PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Ungewissheit in Projekten nutzen
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2018
Yvonne Schoper
Martina Huemann
Jede Projektmanagerin und jeder Projektmanager kennt das Gefühl, dass es im Projekt Unwägbarkeiten gibt, die sich nicht in einem Risiko bewerten lassen und mit Maßnahmen zu kontrollieren und zu beherrschen sind. Wir sprechen hierbei von Ungewissheit. Der folgende Beitrag zeigt die Entwicklung im Umgang mit Ungewissheit im westlichen und östlichen Kulturkreis in den vergangenen Jahrhunderten auf und kommt zum Schluss, dass eine gelassene, angstfreie Haltung der Ungewissheit gegenüber dem Projektmanager helfen kann, nicht nur Gefahren abzuwehren, sondern vielmehr die Chancen für das Projekt zu erkennen und aktiv zu ergreifen. Das Management von Projekten geschieht immer unter Ungewissheit. Erfolgreiche Projektmanager nutzen Veränderungen proaktiv für ihr Projekt.
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14 UNGEWISSHEIT IN PROJEKTEN projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2018 Das Projektmanagement hat bisher als Methode zum Umgang mit zukünftigen, nicht eindeutigen Entwicklungen vorwiegend das Risikomanagement angewendet. Doch nicht für alle Unwägbarkeiten lassen sich Risiken als mögliche Zielabweichungen mit Wahrscheinlichkeiten definieren. „Ich habe da so ein Bauchgefühl, dass das nicht funktioniert“ oder: „Vielleicht ist da noch mehr drin? “ Jeder kennt dieses Gefühl, dass es im eigenen Projekt Unwägbarkeiten geben wird, die sich nicht in einem Risiko abbilden oder bewerten lassen und die nicht mit den klassischen Maßnahmen beherrschbar und kontrollierbar scheinen. Wie können Projektmanager mit Ungewissheit besser umgehen lernen und sogar die Chancen darin nutzen? Der Artikel zeigt auf, welche Strategien zum Umgang mit Ungewissheit in unterschiedlichen Kulturen vorhanden sind und was Projektmanager daraus für sich ableiten können. 1) Sicherheit, Unsicherheit, Risiko und Ungewissheit Die Unterscheidung zwischen Ungewissheit und Unsicherheit gibt es im Westen seit dem 19. Jahrhundert. Sie geht zurück auf die Erfinder der Entscheidungstheorie bei Unsicherheit, Bernoulli und Bayes. Neumann und Morgenstern, die 1961 aus den Unsicherheitsdiskussionen der Österreichischen Schule die Theorie der Spiele begründeten, schufen die Theorie der Entscheidungen bei Unsicherheit in den Wirtschaftswissenschaften. Damit begründeten sie auch zugleich die Grundlagen für die statistische Entscheidungstheorie. [1] Abbildung 1 basiert auf der Entscheidungstheorie und verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen den vier Aspekten Sicherheit, Unsicherheit, Risiko und Ungewissheit: • Von Sicherheit wird gesprochen, wenn angenommen werden kann, dass der Entscheider das Ergebnis einer Aktion eindeutig vorhersagen kann. [3] • Als Unsicherheit wird hingegen eine Situation bezeichnet, in der dem Entscheider bekannt ist, dass es mehrere mögliche Ergebnisse geben kann und bestimmte zukünftige Ereignisse eintreten können. [1, 3] • Ein Risiko liegt dann vor, wenn für diese zukünftigen Ereignisse Wahrscheinlichkeiten ihres Auftretens vorliegen und dem Entscheidenden bekannt sind. Diese Wahrscheinlichkeiten werden als objektiv bezeichnet, weil jede beliebige Person diese Wahrscheinlichkeiten erfahren kann. [1] • Ungewissheit liegt