PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Exponentielles Tempo – Die Kurve des Technologiefortschritts steigt steil an
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Oliver Steeger
Stephan Balzer
Mit atemberaubender Geschwindigkeit krempelt die digitale Transformation ganze Branchen um, macht Geschäftsmodelle zunichte und eröffnet neue Chancen. Sie setzt Unternehmen massiv unter Druck, fordert ständige Veränderungen und Anpassungen. Doch was treibt die digitale Transformation selbst voran? Stephan Balzer hat dafür eine gute Erklärung. Er ist deutscher Botschafter der „Singularity University“, der wichtigsten Kaderschmiede für Tech-Optimisten aus dem Silicon Valley. Stephan Balzer erklärt: Der digitale technische Fortschritt wächst exponentiell. Früher brauchten Entwicklungsschritte zehn Jahre, heute manchmal nur noch zwei. Gleichzeitig fällt der Preis für Technologie. Dies macht sie für viele Menschen zugänglich. Und: Wir merken gar nicht, wie schnell wir uns an neue Technologien gewöhnen – und diese unser Leben tiefgreifend verändern. Auf dem PMO Tag der GPM im vergangenen Jahr hat Stephan Balzer seine Einschätzungen und Prognosen erläutert. Jetzt erklärt er im Interview, weshalb viele Unternehmen auf der Strecke bleiben werden, wenn sie sich beim Projektmanagement nicht exzellent aufstellen.
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REPORT 13 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 Digitale Transformation: „Die Zeit ist reif für Projektmanagement.“ Exponentielles Tempo - Die Kurve des Technologiefortschritts steigt steil an Autor: Oliver Steeger Mit atemberaubender Geschwindigkeit krempelt die digitale Transformation ganze Branchen um, macht Geschäftsmodelle zunichte und eröffnet neue Chancen. Sie setzt Unternehmen massiv unter Druck, fordert ständige Veränderungen und Anpassungen. Doch was treibt die digitale Transformation selbst voran? Stephan Balzer hat dafür eine gute Erklärung. Er ist deutscher Botschafter der „Singularity University“, der wichtigsten Kaderschmiede für Tech-Optimisten aus dem Silicon Valley. Stephan Balzer erklärt: Der digitale technische Fortschritt wächst exponentiell. Früher brauchten Entwicklungsschritte zehn Jahre, heute manchmal nur noch zwei. Gleichzeitig fällt der Preis für Technologie. Dies macht sie für viele Menschen zugänglich. Und: Wir merken gar nicht, wie schnell wir uns an neue Technologien gewöhnen - und diese unser Leben tiefgreifend verändern. Auf dem PMO Tag der GPM im vergangenen Jahr hat Stephan Balzer seine Einschätzungen und Prognosen erläutert. Jetzt erklärt er im Interview, weshalb viele Unternehmen auf der Strecke bleiben werden, wenn sie sich beim Projektmanagement nicht exzellent aufstellen. Herr Balzer, wir leben in einer VUCA-World, wie man sagt - in einer Welt voller Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Projekte arbeiten agil und tasten sich in einer Welt, die Pläne und Prognosen kaum noch erlaubt, an ihre Ergebnisse heran. Digitale Transformation, disruptive Entwicklung - diese Schlagwörter klingen jedoch recht abstrakt. Wie können wir uns diese Dynamik veranschaulichen und sie greifbar machen? Stephan Balzer: Ein einfaches Beispiel ist unser Smartphone. Können Sie sich ein Leben ohne Smartphone vorstellen? Hm, schlecht. Unterwegs Termine vereinbaren, E-Mails lesen, Hotels buchen, online einkaufen oder Manuskripte durchsehen - ohne Smartphone wäre das kaum möglich. Wie Sie können sich heute nur wenige Menschen in der industrialisierten Welt noch vorstellen, sich ohne Smartphone durch den Tag und das