PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das eine Wort, das das Feuer im Team entfachte
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Oliver Steeger
Marco Sturm
Die Silber-Sensation von Pyeongchang: Die deutschen Eishockeyspieler machten zur Winterolympiade das scheinbar Unmögliche möglich und kämpften sich auf den zweiten Platz. Mit „einer Effizienz vom anderen Stern“, wie ein Sportreporter jubelte, arbeitete das Nationalteam auf dem Eis: diszipliniert, kämpferisch, mit perfektem Teamgeist. Trainer Marco Sturm führte die Mannschaft zur Sternstunde des deutschen Eishockeys. Teamgeist und Disziplin, sagt er, haben den Sieg gebracht. Auf dem „35. Internationalen PM Forum“ (23./24. Oktober 2018 in Nürnberg) wird Marco Sturm über den Erfolg von Pyeongchang berichten. Im Interview erklärt er, wie er aus seinen Spielern diese Erfolgsmannschaft formte – und welches Feuer ein einziges Wort bei den Spielern entfacht hat. Nämlich: Glaube!
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Viele Projekte bewirken Veränderungen, die jedoch von den Betroffenen häufig nicht angenommen werden. Der angestrebte Wandel wird nicht akzeptiert. Grund dafür sind viele Faktoren - auch jenseits der Beherrschung von Projektmanagementmethoden. In Projekten bündelt sich eine hohe Komplexität, die es zu bewältigen gilt. Wolfgang Alter, Susan Kirch, Pao Siermann und Erwin Weitlaner (Wertvolle Zeit bei Veränderungsprozessen effektiv und effizient nutzen) haben im Abgleich mit Praxisbeispielen diese Komplexität greifbarer gemacht. Sie schlagen für eine höhere, nachhaltige Erfolgsquote drei konkrete Ansätze vor. Skalierung als Herausforderung - agile Skalierungsansätze und Frameworks nutzen; unter diesem Titel setzen sich Ayelt Komus und Lea Bell mit den meistdiskutierten Skalierungsansätzen auseinander und kommen zu dem Ergebnis, dass sie wertvolle Anregungen liefern. „Viele Ideen und Konzepte aus dem agilen Umfeld können auch als Impulse für das klassische bzw. hybride Projekt-, Programm- und Projektportfoliomanagement dienen.“ Und nochmals agil: Jenseits des Hypes - Entwicklung und Nutzung hybrider Vorgehensmodelle in der Praxis. Oliver Linssen, Marco Kuhrmann, Jill Klünder, Michael Felderer, Eckhart Hanser und Masud Fazal-Baqaie untersuchten in der HELENA-Studie in der Praxis eingesetzte Softwareentwicklungsansätze. Es konnte gezeigt werden, dass sogenannte „hybride“ Entwicklungsansätze die Norm für die Software- und Systementwicklung werden. Einen Blick in die Zukunft wagt auch Martin Saier mit der Frage „Wohin kann sich klassisches Projektmanagement weiterentwickeln? “ In unserer Softwarerubrik (Projektron BCS - hybride Portfolios) stellt Mey Mark Meyer ein Werkzeug vor, das sowohl klassische Projektterminplanung als auch Scrum, hybride Planung und Portfoliomanagement unterstützt. „Herr Gründlich strukturiert ein Projekt. Typische Projektmanagementfallen vermeiden - Story Telling als Methode der Kompetenzentwicklung“ - so heißt der Beitrag von Roswitha Müller-Ettrich und Dorothee Feldmüller aus dem Werk „Projekt in Gefahr. Fallstricke im Projektmanagement“, herausgegeben von Dorothee Feldmüller (Düsseldorf 2016). Dem Leser wird in Form von Geschichten - eine uralte Form der Weitergabe von Erfahrungen - praxisnah PM-Wissen vermittelt. Das Thema „agil“ greift auch unser Kolumnist (Das agile Wasserfallmodell) nochmals auf. Seine Prognose: „Die Akzeptanz für agile Projekte wird steigen. So wird die Organisation selbst agil …“ Heinz Schelle Agil und kein Ende „Das eine Wort, das das Feuer im Team entfachte“, so lautet das Schlüsselwort im Interview, das Oliver Steeger