hingegen dann vor, wenn für das Eintreten zukünftiger Zustände der Umwelt oder Ereignisse keine objektiven Wahrscheinlichkeiten vorliegen, der Entscheidende sich aber eine subjektive Vorstellung davon bilden kann. Diese subjektiven Wahrscheinlichkeiten entsprechen den Graden der Ungewissheit über die zukünftige Situation. [1] Oft wird auch zwischen Risiken als den „Known Unknowns“ und Ungewissheit als den sogenannte „Unknown Unknowns“ unterschieden. Unsicherheitsvermeidung Von jeher beschäftigen sich die Menschen in allen Kulturen mit der Zukunft und der ihr innewohnenden Ungewissheit. Astrologen, Hellseher, Was der Westen vom Osten lernen kann Ungewissheit in Projekten nutzen Autorinnen: Yvonne Schoper, Martina Huemann >> Für eilige Leser Jede Projektmanagerin und jeder Projektmanager kennt das Gefühl, dass es im Projekt Unwägbarkeiten gibt, die sich nicht in einem Risiko bewerten lassen und mit Maßnahmen zu kontrollieren und zu beherrschen sind. Wir sprechen hierbei von Ungewissheit. Der folgende Beitrag zeigt die Entwicklung im Umgang mit Ungewissheit im westlichen und östlichen Kulturkreis in den vergangenen Jahrhunderten auf und kommt zum Schluss, dass eine gelassene, angstfreie Haltung der Ungewissheit gegenüber dem Projektmanager helfen kann, nicht nur Gefahren abzuwehren, sondern vielmehr die Chancen für das Projekt zu erkennen und aktiv zu ergreifen. Das Management von Projekten geschieht immer unter Ungewissheit. Erfolgreiche Projektmanager nutzen Veränderungen proaktiv für ihr Projekt. 1) Im Text wurde in Absprache mit den Autorinnen aus Gründen der besseren Lesbarkeit immer nur die männliche Form gewählt. Selbstverständlich sind damit auch weibliche Akteure gemeint. UNGEWISSHEIT IN PROJEKTEN 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2018 Kartenleger, Schamanen und Weise haben Entscheidungsträger, seien es Herrscher oder Feldherren, seit jeher bei wichtigen Zukunftsentscheidungen beraten, indem sie ihnen die Ungewissheit bei ihren Entscheidungen nahmen. In allen Kulturen der Welt war und ist dies teilweise noch heute zu beobachten, ob im antiken Griechenland, im alten China, im antiken Ägypten, bei den Inkas und Mayas in Lateinamerika oder bei afrikanischen Stämmen. So wird auch heute im modernen China kein Vertrag an einem Tag unterzeichnet, wenn dieser gemäß chinesischem Horoskop nicht günstig erscheint. Den Menschen in allen Kulturen ist gemeinsam, mehr über ihre ungewisse Zukunft zu erfahren, um ihre Neugier zu befriedigen, ihre Furcht davor zu besänftigen oder um dadurch einen Wissensvorsprung gegenüber anderen zu erhalten. Dabei haben die meisten Menschen in den westlichen Kulturen Angst vor der Ungewissheit und versuchen diese daher weitestgehend zu vermeiden. Denn wir haben in der Regel nicht gelernt, mit Ungewissheit umzugehen und diese zu akzeptieren. Gemäß der renommierten GLOBE-Studie versuchen insbesondere Manager in Deutschland, Österreich und der Schweiz wie auch in anderen westlichen Ländern die Ungewissheit eher zu vermeiden. Während ihre Kollegen in anderen Teilen der Welt Unsicherheit eher als den natürlichen Lauf der Dinge annehmen können. Robert House, Kulturwissenschaftler und Autor der GLOBE-Studie, bezeichnet mit der Kulturdimension „Unsicherheitsvermeidung“ (engl.: Uncertainty Avoidance) ein wesentliches für eine Kultur charakteristisches, soziales Verhalten einer