PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
121
2017
285
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projekte in der Krise – oder doch nicht?
121
2017
Kai Rahnenführer
Goran Radin
Projekte in der Krise nehmen zu. Allerdings gibt es bis heute keine einheitliche Definition von „Projekten in der Krise“. Demgegenüber gibt es viele Ansätze, wie man aus dieser Krisensituation in einem Projekt wieder in den Normalzustand gelangt und über Gründe für diese Krisen. In diesem Artikel geben wir eine Definition von „Projekten in der Krise“. Dabei werden sowohl bereits bestehende Definitionen herangezogen, wie auch eine Unterscheidung zwischen „Schieflage“ als Vorstufe der Krise und der „Krise“ selbst vorgenommen.
pm2850057
WISSEN 57 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 1 Schieflagen und Krisen in Projekten Projekte sind per Definition einmalig, begeben sich auf unbekanntes Terrain und sind damit nicht mit beliebiger Präzision planbar. Überraschungen und Unerwartetes im Projektverlauf sind also nicht die Ausnahme, im Grunde sind sie die Regel. So stellt sich die Frage, was zu tun ist, damit sich Probleme nicht zu einer Schieflage oder gar handfesten Krise ausweiten. Diese äußern sich dann so, dass die Projekte am Ende zu teuer sind, zu lange dauern, ihr Ziel nicht erreichen oder nicht die gewünschte Kundenzufriedenheit erzeugen, die man erwartet hatte. Dabei sind beileibe nicht nur Großprojekte wie „Stuttgart 21“, der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg, Toll Collect, der Flughafen Berlin Brandenburg oder der „Dreamliner“ der Firma Boeing gemeint, sondern auch viele unspektakuläre Projekte, die nicht den Weg in die Presse gefunden haben. Es ist dabei unerheblich, ob es sich um große oder kleine, komplexe oder einfach strukturierte Projekte handelt: An irgendeinem Punkt gibt es Herausforderungen, denen das Projektteam nicht mehr gewachsen ist - und das Projekt rutscht in eine Schieflage oder schlimmer noch, in eine Krise ab! Doch ist es richtig, direkt von „Schieflage“ oder „Krise“ zu sprechen? Der Begriff der Krise bspw. wird oft sehr unterschiedlich definiert bzw. vom Projektumfeld wahrgenommen. Und wer darf eigentlich festlegen bzw. entscheiden, ob sich das Projekt in der Krise befindet - der Projektleiter, wichtige Stakeholder, der Auftraggeber? Da die Einordnung auch immer eine Frage der subjektiven Wahrnehmung ist, ist eine klare Abgrenzung nicht einfach. Dennoch wollen die Autoren mit diesem Artikel einen Versuch unternehmen, die Begriffe zu sortieren und dem Leser eine Hilfestellung an die Hand zu geben, an der er sich orientieren kann. Der Leser sollte allerdings nicht erwarten, Lösungsansätze beschrieben zu bekommen, um Projekte aus der Krise in den Planzustand zu transferieren. 2 Projektbeispiele und Studien Schieflagen oder Krisen haben meist keine einzelne Ursache. Oft führt eine Fülle von Gründen dazu bzw. zur Abweichung vom Plan. Auch wenn diese meist nicht an die Öffentlichkeit gelangen, so machen doch einige bekannte Beispiele die Folgen sehr deutlich: DIA (Denver International Airport) - Gepäcksystem Die Eröffnung des DIA musste insgesamt viermal verschoben werden. Der ursprünglich geplante Starttag, der 31.10.1993, konnte nicht gehalten werden. Man wurde schließlich am 28.2.1995 fertig. Die zusätzlichen Kosten betrugen am Ende 4,5 Mrd. USD. Geplant waren insgesamt 1,7 Mrd. USD! Um diese Verluste wieder wettzumachen, verlangt der DIA von allen Fluglinien eine Gebühr von 20,- USD pro Passagier. Das macht den DIA zu dem teuersten