Geschäftsleben zu bewegen. Aber das Smartphone, wie wir es kennen, wurde vor etwas mehr als zehn Jahren erst vorgestellt. Binnen zehn Jahren hat das Smartphone unglaublich viel verändert. Der Erfolg hat viel zu tun mit technologischer Entwicklung - oder besser: mit der exponentiellen Geschwindigkeit technologischer Entwicklung. Das heißt, das Smartphone ist deshalb so erfolgreich, weil wir heute genug Rechenleistung für die komplexen Anwendungen haben, auf die wir nicht mehr verzichten können. Nicht nur. Aber die exponentiell ansteigende Kurve bei der Technologieentwicklung ist einer der Hauptgründe dafür. In den 1960er-Jahren wurde prognostiziert, dass sich mit jedem Entwicklungszyklus die Anzahl der Prozessoren und Transistoren verdoppeln würde. Machen wir das konkret: Eine spannende Grafik zeigt, wie viel Rechenleistungen wir zu welchem Zeitpunkt für 1.000 USD bekommen haben. Stephan Balzer Stephan Balzer ist Entrepreneur, Innovator und Influential Voice der Pan-European innovation community. Der studierte Medienberater ist einer der Pioniere der deutschen New Media-Szene. In den 1990er-Jahren gründete er die Kommunikationsagentur red onion GmbH. Stephan Balzer ist erster deutscher TEDx-Konferenz-Lizenzinhaber und heute TEDx-Botschafter für Europa. Er organisiert TEDx-Events in deutschen Großstädten. Zudem startete er 2015 eine Partnerschaft mit der Singularity University (SU), einer Organisation mit Sitz im Silicon Valley. Seitdem ist Balzer SU-Botschafter für Deutschland und Managing Director der SingularityU Germany Summits. Mit seinem Team hat er über 60 Konferenzen zu zentralen Themen veranstaltet, die Gesellschaft, Wissenschaft und die Zukunft beeinflussen. Foto: red onion 14 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 Diese Linie steigt kontinuierlich an … Nein, sie steigt exponentiell. Sie wird immer steiler. Wir bekommen mit jedem Schritt die doppelte Rechnerleistung für 1.000 USD. Mit jedem Innovationszyklus verdoppelt sich die Rechenleistung. Gleichzeitig fällt der Preis, sodass sie für jedermann erschwinglich ist. Ein Beispiel: Das Smartphone, das ich heute benutze, hat Gesichtserkennung. Das war bis vor einigen Jahren nur aus Science Fiction-Filmen bekannt. In diesen Filmen hat man sein Gesicht vor einen Scanner etwa an einer Tür gehalten, und die Tür hat sich geöffnet. Vielleicht gab es so etwas tatsächlich in Hochsicherheitstrakten von Behörden und Unternehmen. Wenig später hat ein einfaches Smartphone ausreichend Rechenleistung, mein Gesicht so abzuscannen, dass es erkannt werden kann. Das heißt, was früher aufgrund immenser Kosten nur wenigen Menschen oder Unternehmen offenstand, ist heute für jedermann erschwinglich? Technologie und Anwendungen werden demokratisiert, das ist einer der großen Treiber dieser Dynamik, von der Sie eingangs sprachen. Ähnliches gilt für Datenspeicher. In den 1980er-Jahren kostete eine Festplatte mit 20 Megabyte rund 1.000 D-Mark. Heute schieben wir einen kleinen Chip in den Rechner, der 128 GB hat und vielleicht 50 EUR kostet. Demnächst ist vielleicht ein Speicherplatz von 500 Gigabyte auf diesem Chip - ohne dass er mehr Geld kostet. Irgendwann wird virtueller Speicher im Überfluss zur Verfügung stehen, ohne dass wir dafür bezahlen müssen. „DEMOKRATISIERUNG DER TECHNOLOGIE“ Sie sagten, dass das exponentiell wachsende Tempo technologischer Entwicklung nur ein Grund ist für die Dynamik … Ja, es kommt noch einiges hinzu. Einer dieser Entwicklungstrends ist die kluge, fast geniale Kombination verschiedener Technologien in einem Gerät. Nochmals das Beispiel Smartphone. Bei