Gruppe. Dabei definiert er Unsicherheitsvermeidung wie folgt: „das Ausmaß, in dem eine Gesellschaft, Organisation, oder eine Gruppe auf soziale Normen, Regeln und Vorgehensweisen vertraut, um die Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse abzumildern“. [4] Ein Kulturkreis, der gelassen mit Ungewissheit umzugehen gelernt hat, ist das konfuzianisch geprägte Ostasien. Dazu gehören die Länder China, Taiwan, Hongkong, Korea und Japan, aber auch das stark von den Chinesen geprägte Singapur. In der Kulturdimension „Unsicherheitsvermeidung“ weisen die Mitglieder dieser Kulturen mit Ausnahme von Japan eine außergewöhnlich geringe Tendenz zu Unsicherheitsvermeidung auf. Wenn daher nachfolgend von „dem Osten“ gesprochen wird, dann ist dieser ostasiatische Kulturraum gemeint, der ca. 1,5 Mrd. Menschen umfasst. Wenn nachfolgend von „dem Westen“ die Rede ist, dann ist der europäische Kulturraum gemeint, der heute die Nationen Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Tschechien, Polen, Slowenien, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, Irland, das Baltikum und Skandinavien umfasst. Mit Ausnahme der angelsächsischen und skandinavischen Länder zeichnen sich die Mitglieder dieser westlichen Kulturen durch eine hohe bis sehr hohe Unsicherheitsvermeidungstendenz aus. Dieser europäische Kulturraum umfasst knapp 500 Mio. Einwohner. Umgang mit Ungewissheit im Westen Seit Jahrtausenden geht es den Menschen darum, Strategien für den Umgang mit Ungewissheit zu finden. Während es in der Antike noch eher um die persönliche Sicherheit ging, wurde später versucht, die Frage nach der Sicherheit der Sphäre des Schicksals systematisch zu entziehen. Bis zum Mittelalter waren die transzendenten Instanzen für die Ungewissheit zuständig, erst in der Neuzeit begann sich dies auf den Menschen und die von ihm beeinflussbaren Ordnungsinstanzen zu verschieben. [5] Die Entwicklung von der traditionellen Agrargesellschaft zur modernen industriellen Gesellschaft wird in den Sozialwissenschaften als Übergang von Stabilität und Sicherheit hin zu Wandel und Unsicherheit beschrieben [6]. Das Leitbild in Europa wurde die „Naturbeherrschung“ und damit die Überzeugung, dass man „alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnen beherrschen könne“ [7] mit der Folge, dass die Naturwissenschaften zum Symbol der modernen Wissenschaft wurden. Immer größere wissenschaftlich-technische Erfolge wie die Erfindung der Dampfmaschine, der Gasturbine, des Automobils, des Flugzeugs, der Atombombe bis hin zur Mondlandung untermauerten diese Einstellung. Das Leitbild der Beherrschung der Natur und die Herstellung von Gewissheit wurden zum Kennzeichen erfolgreichen Handelns in den westlichen Gesellschaften. Der zunehmende Taylorismus Anfang des 20. Jhd. in der Industrie führte im nächsten Schritt dazu, dass auch die Prozesse in den einzelnen Bereichen der Organisationen zunehmend stabiler, sicherer, beherrschter und auch berechenbarer wurden. Dadurch konnte die Qualität gesteigert werden bei gleichzeitiger Senkung der Kosten. In den Unternehmen und in der Betriebswirtschaftslehre wurde die Maxime definiert, dass erfolgreiches Handeln die Beherrschung der Prozesse und die Herstellung von Gewissheit durch die Planbarkeit, Steuerbarkeit und Kontrol- Abb. 1: Klassifikation von Entscheidungen auf Basis der vorhandenen Informationen [2] 16 