauf, wie schnell Beton abbindet und damit ein Stützpfeiler hochgezogen werden kann. Natürlich nicht, Sie sprechen da von physikalischen Randbedingungen, die man nicht beeinden Bau. Statik beispielsweise. Und es gibt die Sachzwänge eines Projekts, etwa Terminpläne. Und natürlich - die Budgets sind auch bei Leuchtturmprojekten der Architektur nicht unerschöpflich. Projektmanager kennen dies. Man taktiert im magischen Dreieck des Projektmanagements: Termin, Kosten, Qualität. Wo liegen die speziellen Herausforderungen für das Projektmanagement bei solchen Vorhaben? Termintreue, Budgeteinhaltung und Zielerreichung werden immer die zentralen Fragen bleiben. Doch es wird eine der großen Zukunftsherausforderungen sein, im Spannungsfeld dieses Dreiecks die Informationen richtig zu managen. HERAUSFORDERUNG INFORMATIONS- MANAGEMENT Informationen? Was für Informationen? Auf jeder Baustelle fallen heute viele technische Daten und Detailinformationen an. Der Projektmanager muss verstehen, wer wann welche Daten in Gefühlte Leichtigkeit der Konstruktion: Ein Blick zur Kuppel hinauf. Foto: Waagner-Biro 24 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 Daten. Jeder hat also alle Daten zur Hand - dies ist grob beschrieben die Idee hinter „open BIM“. HALBE MILLION BAUTEILE FÜR DAS DACH Vorhin sprachen Sie von einer halben Million Bauteile allein für das Dach des Louvre-Museums. Man könnte auch die Baustellendaten eingeben in dieses System. Also die gesamte Realisierung eines Teils nachverfolgen - von der Konstruktion über den Bau bis hin zur Lieferung, Lagerung auf der Baustelle und schließlich zur Montage. Theoretisch ja. Davon sind auch alle beseelt, die sich mit dem BIM-Fieber angesteckt haben. Aber das muss auch in der Realität handhabbar sein. Nicht nur IT-technisch - sondern auch in dem Sinne, dass wir lernen, diese Datenkomplexität zu managen und mit den Daten umzugehen. Ein Beispiel: Es arbeiten viele Beteiligte an diesem Modell, der Architekt, der Bauherr, die Bauingenieure, ausführende Unternehmen, vielleicht auch Behörden. Viele Unternehmen, die im bestimmten vertraglichen Verhältnis zueinander stehen, haben Zugriff auf diese Daten. Diese rechtlichen Verhältnisse müssen sich im Datenmanagement abbilden. Wie geht ein Unternehmen beispielsweise mit Kosteninformationen um, die es nicht notwendigerweise mit allen Beteiligten teilen will? Es muss dafür gesorgt werden, dass bestimmte Informationen erst dann für alle freigeschaltet werden, wenn man sie auch wirk- Software für digitale Workflows sind weit entwickelt, Projektmanagementsoftware natürlich auch. BIM - das Building Information Modelling - gehört auch in diese Entwicklungsreihe. Über BIM bei Bauprojekten hat man zuletzt in der Baufachwelt viel gesprochen. Für Laien erklärt: Was ist mit BIM genau gemeint? BIM stellt das Gebäude als Informationssystem in einen virtuellen Raum. ZAUBERFORMEL „BIM“? Also ein dreidimensionales Modell des entstehenden Gebäudes im Computer - quasi wie bei einer Konstruktionssoftware. Die eigentliche Revolution gegenüber anderer Konstruktionssoftware ist, dass ein Bauteil nicht mehr aus einzelnen Linien besteht, sondern als Objekt begriffen wird. Beispielsweise wird ein Stahlträger aus zwei Dutzend Linien als Objekt dargestellt - und auch so im System erkannt. Man kann diesen Objekten dann Informationen zuordnen, und dies ist der eigentliche Fortschritt. Also etwa Termindaten, Kostendaten, technische Informationen oder geometrische Daten, die zeigen, wo das Bauteil im Raum liegt? Ja, genau. Dieses System basiert auf einer Datenbankanwendung. Die wirkliche Revolution