eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 29/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2018
294 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Mit dem „Loch im Bauzaun“ das Herz der Besucher gewinnen

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2018
Oliver Steeger
Peter Huber
Beißend kalte Orkanwinde, schwindelerregende Höhe im Fels, wenig Platz auf der Baustelle – auf der Zugspitze zu bauen ist eine echte Herausforderung. Ein Team der Zugspitzbahn nahm diese Herausforderung an. Sie ersetzte die alte Bahn zur Zugspitze durch eine moderne Seilbahn. Denn jährlich wollen rund eine halbe Million Gäste den höchsten deutschen Gipfel besuchen. Seit Dezember 2017 verkehren die beiden neuen Kabinen am Seil. Sie nehmen rund 120 Gäste auf und befördern sie zum Gipfel. Die Fahrt in der bodentief verglasten Kabine geht durch drei Klimazonen. Sie passiert die weltweit höchste Stahlbaustütze (127 Meter), überwindet den weltweit größten Höhenunterschied (1.945 Meter) und das längste freie Spannfeld mit 2.213 Metern. Bei klarem Himmel reicht der Blick bis nach München. Was dieses Vorzeigeprojekt für Projektmanager spannend macht: Das 50-Millionen-Euro-Vorhaben landete punktgenau bei Budget, Terminen und Qualität. Peter Huber, technischer Vorstand der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG, erklärt im Interview das rekordverdächtige Projektmanagement.
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REPORT 09 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Die Seilbahn zur Zugspitze: Deutschlands höchstes Vorzeigeprojekt Mit dem „Loch im Bauzaun“ das Herz der Besucher gewinnen Autor: Oliver Steeger Beißend kalte Orkanwinde, schwindelerregende Höhe im Fels, wenig Platz auf der Baustelle - auf der Zugspitze zu bauen ist eine echte Herausforderung. Ein Team der Zugspitzbahn nahm diese Herausforderung an. Sie ersetzte die alte Bahn zur Zugspitze durch eine moderne Seilbahn. Denn jährlich wollen rund eine halbe Million Gäste den höchsten deutschen Gipfel besuchen. Seit Dezember 2017 verkehren die beiden neuen Kabinen am Seil. Sie nehmen rund 120 Gäste auf und befördern sie zum Gipfel. Die Fahrt in der bodentief verglasten Kabine geht durch drei Klimazonen. Sie passiert die weltweit höchste Peter Huber Peter Huber hat an der TU München Maschinenbau studiert und ist seit 1981 bei der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG beschäftigt. Er begann als Betriebsleiter und ist seit 2003 Vorstand bei der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG sowie Geschäftsführer bei der Busgesellschaft Eibsee-Verkehrsgesellschaft mbH & Co. KG. Von 2006 bis 2015 war Peter Huber Vorstand beim Verband Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte e. V.; Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Max Prechtel 10 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Stahlbaustütze (127 Meter), überwindet den weltweit größten Höhenunterschied (1.945 Meter) und das längste freie Spannfeld mit 2.213 Metern. Bei klarem Himmel reicht der Blick bis nach München. Was dieses Vorzeigeprojekt für Projektmanager spannend macht: Das 50-Millionen-Euro-Vorhaben landete punktgenau bei Budget, Terminen und Qualität. Peter Huber, technischer Vorstand der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG, erklärt im Interview das rekordverdächtige Projektmanagement. Herr Huber, ich muss gestehen: Ich war bisher noch nie