UNGEWISSHEIT IN PROJEKTEN projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2018 lierbarkeit der technischen, betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Abläufe ist. Parallel zu der Entwicklung der Arbeitsteilung in den Linienbereichen von Organisationen nimmt die Projektarbeit in den westlichen Kulturen seit den 1970er-Jahren kontinuierlich zu. Projekte sind jedoch aufgrund ihrer Einmaligkeit als wesentliche Eigenschaft von ihrer Natur her unsicher. Weder die Erreichung der Projektziele noch der Weg dahin können mit Gewissheit vorhergesagt werden. In Projekten ist Ungewissheit normal. Die bislang einzige Methode, die das Projektmanagement zum Umgang damit entwickelt hat, ist das Risikomanagement. Dabei wird in den Projekten meist nicht zwischen Risiko und Ungewissheit unterschieden. Da das Risikomanagement die einzige Methode des Umgangs mit der unsicheren Zukunft in Projekten darstellt, ist es das Bestreben der meisten westlichen Projektmanager, die Ungewissheit im Projekt in ein Risiko zu überführen und diese mit entsprechenden Maßnahmen zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Dies hat jedoch zur Folge, dass das Potenzial von Ungewissheit in Projekten zu wenig oder gar nicht genutzt wird. Denn Ungewissheit ist per se nicht negativ. Sie führt zwar zu Änderungen im Projekt, aber hat das Potenzial, den Nutzen des Projektes zu steigern. Diese Möglichkeit einer Verbesserung wird als Chance bezeichnet. Aber das Management von Chancen unterscheidet sich wesentlich vom Risikomanagement [8]. Für das Chancenmanagement sieht das Projektmanagement jedoch noch keine spezifischen Methodiken vor. Umgang mit Ungewissheit im Osten Parallel zu der Entwicklung im Westen hat sich in Ostasien ein völlig anderer Umgang mit Ungewissheit herausgebildet. Das Konzept der Ungewissheit ist in China direkt mit dem „I Ging - das Buch der Wandlungen“ verbunden, ein 3.000 Jahre alter Text und das älteste und wichtigste Buch der chinesischen Klassik, auch die „Chinesische Bibel“ genannt. Sein Grundprinzip ist das Gesetz des Wandels, das besagt, dass immer alles im Wandel ist. Die Beobachtung der Prinzipien der Natur führte zu der Erkenntnis, dass der Wandel immer einer spezifischen Struktur folgt. Im Lauf der Zeit hat sich das I Ging von einem Orakelbuch in das Buch der Weisheit verwandelt, da es alle Phasen des menschlichen Lebens beinhaltet. Das I Ging hatte großen Einfluss auf die zwei wesentlichen chinesischen Philosophien, den Konfuzianismus und den Taoismus. Beide entstanden 500 v. Chr. in China und ihre Grundprinzipien sind heute noch immer im ostasiatischen Denken präsent. Auf Basis des I Ging haben die Chinesen in den folgenden Jahrhunderten eine völlig andere Herangehensweise an Ungewissheit als der Westen entwickelt: nämlich die Haltung, sich auf die Chancen zu konzentrieren, sorgfältig die Umgebung und die Situation zu beobachten und dann den richtigen Moment zu nutzen [8]. Entsprechend haben die Chinesen tausende Jahre Erfahrung im Umgang mit Ungewissheit, Ambiguität und Risiken [9], was ihnen ein großes Maß an Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Wirksamkeit ihrer bewährten, erfolgreichen Methoden gibt. Folglich legen chinesische Projektmanager mehr Aufmerksamkeit auf die Handhabung der Veränderung und des Wandels in Projekten, da Projekte von Natur her immer ungewiss sind. Hauptaufgabe