wird es aber sein, wenn alle Projektbeteiligten zusammen an diesem Modell im virtuellen Raum arbeiten. Dann haben alle Zugriff auf dieselben nen. Wir benötigten also kurzfristig Informationen zum aktuellen Status. Für solche Entscheidungen braucht der Projektmanager präzise Real-Time- Daten. Ist das benötigte Bauteil geliefert? Ist es montagefertig? Wo ist das Bauteil auf der Baustelle gelagert? Das heißt - weniger Fehler. Das Projekt kommt auf einen sicheren Pfad. Ja, genau! Bei der Kuppel des Louvre-Projekts hatten wir es mit einer halben Million verschiedener Teile zu tun, allein 7.850 unterschiedliche Aluminiumsterne. Das ist nicht trivial. Wir mussten dafür sorgen, dass wir zu jeder Zeit wussten, wo welches Teil auf der Baustelle lagert, in welchem Zustand es dort liegt, wie es eingebaut wird, in wie weit der Qualitätsüberprüfungsprozess abgeschlossen war - und viele weitere Daten mehr. Ist denn diese Digitalisierung tatsächlich neu bei Bauprojekten? Jeder Architekt, Bauingenieur oder Projektmanager, den ich kenne, nutzt für seine Aufgaben spezielle Software. Die Bauwelt arbeitet selbstverständlich schon seit längerer Zeit digital, teilweise seit Jahrzehnten. Die Architektur, über die wir vorhin gesprochen haben, wäre ohne digitale Berechnungssoftware nicht möglich. Dies kann man auch nicht zweidimensional auf dem Zeichenbrett planen; man braucht ein Tool für dreidimensionales Konstruieren. Auch die Art der Kommunikation ist heute digitalisiert, etwa durch E-Mails oder Plattformen für Dokumentenaustausch. Ein atemberaubendes Spiel von Licht, Stahl und Spiegelungen. Foto: Waagner-Biro REPORT 25 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 Sprechen wir bitte nochmals über die digitale Baustelle. Es geht bei der digitalen Baustelle nicht um das Modell im virtuellen Raum. Mit digitaler Baustelle ist die reale Baustelle gemeint, der Ort, an dem das Gebäude wirklich entsteht. Mit der digitalen Baustelle sind wir plötzlich in der Realität des Bauens. Der Projektmanager muss laufend wissen, wie weit er mit seinem Bau gekommen ist - relativ zum Plan, zum virtuellen Modell. Und zwar auf Knopfdruck, zu jeder Zeit: Was ist geliefert? Was ist gebaut? Wie ist der Status der Mängel? Vorhin haben wir über die Bauteile für die Stahlkuppel des Louvre- Museums in Abu Dhabi gesprochen, dabei auch Schnittstellen standardisieren? Weshalb? In unserer Branche verwendet man unterschiedliche Software. Diese müssten wir zusammenschalten, sodass die Daten reibungslos und sicher zwischen den Softwarelösungen ausgetauscht werden können. Aber angenommen, all dies gelingt - dann werden wir am Ende zu einer anderen, neuen Art kommen, Bauprojekte zu managen. Uns eröffnet sich die Chance, Bauprojekte in einer intensiveren Kooperation zu bearbeiten. Das Bauprojekt und die Prozesse, auf die sich der Auftraggeber einlässt, würden für ihn und alle Beteiligten nachvollziehbarer gestaltet werden. lich freigeben kann. Wir sind noch nicht so weit, dass wir diese vollständige Transparenz in der Realität umsetzen können. DIE „DIGITALE BAUSTELLE“ Wir beschreiben also noch eine Zukunftsvision für das Bauprojektmanagement? Ja. Es gibt vielversprechende Ansätze. Einiges ist auch schon umgesetzt. Doch die vollständige Transparenz und das gemeinsame Arbeiten an wirklich einem Modell - bis zu diesem Ziel fehlt uns noch ein Stück des Weges. Beispielsweise müssten die Softwareschnittstellen standardisiert werden. Das Bauprojekt stand unter großem Zeitdruck. Foto: Richard Schabetsberger Im Dezember 2016 wurde das Etihad-Museum in Dubai eröffnet. Foto: Richard Schabetsberger 26 