auf der Zugspitze, dem höchsten Berg in Deutschland. Was habe ich bislang verpasst? Eine atemberaubende Aussicht, vor allem jetzt durch unseren Neubau an der Bergstation. Sie haben eine Rundsicht von nahezu 360 Grad. Sie sehen also nicht nur die Berge unterhalb der Station, sondern auch die in der Ferne. Bei gutem Wetter schauen Sie bis zur Seenplatte vor München. Wenn es besonders gut passt, können Sie sogar den Montblanc erkennen. Dieser Rundblick ist der Reiz der Zugspitze. Wenn Sie mit einer Seilbahn andere Berge besuchen, so befindet sich die Station der Bahn meistens an der Flanke. Dies schränkt die Sicht ein. Wir dagegen sind auf einer exponierten Position auf dem Sattel der Zugspitze. Die Zugspitze gilt als der Berg der Deutschen, als eine Art Sehnsuchtsort. Jeder kennt ihn. Hängt dies auch mit seiner langen Erschließungsgeschichte zusammen? Möglicherweise, ja. Auf der Zugspitze wurden vor über 100 Jahren eine Wetterstation und ein Gebäude des Alpenvereins errichtet. Diese Tradition wirkt natürlich nach. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal ist, dass man das ganze Jahr über auf der Bergstation Schnee in die Hand nehmen kann, auch im Sommer … Nun, ist dies wirklich etwas Besonderes? Wir haben jährlich rund eine halbe Million Gäste. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland. Manche halten auf der Zugspitze das erste Mal in ihrem Leben Schnee in ihren Händen. Das ist für sie ein einzigartiges Erlebnis. Wir haben ja noch einen Gletscher. Stellen Sie sich eine rustikale Bergwelt vor, mit Schnee, Fels und Eis. Im Tal können Sie einen Spaziergang rund um einen klaren Eibsee machen. Bei uns können Sie einen ganzen Tag in der Bergwelt verbringen. Dies kennen auch viele Bundesbürger so nicht - geschweige denn unsere Gäste aus dem Ausland. Die Zugspitze ist für Besucher seit Langem gut erschlossen. Seit 1963 verkehrt eine Seilbahn, die sogar den enormen Besucheransturm nach der Wiedervereinigung Deutschlands bewältigte. Damals hatten Sie 600.000 Gäste, der Andrang war enorm. Anfang dieses Jahres haben Sie eine neue, leistungsfähigere Seilbahn eingeweiht - nach einem rundum erfolgreichen Bauprojekt. Was hat den Ausschlag für dieses Millionenprojekt gegeben? Sie haben von dem Besucherandrang gesprochen. Die alte Bahn war nicht mehr leistungsfähig genug. WARTEZEITEN FÜR GÄSTE VERMEIDEN Das heißt, Sie haben weiter Zuwachsraten bei den Gästen? Das nicht. Wir haben derzeit etwa eine halbe Million Gäste jährlich, also weniger als nach der Wende. Doch haben sich die Wünsche unserer Gäste verändert. Wir hatten teils recht lange Wartezeiten, besonders in der Hauptverkehrszeit. In unserem Freizeitverhalten hat sich eine gewisse Just-in-time-Mentalität durchgesetzt. Man erwartet, dass in der Freizeit, im Urlaub Dienstleistungen schnell und gut geboten werden. Wer Freizeit hat, möchte diese Freizeit ohne Hindernisse genießen - was natürlich zu einer Veränderung im Verhalten der Gäste führt. Die Gäste sind heute nicht mehr bereit, zwei Stunden oder länger in der Schlange zu stehen. Auch wollen sie nicht alternativ morgens um 6 Uhr auf-stehen und den ersten, noch leeren Zug zur Talstation unserer Bahn nehmen. Dies haben wir verstanden, und wir haben darauf mit unserem Projekt reagiert. Ihre neue Seilbahn bricht gleich mehrere Rekorde. Beispielsweise hat sie weltweit beim Höhenunterschied die Nase vorne - und zwar bei der Bewältigung der Höhe in einem