eines Projektmanagers in China ist es demnach, die Veränderungen im Projekt, die aus der Ungewissheit resultieren, zu managen. Die Aufgabe ist es, einerseits zu verhindern, dass die Veränderungen zu negativen Zielabweichungen führen und andererseits diejenigen Veränderungen, die zu positiven Zielabweichungen führen, zu fördern. Die Hauptaufgabe im Selbstverständnis eines erfolgreichen chinesischen Managers ist es, schlechte, unerwartete Entwicklungen in gute Ereignisse zu verändern. Gemäß dieser Vorstellung sind alle Projektziele, Termine, Kosten und Qualität im Verlauf des Projektes veränderbar. Daher ist es die Hauptaufgabe des Projektmanagers, sich auf das Änderungsmanagement zu fokussieren, um mit diesen Änderungen umzugehen. Ein Projektmanager sollte sich hauptsächlich auf das Managen der Ungewissheit, der Änderungen und Risiken konzentrieren. Im Gegensatz zu den Sicherheiten, da diese nicht gemanagt werden müssen. [10] Der Unterschied zwischen dem Westen und dem Osten Der Unterschied zwischen dem Umgang mit Unsicherheit im Osten und im Westen besteht unter anderem darin, dass die alten Griechen erst ein Modell definierten, dann das Ziel und dann planten, wie sie den Plan umsetzen sollten. Erst das Modell und dann die Realisierung des Modells; das ist das westliche Konzept des scharfen Verstands, dessen es bedarf, um einen Plan zu erstellen, und eines starken Willens, um dieses Ideal umzusetzen [10]. Im Vergleich zur chinesischen Herangehensweise des Bewertens einer Situation hinsichtlich ihres Potenzials und dann zu entscheiden, was als Nächstes zu tun ist. Diese Herangehensweise ist flexibler, da sich sowohl die Situation als auch die Umfeldfaktoren und das Ziel jederzeit verändern können. Diese die jeweiligen Umstände berücksichtigende Herangehensweise wird von Westlern jedoch oft missverstanden und als Passivität und das Fehlen von spezifischen Zielen fehlinterpretiert [10]. Doch gerade in zunehmend ungewissen Zeiten, in denen ein zunächst unscheinbares Ereignis eine große Auswirkung auf das Projekt, die Organisation oder das Leben haben kann, ist der westliche, modellbildende, planerische Ansatz von Nachteil, da er auf stabilen, sich nicht verändernden Prinzipien beruht. Im Gegensatz zum variablen, flexiblen, agilen Vorgehen der Asiaten, die eine große Erfahrung im Umgang mit sich verändernden Rahmenbedingungen entwickelt haben und entsprechend gewohnt sind, schnell und sicher reagieren zu können. Die Kulturen des Westens und des Ostens haben sich in den vergangenen 2.500 Jahren ihrer Kulturgeschichte in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Da es in dieser Zeit nur sehr wenig Austausch zwischen den beiden Kulturräumen gab, haben sich die beiden Kulturräume kontinuierlich auf Basis ihrer jeweiligen Annahmen und Philosophien weiterentwickelt. In der nachfolgenden Tabelle 1 sind die Unterschiede zwischen dem östlichen und dem westlichen Verständnis insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Ungewissheit und die resultierenden Konsequenzen für das Management von Projekten zusammenfassend dargestellt. Next Practices zum Umgang mit Ungewissheit Sowohl die Menschen im Osten, als auch in Europa haben eine Reihe von Ansätzen geschaffen, um mit der Herausforderung der Ungewissheit besser umgehen zu lernen. Einige dieser Methoden, die die Teilnehmenden der D-A-CH- Forschungswerkstätten