PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Könige ohne Land?
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Oliver Steeger
Klaus Wagenhals
Ein Projekt sollen sie leiten. Aber Mitarbeiter „richtig“ führen, mit Weisungsbefugnis und klarer Kompetenz, dies dürfen heute nur wenige Projektmanager. Die meisten vermissen eine ausreichende Machtbasis, von der aus sie sich im Team oder gegen „Linienfürsten“ durchsetzen können. Diese Klage über fehlendes Durchgriffsrecht ist seit Jahrzehnten zu hören. Heute behaupten Führungsexperten: Führung ist auch ohne klassische Weisungsbefugnis möglich. Mehr noch, die Führung wird sogar besser, zeitgemäßer und effizienter, wenn sie sich nicht auf die altbekannte dis- ziplinarische, organisationale Macht stützt. Experte Dr. Klaus Wagenhals versichert, dass dies funktioniert: Die Sache mit der Macht sollte völlig neu definiert werden. Wir brauchen ein modernes Verhältnis zwischen Projektmanagern und Mitarbeitern – mit einem freiwilligen Einverständnis der Geführten, dass der Projektmanager in seiner Führungsrolle den Hut aufhat. „Das Interesse an der gemeinsamen Arbeit und die Ausrichtung an einem akzeptierten Ziel spielen eine wichtige Rolle“, sagt Dr. Klaus Wagenhals im Interview. Doch dafür sollten Projektmanager Führung komplett neu denken – und auch von einigen Gewohnheiten Abschied nehmen.
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REPORT 11 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Leadership: Weshalb Projektmanager Vorreiter moderner Führung sind Könige ohne Land? Autor: Oliver Steeger Ein Projekt sollen sie leiten. Aber Mitarbeiter „richtig“ führen, mit Weisungsbefugnis und klarer Kompetenz, dies dürfen heute nur wenige Projektmanager. Die meisten vermissen eine ausreichende Machtbasis, von der aus sie sich im Team oder gegen „Linienfürsten“ durchsetzen können. Diese Klage über fehlendes Durchgriffsrecht ist seit Jahrzehnten zu hören. Heute behaupten Führungsexperten: Führung ist auch ohne klassische Weisungsbefugnis möglich. Mehr noch, die Führung wird sogar besser, zeitgemäßer und effizienter, wenn sie sich nicht auf die altbekannte disziplinarische, organisationale Macht stützt. Experte Dr. Klaus Wagenhals versichert, dass dies funktioniert: Die Sache mit der Macht sollte völlig neu definiert werden. Wir brauchen ein modernes Verhältnis zwischen Projektmanagern und Mitarbeitern - mit einem freiwilligen Einverständnis der Geführten, dass der Projektmanager in seiner Führungsrolle den Hut aufhat. „Das Interesse an der gemeinsamen Arbeit und die Ausrichtung an einem akzeptierten Ziel spielen eine wichtige Rolle“, sagt Dr. Klaus Wagenhals im Interview. Doch dafür sollten Projektmanager Führung komplett neu denken - und auch von einigen Gewohnheiten Abschied nehmen. Manchmal fühlen sich Projektmanager wie Könige ohne Land. Sie sollen ihr Projekt führen, haben allerdings kaum Weisungsbefugnis oder Kompetenzen. Weder können sie in der Linienorganisation auf Augenhöhe verhandeln, noch können sie Mitarbeiter disziplinarisch führen. Sie stehen mit leeren Händen da. Wie gehen nach Ihrer Erfahrung Projektmanager mit dieser Situation um? Klaus Wagenhals: Viele Projektmanager beklagen diese Situation früher oder später. Zu Beginn ihres Projekts ist der Blick noch auf die Ziele gerichtet und auf das, was fachlich und inhaltlich von ihnen verlangt wird. Früher oder später stoßen sie an die Grenzen ihrer Führung: Sie können