Flughafen Amerikas! Zum Vergleich: Der Stapleton International Airport in Denver, Colorado verlangt 8,- USD pro Passagier. [1] Physik-Großprojekt FAIR „Facility for Antiproton and Ion Research“ Der geplante Teilchenbeschleuniger zur Erforschung des Universums wird zum Kostenbeschleuniger für den Bund. Der Bau wird 260 Millionen EUR teurer als geplant. Die Kosten steigen damit auf ca. 830 Millionen EUR - ein Plus von knapp 50 Prozent. [2] Die Verzögerung im Projekt sowie die Kostenexplosion wurden bereits 2014 festgestellt. Die Ursachen liegen laut Bundesrechnungshof in den Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Projektpartnern sowie „im Fehlen eines funktionierenden Großprojektmanagements“. [3] Ursprünglich sollten am FAIR mehr als 3.000 Wissenschaftler aus mehr als 50 Ländern ab 2018 die Grundbausteine der Materie erforschen und damit die Entwicklung des Universums nachzeichnen. Die neue Planung geht von einem Start in 2022 und einem Vollbetrieb ab 2025 aus! Europäisches Navigationssystem Galileo Galileo ist das finanziell intensivste Großprojekt der EU und wird hauptsächlich von der Europäischen Kommission und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA, European Space Agency) unterstützt. Ursprünglich sollte Galileo 2008 an den Start gehen. Doch zeitliche Verzögerungen werden nach Schätzungen der EU zu Mehrkosten von 1,5 bis 1,7 Milliarden EUR führen - und das bei einem veranschlagten Budget von 5,2 Milliarden EUR. Ab 2018, so der Plan, sollte das System bereits erste Gewinne erzielen! Jetzt wird der Teil 1: Definition und Herleitung Projekte in der Krise - oder doch nicht? Autoren: Kai Rahnenführer, Goran Radin >> Für eilige Leser Projekte in der Krise nehmen zu. Allerdings gibt es bis heute keine einheitliche Definition von „Projekten in der Krise“. Demgegenüber gibt es viele Ansätze, wie man aus dieser Krisensituation in einem Projekt wieder in den Normalzustand gelangt und über Gründe für diese Krisen. In diesem Artikel geben wir eine Definition von „Projekten in der Krise“. Dabei werden sowohl bereits bestehende Definitionen herangezogen, wie auch eine Unterscheidung zwischen „Schieflage“ als Vorstufe der Krise und der „Krise“ selbst vorgenommen. 58 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 Korrekturversuche werden in solchen Projekten zwar immer wieder unternommen, der wahre Zustand - Schieflage oder Krise - bleibt jedoch lange im Unklaren. Die Krise wird erst dann wahrgenommen und von allen eingestanden, wenn es zu spät ist und es zum großen „Knall“ gekommen ist. Jetzt kann sich das Projekt mit eigenen Mitteln und eigener Kraft nicht mehr aus der misslichen Lage befreien und zur Normalität zurückkehren. An diesem Punkt versagen klassische Methoden des Projektmanagements, welche noch in der Schieflage greifen. Die Rettung eines solchen Projektes kann, wenn überhaupt, nur mit sogenannten „unklassischen“ Methoden und Mittel funktionieren, wenn man das Projekt nicht aufgeben möchte. Unklassische Methoden und Mitteln sind hier beispielsweise Methoden, die „Grenzen überschreiten“ oder bei denen der Projektleiter auch schon mal seine Befugnisse überschreitet. 