kennengelernt und als wertvolle Unterstützung erlebt haben, verstehen Ungewissheit als gegeben und unterstützen den konstruktiven Umgang, um auch die Chancen, die darin verborgen sind, zu erkennen. Hier genannt werden sollen der intuitiv-spürende Umgang mit Ungewissheit [12], die Wu-De- Methode [13], der Ansatz der Heldenreise [14] und die systemischen Aufstellungen für Projekt- UNGEWISSHEIT IN PROJEKTEN 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2018 stakeholder-Management [15]. Allen diesen Next Practices gemeinsam ist die Haltung, dass Ungewissheit in Projekten etwas Natürliches ist und Projektmanager und ihre Projektteams sich auf die Veränderung einlassen können und sollen. Die Zeiten des vollkommenen Kontroll- und Beherrschbarkeitsanspruchs im Projektmanagement sind vorbei. Während früher davon ausgegangen wurde, dass Unsicherheit mit mehr Detaillierung in den Projektplänen und genaueren Spezifizierungen beherrscht werden kann, wissen erfolgreiche Projektmanager heute, dass der Lauf der Dinge nicht den Plänen folgt. Erfolgreiche Projektmanager sind heute erfolgreiche Manager der Veränderung, sie können mit Widersprüchen umgehen, behalten den Blick für das Ganze und gestalten gemeinsam mit ihren Teams die Zukunft. Dafür bedarf es Professionalität, Erfahrung und Vertrauen sowohl in sich selbst als auch in die anderen. Lernen des Umgangs mit Ungewissheit Sowohl die theoretische Betrachtung, die praktische Erfahrung in allen Arten von Projekten als auch die drei D-A-CH-Forschungswerkstätten 2014 bis 2016 haben gezeigt, dass auch in Zukunft die Ungewissheit in Projekten nicht ausgeschaltet werden kann. Projektmanager als Manager von Veränderung haben gelernt, die Ungewissheit anzunehmen, mit ihr umzugehen und Chancen zu erkennen und zu nutzen. Dabei gibt es verschiedene Wege, Ungewissheit akzeptieren zu lernen. Eine Möglichkeit ist, die eigene Komfortzone bewusst zu verlassen und so zu entdecken, dass Ungewissheit nicht beängstigend ist, sondern unsere Instinkte schärft und sogar Spaß machen Östlicher Ansatz Westlicher Ansatz Wesentliche Gedankenschulen Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus, Zen Judentum, Christentum, Aufklärung, Logik, Rationalität, Wissenschaftlichkeit Wesentliche Prinzipien • Kosmische Einheit von Mensch, Natur, Erde und Kosmos • Zirkuläres Verständnis basierend auf dem Prinzip der unendlichen Wiederholung • Selbstbefreiung vom falschen „Ich“ hin zum wahren „Ich“ • Verhaltensethik • Der Mensch als Abbild Gottes • Lineare Sicht auf die Dinge: Alles hat einen Anfang und ein Ende. • Leben ist Dienen (Gott, Geld, Geschäft, soziales Engagement …) • Ausrichtung des Lebens zur Erreichung der Ziele (Erfolg, Ruhm, Glück ...) Suche nach der Wahrheit • Systemischer Ansatz: Alles ist mit allem verbunden. • Die Wahrheit ist bereits vorhanden und muss nicht bewiesen werden. • Suche nach der Wahrheit im Inneren durch Meditation und gutes Leben • Suche außerhalb des eigenen Ichs • Die Wahrheit muss bewiesen werden. • Fokus auf der Grundlagenforschung, um die Wahrheit zu entdecken Werte und Glaubenssätze Die Wahrheit liegt im Inneren. Das Wertvolle liegt im Inneren verborgen. Erfolg und Glück kann jeder erreichen, wenn er nur hart arbeitet. Zukunft Die Zukunft wird durch das eigene Handeln beeinflusst. „Studiere die Vergangenheit, wenn du die Zukunft wissen willst.