beispielsweise ihr Team nicht selbst zusammenstellen oder dürfen zu wenig entscheiden. Sie kommen schnell mit der Tatsache in Berührung, dass sie nicht disziplinarisch für ihre Mitarbeiter verantwortlich sind. Sie müssen sich immer wieder in Gesprächen und Verhandlungen behaupten über den Einsatz von Menschen, über die Priorisierung von Ressourcen - ohne eigene formale Macht. Dies kostet sehr viel Kraft. Einige Projektmanager empfinden diese Situation als eine unnötige Beschneidung ihrer Möglichkeiten. Ihre Unternehmen könnten den Projektmanagern doch die fehlende Macht übertragen. Weshalb zieren sich die Unternehmen denn so sehr? Einige Unternehmen statten ihre Projektmanager durchaus nachträglich mit der geforderten disziplinarischen Macht aus. Sie wollen ihre Projektmanager in dieser Situation nicht hängen lassen. Aber offen gesagt: Für mich ist das keine besonders moderne Orientierung, wenn man dem Drängen nach formaler Macht nachgibt. Ich halte wenig davon, in unserer Zeit Führung auf disziplinarischer, also organisationaler Macht aufzubauen. Dies passt nicht mehr. „WAS IST MIT DER MACHTPOSITION? “ Augenblick! Wer andere führen will, braucht eine Machtposition. Er braucht eine Grundlage dafür, sich bei Mitarbeitern oder Abteilungsleitern durchzusetzen. Klaus Wagenhals Dr. Klaus Wagenhals ist freier Berater für „Leadership“-Entwicklung mit Schwerpunkt „Re-Thinking Projektleitung“ und „Führung im Umbruch Richtung agil“, „Optimierung von Projekten und Projektlandschaften in Richtung Excellence“ sowie „Unterstützung von Change-Prozessen“. Er ist Mitbegründer des Berater-Netzwerks metisleadership sowie Autor zahlreicher Veröffentlichungen (zuletzt: „Wirkungsvoll führen in Projekten - Überwinden von Dilemmata“, 2014). In der GPM ist er seit 2013 als Mitglied der Regionalleitung der Region Karlsruhe sowie in der Fachgruppe „Führen von/ in Projekten“ tätig. Kontakt: kw@metisleadership.com; Foto: Jochen Lebkücher/ Neuland 12 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Ich gebe Ihnen recht hinsichtlich der Machtbasis. Aber die Macht muss völlig neu definiert werden: Führung, die nur auf der formalen Position basiert, verliert an Bedeutung und Wirksamkeit. Hinter diesem Ansatz stehen die alte Idee von Command and Control und die Idee, aufgrund der eigenen Position anderen Weisungen geben oder sie disziplinieren zu können. Andersherum gefragt: Um was geht es heute bei der Führung? Wir sollten das Verhältnis von Geführten und Führern neu bestimmen. Dabei spielt freiwilliges Einverständnis eine Rolle, das Interesse an der gemeinsamen Arbeit und die Ausrichtung an einem akzeptierten Ziel. Dies sind Bausteine für eine moderne Führung. Ich sehe sogar eine große Chance darin, dass Projektmanagern die organisationale Machtbasis häufig fehlt. Inwiefern eine Chance? In dieser Situation sind Projektmanager quasi gezwungen, anders mit den Menschen umzugehen. Heute sind viele Projekte Innovationstrigger. Sie entwickeln neue Produkte oder Dienstleistungen. Dafür brauchen wir eine Organisationsform und auch eine Führung, die in den Projekten zu Neuem führt, etwa zu neuen Erkenntnissen oder Lösungen. Projektmanager brauchen dafür das ganze Potenzial ihrer Mitarbeiter, die Kreativität und das Wissen und die Bereitschaft, sich richtig in Problemlösungen „hineinzuhängen“. Glauben Sie, dass dies per Befehl von oben geht? FÜHRUNGSSTIL IM WIDERSPRUCH ZU AUFGABEN Vermutlich nicht. Begeisterung und Hingabe können