4 Eine erste Definition In der Literatur lassen sich bereits erste Hinweise für eine Definition finden: • Das PM3 der GPM/ IPMA definiert Krise als „gefährliche Projektphasen oder Projektsituationen, deren Bewältigung entscheidend für den Erfolg eines Projektes ist“ [8, S. 1037]. • Kärner beschreibt die Projektkrise als „eine Situation, in der der Projektfortschritt blockiert oder stark eingeschränkt ist, sodass die Erfüllung eines oder mehrerer Projektziele gefährdet ist. Eine Krisensituation bezieht sich stets auf einen abgrenzbaren, überschaubaren Zeitraum. Planabweichungen sind noch keine Krise“ [9]. • Erhard Motzel, Autor des Projektmanagement-Lexikons, definiert die Projektkrise wie folgt: „Projektkrisen sind extreme Projektsituationen, die eine gravierende Abweichung des Projektablaufs vom Plan bewirken und als existenzbedrohend für das Projekt und die Projektorganisation angesehen werden“ [10]. • Eine Krise aus Sicht des Projektmanagements ist eine „Sonderform des Konflikts, der durch seine Ausweglosigkeit, Rückzug, Blockade oder weitreichende Lähmung gekennzeichnet ist“ [11, S. 436]. Projektkrisen sind nach diesen Definitionen also • gefährliche Projektphasen oder -situationen, deren Bewältigung entscheidend für den Erfolg des Projektes ist, • die gravierende Abweichungen des Projektverlaufes vom Plan aufweisen und • existenzbedrohend für das Projekt und die Projektorganisation sind. Verdeutlicht wird dies noch durch die Ansicht von Steven Fink: „A crisis is an unstable time or state of affairs in which a decisive change is impending - either one with the distinct possibility of a highly undesirable or one with the distinct possibility of a highly desireable and extremely positive outcome“ [12]. Man könnte daraus ableiten, dass man der Situation mit den Methoden des Risikomanagements begegnen kann, dem ist aber leider nicht so. terminliche Gesamtverzug auf mindestens zehn Jahre geschätzt! [4] Neben diesen Beispielen gibt es auch diverse Studien, die sich mit diesem Thema beschäftigen: • Die Standish Group, Herausgeber des Chaos Reports, hat ermittelt, dass allein in der EU in IT-Projekten Schäden von ca. 140 Milliarden USD pro Jahr durch gescheiterte Projekte entstehen. In den USA sind es 150 Milliarden USD pro Jahr. Wie gesagt: Die Summen gelten nur für Projekte in der IT, alle anderen sind dabei nicht betrachtet worden. [5] • Das US-amerikanische Project Management Institute (PMI) kommt in einer Studie aus dem Jahr 2012 zu der Erkenntnis, dass weltweit weniger als zwei Drittel aller Projekte ihre Ziele erreichen, 17 Prozent scheitern gänzlich. [6] Die Gründe für diese „Schieflagen/ Krisen“ hat die GPM in einer Studie aus dem Frühjahr 2013 ermittelt [7]: • Unklare Projektziele • Kein systematisches Erkennen und Berücksichtigen von Änderungen der Aufgabenstellung (Changemanagement) • Mängel in Machbarkeitsanalysen • Fehlende Kommunikation • Änderung der Kundenwünsche Die Frage ist nun, ob sich alle Projekte, die diese Kostensteigerungen erzeugt haben und nicht wie geplant beendet wurden, allesamt in einer Krise befinden oder ob darunter nicht auch Projekte sind, die mit einigen effektiven und effizienten Maßnahmen des klassischen Projektmanagements hätten gedreht werden können? Diese wollen wir in Abgrenzung zu einer „Krise“ als „Projekt in Schieflage“ bezeichnen. Aus der Erfahrung heraus wissen wir, dass mit diesen Begriffen sehr uneinheitlich umgegangen wird. Das liegt auch daran, dass der Eindruck einer Schieflage/ Krise sehr subjektiv empfunden wird. Es bedarf also einer formalen Definition! 