“ (Konfuzius) Die Zukunft ist unbekannt. Das Schicksal ist von Gott bestimmt und hängt nur zu einem geringen Teil vom eigenen Handeln ab. Umgang mit Ungewissheit Alles ist ständig im Wandel. Entsprechend ist Ungewissheit immer da. Man kann sie für sich zu seinem Vorteil nutzen. Die Zukunft ist ungewiss. Ungewissheit ist beängstigend. Das zuzugeben ist jedoch eine Schwäche. Projektmanagementansatz Konzentration auf die Unwägbarkeiten im Projekt, die es in Chancen umzuwandeln gilt Erst das Ziel, dann der Plan und dann die Umsetzung Ungewissheit bringt Unruhe in die stabile Ordnung und ist unerwünscht. Tab. 1: Vergleich zwischen Ost und West; in Anlehnung an [11] 18 UNGEWISSHEIT IN PROJEKTEN projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2018 kann. Viele tun dies zum Beispiel unbewusst im Urlaub. Mit wenig Bargeld, ohne Kreditkarte und ohne lokale Sprachkenntnisse auf eigene Faust ein fremdes Land zu entdecken oder sich durch die Natur zu kämpfen, sei es auf dem Segelboot oder zu Fuß die Alpen zu überqueren, den Dschungel oder die Wüste, um nur ein paar Beispiele zu nennen, ist ein Erlebnis, das uns beibringt, uns wieder auf unsere Instinkte zu verlassen, ihnen zu vertrauen und ein neues Selbst-Bewusstsein im Umgang mit Ungewissheit entwickeln. Eine andere Möglichkeit, mit Ungewissheit umgehen zu lernen, haben die Teilnehmer der Forschungswerkstatt 2016 in Berlin kennengelernt, als die Aufgabe war, eine kreative Skulptur gemeinsam im Team zu bauen, jedoch mit verbundenen Augen und schweigend. Auch bei diesem Experiment war die Erkenntnis bei allen Teilnehmenden, dass der Umgang mit Ungewissheit Spaß macht und lange verloren geglaubte Fähigkeiten und Potenziale neu aufdecken kann. [14] In unserer zunehmend ungewissen VUCA-Welt geht es darum zu lernen, die uns im Westen innewohnende Furcht vor der Ungewissheit zu überwinden, Resilienz im Umgang mit ihr zu erlernen und die Ungewissheit als Chance wahrzunehmen. „Die Menschen bevorzugen meist die Unzufriedenheit gegenüber Ungewissheit“, sagt der Lebensberater Tim Ferriss. Das sollte jedoch nicht für Projektmanagerinnen und Projektmanager gelten. Fazit Dieser Beitrag hat aufgezeigt, dass westliche Projektmanager vom ostasiatischen Kulturkreis einen positiven, gelassenen Umgang mit Ungewissheit lernen können. Gutes Projektmanagement zeichnet sich zunehmend dadurch aus, die der Ungewissheit innewohnenden Chancen für das Projekt zu erkennen, aktiv zu nutzen und umzusetzen. Im Projektmanagement finden agile und hybride Ansätze immer mehr Eingang, um flexibel auf neue Entwicklungen sowohl im Projektumfeld als auch im Projekt selbst reagieren zu können. Damit ändert sich sowohl die Rolle des Projektmanagers als auch des Projektauftraggebers zunehmend. Erfolgreiche Projektmanager sind in Zukunft erfolgreiche Manager der Veränderungen. Sie verfügen über unternehmerische Kompetenzen und gestalten mit ihren Teams aktiv die Zukunft. Das Erlernen der Kompetenz des erfolgreichen Umgangs mit Ungewissheit sollte daher zukünftig verstärkt auch Teil einer guten Projektmanagementausbildung sein. Literatur [1] Albach, H.: Beiträge zur Unternehmensplanung. Springer Verlag, Wiesbaden 1979 [2] www.swot-analyse.biz/ multikriterielleentscheidungsanalyse, Stand: 17.11.2017 [3] wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 9325/ unsicherheit-v14.html. Gabler Verlag [4] House, R./ Hanges, P./ Javidan, M./ Dorfman, P. W./ Gupta, V.: Culture, Leadership, and Organizations: The Globe Study of 62 societies. Sage Verlag, 2004 [5] Lindenau, M./ Münkler, H.: Vom Orakel zur Risikoanalyse: Figurationen von Sicherheit und Risiko. In: Lindenau, M./ Meier Kressig, M. (Hrsg): Zwischen Sicherheitserwartung und Risikoerfahrung: Vom Umgang mit einem gesellschaftlichen Paradoxon. Transcript Verlag, 2014 [6] Böhle, F.: Handlungsfähigkeit mit Ungewissheit - neue Herausforderungen und Ansätze für den Umgang mit Ungewissheit. In: Jeschke, S./ Jakobs, E.-M./ Dröge, A. (Hrsg.): Exploring Uncertainty: Ungewissheit und Unsicherheit im interdisziplinären Diskurs. Springer Gabler Verlag, 2013 [7] Weber, M.: Wissenschaft als Beruf. Edition Holzinger, 1919 [8] Lechler, Th./ Gao, T.: The Silver Lining of Project Uncertainties. PMI, 2013 [9] Jullien, F.: Vortrag vor Managern über Wirksamkeit und Effizienz in China und im Westen. Merve Verlag, Berlin 2006 [10] Qi, A./ Zheng, L.: Project Risk Management: A Chinese Perspective. In: Bodea, C./ Purnus, A./ Huemann, M./ Hajdu, M. (Hrsg.): Managing Project Risks for Competitive Advantage in Changing Business Environments. IGI Global, Hershey 2016 [11] Bibikova, A./ Kotelnikov, V.: Eastern versus Western philosophy: differences and similarities. Cultural Intelligence, 2015 [12] Böhle, F./ Heidling, E./ Kuhlmey, A./ Neumer, J.: Ungewissheit in Projekten - neue Wege der Bewältigung. In: projektManagement aktuell 1/ 2018, Köln [13] Siermann, P.: Die Wu-De-Methodik: Lernen vom chinesischen Denken. In: projektManagement aktuell 1/ 2018, Köln [14] Trobisch, N./ Kraft, D.: Mit Ungewissheit Projekte meistern: Die Kraft narrativer Muster und künstlerischer Prozesse. In: projektManagement aktuell 1/ 2018, Köln [15] Huemann, M./ Andratsch D./ Ringhofer, C.: Ungewissheit im System: Systemaufstellung als Next Practice für Projektstakeholder- Management. In: projektManagement aktuell 1/ 2018, Köln Schlagwörter Ost und West, Osten vs. Westen, Resilienz, Risiko, Umgang mit Ungewissheit, Ungewissheit, Unsicherheit, Unsicherheitsvermeidung, Veränderung, Veränderungsmanagement Kompetenzelemente der ICB 4 Perspective 5: Kultur und Werte; People 5: Führung; People 8: Vielseitigkeit; Practice 11: Chancen und Risiken; Practice 13: Change und Transformation Autorinnen Dr. Yvonne Schoper ist Professorin für Internationales Management mit dem Schwerpunkt Internationales Projektmanagement an der HTW Berlin. Von 2012 bis 2015 war sie Vorständin und bis 2017 Präsidialrätin der GPM und des IPMA Research Management Board. Anschrift: HTW Berlin - Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Treskowallee 8, 10318 Berlin, Tel.: 0 30/ 50 19 26 46, E-Mail: Yvonne.Schoper@HTW-Berlin.de Dr. Martina Huemann ist Professorin an der WU Wien, führt die Abteilung Projektmanagement im Department Strategie & Innovation und leitet den Professional MBA: Project Management der WU Executive Academy. Seit 2003 ist sie Vorstandsmitglied von pma. Als Beraterin mit mehr als 15 Jahren Erfahrung und Mitbegründerin von enable2change, einem Netzwerk an erfahrenen Expertinnen, hat sie großes Interesse am Brückenschlagen zwischen Forschung und Praxis. Anschrift: WU Wirtschaftsuniversität Wien, Abt. Projektmanagement, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien, Österreich, Tel.: +43 13/ 13 36 55 32, E-Mail: Martina.Huemann@wu.ac.at