nicht angeordnet werden. Sie entwickeln sich. Der alte Führungsstil steht also im Widerspruch zu unseren modernen Aufgaben. Dies spüren viele Projektmanager. Da liegt vielleicht die Kernursache für die Klagen. Viele wissen, dass sie mit dem klassischen Führungsstil nicht weiterkommen und die Mitarbeiter nicht mehr erreichen. Gleichzeitig fehlt ihnen das Wissen darüber, wie sie anders führen könnten. Nochmals zum klassischen Ansatz. Wo liegen die Nachteile des Command-and-Control-Ansatzes - außer der Tatsache, dass er als unmodern in Verruf gekommen ist? Früher war der Projektmanager häufig der fachlich Beste im Team. Auf diese Weise konnte man eine Begründung dafür liefern, dass er der Chef ist. Dies hat sich heute verändert. Heute sind viele seiner Mitarbeiter fachlich ähnlich gut wie der Projektmanager, manchmal sogar noch besser. So gerät der Projektmanager früher oder später in Erklärungsnot. Es gibt Fälle, da halten ihm seine Mitarbeiter die fehlende Fachqualifikation unter die Nase. Dies stellt seine Position extrem infrage. So weit muss es ja nicht kommen. Der Projektmanager könnte seine Führung auf Motivation der Mitarbeiter aufbauen. Da hat unser Führungswissen durch die Hirnforschung neue Impulse erhalten. Wir wissen heute, dass sich Menschen kaum durch Geld motivieren lassen. In der gesättigten Gesellschaft ist es Unsinn, auf materielle Belohnungen zu setzen, wie etwa Firmenwagen als Statussymbole. Ich halte den klassischen Grundgedanken der Mitar- Foto: tomertu - Fotolia.com REPORT 13 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 beitermotivation ohnehin für fragwürdig. Hinter ihm steht die Vorstellung, dass die Führungskraft etwas tut und dass beim Mitarbeiter dann etwas geschieht. Das ist ein mechanistisches Verständnis von Führung. A bewirkt B. So aber funktionieren Menschen nicht. Menschen sind lebendige Systeme, mit einem eigenen Willen in einen sozialen Zusammenhang eingebettet. Das kann man nicht berechnen. ÜBERSICHT HALTEN UND STRUKTUREN ERKENNEN Die entscheidende Frage ist: Kann man diese neue Form der Führung lernen? Häufig wird ja gesagt, dass Führung eine Art Gabe sei, eine Art Talent. Selbstverständlich! Wir wissen, wie man Kompetenzen, die fürs Führen benötigt werden, aufbauen und entwickeln kann. Auch wissen wir, was Projektmanager an praktischer Übung und Reflexion brauchen, um modernes Führungsverhalten im Projekt abzurufen. Was empfehlen Sie? Vorhin sagten wir, dass der Projektmanager heute selten der fachlich Beste im Team sein kann. Dafür zeichnet ihn etwas anderes aus. Statt im Detailwissen liegt seine Qualifikation darin, die Übersicht zu behalten und Strukturen zu erkennen. Er behält also das „Big Picture“ im Blick ... Ja, und dazu beispielsweise auch die Machtkonstellationen im Unternehmen. Der Projektmanager vermittelt seinen Mitarbeitern also immer wieder den Gesamtzusammenhang, in dem diese gerade mit ihren Aufgaben stehen. Er erkennt Herausforderungen oder Stolpersteine. Er orientiert seine Mitarbeiter auf Lösungen hin. Führung besteht also darin, Mitarbeitern Überblick zu gewähren, die dafür nötigen Informationen zusammenzustellen, allen zugänglich zu machen und Transparenz herzustellen. Man macht sich durch Informationen als Führungskraft unentbehrlich? Informationen zu geben hat immer schon Macht begründet. Wer Informationen hat, sitzt am Schalter. Das ist völlig in Ordnung - solange dies dem Projekt und seinen Zielen dient. Wichtig ist