mit Marco Sturm, dem Trainer der deutschen Eishockeymannschaft führte. Für Leser, die weniger an Sport interessiert sind: Die deutsche Eishockeymannschaft, keines der ganz großen Teams der Welt, erkämpfte bei den olympischen Winterspielen in Pyeongchang die Silbermedaille: diszipliniert, kämpferisch, mit perfektem Teamgeist. Glaube woran? Glaube, „dass wir in diesem Turnier mitspielen und einiges erreichen können“. Und das haben sie. Das zweite Interview mit Peter Huber, Vorstand der Bayerischen Zugspitzbahn (Mit dem „Loch im Bauzaun“ das Herz der Besucher gewinnen) erfreut mich besonders, weil ich nämlich fast mein ganzes Leben im „Schatten“ des höchsten Berges Deutschlands (2.962 m) verbracht habe und ich von meinem Arbeitszimmer jeden Tag zum Ostgipfel schauen kann. Mein ganz persönlicher Hausberg also. Das Projekt: Die alte Bahn wurde durch eine moderne Seilbahn ersetzt. Sie befördert rund 120 Personen. Die Fahrt geht durch drei Klimazonen und sie passiert die weltweit höchste Stahlbaustütze (127 Meter), überwindet den weltweit größten Höhenunterschied (1.945 Meter) und das längste freie Spannfeld mit 2.213 Metern. Und noch eine Besonderheit: Das 50-Millionen-Euro-Vorhaben landete trotz extremer äußerer Bedingungen punktgenau bei Budget, Terminen und Qualität. Ein drittes Interview führte Oliver Steeger mit Gernot Schulz, einem international renommierten Dirigenten. Er vermittelt Unternehmen, was sie von einem Orchester und seiner Führung lernen können. Bereits zum fünften Mal beteiligte sich die GPM am Zukunftskongress „Staat und Verwaltung“ in Berlin, der vom 18. bis 20. Juni 2018 stattfand. An dem Leitkongress zur Modernisierung der Verwaltung im Herzen Berlins und unter Schirmherrschaft des Bundesinnenministeriums nahmen rund 1.500 Entscheidungsträger/ -innen aus Bund, Ländern und Kommunen teil. Die GPM war mit ihrer Botschaft, dass Projektmanagement ein Führungsinstrument zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit ist, inhaltlich gut platziert und anschlussfähig. Ina Gamp und Heike Kratt (Der digitale Wandel braucht kompetente Führung) berichten. Gemeinsam mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg und der Regionalen Fortbildung Berlin hat die GPM am 4. und 5. Juni 2018 die zweite bundesweite Fachtagung „Handlungs- und Projektorientierung im Zeitalter der Digitalisierung“ durchgeführt. Mit 200 Teilnehmenden aus allen Bereichen des Lernens und Lehrens fand in insgesamt 26 Beiträgen von rund 30 Referent/ -innen ein spannender und intensiver Austausch zum Potenzial einer stärkeren Projektorientierung und -didaktik für die Gestaltung und die Bewältigung der Herausforderungen des digitalen Wandels in unserem Bildungssystem statt. Sarah-Janina Khayati (GPM Fachtagung „Handlungs- und Projektorientierung“) war für die GPM dabei. projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 02 EDITORIAL REPORT 03 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm über die olympische Sensation Das eine Wort, das das Feuer im Team entfachte Autor: Oliver Steeger Die Silber-Sensation von Pyeongchang: Die deutschen Eishockeyspieler machten zur Winterolympiade das scheinbar Unmögliche möglich und kämpften sich auf den zweiten Platz. Mit „einer Effizienz vom anderen Stern“, wie ein Sportreporter jubelte, arbeitete das Nationalteam auf dem Eis: diszipliniert, kämpferisch, mit perfektem Teamgeist. Trainer Marco Sturm führte die Mannschaft zur Sternstunde des deutschen Eishockeys. Teamgeist und Disziplin, sagt er, haben den Sieg gebracht. Auf dem „35. Internationalen PM Forum“ (23./ 24. Oktober 2018 in Nürnberg) wird Marco Sturm über den