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 etwa für die Dachpaneele. Dieses Informationsmanagement für die gesamte Baustelle umzusetzen - dies wäre der nächste, wirklich große Schritt. Für einzelne Bauteile mag dieses Tracking gut möglich sein. Aber wie sieht dies für Bauleistungen aus, die man nicht ohne Weiteres eindeutig zählen, wiegen, messen kann - beispielsweise für simple Putzarbeiten oder für Erdaushub? Da liegt in der Tat eine Herausforderung. Beispielsweise Fugenarbeiten bei Fassaden. Solche Arbeiten kann man nicht so leicht „nachzählen“ wie die Montage einzelner Paneele. Für die Lösung dieser Aufgabe müssen wir noch kreatives Potenzial aktivieren. TRACKING FÜR MEHR TRANSPARENZ Sie haben die Vorteile der Digitalisierung für das Projektmanagement beschrieben. Die Digitalisierung ermöglicht Transparenz bei der Zusammenarbeit. Auch können Projektmanager war, wo wie viele und welche Sterne bereits eingebaut und montiert waren. Diese Visualisierung komplexer Datenmengen ist wichtig! Projektmanager müssen sehr schnell den Status der Baustelle erfassen und Entscheidungen treffen. Ich vermute, dass diese Fortschrittsdaten auch für Stakeholder interessant sind? Mit Sicherheit! Unsere Stakeholder wollten wissen, wie weit der unter Termindruck stehende Bau vorangeschritten war. Diese Daten konnten wir quasi „real time“ auch unserem eigenen Topmanagement liefern, den Qualitätsmanagern und anderen Interessenten. Aber Fragen muss man sich natürlich weiterhin gefallen lassen: Klappt alles bis zum geplanten Eröffnungstermin? Denn: Für die Einschätzung der Zukunft hilft keine Software. Wie sah es beim Bau des Etihad-Museums aus? Beim Etihad-Museum in Dubai sind wir sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Wir haben die Daten einem ausgewählten Kreis von Stakeholdern auf einer Homepage zugänglich gemacht. Dies galt nur für bestimmte Bauteile, von den 7.850 verschiedenartigen Sternen. Für diese Sterne haben wir auf der Baustelle in Abu Dhabi bereits einen ständigen Abgleich zwischen virtuellem Modell und realer Baustelle durchgeführt. Wir haben anhand des Modells die Realisierung gesteuert - mit allen Detaildaten. Alle Detaildaten? Wir haben sämtliche Zustände für jedes dieser 7.850 Bauteile auf unserer Baustelle erfasst: Was ist angeliefert, wo liegt das Teil in welchem Zustand? Wann wird es wo eingesetzt? Für dieses Tracking haben wir gemeinsam mit einer Softwarefirma einfach zu bedienende Apps für unsere Mitarbeiter entwickelt. Damit waren die Informationen nicht mehr auf Papier notiert. Sie wurden dann nicht mehr im Baucontainer in eine Tabellenkalkulation eingetragen, sondern waren sofort digital in einer Datenbank verfügbar. Wir konnten den Zustand der Baustelle jederzeit am Modell ablesen. Ablesen - was heißt dies konkret? Wir konnten beispielsweise auf Knopfdruck Pläne ausdrucken, auf denen farblich markiert Die Kuppel des Berliner Reichstags. Am Anfang stand eine Skizze des Architekten Sir Norman Foster - „eine wunderschöne Handskizze, in der die ganze architektonische Aussage spürbar war“, wie Karina Breitwieser sagt. Foto: Waagner-Biro REPORT 27 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 einander führen - etwa zu weniger aggressivem Claim Manegement? Ich erhoffe mir tatsächlich einen Beitrag durch die Digitalisierung. Sie wird mehr Transparenz hinsichtlich Urheberschaft und Status zu einem gewissen Zeitpunkt bringen. Das Claim Management wird sich durch die Digitalisierung mit Sicherheit aber nicht erübrigen. Es wird nur anders gestaltet sein. CLAIM MANAGEMENT Inwiefern wird Claim Management anders gestaltet