3 Wo endet die Schieflage und wo beginnt die Krise? Projektkrisen entstehen in den seltensten Fällen über Nacht, obgleich es solche Situationen durchaus auch in Form von Naturkatastrophen, Sabotagen, Bränden etc. gibt. Die typischen Abweichungen, die dann in einem Desaster enden, sind jedoch eher schleichende Prozesse. Unzulänglichkeiten werden beispielsweise zu lange kritiklos hingenommen (Abb. 1). Abb. 1: Abgrenzung Schieflage vs. Krise WISSEN 59 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 Sachliche Merkmale Psychologische Merkmale • Eine sehr starke Ressourcenknappheit (vor allem von Zeit und Budget). • Ein von Projektleitung und -mitarbeitern als sehr gering empfundener Bewegungsspielraum (der meist faktisch größer ist, als er wahrgenommen wird). • Eine erhöhte Komplexität und eine negative Dynamik: Ein operativer Rückstau und der für eine Krise typische externe Druck führen selten zu guten Ergebnissen, sodass diese Situation wiederum zu stärkerem Druck und noch größerem Rückstau führt. • Sehr reaktive Verhaltensmuster, vor allem bei Projektleitung und -mitarbeitern, aber auch beim Lenkungsausschuss. • Mangelnde (Zwischen-)ergebnisse, welche den operativen Rückstau verursachen und sich in der Regel selbst verstärken, da ein höherer Anteil an Work in Progress meist zu einem weiteren Rückstau führt. • Große Motivationsprobleme bei allen Beteiligten - unter anderem aufgrund mangelnder Ergebnisse und steigender Arbeitsbelastung. • Eine schlechte Organisation und zu wenig aktive Führung - sowohl als Ursache als auch als Folge der Krise. • Aus dem Fehlen von aktivem Führungsverhalten und erkennbarer Verantwortungsübernahme von Projektleitung und Geschäftsführung verliert sich das gemeinsame Arbeiten an einem Ziel. • Strategische Uneinigkeit - entweder von Beginn an, als Ursache der Krise und/ oder in Reaktion auf die Probleme. • Eine unternehmenspolitisch komplexe Situation, in der konkurrierende Interessen auf Projektebene ausgetragen werden. Nicht selten werden z. B. Vorhaben, welche die Geschäftsleitung nicht unterstützt, aber auch nicht öffentlich ablehnen möchte, zu einem Projekt erklärt und geraten durch die fehlende Ressourcenunterstützung in eine Sackgasse. • Ein spätes Erkennen/ Eingestehen einer Krisensituation: Das betrifft vor allem die direkten Projektbeteiligten, die oft nicht die Krise sehen wollen, aber auch immer wieder den Projektlenkungsausschuss und andere Stakeholder, wie z. B. Kunden oder Projektpartner. Auch hier wird ein Anerkennen der Projektkrise oft mit dem Eingeständnis eigenen Versagens gleichgesetzt. • Egoismus, Selbstschutz und Schuldzuweisungen. • Eine geringe Transparenz und passive Kommunikationsmuster bis hin zu einer Kommunikationsverweigerung („Nichterreichbarkeit“). • Weitergabe und Verstärken von Druck in der Hierarchie von oben nach unten. • Aktionismus an Nebenschauplätzen: Da die Bewältigung der Prioritäten als nicht lösbar erscheint, wird versucht, an Seitenbaustellen „verkaufbare“ Ergebnisse zu produzieren. • Starker Vertrauensverlust im Team, vom Projektteam gegenüber dem Projektlenkungsausschuss und umgekehrt, aber auch z. B. zwischen dem Projektteam, Sponsoren und externen Projektpartnern. • Ein starker „Tunnelblick“ von Projektleitung und -mitarbeitern: Die vorhandene Strategie wird zu wenig hinterfragt, da dies mit dem Eingeständnis hoher (gesunkener) Kosten verbunden wäre. Dadurch wird oft die Strategie mit dem Ziel gleichgesetzt. • Eine starke Handlungslähmung der Verantwortlichen und Projektbeteiligten: Angst bestimmt zunehmend die Entscheidungen. Dies führt zu einer Negativspirale, da die Lähmung die Krise verstärkt. • Ritualisiertes Verhalten: Durch das Anwenden erprobter Muster sollen Entscheidungen unangreifbar gemacht werden, wie z. B. das konsequente Wiederholen bisher erfolgloser Strategien („irgendwann muss es ja mal klappen.