Erfolg von Pyeongchang berichten. Im Interview erklärt er, wie er aus seinen Spielern diese Erfolgsmannschaft formte - und welches Feuer ein einziges Wort bei den Spielern entfacht hat. Nämlich: Glaube! Bei der Winterolympiade im südkoreanischen Pyeongchang haben Sie die deutschen Eishockeyspieler zur Silbermedaille geführt. Sportfans in Deutschland waren gleichermaßen überrascht wie begeistert; Deutschlands Nationalmannschaft war kaum ein Favorit für die Olympischen Spiele. Was hat am Ende zu diesem überwältigenden Sieg beigetragen? Marco Sturm: Unsere Mannschaft hatte in Pyeongchang einen enormen Teamgeist. Die Spieler haben eine Zusammengehörigkeit und eine Disziplin bewiesen, wie sie manche selbst von ihrem eigenen Verein vielleicht nicht kannten. Das heißt, der Teamgeist hat das scheinbar Unmögliche möglich gemacht? Nicht nur, aber auch - und zwar maßgeblich. Wir hatten diesen Teamgeist nicht erst am ersten Tag der Olympiade, sondern weit vorher. Natürlich ist der Teamgeist mit jedem Tag der Olympiade weiter gewachsen; die Mannschaft ist immer mehr zusammengerückt während des Turniers. Doch diesen Teamgeist haben wir systematisch vor Beginn der Olympiade aufgebaut. Was meinen Sie mit Teamgeist genau? Im Sport gilt auch das, was Sie von anderen Bereichen her kennen: Im Team sind Einzelne versucht, sich in ihre Wohlfühlzone zurückzuziehen. Manche lassen in ihrer Leistung nach, andere werden zu Einzelkämpfern … Wie auch immer, sie drehen ihr eigenes Ding. Und genau das war bei unserer Mannschaft nicht der Fall. Unsere Spieler haben die taktischen Vorgaben erfüllt - gleich, zu welcher Zeit, zu welchem Spiel, unter welchem Druck. Diese Disziplin war vielleicht das erste Mal so deutlich in unserer Nationalmannschaft zu erkennen. Die Marco Sturm Marco Sturm startete seine Karriere beim EV Landshut. Zwischen 1997 und 2012 absolvierte er mehr als 1.000 Spiele bei der „National Hockey League“, der renommierten nordamerikanischen Eishockey-Liga. Er spielte unter anderem für Vereine wie San Jose Sharks, Boston Bruins, Los Angeles Kings, Washington Capitals, Vancouver Canucks und Florida Panthers. Seit 2015 ist Marco Sturm Bundestrainer und General Manager der deutschen Nationalmannschaft. Zu seinen größten Erfolgen zählen neben der Silbermedaille bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang 2018 zwei Einzüge in das Viertelfinale der Weltmeisterschaft (2016 und 2017). Foto: City-Press 04 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Spieler haben exakt mitgezogen - und zwar von sich aus. Jeder hat das, was er mit mir als Trainer und in der Mannschaft vereinbart hat, präzise umgesetzt. Ein Sportreporter schwärmte bei der Übertragung des Spiels, dass Ihre Mannschaft mit „einer Effizienz vom anderen Stern“ arbeitet. Dies meinte ich vorhin mit dem Begriff „Disziplin“. Eine hohe Disziplin im taktischen Bereich. Die Disziplin, das Spiel genau so durchzuführen, wie es vorgegeben und trainiert war. Für mich als Trainer war dies der entscheidende Erfolgsfaktor. Der Teamgeist und die Begeisterung kommen da noch obendrauf. MEHR ALS DISZIPLIN UND TEAMGEIST Deutschland ist bei Weitem keine Eishockeynation wie Schweden, Finnland oder Kanada. Sind Disziplin und Teamgeist die einzige Chance, gegen die Favoriten zu bestehen? Wir können uns nicht mit Eishockeynationen wie Kanada, Finnland oder Schweden vergleichen. Wir sind einfach eine Nummer kleiner. Dies müssen wir anerkennen. Bisher haben wir versucht, mit Begeisterung, Leidenschaft, Wille und etwas Glück Erfolge zu feiern. Das hat in den vergangenen 20 Jahren ja auch mehrmals geklappt. Für etwas Größeres