Stück. Nun, diesen Rekord haben wir nicht erst jetzt mit der neuen Bahn erreicht. Er galt bereits für die alte Bahn. Denn geografisch gesehen sind ja Talstation und Bergstation erhalten geblieben. Die neue Bahn bewältigt zwar zwei Höhenmeter mehr, doch dies liegt allein an der erhöhten Bahnsteigkante. Auch das Seil ist bei der neuen Bahn nicht wesentlich länger geworden: Es hat heute eine Länge von 4.466,9 Metern. Also doch keine neuen Rekorde durch Ihr Projekt? Einen haben wir erreicht: Die alte Bahn hatte zwei Stützen auf ihrem Weg zur Bergstation. Heute haben wir aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nur noch eine Stütze. Diese neue Stütze ist deutlich höher als die alten. Wir haben Die Bahn zur Zugspitze überwindet einen Höhenunterschied von 1.945 Metern. Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Max Prechtel REPORT 11 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 die weltweit höchste Stütze aus Stahl mit 127 Metern bekommen … … zum Vergleich: Die Türme des Kölner Doms sind gerade einmal 30 Meter höher … Aber das sind alles nur technische Zahlen. In Wirklichkeit ist das Erlebnis der Fahrt auf die Zugspitze und des Rundblicks entscheidend. Allein darauf kommt es dem Gast an. Deshalb sind wir bei der neuen Bahn auch nicht dem Trend gefolgt, den andere Kollegen zu setzen versuchen: Wir verzichten auf Attraktionen wie drehbare Kabinen oder eine Art Aussichtsterrasse auf dem Dach der Kabine. Erstens kosten solche Alleinstellungsmerkmale viel Geld. Zweitens sind der technische Unterhalt und Betrieb nicht ganz einfach. Wir konzentrieren uns also auf unser Alleinstellungsmerkmal: eine Fahrt mit atemberaubender Sicht auf unsere Berge und die Natur. Dies ist auch der Grund, weshalb wir uns für die Kabine beheizbare Scheiben geleistet haben. DREI KLIMAZONEN AUF DER FAHRT ZUM GIPFEL Beheizbare Scheiben - das klingt edel … Die beheizbaren Scheiben sind physikalisch notwendig. Wir starten im Sommer bei 20 Grad im Tal. Oben auf der Zugspitze sind es dann unter null Grad. Wir durchfahren drei Klimazonen. Die Luftfeuchtigkeit kondensiert auf dem Weg nach oben oder unten. Die Scheiben beschlagen oder vereisen. Dies verhindern wir technisch. Anderenfalls würden unsere Gäste versuchen, mit Handschuhen oder Fingern die Scheiben frei zu bekommen. Bei Ihrem Projekt ist Ihnen etwas gelungen, was bei öffentlichen Projekten heute längst nicht selbstverständlich ist. Nämlich eine Punktlandung hinsichtlich der Termine und der Kosten. Sie haben drei Jahre gebaut und sind pünktlich fertig geworden, trotz aller Unwägbarkeiten, die die komplizierten Arbeiten auf der Zugspitze mit sich bringen. Auch haben Sie Ihr Budget nicht überschritten. Was genau hat Ihr Projektmanagement so erfolgreich gemacht? Wir haben von Anfang an mit realistischen Zahlen gearbeitet, dies war mit Sicherheit ein Erfolgsfaktor. Unabhängig von der Technik haben wir sehr sorgfältig ermittelt, was wir uns leisten können und wollen. Heute ist unser Unternehmen zwar in öffentlicher Hand, doch vom Ursprung her ist es privatwirtschaftlich geprägt. Das heißt, es gibt eine gewisse Kultur und Tradition des exakten Berechnens von Terminen und Budget? Wir haben einen Businessplan gemacht, also einen Plan mit einem Horizont von 15 Jahren aufgestellt. Das ist etwa der Zeitraum, in dem wir die Bahn abschreiben wollen. Wir haben geprüft, wie ein realistisches Geschäftsmodell aussehen könnte - und zwar