eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 28/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2017
284 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Nichts wie raus aus Monolithistan

101
2017
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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58 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2017 Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM- Alltag geben. Priesberg rennt in Ehrlichs Büro und zeigt ihm begeistert seine neue Richtlinie für ein Projektmanagementoffice: „Sie spricht für sich, nach langer Arbeit haben wir endlich einen Text, den jeder gleichermaßen versteht.“ Ehrlich lästert: „Willkommen in Monolithistan! “ Priesberg reagiert verärgert: „Was habe ich denn schon wieder falsch gemacht? “ „Seit wann können Texte sprechen? Und sogar für sich selbst? Sind sie womöglich Rechtsanwälte in eigener Sache? “, spottet Ehrlich unvermindert weiter. Priesberg überlegt zum ersten Mal, das Büro von Ehrlich zu verlassen. Dieser spürt die Spannung und beruhigt: „Ich möchte einen Vergleich anbieten: Nach deinem Modell selbstsprechender Texte bräuchte niemand mehr diskutieren. Alle Beteiligten lesen einfach die Texte und haben sofort dasselbe Verständnis - ich nenne es ein monolithisches Verständnis, denn die Wahrheit steht wie ein Monolith im Raum. Ein ruhiges Land: Niemand spricht mehr, alle schweigen, alle wissen.“ „Ja“, entgegnet Priesberg trotzig, „so soll es sein. In der Vergangenheit stritten alle Benutzer über die Inhalte der Richtlinie. Jetzt hat sich das für die Zukunft erledigt.“ „Vielleicht gibt es diese selbstsprechenden Texte gar nicht. Vielleicht dient jeder Text lediglich als Kristallisationskeim einer individuellen Sichtweise“, entgegnet Ehrlich ruhig. „Wenn das so ist, dann steckt das Wissen in den Köpfen der Menschen und nicht in den Texten? “, fragt Priesberg spitz. „Sicher, so kann man es sagen. Wissen ist das, was im Dialog weitergegeben und angewendet wird. Es sind die Geschichten, die zählen, sie sind wie Wolken in den Lüften. Und jeder sieht die Wolken anders, interpretiert und lebt die Geschichten individuell“, führt Ehrlich aus. „Ich verstehe: Die individuellen Weltbilder sind also wieder mal zu berücksichtigen. Können wir das mal endlich überwinden … worauf willst du hinaus? “, fragt Priesberg kühl. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen diese Sichtweise näher an sich herankommen lassen. Dann entfällt eines Tages das Streben nach endgültigen Texten, Inhalten oder Wahrheiten. Es wird Energie frei, die dringend gebraucht wird, den permanenten Wandel erträglich zu machen. Man muss nicht mehr über das Weltbild streiten - einer der größten Hemmschuhe unserer Zeit. Man kann sich endlich auf die Lösung anstehender Probleme konzentrieren“, erläutert Ehrlich mit Begeisterung in den Augen. „Permanenter Wandel - permanenter Wandel, eines der größten Schlagworte unserer Zeit“, schmettert Priesberg seinem Kollegen entgegen. „Ich nenne dir ein Dialogbeispiel zweier Kollegen, das ich unlängst aufschnappen musste. Folgende Aussage stand im Raum: ‚Die besten Mitarbeiter in einer Organisation beschäftigen sich mit dem Lösen aktueller Probleme, anstatt mit der Zukunft.‘ Diese Aussage macht mich wütend“, holt Ehrlich aus. „Diese Einschätzung ist doch nur richtig! “, ruft Priesberg. Ehrlich unterbricht ihn: „Nehmen wir mal das Modell ‚Wissen steckt in Geschichten‘. Und Geschichten heftet immer ein Kontext an. Und jetzt stell dir vor, der eine Gesprächspartner kommt aus der Präzisionsfertigung und der andere aus der Forschung.“ Priesberg lässt die Aussage auf sich einwirken und erstarrt dabei. Ihm fällt sprichwörtlich die Kinnlade herunter: „Die Aussage macht für die Präzisionsfertigung Sinn, nicht aber für die Forschung. In der Präzisionsfertigung gilt es, bestimmte Werkstoffe sehr genau herzustellen. Zum Beispiel müssen die Maschinen nach genauen Vorschriften gewartet und überprüft werden. In der Forschung hingegen denkt man über die Zukunft nach: Was sind die Produkte von morgen? Was sind die Verfahren von morgen? Hier braucht man naturgemäß Mitarbeiter, die sich mit der Zukunft beschäftigen und die darin gut sind. Die Aussage ist absolut gesehen gar nicht gültig und damit sinnlos! “ „Bravo, lieber Kollege. Und haben meine Gesprächspartner diese Erkenntnis, was ich leider bezweifeln muss, dann entfällt sofort eine überflüssige Diskussion, in der jeder zeigen will, wer der bessere Bürger von Monolithistan ist … dem Land ohne Kontext und Sinn“, bekräftigt Ehrlich. „Ich kann die Richtlinie also niemals für alle gleichermaßen verständlich machen. Jetzt geht es mir deutlich besser. Am Ende gewinnt sogar die Effizienz einer Organisation. Nichts wie raus aus Monolithistan - die Steuern dort sind mir plötzlich zu hoch“, schließt Priesberg und hält seine Hände in Siegerpose über dem Kopf zusammen.  Autor Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com Projektgeschichten und Fallstudien Nichts wie raus aus Monolithistan Autor: Jens Köhler