hat dies aber nicht gereicht. Doch in Pyeongchang war es anders. Wir haben dank der Disziplin auch gesehen, was im spielerischen Bereich in unseren Jungs drinsteckt. Sie können Eishockey spielen und dies auch auf größerer Bühne umsetzen. Wie führt man eine Mannschaft - oder ein Team - zu dieser Disziplin und diesem Teamgeist? Mein Glück - oder Vorteil - besteht darin, dass ich selbst fünfzehn Jahre lang in der besten Liga der Welt gespielt habe, nämlich in der amerikanisch-kanadischen, der NHL. Was man dort lernt, was einen dort prägt, dies kann man nicht theoretisch lernen. Das muss man erfahren. Unter meinen Erfahrungen ist einiges, das mir selbst heute völlig normal vorkommt. Doch für jemanden, der diese Karriere nicht selbst erlebt hat, sind dies keine Selbstverständlichkeiten. Sie sind ihm nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Was bedeutet dies konkret? Ich entscheide viel aus dem Bauch heraus. Dies kenne ich gar nicht anders. Dafür brauche ich den Background, den ich in der NHL gewonnen habe. Ich versuche das, was ich in der NHL gelernt und erfahren habe, weiterzugeben. Das kann man sicherlich auch gut an meinen Trainingseinheiten erkennen, etwa bei der Zusammenstellung des Kaders. Auch beim Teambuilding? Ja, sicherlich auch beim Teambuilding. Teamgeist kann man nicht von heute auf morgen in eine Mannschaft bringen. Was Sie bei der Olympiade gesehen haben, ist weder während der Olympiade selbst oder in der Woche vorher geschehen. Ich habe seit Beginn meiner Arbeit als Trainer vor zwei Jahren am Teamgeist meiner Mannschaft gearbeitet. Und die Ausgangslage war dafür nicht besonders günstig … BELOHNUNG NICHT VERGESSEN! Inwiefern nicht besonders günstig? Ich war ein völliger Neuling. Ich kam ja soeben aus den USA. Und: Ich habe eine verunsicherte Mannschaft vorgefunden. Hinter ihr lagen schwierige Jahre. Das deutsche Eishockey hatte insgesamt keine gute Zeit gehabt. Für mich stellte sich die Frage, wie es weitergehen kann. Aus den USA habe ich drei Begriffe mitgebracht. Disziplin, harte Arbeit und - wenn dies klappt - auch Spaß. Ich habe versucht, diese drei Themen so schnell wie möglich ins Training hineinzubringen. Auf dem Eis waren harte Arbeit und Disziplin angesagt. Haben wir auf dem Eis dann richtig gearbeitet, dann habe ich die Spieler auch mit Freiheiten belohnt. Meine Spieler haben sehr schnell verstanden, wie ich ticke und die Dinge sehe. Die deutsche Nationalmannschaft bei der Olympiade in Pyeongchang; Foto: DEB REPORT 05 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Sie sprechen von Spaß und Belohnung. Kommt dies beim Training von Athleten zu kurz - auch beim Teambuilding? Wenn eine Mannschaft ins Ausland fährt, dann sitzen die Spieler viele Stunden im Bus, machen drei Spiele an drei Tagen und dann geht es wieder heim. Das ist für die Spieler keine Freude. Ich bin beim Training anders gestartet. Wir haben in Garmisch-Partenkirchen ein hervorragendes Trainingslager, dorthin habe ich mich mit der Mannschaft zurückgezogen. Wir haben gut trainiert, vor allem im taktischen Bereich, damit die Spieler wissen, was auf sie zukommt. Aber fürs Teambuilding gab’s noch zusätzlich beispielsweise eine Fackelwanderung zu einer Berghütte und einen bayerischen Abend. Ich habe gemerkt, wie sich die Energie in der Mannschaft durch diese Maßnahmen zum Teambuilding verändert hat. Das konnten wir spüren. Die Spieler sind nach dem Training begeistert heimgefahren und sie haben sich auf das nächste Training gefreut. Man wird solche Events vielleicht nicht jedes Mal machen können. Doch sie verändern etwas, da bin ich mir sicher. Sie sind - so habe