ohne die Annahme, dass wir utopische Zuwächse bei den Gästezahlen haben. Wir haben gemeinsam mit Wirtschaftsprüfern diese Zahlen durchgerechnet, eine realistische Prognose für die Entwicklung der nächsten 15 Jahre erstellt und auf dieser Basis ermittelt, ob und wie wir uns dieses Projekt einer neuen Zugspitzbahn leisten können. Danach haben wir die Investitionssumme festgelegt; es handelte sich um 50 Millionen Euro. Wir haben bei alledem nur mit möglichst exakten, konservativ berechneten Zahlen gearbeitet. AUSREICHEND BUDGET FÜR UNVORHERSEHBARES Solche Zahlen sind bei Bauprojekten häufig nach wenigen Wochen Makulatur, weil etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt. Wie war dies bei Ihnen? Für Unvorhergesehenes haben wir einen Betrag eingeplant, ein Budget im zweistelligen Prozentbereich des Gesamtbudgets. Vier oder fünf Prozent, wie es bei anderen öffentlichen Vorhaben Die Bergstation auf dem höchsten deutschen Alpengipfel scheint sich an einen Felsgrat zu klammern. Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Max Prechtel 12 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 üblich ist, halte ich für zu wenig, zumindest für ein Bauprojekt wie die Seilbahn zur Zugspitze. EIGENE FACHLEUTE AUF DER BAUSTELLE Kann man die kostensteigernden Risiken eines solchen Projekts überhaupt überblicken? Immerhin handelte es sich um eine Baustelle auf einem Berggipfel … Technisch war die Zugspitze schon immer anspruchsvoll. Es handelt sich um einen sehr schmalen Grat, eine Art Messerschneide. Da ist nur wenig Platz. Dort zu bauen - und zwar in der von uns benötigten Dimension - war eine große Herausforderung, sowohl geologisch als auch vom Platz her. Doch da wir den Berg gut kennen, können wir mit dieser Schwierigkeit umgehen. Die ersten Felsanker im Permafrost wurden oben vor über 40 Jahren gesetzt; sie sind noch immer in Betrieb und werden auch laufend überwacht. Wir haben eine große Zahl von Messeinrichtungen, die jede Bewegung im Berg messen. Für geologische Risiken konnten wir also gut Vorkehrungen treffen. Dafür hatten wir auf unserer Seite in der Entwurfsplanungsphase einen namhaften Geologen. Sprechen wir über andere Risiken. Das Wetter auf dem höchsten Berggipfel Deutschlands soll wirklich sehr rau sein können, mit Orkanen und eiskalter Luft. Mit dem Wetter liegen Sie richtig. Das war für uns kaum zu kalkulieren. Im vergangenen Jahr hatten wir im September bereits tiefsten Winter auf der Zugspitze. Das Jahr zuvor konnten wir im Dezember bei vergleichsweise milden Temperaturen betonieren; da haben wir auf dem Bau in Hemdsärmeln gearbeitet. Das Wetter kann zu Verzug führen, und dies kostet am Ende Geld. Solch ein Risiko können wir unseren Auftragnehmern nicht vollständig aufbürden. Anderenfalls würden die Unternehmen einen Risikozuschlag zu ihrem Preis hinzuaddieren, der das Projekt für uns wiederum weniger wirtschaftlich gemacht hätte. Kurz, wir mussten dieses Risiko als Bauherr und Auftraggeber mittragen. Wie sah es mit anderen Risiken aus? Wir haben mit eigenen Fachleuten auch den Bauablauf überwacht. Jeder, der selbst einmal gebaut hat, weiß: Bei Bauschäden wird gerne einmal der Deckel draufgemacht. Unsauber gearbeitete Stellen werden überdeckt, damit keiner erkennt, dass es hier später einmal Probleme geben wird. Deswegen haben wir insbesondere die Verankerung und die Sicherung selbst überwacht. Zum Beispiel bei den Abnahmen der Bewehrungen