sein? Dinge, die jetzt auf Papier geregelt sind, müssen später im digitalen Raum erfassbar sein. Zum Beispiel müssen die Beteiligten beim Vertragsschluss genau den Stand der bekannten Informationen im digitalen Raum festlegen - die Informationen, aufgrund derer kalkuliert wurde. Nur so kann später der angebotene Preis einem bestimmten Planungszustand des Gebäudes gegenübergestellt werden. Das ist wohl noch Zukunftsmusik? Nein, das gibt es heute schon. Die Entwicklungen gehen tatsächlich schneller voran als viele vermuten. In den letzten Jahren haben sich verschiedene am Bau beteiligte Firmen und auch Softwarehersteller mit der Digitalisierung auseinandergesetzt. Im Moment gibt es daher unterschiedliche Ansätze. Diese Vielfalt ist vielleicht schwierig zu überblicken, aber sie beschleunigt die Entwicklung extrem. Anhand dieser Fortschritte kann man sich gut vorstellen, wie solche Innovationen die Arbeitsweise im Projekt revolutionieren. Wir werden eine andere Denkweise brauchen, eine andere Art des Austauschs. Vor allem brauchen wir sehr viel Kompetenz beim Informationsmanagement, davon bin ich überzeugt. ZUKUNFTSMUSIK? Auf vielen Baustellen arbeiten die Beteiligten mehr gegeneinander als miteinander. Könnte die Digitalisierung auch zu einem besseren Mitschneller und besser Entscheidungen treffen, da Real-Time-Daten jederzeit und an allen Orten zur Hand sind. Zudem verändert sich das Stakeholdermanagement. Meine Frage: Könnte die Digitalisierung eine Revolution beim Projektmanagement selbst auslösen? Durchaus! Alle arbeiten an einem Modell im virtuellen Raum. Dies wird auch die Art und Weise der Zusammenarbeit verändern. Heute arbeitet jedes beteiligte Unternehmen noch für sich, getrennt von anderen Partnern auf der Baustelle. Man denkt also noch stark an Bauakten, die von einem Unternehmen an das nächste weitergereicht werden? Künftig werden alle ihren Beitrag an einem gemeinsamen dreidimensionalen Modell einbringen. Zum Beispiel könnte man bei Meetings Protokolle nicht mehr in einer Textdatei führen, sondern direkt am Modell. Eine spezielle Software ordnet Besprechungsergebnisse einem bestimmten Bauteil zu. Es wird also leicht nachvollziehbar, wer was wann zu einem bestimmten Bauteil gesagt oder entschieden hat. Spektakuläre Architektur in Abu Dhabi. Dort entstehen Gebäude, die die aktuellen Gestaltungstrends bestimmen. Foto: Gerry O‘Leary 28 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 anderen diese Daten auch vor. Darüber hinaus meine ich, dass die Arbeit an einem gemeinsamen Modell das Bewusstsein für gemeinsame Lösungen stärkt. Wir brauchen auf jeden Fall das erwähnte professionelle Informationsmanagement. In Zukunft wird das neue Berufsbild eines BIM-Managers eine zentrale Rolle spielen. NEUE ARBEITSWEISEN IM PROJEKTMANAGEMENT Eben sprachen Sie von neuen Arbeitsweisen durch die Digitalisierung. Wie wirken sich diese Arbeitsweisen auf den Projektmanager aus? Er braucht neue Kompetenzen. Zunächst einmal muss er sicher umgehen können mit den digitalen Tools, dies ist eine grundsätzliche Voraussetzung. Vor allem den Umgang, auch mit mobilen Tools, müssen wir routiniert beherrschen. Wir müssen am Ball bleiben in dieser sich ständig verändernden digitalen Welt. Soweit die technische Seite. Wie sieht es mit den persönlichen Skills aus? Gutes Stichwort! Wir brauchen im Bauprojektmanagement ein neues Mindset für digitales Arbeiten. Wir müssen lernen, Informationen zu teilen, digital zusammenzuarbeiten und in Verbindung zu bleiben. Und, wie eben gesagt, wenn alle an verändern, da bin ich mir sicher. Wir haben dann deutlich mehr Transparenz. Und