ich gehört - mit vergleichsweise geringen Erwartungen nach Südkorea zu den Olympischen Winterspielen geflogen. Die Erwartungen haben Sie bewusst niedrig angesetzt. Was heißt bewusst niedrig angesetzt? Ich bin bei der Wahrheit geblieben, ich war mit meiner Einschätzung sehr ehrlich. Und mir liegt es fern, irgendjemandem da etwas vorzumachen. Wir sind knapp überhaupt zur Olympiade gekommen, wir haben uns knapp qualifiziert. Da bin ich doch Realist. An der Olympiade haben zwölf Mannschaften teilgenommen. Ich habe beim Flug nach Südkorea nicht daran gedacht, dass wir die Silbermedaille als Ziel nehmen sollten. Ich habe von Spiel zu Spiel gedacht - und anfangs nicht ans Finale. DISZIPLIN ERHALTEN Das heißt, Sie haben bewusst auf ein langfristiges Ziel verzichtet? Selbstverständlich habe ich langfristige Ziele. Gewisse Ziele braucht man, und ich setze für unsere Nationalmannschaft langfristige Ziele, die ich dann auch erreichen will. Doch es ist sinnlos, durch zu große Ziele der Mannschaft Druck zu machen, wenn andere Nationalmannschaften einfach überlegen sind. Russland und Kanada waren die Favoriten, nicht wir. In dieser Situation ist es einfach besser, den Druck herauszunehmen und von Spiel zu Spiel zu denken. Sie sind während der Olympiade mit Ihrer Mannschaft auf Erfolgskurs gekommen und haben sich im Turnier den Ruf eines Favoriten erkämpft. Ihre Mannschaft hat gespürt, dass sie erfolgreich ist, dass sie gewinnen kann. Wir wissen, dass plötzlich erfolgreiche Teams schnell auch Herausforderungen unterschätzen, leichtsinnig werden oder die Disziplin schleifen lassen. Wie sind Sie mit diesem Risiko umgegangen? Dieses Risiko besteht, und ich gebe ehrlich zu, dass wir auch damit zu tun hatten. Entscheidend war aus meiner Sicht der Glaube unserer Spieler an sich selbst und an die Mannschaft. Vor jedem Spiel gebe ich unserer Mannschaft einen Spruch, ein Motto oder Leitwort mit. Bei der Olympiade war es nur ein Wort - Glaube. Der Glaube an den Erfolg. Dies haben viele Sportfans auch an den Bildschirmen gesehen und gespürt. Inwiefern Glaube? Wenn wir in der Vergangenheit auf Turnieren kleine Erfolge erreicht hatten, haben wir manchmal aufgehört zu kämpfen. Spieler und Trainer waren zufrieden mit dem Erreichten. Dieses Muster hat mich gestört, und deshalb habe ich für die Olympiade das Wort „Glaube“ gewählt - nämlich den Glauben, dass wir in diesem Turnier mitspielen und einiges erreichen können. Kann ein einziges Wort solch ein Feuer entfachen? Bundestrainer Marco Sturm führte die Eishockeyspieler zu ihren Siegen. Foto: City-Press 06 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Ich denke, dass dieses Wort es kann. Glaube ist ein wunderbares Wort. Anfangs ist dieses Wort nur von mir gekommen, es wurde danach aber sehr schnell von der Mannschaft übernommen. Und die Spieler sind diesem Wort gefolgt, sie haben „Glaube“ umgesetzt - egal, was kam. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich mich daran erinnere, wie ich durch den Gang zur Kabine gegangen bin und dieses Wort von den Jungs selbst gehört habe. „WIR HABEN DEN GLAUBEN! “ Was haben Sie gehört? Wir haben den Glauben, haben sich die Spieler gesagt. Niemand kann uns brechen, wir spielen wie eine perfekte Maschine. Da kamen richtig Emotionen hoch! Manchmal sagt man sich so etwas zur Motivation … Ich weiß. Doch das in der Kabine war etwas völlig anderes. Die Mannschaft meinte es ernst. Das haben wir überall gespürt, jeder von uns. Meine Botschaft vom Glauben ist angekommen in der Mannschaft - sowohl auf dem Eis als auch außerhalb der Eishalle. Ich habe es in der Kabine gehört, beim Essen, beim Transfer. Dieser Glaube hat mit Sicherheit eine Rolle gespielt, als wir Schritt für Schritt zur Silbermedaille gegangen sind. Neben diesem Glauben wurde Ihre Mannschaft noch von etwas anderem beflügelt - nämlich von der Aufmerksamkeit quasi von höchster Stelle. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich bei Ihren Spielern für die Leistung beim Halbfinale bedankt und Erfolg für das Finale gewünscht. Wie wirkt solch prominente Aufmerksamkeit? Wir hatten den Bundespräsidenten bereits vor diesem Spiel zu Gast. Er besuchte unsere Mannschaft beim Training. Er kam nicht nur zu einem Fototermin, sondern er hat sich Zeit für Gespräche genommen - Gespräche übrigens nicht nur über Eishockey. Frank-Walter Steinmeier war für unsere Spieler erreichbar. Viele haben ihn nicht nur als Politiker in Erinnerung, sondern als sehr angenehme Persönlichkeit, die freundlich mit Menschen umgeht, mit ihnen lacht und Anteil nimmt. Die Verbindung zwischen ihm und unseren Spielern war sofort da, dies hat jeder gespürt. Und ich vermute, dass er selbst auch gemerkt hat, wie glücklich und dankbar unsere Spieler über seinen Besuch waren. Da war es uns natürlich mehr als willkommen, dass er sich vor unserem Finalspiel nochmals bei uns gemeldet hat - und vor allem, dass dieser Anruf auf seine Initiative hin zustande gekommen ist. Eishockey lebt in Deutschland leider noch im Schatten anderer Sportarten ... Das ist wahr. Wir haben selten Besuch von der Politik. Wir versuchen, Sportler anderer Disziplinen für unseren Sport als Gäste zu gewinnen. Marco Sturm hat einen guten Draht zu seinem Team entwickelt. Foto: City-Press REPORT 07 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Wenn dann aber jemand aus der Politik kommt, dann auch noch der Bundespräsident, so hat das selbstverständlich Wirkung auf die Mannschaft. Wobei bei dieser Begegnung die menschliche Basis eine große Rolle gespielt hat. GUTER DRAHT ZU DEN SPIELERN Menschliche Basis, bleiben wir doch bitte bei diesem Stichwort. Sie haben zu Ihren Spielern einen besonders guten Draht, wie man Ihnen nachsagt. Sie haben ein gutes Händchen dafür, mit Ihren Spielern umzugehen und Vertrauen aufzubauen. Wie passt dies dazu, dass Sie mit einzelnen Spielern auch mal hart ins Gericht gehen und schwierige personelle Entscheidungen treffen müssen? Natürlich gibt es beim Training für Spieler enttäuschende Gespräche und Entscheidungen. Manchmal muss ich einen Spieler nach Hause schicken, dies tut auch mir weh. Solche Entscheidungen sind wirklich hart, und ich kann dann bei jedem Spieler die Emotionen mitfühlen. Ich war auch selbst Spieler, und ich wollte meinen Erfolg. Aber wenn ein Einzelner in der Mannschaft nicht richtig mitzieht, wenn er sich nicht dem gemeinsamen Ziel unterordnet, dann wird es problematisch. Auch die Mannschaft bekommt dies mit, und sie erlebt auch meine Entscheidung. Alle wissen jedoch, dass es immer um den Erfolg der Mannschaft geht, und darum, dass ich für diesen Erfolg alles aus den Jungs herausholen will. Da sind wir wieder bei der Disziplin im Team, über die wir vorhin gesprochen haben. Disziplin heißt, sich dem Trainer und der Mannschaft unterzuordnen. Doch viele Sportler sind auch Einzelkämpfer. Sie wollen zeigen, was in ihnen steckt; sie sind versucht, die Mannschaftsdisziplin schleifen zu lassen und ihre Einzelleistung mehr zur Geltung zu bringen. Wie gehen Sie mit diesem Spagat zwischen Einzelleistung und Mannschaftsdisziplin um? Diese Disziplin zu erarbeiten dauert lange. Dies geht nicht von heute auf morgen. Das muss jeder Spieler lernen. Aber wie kann man dieses Lernen in Gang setzen? Ich denke, dass man