waren wir mit eigenen Experten vor Ort - neben den offiziellen Prüfstatikern. Das heißt, Sie haben auch als Auftraggeber Kompetenz aufgebaut und Fachleute unter Vertrag genommen? Dies war mit Sicherheit ein Erfolgsfaktor für unser Projekt. Unsere eigenen Mitarbeiter verfügen über sehr viel Know-how. Vier oder fünf unserer Mitarbeiter waren auf der Baustelle. Von uns war also immer jemand vor Ort. Zudem haben wir zusätzlich Spezialisten an unsere Seite geholt, beispielsweise einen Geologen und einen Prüfstatiker. Was ebenfalls wichtig ist: Die Schlüsselpositionen auf der Baustelle lagen bei uns. Wir haben uns die Hoheit über die Materialbahn zur Bergstation und über den Baukran auf dem Berg vorbehalten. KRAN UND MATERIALBAHN ALS ENGPASS Die Hoheit vorbehalten - das heißt …? Beispielsweise der Kran auf der Gipfelstation: Wir haben schon in der Entwurfsphase abgestimmt, wie der Kran beschaffen sein muss. Welche Dimension muss er haben? Was muss er leisten können? Dann aber haben wir den Kran gemietet, vorab aufgestellt und betrieben. Wir haben ihn den Firmen leihweise zur Verfügung gestellt. Weltrekord! Mit 127 Metern ist die Stütze die weltweit höchste Stahlbaustütze für Pendelbahnen. Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Max Prechtel REPORT 13 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Anzeige Ich kann nicht ganz folgen. Normalerweise bringen die Baufirmen ihre Kräne mit. Damit brauchen sich Auftraggeber nicht zu belasten. Wo liegt also der Vorteil Ihrer Strategie? Auf der Baustelle sind mehrere Firmen tätig. Der Kran - wie auch die Materialbahn - bildeten einen Engpass auf der Baustelle. Schlechte Logistik hätte zu kostspieligen Verzögerungen führen können. Konkret: Haben die Firmen um den Kran gestritten, konnten wir im Sinne eines optimalen Projektfortschritts entscheiden. Wir waren also der Schiedsrichter. Nicht der mächtigste Partner auf der Baustelle bekam den Kran, sondern derjenige, der für den Fortschritt besonders wichtig war. Sind Hauptauftragnehmer gerne geneigt, die Infrastruktur einer Baustelle für sich zu beanspruchen? Manchmal, ja. Jeder denkt an sein eigenes Gewerk. Dann werden kleinere Auftragnehmer wie Fliesenleger oder Trockenbauer möglicherweise hängen gelassen, obwohl ihre Arbeiten für das Gesamte vordringlich sind. Ähnlich sind wir auch mit der Materialbahn verfahren, die die Baustelle versorgt hat. Wir haben sie beauftragt und durch uns betreiben lassen, im Notfall sogar mit unseren eigenen Mitarbeitern, die wir speziell dafür ausgebildet haben. Weshalb auch mit eigenen Leuten? Neben dem Kran bildete die Materialbahn einen Engpass im Projekt. Wir konnten es uns nicht leisten, dass einzelne Gewerke oben auf dem Berg zwei oder drei Tage lang auf Material warteten, damit sie weiterarbeiten konnten. Dies hätte nicht nur zu Unmut geführt, sondern auch Nach Jahren von Planung und Bau die Einweihung der neuen Bahn; Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Matthias Fend 14 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 zu Behinderungsanzeigen und Nachträgen. Besonders bei der Bahn haben wir darauf geachtet, dass sie hochverfügbar war. Manchmal brauchten wir die Bahn 14 oder 16 Stunden. So lange durften die Maschinisten aus rechtlichen Gründen nicht arbeiten. Wir haben sie dann mit unseren eigenen Mitarbeitern abgelöst. Kurz, mit dem Kran und der Materialbahn hatten wir die Arterie und die Vene unserer Baustelle