einem Smartphone sind erstmals eine hohe Zahl von Sensoren vereinigt in einem Alltagsgerät. Es kann die Höhe messen, auf der sich der Benutzer bewegt. Es kann sein Umfeld analysieren, es weiß, wie viele Schritte er gemacht hat. Es misst die Temperatur. Die Menge an Sensoren, die in einem Alltagsgerät vereinigt sind, ist revolutionär. Ein weiterer Trend sind die einfache Bedienung und die Alltagstauglichkeit dieser Technologie. Denken Sie an die Haptik von Smartphones, an die Bedienung auf der Benutzeroberfläche. Wischgesten zur Bedienung des Smartphones gehörten zu den absoluten Neuerungen vor zehn Jahren. Heute sind diese Gesten völlig normal und verbreitet … … sogar kleine Kinder beherrschen diese Gesten. Manche Kinder wollen alles „wischen“, was eine Oberfläche hat. Ich beobachte mit Spannung, wie schnell wir uns an diese neuen Technologien gewöhnen, wie schnell sie sich verbreiten und völlig normal wer- Die digitale Transformation - der vielleicht wichtigste Megatrend in der globalen Wirtschaft; Foto: ok-foto - Fotolia.com REPORT 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 den. Der Mensch hat eine unglaublich schnelle Fähigkeit zur Adaption - vor allem dann, wenn Technologien so kinderleicht zu bedienen sind wie beim Smartphone. Wir gewöhnen uns schnell daran, dass wir beispielsweise überall eine HD- Kamera zur Hand haben. EXPONENTIELLE ENTWICKLUNG Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Technologisch sind gewaltige Sprünge durch die exponentielle Entwicklung möglich. Die Preise für Rechenleistung fallen, dadurch wird eine Demokratisierung der Technologie möglich. Einfache Anwendungen und die große Anpassungsfähigkeit des Menschen sorgen dafür, dass sich Technologien binnen kürzester Zeit verbreiten. Noch ein letzter Punkt. In den Smartphones sind viele Funktionen vereinigt. Früher musste man eine Kamera kaufen, vom Geschäft mit Kameras und Objektiven haben ganze Konzerne gelebt. Heute laden Sie eine einfache App auf Ihr Smartphone, die häufig noch kostenlos ist. Viele Menschen brauchen keine eigene Kamera mehr … … den klassischen Fotoapparat für den Familienurlaub! Dadurch haben sich ganze Geschäftsmodelle verändert. Man kauft nur noch eine App, keine Geräte mehr. Beispielsweise haben viele Smartphones haben eine Taschenlampe. Auch kann man Videos drehen. Daran sind wir heute gewöhnt. Diese schnelle Gewöhnung finde ich bemerkenswert. Wir nehmen heute vieles, was vor zehn Jahren eine Sensation gewesen wäre, als selbstverständlich hin. Wir gewöhnen uns sogar an die exponentiell wachsende Geschwindigkeit, mit der uns neue Anwendungen und Technologien bereitgestellt werden. Jedoch - dadurch werden binnen weniger Jahre ganze Märkte auf den Kopf gestellt. Auf den Kopf gestellt - inwiefern? Ein gutes Beispiel dafür ist die Musikbranche. Sie war als eine der ersten Branchen von der digitalen Transformation betroffen. Die Branche hat sich innerhalb der 1990er-Jahre fast halbiert. In dem Moment, in dem für viele Menschen ausreichend Rechnerleistung bezahlbar zur Verfügung stand, konnte man Musik digitalisiert verwenden. Das war nur eine Frage von Rechenleistung? Nicht nur. Auch die Benutzerfreundlichkeit kam hinzu. Bei den digitalen Musikplayern konnte man mit einer Wischgeste durch die Musik- Training Beratung & Buchung 0641 98210-300 ibo@ibo.de www.ibo.de ibo Beratung und Training GmbH Agiler Projektmanagement-Experte mit ibo-Zertifikat (PMAR) In 2 x 2 Tagen agile Kompetenz aufbauen Nächster Termin 26. - 29.11.2018, Berlin Weiterbildung für Projektmitarbeiter Kompakt, agil, pragmatisch aktuell & praxiserprobt Projektleiter/ in mit ibo-Zertifikat (PLR2) In 4 x 2 Tagen plus Praxistag fit für Projektverantwortung Starttermine 10.09. 