“) oder das einfache Übertragen von Erfolgsmustern aus anderen Projekten. Tab. 1: Sachliche und psychologische Merkmale [13] 60 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 Potenzielle Projektkrise (Phase 1) Der Krisenprozess beginnt mit der Phase der potenziellen, d. h. möglichen und noch nicht realen Krise. Diese Phase wird wegen fehlender Krisensymptome als Quasi-Normalzustand bezeichnet. Latente Projektkrise (Phase 2) Diese Phase zeichnet sich durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit bald eintretende Projektkrise aus. Mit den herkömmlichen Instrumentarien können die betroffenen Verantwortlichen die verdeckt vorhandene Krise jedoch noch nicht wahrnehmen. Geeignete Früherkennungsmethoden erlauben es, präventive Maßnahmen zu ergreifen und die Situation dadurch aktiv zu beeinflussen. Der Handlungsspielraum bei aktivem Turnaround-Management ist in dieser Phase hoch. Akute, beherrschbare Projektkrise (Phase 3) Krisensymptome treten in dieser Phase offen zutage. Die Intensität der destruktiven Wirkungen verstärkt sich und führt zu Zeitdruck und Entscheidungszwang. Die Handlungsmöglichkeiten verringern sich im zeitlichen Verlauf zunehmend, gleichzeitig erhöhen sich die Anforderungen an die Bewältigung der Krise. Akute, nicht beherrschbare Projektkrise (Phase 4) Gelingt es nicht, die akute Projektkrise zu beherrschen, tritt der Krisenprozess in eine Phase, an 5 Eigenschaften und Symptome einer Schieflage oder Projektkrise Eigenschaften, anhand derer man erkennen kann, ob ein Projekt nicht mehr wie geplant läuft, sind nach unserer Meinung die folgenden: • Die Existenz des Projektes ist nachhaltig gefährdet durch Nichterreichen von Meilensteinen, Q-Zielen, Budgetvorgaben oder der festgelegten Projektziele. Ein Verharren in dem Status „fast erreicht“ oder „fast fertig“ ist meist der Indikator dafür. • Der Handlungsspielraum des Projektleiters und des Projektteams ist beschränkt. Selbst Kleinigkeiten liegen nicht mehr im Entscheidungs- und Handlungsraum des Projektleiters. • Es besteht ein hoher Handlungs- und Entscheidungsdruck im Projekt und bei allen Beteiligten. • Erforderliche Ressourcen (Material, Personal, Budget, …) zur Bewältigung der Krise stehen nur eingeschränkt zur Verfügung. • Die Fluktuation im Team nimmt zu. Das klassische Fluchtverhalten von Mitarbeitern, die die Belastung körperlich und psychisch nicht mehr aushalten (wollen), tritt auf. • Das Engagement und die Performance im Team nehmen ab (Dienst nach Vorschrift). • Die Planung muss nachträglich um viele Aktivitäten ergänzt werden. • Kundenbeschwerden häufen sich. • Immer mehr Themen werden eskaliert - im Team und in Richtung Management. • Im Team wird „Fingerpointing“ statt offener Suche nach Lösungen bei Problemen gelebt. • Demotivation steigert sich durch derlei gestaltete Aussagen wie „das schaffen wir doch nie“, „das hat doch alles keinen Sinn“ oder ähnliche. Philipp Meyerbröker beschreibt die Symptome/ Merkmale von Krisen in Projekten wie in der Tabelle 1 auf S. 59 dargestellt [13]. Diese Eigenschaften und Symptome lassen sich gut für eine Früherkennung nutzen. 