selbst im Griff. Rückblickend war dies eine gute und richtige Entscheidung. DER BILLIGSTE IST NICHT DER WIRTSCHAFTLICHSTE! Bleiben wir bitte bei den Auftragnehmern. Bei öffentlichen Projekten bildet die Ausschreibung vielfach eine Achillesferse. Wer den billigsten Anbieter auswählt, erhält nicht immer die günstigste Leistung. Völlig richtig. Der billigste ist nicht immer der wirtschaftlichste Anbieter. Der Erfolg unseres Projekts hing eng mit der Auswahl der Auftragnehmer und Lieferanten zusammen. Wir haben sehr genau darauf geachtet, dass wir die richtigen ins Boot holen. Wie sind Sie bei der Ausschreibung und Auswahl vorgegangen? Wir haben im Vergabeverfahren sehr hoch bewertet, welche Projekte ein Anbieter bereits erfolgreich abgeschlossen hat, welche Erfahrungen sein Schlüsselpersonal mitbringt oder welche Referenzen er nennen konnte. Bei unserer Vergabe hat der Preis nur zu rund 60 Prozent den Ausschlag gegeben. Die restlichen 40 Prozent richteten sich auf andere, eher weiche Faktoren, beispielsweise auf Erfahrung oder Kompetenz. Dies hat sich aus einem Bewertungsschlüssel ergeben, der natürlich den Anbietern auch bekannt war. Nochmals nachgefragt: Sie haben durchaus vom Preis her günstigere Angebote zurückgestellt? Ja, im Einzelfall. Wir hatten sehr preisgünstige Gewerke, die sich aber hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit dann doch nicht gerechnet hätten. Da hat dann beispielsweise die Erfahrung des Auftragnehmers oder seines Personals gefehlt. Öffentliche Vergabeverfahren sind sehr komplex und schwierig. Ein Einspruch gegen die Entscheidung kann fatal sein. Es stimmt, Einsprüche sind fatal. Sie können ganze Bauvorhaben stoppen oder sogar zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn andere Unternehmen durch solche Stopps behindert werden. Deshalb haben wir die Vergabe rechtlich sehr sauber geregelt und einen eigenen Vergabeexperten an unsere Seite geholt. FRÜH VERBINDUNG ZU STAKEHOLDERN Ein Projekt wie der Bau einer Seilbahn weckt häufig Befindlichkeiten und Interessen bei Dritten. Tourismusverbände, Naturschützer, Anwohner und natürlich auch Kommunen und Behörden wollen mitreden. Wie haben Sie Ihre Stakeholder in Ihr Projekt eingebunden? Der gesamten Vergabe ging natürlich das öffentlich-rechtliche Genehmigungsverfahren voraus. Solch ein Verfahren ist sehr aufwendig, dies wussten wir von Anfang an. Das Verfahren war etwas einfacher durch den Umstand, dass wir „nur“ eine alte Bahn durch eine neue ersetzt haben. Was Ihre Frage betrifft: Bereits vor diesem Genehmigungsverfahren, also noch vor der öffentlichen Auslegung der Pläne, haben wir Verbindung zu den Stakeholdern aufgenommen, etwa zu Verbänden oder Behörden. Sie haben also die Diskussionen dem „offiziellen“ Genehmigungsprozess vorgelagert? Ja. Es ging uns darum, einen Konsens mit den Stakeholdern zu finden, bevor wir überhaupt das Verfahren gestartet haben. Wen drückt wo der Schuh? Wo müssen wir vielleicht Pläne anpassen? So etwas klärt man besser, bevor man den Verfahrensweg betritt. Eine wichtige Stakeholdergruppe waren die Gäste selbst. Über viele Monate wurde auf der Zugspitze direkt neben den Gästen gearbeitet. Sie haben von der Enge der Baustelle berichtet. Wie bringt man die beiden Welten „Baustelle“ und „Besucher“ zusammen? Egal, ob in München, Hamburg oder an der Zugspitze gebaut wird - das Wichtigste ist das Loch im Bauzaun. Ein Loch im Bauzaun - inwiefern? Ein