2018 München 18.02. 2019 Stuttgart Weitere Termine und Infos unter www.ibo.de/ projektmanagement-seminare Alternativ geben Sie das Seminarkürzel (PLR2, PMAR) in das Suchfeld auf www.ibo.de ein! Besuchen Sie uns! PMO-Tag und PM-Forum 22. -24. Oktober 2018 / Stand Nr. 211 NCC Ost, Nürnberg Anzeige Vor etwas mehr als zehn Jahren vorgestellt, hat das Smartphone unser Leben tiefgreifend verändert. Nur wenige Menschen in der industrialisierten Welt können sich noch vorstellen, ohne Smartphone durch den Tag und das Geschäftsleben zu kommen. Foto: alphaspirit - Fotolia.com 16 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 sammlung browsen. Dann wurden Telefon und Musikplayer vereinigt, was den digitalisierten Musikmarkt noch weiter verbreitete. DIGITALISIERUNG REVOLUTIONIERT IMMER MEHR BRANCHEN Musik ist vergleichsweise einfach zu digitalisieren. Andere Produkte sind daran gemessen nicht für die Digitalisierung geeignet. Wirklich nicht? Mittlerweile werden Branchen und Bereiche digitalisiert, von denen man dies vorher nicht angenommen hätte. Vor allem kommt diese Digitalisierung für viele betroffene Unternehmen überraschend. Ein Beispiel: Sie erinnern sich vielleicht, dass vor Jahren internationale Telefongespräche sehr teuer waren. Gespräche nach England oder in die USA haben viel Geld gekostet. Mit der Liberalisierung des Telefonmarkts sind zumindest in Deutschland die Preise gefallen … Zweifellos. Doch nach der Liberalisierung kamen Anbieter mit einer Software, die Ferngespräche in alle Welt über Internet ermöglichte. Und zwar kostenlos. Das war sensationell. Über Jahrzehnte hatten Telekommunikationskonzerne ein einträgliches Geschäftsmodell mit Ferngesprächen. Binnen weniger Jahre wurde dieses Modell komplett und nachhaltig zerstört. Ein anderes Beispiel: Wir haben uns erstaunlich schnell daran gewöhnt, Filme zu streamen. Bereits in den 1990er-Jahren gab es erste Streaming-Anwendungen. Damals wurde aber gesagt: Erst wenn flächendeckend das Internet leistungsfähig genug ist, können wir Streaming in die Breite tragen. Und wenn das Internet auch billig genug ist. Damals zahlte man ja noch für verbrauchtes Volumen. Heute produzieren Streaming-Dienste sogar populäre Filmserien selbst. Das ist nicht länger eine Domäne des Fernsehens und der großen Kino-Filmstudios. Da wurde nicht nur den Videotheken das Wasser abgegraben, sondern auch der gesamten Filmwirtschaft. Die Streaming-Anbieter haben sich von der Filmwirtschaft emanzipiert. Ja. Einige Streaming-Anbieter sind ja ironischerweise selbst als DVD-Verleih gestartet. Daran können Sie gut erkennen, wie plötzlich Wettbewerber in einen Markt vorstoßen, der unter traditionellen Anbietern fest aufgeteilt scheint. Und noch ein letztes Beispiel: Einige Online-Buchhändler waren anfangs wirklich nur ein Buchhandel. Heute produzieren sie selbst Bücher und haben eigene Autoren unter Vertrag. Diese Erweiterung des Angebots ist ja auch sinnvoll. Denn die Händler verfügen über gute Kundenbeziehungen. Wir haben bisher über Vergangenes gesprochen. Wo sehen Sie disruptive Entwicklungssprünge für die Zukunft? Beispielsweise bietet der 3-D-Druck Potenzial. Augenblick! 3-D-Drucker sind seit vielen Jahren bekannt. Weshalb sollen diese Drucker plötzlich Entwicklungsschübe auslösen und Branchen disruptiv verändern? In Asien drucken erste 3-D-Drucker feste Häuser binnen 24 Stunden aus. Im Zusammenhang mit Robotik und neuen Materialien können Drucker jetzt Dinge herstellen, die vorher undenkbar waren. Übrigens auch zu vorher völlig undenkbar niedrigen Kosten. 