6 Früherkennung von Projektkrisen In Projekten entwickeln sich Krisen in einem schleichenden Prozess. Nach Krystek und Fahrnschon durchläuft dabei ein Projekt vier Phasen unterschiedlicher Krisenarten mit einem im Allgemeinen stets steigenden Grad der Krise [14, S. 121]: Abb. 2: Krisengrad und -art nach Krystek und Fahrnschon [14] Abb. 3: Definition „Projekt in der Krise” WISSEN 61 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 deren Ende der Projektmisserfolg steht. Der Krisenprozess lässt sich nicht mehr beherrschen, da die Handlungsalternativen durch extremen Zeitdruck und zunehmende Intensität der destruktiven Krisenwirkungen immer geringer werden. Es gibt dabei aber auch noch die Möglichkeit, dass ein Projekt sich direkt in der Krisenphase 4 befindet. Dies sind aber meist Umstände, die von außen nicht beeinflusst werden können (Bsp.: Naturkatastrophen, Krieg etc.). Wo beginnen nun diese Phasen und wo enden sie? Letztlich ist es die Frage, wo die Schieflage endet und wo die Krise beginnt. Jeder von uns kennt die folgenden Sichtweisen: Was für den Einen ein Problem (Schieflage) ist, ist für den Anderen direkt eine ausweglose Situation (Krise). Diese Sichtweise ist übertragbar auf eine Projektsituation. Unerfahrene Projektleiter werden schneller von Schieflage/ Krise reden als ein erfahrener Projektleiter. Der Begriff der Schieflage/ Krise wird oft sehr unterschiedlich definiert. Im Vorfeld wurde bereits erwähnt, dass es immer auch eine Frage der subjektiven Wahrnehmung ist, eine klare Abgrenzung ist demzufolge nicht einfach darstellbar. Im Kontext einer misslichen Situation darf diese nicht gleich mit einer handfesten Krise gleichgesetzt werden. Schieflagen/ Krisen bestehen im Allgemeinen aus einer Ansammlung misslicher Situationen. Diese können dabei vorhersehbar sein oder völlig unerwartet eintreten. Die bisher aufgezeigten Definitionen sind somit nicht ausreichend, um ein Projekt als „Projekt in der Schieflage oder Krise“ zu bezeichnen. 7 Definition „Projekt in der Krise“ Wie muss also eine allgemeingültige Definition aufgebaut sein, um ein Projekt als „in der Schieflage/ Krise befindlich“ zu definieren? Welche Hilfestellungen geben die oben zitierten Definitionen? Die Autoren haben mit der Fachgruppe TurnAround PM in mehreren Workshops an diesen Fragestellungen gearbeitet und dabei folgende Kriterien für die Definition von „Projekt in der Krise“ als relevant erkannt: 1. Ziele: Werden diese erreicht oder nicht? 2. Methode: Sind unter Anwendung bekannter Methoden noch Fortschritte erzielbar? 3. Team: Ist das Team noch motiviert und bei der Sache oder ist es eher in Auflösung begriffen? Abb. 4: Vereinfachte Darstellung der Bestandteile einer Schieflage/ Krise Anzeige 62 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2017 erst-einmal-nur-die-kostenspirale-13950817. html, Stand: 13.8.2017 [4] www.welt.de/ wirtschaft/ article160340159/ Europas-GPS-Konkurrent-Galileo-nimmt-seine- Arbeit-auf.html, Stand: 13.8.2017 [5] http: / / dieprojektmanager.com/ scheiternvon-it-projekten, Stand: 5.6.2017 [6] www.business-wissen.de/ artikel/ turnaround-von-projekten-anzeichenfuer-diedrohendekrise, Stand: 8.8.2017 [7] https: / / www.gpm-ipma.de/ fileadmin/ user_ upload/ GPM/ Know-How/ Ergebnisse_AutoPM_ Studie_2012.pdf, Stand: 8.8.2017 [8] Gessler Michael: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3) - Handbuch für die Projektarbeit, Qualifizierung und Zertifizierung. 7. Auflage, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V, 2017 [9] Kärner, Martin: Handeln bevor es kracht: Projektkrisen erkennen und verhindern. In: Projekt Magazin 1/ 2004 [10] Motzel, Erhard/ Möller, Thor: Projektmanagement Lexikon. 3. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim 2017 [11] Schelle, Heinz/ Ottmann, Roland/ Pfeiffer, Astrid: ProjektManager. 