Loch zum Durchschauen. Beobachten Kinder durch das Loch im Zaun die Baustelle, bleiben auch die Eltern stehen. Vielleicht sind die Eltern dann froh, wenn die Kinder mal für eine Viertelstunde fasziniert und beschäftigt sind. Ein sol- Die Eröffnung der Bahn im vergangenen Winter; Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Matthias Fend REPORT 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 ches Loch im Bauzaun kann Wunder bewirken und Akzeptanz schaffen, sogar Faszination wecken. Aber: Wir haben natürlich von Anfang an mit Beeinträchtigungen gerechnet. Wir wussten, dass wir uns durch diese Baustelle vereinzelt Kritik über Lärm und Staub einhandeln. Diese Kritik hat es, offen gesagt, auch gegeben. Wir sind mit Beschwerden verärgerter Gäste sehr kulant umgegangen. Allerdings sind wir auch sehr neugierigen Gästen begegnet. DAS „LOCH“ IM BAUZAUN Da spielt wieder die Taktik „Loch im Bauzaun“ eine tragende Rolle, vermute ich? Völlig richtig. Wir haben Gäste neugierig gemacht auf die Baustelle. Einige haben unseren Kranführer mit ihren Fragen nahezu bedrängt. Wie kommt das Material herauf? Warum wird hier gebaut, wie geht das Team beim Bau vor? Oder: Wurde ein großes, schwieriges Bauteil montiert, also präzise vom Kran herabgelassen und eingepasst, da hat dann die gesamte Terrasse applaudiert. Das war wie im Theater nach einer Uraufführung: Standing Ovations für unsere Mitarbeiter am Bau. Diese Anerkennung hat dann wiederum zur konstruktiven und motivierenden Atmosphäre auf unserer Baustelle beigetragen. Es hat selten ein böses Wort gegeben. Der Umgang in unserem Team war sehr wertschätzend. Dies habe ich in dieser Tiefe noch nicht erlebt. Hängt dieser Umgang auch mit dem Umstand zusammen, dass der Berg Menschen zusammenschweißt? Natürlich! Man redet sich auf dem Berg mit Kamerad an, und dies ist weit mehr als nur ein freundliches Wort. Im Team hat sich schnell eine Kameradschaft entwickelt. Niemand lässt den anderen hängen. Das ist wie beim Klettern: Man hängt an einem Seil. Wenn der Hintere nicht nachkommt, kann der Vordere nicht weiterklettern. Ähnlich war dies auch auf unserer Baustelle. Projekterfolg hängt stark von den beteiligten Menschen ab. Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter ausgewählt und Ihr Team gebildet? Wie gesagt, wir haben bei der Ausschreibung darauf geachtet, dass Mitarbeiter und Führungskräfte der ausführenden Firmen genug Kompetenz und Erfahrung für diese Herausforderung mitbringen. Beispielsweise mussten sie nachweisen, dass sie vor nicht zu langer Zeit und unter Berücksichtigung der aktuellen europäischen Vorschriften an einer Baustelle in dieser Höhe mitgewirkt haben. Ohne diesen Nachweis hätte ein Bewerber gar nicht an dem Verfahren teilnehmen können. Am Ende blieb dann nur eine Handvoll Anbieter, die dieses Projekt mit uns stemmen konnten. Das waren dann Firmen und Menschen, die wir vielfach auch kannten. Das ist der Vorteil unserer Branche: Als langjährig bestehendes Unternehmen kennen wir uns im europäischen Markt gut aus und sind sehr gut auch mit anderen Seilbahnbetreibern vernetzt. Es ist für uns normal, Kollegen anzurufen und nach den Erfahrungen mit einem Anbieter zu fragen. Und da fragt man auch nach hinsichtlich eines fairen Umgangs miteinander, hinsichtlich von Nachträgen und auch kaufmännischen Gesichtspunkten. Vorhin sagten Sie, dass Sie auch eigene Spezialisten an dem Projekt beteiligt haben. Neben