3-D-Druck wird weltweite Auswirkungen haben. Die westliche Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine starke Abhängigkeit von China begeben. Niemand produziert so billig wie die Chinesen, hieß es lange. Doch die Chinesen bauen gerade ihre eigene Volkswirtschaft um. Denn in dem Moment, in dem wir hier 3-D-Drucker flächendeckend einsetzen, brauchen wir dort nicht mehr produzieren zu lassen. Wir brauchen dann auch viele der Schiffe nicht mehr, die Waren von Fernost zu uns transportieren. Die gesamte Logistikbranche und die Schifffahrtsindustrie wären betroffen. AUSLÖSER FÜR DEN NÄCHSTEN ENTWICKLUNGS- SPRUNG? Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese 3-D-Drucker beispielsweise Füllhalter, Küchengeräte oder Werkzeug herstellen. Das würde viel zu lange dauern. Immer mehr Rechenleistung zu immer niedrigeren Preisen - das ist einer der wichtigsten Treiber der digitalen Transformation. Foto: xiaoliangge - Fotolia.com REPORT 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 Richtig. Früher konnten Sie zusehen, wie langsam Dinge ausgedruckt wurden. Vor sechs oder sieben Jahren kamen die ersten 3-D-Drucker auf den Markt. Sie haben das Material noch Schicht für Schicht aufgetragen. Das hat manchmal Stunden gedauert. Bald werden wir uns daran gewöhnen, dass solche Druckverfahren in einem Zehntel der heute üblichen Zeit abgeschlossen sind. In ferner Zukunft vielleicht sogar in einem Hundertstel der Zeit. Das wird dann völlig normal für uns sein. Vielleicht werden dann die Kopierläden, die es ja nach wie vor an jeder Straßenecke gibt, die Outlets für gedruckte Dinge. Diese Geschäfte haben ja Kundenbeziehungen. Sie kennen das Geschäft mit solchen Dienstleistungen. Kunden senden ihre Dateien in diese Kopierläden und holen drei Tage später die ausgedruckte Ware ab. Für den Druck bezahlen die Kunden dann natürlich. Aber sie bezahlen auch für das Copyright. Sie kaufen von einem Hersteller die Lizenz, ein bestimmtes Ding einmal auszudrucken. Der Hersteller druckt es nicht selbst; er gibt die Eigenschaften des Materials vor und verkauft eine Lizenz. Offen gesagt, ich kann mir das nicht vorstellen. Wie wollen Sie komplizierte Konstruktionen ausdrucken, bei denen viele verschiedene Materialien verwendet werden? Mit bestimmten Materialien und Verfahren werden wir noch warten müssen, das ist richtig. Aber das ist kein Grund für die Einschätzung, dass bestimmte Dinge überhaupt nicht funktionieren werden. Die Menschen haben immer für alles früher oder später eine Lösung gefunden. Früher hat dies vielleicht zehn oder zwanzig Jahre gedauert. Doch heute braucht man nur noch drei oder vier Jahre, bis diese fehlenden Bausteine da sind. Das Tempo - der exponentielle Fortschritt - ist neu. ENORMES ENTWICKLUNGSTEMPO Gestatten Sie mir einen letzten Einwand: Ein 3-D-Drucker ist viel zu teuer - gemessen am Wert der Dinge, die er ausdrucken kann. Noch zu teuer! Der Preisverfall hat längst eingesetzt. Und: Denken Sie daran, wie teuer Papierdrucker früher waren. Heute bekommen Sie Papierdrucker für kleines Geld, fast geschenkt. Die Unternehmen verdienen ihr Geld mit Tinte und Toner. Und die Qualität ist rasant gestiegen. Heute drucken einfache Geräte für 100 EUR Fotos aus in einer Qualität, die vor 20 Jahren eine Sensation gewesen wären. Übertragen Sie diese Entwicklung auf den 3-D-Drucker. Künftig werden wir vermutlich keine Beschränkungen mehr beim Material haben. Wahrscheinlich werden wir für 3-D-Drucker völlig neue Materialien