3. Auflage, GPM, Nürnberg 2008 [12] Fink, Steven: Crisis Managment - Planning for the inevitable. iUniverse, Indiana 2000 [13] Meyerbröker, Philipp: Projektkrisen systematisch lösen - Teil 1: Symptome und Ursachen einer Krise. In: Projekt Magazin 9/ 2011, Tab. 1, S. 5 [14] Krystek, Ulrich/ Fahrnschon, Ulrich: Kostenrechnung und Krisen-Frühdiagnose. In: Alt, W./ Kotsch-Faßhauer, L./ Lenz, N.: , Jahrbuch für Fach- und Führungskräfte des Rechnungswesens, Stuttgart 1992 Schlagwörter Definition, Krise, Krisenmanagement, Projektkatastrophen, Schieflage, TurnAround PM Kompetenzelemente der ICB 4.0 2.07 Konflikte und Krisen Autoren Kai Rahnenführer ist derzeit Geschäftsführer der P3 aviation GmbH. Vor dieser Aufgabe hat er eigenverantwortlich Projekte im Bereich der Telekommunikation durchgeführt, zuletzt als General Program Manager eines Telekommunikationsunternehmens in Norddeutschland. Zwischen 2010 und 2013 (Hochschule Bremen) war und seit 2016 (Hochschule Bochum) ist er Lehrbeauftragter für Projektmanagement. Kai Rahnenführer ist in der Fachgruppe TurnAround PM der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. mitverantwortlich, eine Definition für Projekte, welche sich in der Krise befinden, zu entwickeln. Darüber hinaus hat Kai Rahnenführer bereits mehrere Artikel zum Thema Projektmanagement veröffentlicht. Anschrift: E-Mail: Kai.Rahnenfuehrer@ p3-group.com, www.p3-group.com Goran Radin ist bei der LEONI Bordnetzsysteme GmbH in der Business Unit BMW tätig. Hier entwickelt er gerade in einer übergreifenden Kooperation ein operativorientiertes Lieferantenentwicklungs- und -managementkonzept. Vor dieser Aufgabe hatte er bereits mehrere Jahre Projekterfahrung in der Automobilzulieferindustrie gesammelt, unter anderem in Krisenprojekten. Goran Radin gehört zu den Gründungsmitgliedern der Fachgruppe TurnAround PM in der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. mit dem Fokus Definition, Analyse und Turnaround von Krisenprojekten. Anschrift: E-Mail: Goran.Radin@leoni.com, www.leoni.com 4. Stakeholder: Stehen diese hinter dem Projekt und unterstützen es oder entstehen Widerstände gegen das Projekt? Ganz konkret ist aus dieser Arbeit die in Abbildung 3 dargestellte Definition entstanden. Nicht alle Kriterien müssen vollständig erfüllt sein. Eine Anpassung z. B. aufgrund der Erfahrung des Projektleiters und an die jeweilige Organisation ist möglich. Dies entspricht der oben beschriebenen subjektiven Wahrnehmung der Begriffe. Dementsprechend gibt es auch keine feste Grenze zwischen Schieflage und Krise. Und diese wird es auch in Zukunft nicht geben. Die Begriffe hängen von den in Abbildung 4 dargestellten Einflussfaktoren ab. Diese sind jedoch für beide Ausprägungen - Schieflage oder Krise - gleich. 8 Fazit und Ausblick „Eine Krise ist nicht automtatisch eine Krise, nur weil wir sagen es ist eine.“ (Kai Rahnenführer) Die Autoren haben in diesem ersten Teil des Artikels den Versuch unternommen, die Begriffe zu sortieren und dem Leser eine Hilfestellung an die Hand zu geben, an der er sich orientieren kann. In der übernächsten Ausgabe von projektManagement aktuell widmen sich die Autoren der Checkliste, um Projekte in der Schieflage/ Krise nicht nur zu erkennen, sondern auch, um diese als eindeutig einem Bereich zuzuordnen. Dabei bleibt allerdings weiterhin der subjektive Anteil, dass für einen Projektleiter das Projekt in der Schieflage ist, für den anderen halt bereits in der Krise. Literatur [1] www5.in.tum.de/ lehre/ seminare/ semsoft/ unterlagen_02/ denver/ website, Stand: 8.8.2017 [2] www.wiwo.de/ politik/ deutschland/ kostenexplosion-beim-projekt-fair-dasdarmstaedter-bau-desaster/ 12553804.html, Stand: 13.8.2017 [3] www.faz.net/ aktuell/ wissen/ physik-mehr/ physik-grossprojekt-fair-beschleunigt-wird-