dem Geologen, dem Vergaberechtler und dem Prüfstatiker - wer war denn noch alles im Team? Wir hatten beispielsweise einen eigenen Generalplaner sowie einen technischen Berater, der bereits an vielen solcher Projekte beteiligt war. Auch einen Landschaftsplaner hatten wir im Team. Allerdings, es ging uns nicht nur darum, Spezialisten zurate zu ziehen, sondern auch zu einer aktiven Rolle als Bauherr und Auftraggeber zu finden. Aktive Rolle - im Sinne schneller Entscheidungen? Natürlich auch im Sinne schneller Entscheidungen. Der Bauherr hat seinen Beitrag dazu zu leisten, dass der Bauablauf nicht behindert wird. Wir waren immer mit eigenen Leuten auf der Baustelle zugegen und für andere erreichbar. Unter aktiver Rolle verstehe ich mehr, als nur schnell zu entscheiden. Es ging um konkrete Beiträge zur Baustelle, manchmal um einfache Unterstützung, unkonventionelle Problemlösung oder Feuerwehraktionen. Peter Huber (links) im Gespräch anlässlich der Eröffnung; Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Matthias Fend 16 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2018 Zum Beispiel? Als Deutschlands größtes Bergbahnunternehmen verfügen wir über eine gute technische Ausstattung. Hat es beispielsweise mal geschneit, haben wir mit unseren Spezial-Lkws beim Materialtransport ausgeholfen. Oder wir haben in unserer Werkstatt Ersatzteile wie Bolzen gefertigt, die anderenfalls umständlich hätten bestellt und geliefert werden müssen. In einem Fall hatte der Lkw, der Teile der Lüftung gebracht hat, keinen Kran für das Ausladen dabeigehabt. Da haben wir das Ausladen übernommen, denn sonst wäre der Fahrer samt Ladung wieder umgekehrt. Und notfalls hat sich auch mal der Bauleiter in den Bagger gesetzt. Es ist eine Stärke unseres Unternehmens, dass wir mit unseren Maschinen und Werkstätten viel selbst machen können. Muss man erst andere fragen, ob sie einspringen können, dann werden die Lösungen oft zu schwierig und komplex. Damit dürften aber Ihre eigenen Leute auch schnell an ihre eigene Kapazitätsgrenze stoßen, sowohl hinsichtlich der Arbeitszeit als auch der Verantwortung. Wie bringt man Mitarbeiter dazu, freiwillig über das hinauszugehen, was sie bisher geleistet haben? Bei solch einem Projekt dabei zu sein, das ist für jeden eine Herausforderung. Unsere Mitarbeiter sind den Bergen und der Zugspitzbahn tief verbunden, dies ist vielleicht anders als in anderen Branchen. Da stecken eine Menge Herzblut sowie Liebe zu den Bergen und Leidenschaft für die Bahn drin. Da spielt auch Stolz eine Rolle? Selbstverständlich! Unsere Mitarbeiter sind heute stolz, wenn sie die neue Kabine betreten. Sie erleben ihr Projekt jedes Mal, wenn sie selbst zur Zugspitze hinauffahren. Wir arbeiten mit dem Ergebnis unseres Projekts so lange, bis wir selbst nicht mehr auf den Berg fahren können. Vielleicht gilt dies auch für andere Projekte, etwa die Elbphilharmonie. Doch diese Großvorhaben scheinen mir mitunter so komplex zu sein, dass der eigene Bezug und Beitrag zum Projekt nicht mehr so klar ist wie bei uns. Anders gesagt, wir gehören mit zu den wenigen Unternehmen, deren Mitarbeiter das Ergebnis ihres Projekts so intensiv erleben dürfen; damit ist das Gefühl einer tiefen Befriedigung verbunden. Sie werden sich noch lange sagen können, dass sie das Projekt damals gut hingebracht haben.  Die Talstation der Bahn; Foto: Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG/ Max Prechtel