entwickeln, die wir heute noch gar nicht kennen. Noch härteren Zement etwa oder speziellen Stahl. Wir können heute auf der molekularen Ebene Materialien verändern. Es gibt also zwischen der Materialentwicklung und der Entwicklung der 3-D-Drucker parallelen Fortschritt - also eine Konvergenz. Die Technologien ermöglichen sich gegenseitig. Daraus ergeben sich neue, völlig überraschende Produkte oder Dienstleistungen. Diese Innovationen haben teilweise eine breite Wirkung. Eine breite Wirkung - wie darf ich das verstehen? Vielleicht haben wir in Zukunft riesige 3-D- Druck-Farmen in Europa. Angenommen, durch 3-D-Drucker entfallen zukünftig 10 oder 15 Prozent des Produktionsvolumens in China, dann steuert die Schifffahrt auf eine Krise zu. Und zwar wegen eines Technologietrends, der mit der Schifffahrt selbst gar nichts zu tun hat. BEDROHT 3-D-DRUCK DIE SCHIFFFAHRT? Diese Unternehmen wären also gut beraten, sich nach neuen Geschäftsmodellen umzusehen … … oder sich auf die Chancen dieser Entwicklung vorbereiten. Meiner Einschätzung nach halten viele Unternehmen nur ihre direkten, angestammten Mitbewerber im Blick. Solche Sprünge jedoch, die etwa durch den 3-D-Druck ausgelöst werden, rufen völlig neue Mitbewerber auf den Plan. Was, wenn ausgewiesene Softwareentwickler in dieses Hardwaregeschäft einsteigen? Schon heute betätigen sich Softwarekonzerne in Bereichen, die man diesen Unternehmen nie Stephan Balzer skizzierte in seinem Vortrag auf dem PMO Tag der GPM die Zukunftstrends der digitalen Transformation. Foto: Oliver Steeger 18 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 zugeordnet hätte. Beispielsweise begeben sich Internetkonzerne heute in die Automobilbranche. Früher völlig undenkbar! Angenommen, ein weltweit agierender Internetversender baut diese 3-D-Druckfarmen auf, weil er über Kundenbeziehungen verfügt, seine Dienstleitungen perfekt digitalisiert hat und es versteht, ausgedruckte Dinge effizient dem Kunden zuzustellen ... Vielleicht, ja! - Neben dem 3-D-Druck sollten wir auch die Künstliche Intelligenz im Auge behalten, Artificial Intelligence, kurz AI genannt. Da tut sich sehr viel derzeit. Ein Beispiel: Kürzlich hat einer der weltweit leistungsstärksten Computer den gesamten Wissensbestand zum Thema „Schach“ geladen. Und zwar binnen vier Stunden! An einem halben Arbeitstag hat der Rechner all das gelernt, was wir Menschen je über Schach gewusst und zu Papier gebracht haben. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ BEI „GO“ Die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz sind bekannt … Vielleicht ist noch nicht allgemein bekannt, wie groß diese Fortschritte sind. Kennen Sie das Spiel „Go“? Ein asiatisches Strategiespiel, das als hochkomplex gilt. Kürzlich hat erstmals ein Rechner gegen den Weltmeister im Go gewonnen. Darauf will ich hinaus. Auch Experten für Künstliche Intelligenz haben jahrelang angenommen, dass ein Rechner niemals gegen einen Go-Meister siegen werde. Die Zahl der möglichen Spielzüge geht ins Unendliche. Kürzlich aber hat ein Rechner den Weltmeister besiegt - in drei von fünf Spielen. Und der Weltmeister war hingerissen von der unfassbaren Schönheit, Raffinesse und Eleganz, mit der der Rechner spielte. Kein Mensch, sagte er, habe je solche Züge gemacht. Vor einigen Jahren waren wir begeistert, als ein Computer den Schachweltmeister besiegt hat. Heute sehen wir, dass in kurzer Zeit die Künstliche Intelligenz weitere enorme Fortschritte gemacht hat. Schön, wenn ein Rechner elegante Spielzüge beherrscht. Doch wie wird Künstliche Intelligenz zu disruptiven Entwicklungen