ich hoffe auch, dass wir aufgrund dieser digitalen Verfügbarkeit bestimmte Diskussionen über Mengen und Spezifikationen anders führen können. Über bestimmte Dinge wird man dann vielleicht nicht mehr sprechen müssen. Aber natürlich werden wir weiterhin über Interpretationen diskutieren. Wir werden jedoch eine andere Basis für die Argumentationslinie haben. IM DIGITALEN MODELL Gilt dies auch für die Gestaltung der Verträge selbst? Vermutlich, ja. Wenn alle Beteiligten in einem digitalen Raum arbeiten, dann wird sich diese Arbeitsweise auch in Verträgen abbilden müssen. Wenn die Modelle und die Spielregeln der Zusammenarbeit im virtuellen Raum eine solche Bedeutung bekommen, wird sich aber deutlich mehr als das Management von Claims und von Verträgen ändern. Wir werden an bestimmte Aufgaben anders herangehen müssen, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Was beispielsweise? Wir werden präzise arbeiten müssen. Denn so, wie ein Beteiligter die Daten eingibt, finden alle Augenblick, langsam bitte. Ein Bauprojekt entwickelt sich am gemeinsamen Modell. Die Pläne werden immer konkreter. Bei einem bestimmten Informationsstand gibt ein Unternehmen ein Angebot ab. Es ermittelt für seine Leistungen einen Preis auf Basis der zu diesem Stichtag bekannten Informationen. Es wird quasi ein Schnitt gemacht. Alle Informationen, die später kommen und auf diese Leistungen Einfluss haben, werden dann durch Claims bearbeitet und nachberechnet. Das ist im Prinzip nicht anders als jetzt. Dies muss nur am digitalen Modell nachvollziehbar sein. Bei der Abrechnung kann man später dann recht transparent erkennen, wie sich sowohl die Informationen als auch Leistungen gegenüber dem Angebot verändert haben. Man kann gut sehen, welche Informationen der Anbieter bei der Kalkulation berücksichtigen konnte - und welche Änderungen später kamen. IT-Technologen und Juristen müssten natürlich festlegen, wie dies aussehen kann. Wir sprechen bei alledem im Konjunktiv. Das ist alles noch Zukunftsvision. Sprechen wir weiter im Konjunktiv: Es würde durch die Digitalisierung auch einfacher, Claims nachzuweisen? Ich weiß nicht, ob dies automatisch einfacher würde. Das Claim Management würde sich aber Die Sowwah Galleria in Abu Dhabi; Foto: Trevor Palin REPORT 29 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 einem digitalen Modell arbeiten, dann müssen wir darauf achten, strukturiert und präzise zu arbeiten. Jeder ist für die Daten auch verantwortlich, die er dem Modell zuführt. Die Daten müssen anwenderfreundlich dargestellt werden - nicht nur für Manager und Ingenieure, sondern auch für Mitarbeiter auf der Baustelle. Auch dort ist Akzeptanz der Digitalisierung wichtig. In jedem Fall: Wir brauchen auch im Zeitalter der Digitalisierung noch mehr professionelle direkte Kommunikation und diese dann möglichst respektvoll und effektiv. Vermutlich sind junge Mitarbeiter gut auf diese Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet ... Wahrscheinlich. Junge Mitarbeiter sind mit der Digitalisierung aufgewachsen. Sie kennen sich in der digitalen Welt aus, können mit digitalen Informationen umgehen. Was für mich spannend ist: Sie gehen mit digitalen Informationen anders um als ihre älteren Kollegen. Sie sind beispielsweise häufig bereit, Informationen und Wissen digital zu teilen - etwa in Onlineforen. Die neue Generation bringt ein neues digitales Mindset mit. Dies werden wir gut nutzen können auf dem Weg in die Digitalisierung.  Der Louvre in Paris: Im Cour Visconti, einem der großen Höfe, schafft eine Überdachung Raum für die islamische Sammlung. Foto: Louvre Paris