den Spielern ihr Verhalten bildlich vor Augen führen muss. Wir arbeiten deshalb beim Training viel mit Videoaufzeichnungen. Da kann man optimal sehen, ob jemand diszipliniert am Erfolg der Mannschaft arbeitet. Entscheidend ist es also, dass der Spieler dies selbst erkennt? Ja. Viele Spieler geben ungerne freiwillig zu, dass sie nicht optimal im Team arbeiten, dass sie vielleicht sogar im Unrecht sind mit ihrer Meinung über ihr eigenes Verhalten. Da unterscheiden sich die Athleten kaum von anderen Menschen. Wir versuchen mit Videoanalysen den Spielern zu zeigen, dass es bessere Lösungen für ihr Verhalten gibt, weil es am Ende des Tages nicht um die Leistung von Einzelpersonen geht, Einblicke ins Training; Foto: City-Press 08 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 sondern um die Leistung des Teams. Wir haben in Deutschland ohnehin kaum große Stars im Eishockey. Wir können nur erfolgreich sein mit Mannschaften, die zusammenhalten und optimal zusammenspielen. Siege können wir nur als Mannschaft erzielen, nicht durch Einzelspieler. ERFOLG VERÄNDERT DAS DEUTSCHE EISHOCKEY Durch Ihren Erfolg in Pyeongchang haben Sie das deutsche Eishockey wieder nach vorne gebracht. Sie standen mit Ihrer Mannschaft über Wochen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, Sie haben Dutzende von Interviews gegeben. Spüren Sie, dass Ihr olympischer Erfolg das Eishockey in Deutschland verändert hat? Momentan ändert sich mit Sicherheit etwas. Wir erleben einen regelrechten Hype in Deutschland. Davon haben wir übrigens während der Olympiade kaum etwas mitbekommen. Es hat sich jetzt wirklich viel bewegt. Wir werden auf die Silbermedaille angesprochen von vielen Menschen jeden Alters. Wir hören viel Dank für den Erfolg und die schönen Momente. Das macht uns natürlich stolz. Aber? Wir müssen jetzt seitens des Eishockeys dranbleiben. Es wird nicht reichen, wenn wir uns auf die Schulter klopfen lassen und auf den großen Boom warten. Jetzt sind die Vereine und der Verband gefragt. Die Vereine und die Ligen sollten aktiv werden, auch der Verband wird gerade aktiv. Beispielsweise sollten wir junge Eishockeytalente finden und unterstützen. Was Ihre Mannschaft betrifft - wie halten Sie jetzt die wunderbare Motivation und den Teamgeist aufrecht, der Sie zur Silbermedaille getragen hat? So hart es klingt: Das Kapitel Olympia 2018 ist beendet. Wir müssen die Silbermedaille jetzt in den Schrank legen. Es kommen neue Herausforderungen. Natürlich werden wir das Selbstvertrauen, das wir in Pyeongchang getankt haben, mitnehmen. Wir wollen genauso gut spielen wie in den letzten Monaten. Doch das wird nicht einfach sein. Denken Sie an den Erfolg bei der Olympiade 1976. Zwei Monate, nachdem der Nationalmannschaft die Bronzemedaille verliehen wurde, stand sie wieder knapp vor dem Abstieg. Ich hoffe natürlich, dass sich dies bei uns nicht wiederholt. Aber diese Erfahrung zeigt, dass man sich auf Lorbeeren nicht ausruhen darf - zumal jetzt die Erwartungen von außen sehr hoch sind. Wir haben auch Menschen für Eishockey begeistert, die vorher kaum einen Draht zu unserem Sport hatten. Das heißt …? Wir müssen auf dem Teppich bleiben, weil wir wissen, dass die Herausforderungen sehr groß sind. Wir arbeiten jetzt daran, mit einer vielleicht komplett anderen Mannschaft an unseren Erfolg anzuschließen. Wir werden neue Spieler sehen, die auch wieder neuen Wind in die Mannschaft bringen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die neue Mannschaft alles geben und mit Stolz unser Wappen tragen wird. Marco Sturm auf dem Eis. Er war selbst erfolgreicher Eishockeyspieler. Foto: City-Press