in der Wirtschaft führen? Nehmen Sie als Beispiel die Sprachassistenten, die sich immer weiter verbreiten, beispielsweise die Computerstimme, mit der Sie kommunizieren können. Diese Assistenten werden immer besser. Sie lernen, indem sie von vielen Menschen auf der Welt in vielen verschiedenen Sprachen benutzt werden. Mittlerweile können die Assistenten stellenweise die Absicht erkennen, die hinter bestimmten Fragen steht. Auch da spielt das exponentielle Wachstum von Rechnerleistung hinein, die immer preiswerter wird. Deswegen wird Künstliche Intelligenz z. B. noch keine Verhandlungen mit Kunden führen. Dies vielleicht nicht. In der nächsten Zeit werden wir bestimmt keine Anwendungen haben, die empathisch reagieren, Gesprochenes deuten und zwischen den Zeilen lesen können. Aber schon bald werden wir einfache Abläufe automatisieren und digitalisieren. Denken Sie an Callcenter. Indien hat heute einen großen Markt für Callcenter-Dienstleistungen. Viele westliche Unternehmen lagern ihre Callcenter nach Indien aus. Indien wird sich überlegen müssen, wie es auf Künstliche Intelligenz reagiert. Denn ich gehe davon aus, dass viele Callcenter demnächst automatisiert werden. DIE AUTOMATISIERUNG VON CALLCENTERN Dies gilt für einfache Gespräche. Doch was ist etwa mit Beratungen bei der Bank? Ich vermute, dass gerade diese Gespräche digitalisiert und automatisiert werden! Heute treffen die allerwenigsten Bankberater größere Entscheidungen selbst. Unabhängigkeit und Spielraum, wie dies vor 20 Jahren noch verbreitet war, kennen die Berater nicht mehr. Heute arbeiten sie sich während des Kundengesprächs durch einen vorgefertigten Dialog, dem ein Regelwerk unterliegt. Je nach Kundenantwort wird von der Zentrale vorgegeben, was einem Kunden zu welchen Konditionen angeboten werden darf. Den Kunden durch solch einen standardisierten Prozess zu führen, diesen Vorgang werden Banken früher oder später auch durch Lehrstück MP3-Player: Binnen weniger Jahre hat der MP3-Player den Musikmarkt radikal verändert. Alte Geschäftsmodelle sind neuen gewichen, viele Mitspieler von einst blieben auf der Strecke. Enorme Fortschritte bei der Rechenleistung, bequeme Bedienung der Software sowie niedrige Kosten für Kunden machten diesen Umbruch möglich. Foto: Andrey Kiselev - Fotolia.com REPORT 19 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 Künstliche Intelligenz automatisieren. Ein anderes Beispiel: Unterlagen für den Steuerberater zu durchforsten, zuzuordnen und einzuordnen - das kann ein Rechner wesentlich besser und schneller als ein Mensch. In der Immobilienwirtschaft werden bereits erste Anwendungen eingesetzt, die große Mengen von Verträgen einscannen und auswerten. Ein Rechner kann Hunderte von Verträgen binnen weniger Minuten lesen, auswerten und daraus Fristen und Abläufe extrahieren. Früher haben Mitarbeiter diese Aktenmengen ausgewertet, meistens junge Steuerberater, Betriebswirte oder Rechtsanwälte. Sie gehen davon aus … … dass der Menschen alles, was er automatisieren kann, auch automatisieren wird. Auch deshalb, weil diese Automatisierung nichts mehr kosten wird. Nichts mehr kosten? Wie darf ich dies verstehen? Für Ferngespräche brauchen Sie heute eigentlich nichts mehr zu bezahlen, dies haben wir vorhin gesagt. Internet und Rechenleistung werden immer preiswerter. Manche Experten gehen sogar davon aus, dass in Zukunft Strom kaum noch etwas kosten wird. Der Preis für Solaranlagen reduziert sich enorm. Die Kurve der Produktionskosten für diese Anlagen fällt seit Jahren steil ab. Und die Effizienz dieser Anlagen ist enorm gewachsen. „JETZT