PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Ausweglose Situationen als versteckte Hebel
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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WISSEN 47 projektManagementaktuell | AUSGABE 3.2018 Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Priesberg stapft in Ehrlichs Büro und wirkt wie eine Dampflok nach einer langen, anstrengenden Fahrt. „Den heutigen Tag sollte man am besten aus dem Kalender streichen“, beginnt Priesberg mehr zu schreien, als zu sprechen. „Stell dir vor, du kennst doch meinen Dachbalken über der Galerie. Die Wartungsfirma für Rauchmelder, die wir beauftragt hatten, möchte den Melder am Dachbalken aufgrund selbst gebastelter Vorschriften nicht entfernen: Wir sprechen von einer Höhe von fünf Metern. Aber es besteht Absturzgefahr, wenn ich ihn wegen einer späteren Fehlfunktion, die sich stets durch ein lautes Piepen bemerkbar macht, entfernen muss. Und jetzt kommt das Beste: Dieselbe Person, die den Melder unter Berufung auf die Vorschriften montiert hat, weigert sich jedes Mal, die jährliche Prüfung mit der Begründung vorzunehmen, er sei zu hoch montiert. Das habe ich denen heute wiederholt versucht klarzumachen, und dabei bin ich ziemlich laut geworden.“ „Und vermutlich haben die Herren der Prozesse deine Lokalitäten nie besichtigt“, fragt Ehrlich ohne ein Zeichen des Erstaunens. „Ganz genau. Ich werde jetzt auf eigene Kosten eine zweite Meinung einholen … aber das ist nicht das einzige Ärgernis von heute“, entgegnet Priesberg und fährt fort: „Nach dem unerfreulichen Telefonat musste ich als Projektteammitglied zu einer Schulung. Du weißt ja, dass wir eine neue Datenbank für Werkstoffe einführen und kurz vor dem Rollout stehen. Ich war sehr schlecht gelaunt.“ „Und? “, fragt Ehrlich bewusst gelangweilt, „das ist doch ein ganz normaler Vorgang. ‚Eat your own dogfood‘, würde ich sagen.“ Priesberg antwortet: „Das Tool ist ja überhaupt nicht intuitiv zu bedienen. Die Masken sind unübersichtlich, die Benutzer müssen viel klicken und sich mit einer kleinen Beschriftung der Menüs abfinden. Wir werden uns auf einen riesigen Gegenwind der Benutzer einstellen müssen.“ „Und das fällt dir jetzt erst am Ende des Projekts auf? Seltsam …“, stichelt Ehrlich. „Worauf willst du hinaus? “, fragt Priesberg genervt. Ehrlich entgegnet betont entspannt: „Ich glaube, dass heute dein Glückstag ist …“ Er wird von Priesberg unterbrochen: „In welche Extradimension hat es dich denn heute verschlagen? Ich erzähle dir gerade, dass ich mich mit kafkaesken Rauchmelderprozessen und anschließend einem unbrauchbaren IT-Tool herumschlagen muss, und du faselst etwas von Glückstag? “ Ehrlich kann sich nur schwerlich zurückhalten und möchte am liebsten loslachen. Aber er weiß nicht, wie sich sein Kollege Priesberg dann verhalten würde. Also versucht er es weiter mit Geduld: „Versetze dich mal in den Arbeitsalltag eines Benutzers. Für ihn ist das Tool nichts weiter als ein Arbeitsinstrument, funktioniert es gut, dann nimmt er es nicht wahr, ist es schlecht zu bedienen, dann bleibt es ihm negativ im Gedächtnis. Und ein schlecht gelaunter Benutzer ...“ Priesberg unterbricht ihn: „Hm … ich habe das Tool als schwer bedienbar eingestuft - dann hat das wohl etwas mit meiner schlechten Laune zu tun. Jetzt gibt es einen frustrierten Benutzer mehr. Und? “ Ehrlich schaut nach unten, um weiterhin ernsthaft zu wirken, und spricht: „Könnte es sein, dass du aus dem heutigen Tag dennoch einen Vorteil ziehen könntest? “ Priesberg schnaubt kurz, seine Wut scheint schließlich verraucht zu sein und spricht nachdenklich: „Es gibt bei unserem Tool so etwas wie eine konfigurierbare Startseite. Wir haben der Projektgeschichten und Fallstudien Ausweglose Situationen als versteckte Hebel Autor: Jens Köhler nie wirklichen Bedeutung beigemessen, aber während der Schulung schien mir das plötzlich ein Anknüpfungspunkt zur Steigerung der Akzeptanz zu sein. In der Tat: Wir müssen den Rollout-Plan anpassen und uns erheblich mehr Zeit geben. Du hast recht: Es ist ein Glückstag, der mir viel zukünftige Reparaturarbeit erspart hat.“ Jetzt kann auch Ehrlich wieder in seiner gewohnt entspannten Manier antworten: „Ohne Priming durch die Rauchmelder wärst du als Projektbeteiligter in die Schulung gegangen und hättest die neue Werkstoff-Datenbank toll gefunden. Jede Ungereimtheit in der Bedienung wäre von deinem schnellen Denken vom Tisch gefegt worden und hätte dich in Sicherheit gewiegt: Der Rollout-Plan wäre viel kürzer gewesen, sehr zum Nachteil zukünftiger Benutzer - aber das hast du heute meisterhaft verhindert“, grinst Ehrlich. Priesberg ergänzt: „Und ich habe einen neuen Mechanismus kennengelernt, wie man sich bewusst in andere Rollen hineinversetzen kann: Also hat mein Erlebnis von heute Morgen doch Mehrwert geschaffen.“ Autor Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com