IST DIE ZEIT REIF FÜR PROJEKTMANAGEMENT“ Wie können sich Unternehmen und Projektmanager für diese Herausforderungen aufstellen? Was empfehlen Sie? Meiner Ansicht nach ist spätestens jetzt die Zeit reif für Projektmanagement. Die Veränderungen haben Auswirkungen auf das Geschäftsmodell vieler Unternehmen. Dies habe ich ja auch bei meinem Vortrag auf dem PMO Tag der GPM im Herbst vergangenen Jahres betont. Das heißt, Projektmanagement hilft, die Folgen der technologischen Fortschritte zu bewältigen und die Chancen disruptiver Entwicklungssprünge zu nutzen? Sprechen wir nicht nur von der Technologie. Es geht auch um humane, gesellschaftliche Entwicklungen. Heute sehen wir uns einer jungen Generation von Mitarbeitern gegenüber, die fundamental anders arbeiten will als ihre Eltern und Großeltern. Geld motiviert junge Menschen kaum noch. Sie fordern einen großartigen Arbeitsplatz mit herausfordernden Aufgaben, selbständiger Arbeit und erfüllender Tätigkeit. Sie wollen in Projekten arbeiten. Auf diese Forderung sind nur wenige Unternehmen eingerichtet. MEHR ZUSAMMENARBEIT IN UNTERNEHMEN Auf dem PMO Tag sagten Sie, dass Unternehmen eine noch bessere Fähigkeit für Projektmanagement entwickeln müssen. Es geht nicht nur allein um die PM-Methoden. Was meinen Sie genau? Die Schwierigkeit in vielen Unternehmen besteht in deren Organisation. Viele Unternehmen sind teils über Jahrzehnte in Pyramidenstruktur und in Silos gewachsen. Überall finden Sie die klassischen „Business Lines“. Aber: Die überlebensnotwendigen Innovationen, von denen wir sprechen, kommen nicht mehr in einer einzelnen Abteilung zustande. Digitalisierung ist ja eine Querschnittfunktion. Sie geht über alle Bereiche hinweg - beispielsweise von Einkauf, Entwicklung, Qualitätssicherung, Produktion, Vertrieb, HR, Marketing bis hin zur Kommunikation. Viele Abteilungen müssen schnell und hochproduktiv zusammenspielen, damit das Unternehmen sich abrupten Marktveränderungen anpassen kann. Unternehmen sind also gut beraten, die Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen, um überhaupt solche komplexen und abteilungsübergreifenden Projekte managen zu können. Sie klingen da nicht sehr optimistisch … In vielen Konzernen fehlt meiner Einschätzung nach diese Fähigkeit. Die Unternehmen kommen nicht über ihre klassische Linienorganisation hinweg. Die Linie funktioniert ja quasi von oben nach unten. Projekte müssen dagegen quer zu dieser Linie gemanagt werden. Schon in den 1990er-Jahren sind viele digitale Projekte, an denen ich beteiligt war, an dieser Abteilungsstruktur gescheitert - und nicht am Geld oder an der Technologie. Die Probleme lagen bei blockierenden Abteilungen. Die eigentliche Komplexität dieser Projekte liegt also nicht so sehr in der Technologie oder im Marktumfeld, sondern in der Struktur des Unternehmens? Quasi direkt vor der Haustüre des Projektmanagers? Die digitale Transformation mit ihrer exponentiellen Entwicklung werden nur die Unternehmen überleben, die lernen, sich wirklich auf Projektmanagement einzulassen. Davon bin ich überzeugt. Und da reicht es nicht, innovative Entwicklung als eigenständige agile Organisation auszugründen. Die Stammorganisation braucht Veränderung. Anderenfalls verändert sich das Mindset nicht. Unternehmen sollten angesichts der digitalen Transformation als Erstes dafür sorgen, dass Projektmanagement besser möglich wird. Ein möglicher Schritt in die Zukunft der digitalen Transformation: Künstliche Intelligenz könnte Callcenter oder auch Kundenberater bei der Bank überflüssig machen. Foto: Monkey Business - Fotolia.com