auch, dass sich die Führenden und Geführten darüber verständigen. Der Projektmanager versorgt seine Mitarbeiter, die eigenverantwortlich und selbstständig arbeiten, mit den erforderlichen Informationen. Zudem ermöglicht er ihnen auch, selbst diese Informationen zu organisieren. Je weiter die Selbstorganisation der Teams geht, desto mehr sind diese auch für die Beschaffung und Weitergabe von Informationen verantwortlich. Das Team akzeptiert die Macht des Projektmanagers, ohne dass er Druck ausüben muss? Solange das Team ihm vertrauen kann, dass er keine Informationen zurückhält. Dies klingt für mich nach einer Rolle. Der Projektmanager hat eine Rolle, nämlich die Rolle des Überblickgebers. Liege ich mit dieser Vermutung richtig? Ja, der Begriff der Rolle passt hier. Wir sprechen von Führungsrollen. Die Rolle des Überblickge- Foto: tomertu - Fotolia.com 14 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Foto: tomertu - Fotolia.com bers ist wirklich eine sehr wichtige Rolle - vor allem bei agil geführten Projekten. Agile Projekte brauchen größtmögliche Transparenz für das Team und den Kunden. VIELE VERSCHIEDENE FÜHRUNGSROLLEN Sie sagten „Führungsrollen“. Offenbar gibt es mehr als nur eine Rolle? Ja. In meinen Trainings für Führungskräfte sammeln wir solche Rollen und schreiben sie auf Kärtchen. Manchmal kommen wir auf 20 bis 25 Rollen, die für die professionelle Führung von Projekten wichtig sind. Entscheidend ist: Team und Projektmanager handeln diese Rollen mit den jeweiligen Befugnissen und gegenseitigen Erwartungen aus. Dies begründet dann die Führungsmacht des Projektmanagers. Mit anderen Worten: Der Projektmanager bekommt seine Macht nicht aus der Hierarchie, sondern von seinen Mitarbeitern? Das wäre wie ein demokratischer Prozess. Er wird quasi vom Team zum Projektmanager ernannt - was natürlich den charmanten Vorteil hat, dass damit seine Machtbasis gesichert ist. Richtig. Das ist ein Prinzip moderner Führungsansätze. Es geht aber dabei um Rollen, nicht um Positionen. Ein Beispiel: Verhandelt der Projektmanager mit Stakeholdern, hat er die Rolle des Verhandlers. Dafür braucht er Befugnisse und Rückendeckung - auch von seinem Team. Bleiben wir doch bitte bei diesen Rollen. Welche Beispiele dafür gibt es noch? Angenommen, der Projektmanager vertritt das Projekt beim Lenkungsausschuss. Er verhandelt über Ressourcen oder über die Bedeutung des Projekts in der Organisation. In diesem Moment ist er in der Rolle des Strategen und in der Rolle des Verkäufers. Er muss sich bewusst sein, dass er zum einen strategisch für das Projekt etwas bewirken muss. Zum anderen ist er auch eine Art Aushängeschild des Projekts; er muss das Projekt optimal darstellen und verkaufen. Sein Auftritt ist dann wie ein Auftritt des gesamten Projekts. Als Stratege und Verkäufer muss der Projektmanager häufig auch die Rolle des Kommunikators ausfüllen. Er muss wissen, wie er zur jeweiligen Situation passend kommunizieren kann. Dafür ist natürlich hilfreich, wenn er ein Bewusstsein dafür entwickelt, in welcher Situation er sich gerade befindet. Ist er in einer Konfliktsituation, nimmt er die Rolle des Konfliktklärers ein. Er unterstützt dabei, einen Konflikt so angemessen und konstruktiv auszutragen, dass keine verbrannte Erde zurückbleibt. Soetwas untermauert dann auch seine Autorität. ROLLENVERHANDLUNG IST HILFREICH Um die Übersicht zu behalten: Der Projektmanager wird nicht mehr von seiner Organisation mit Macht ausgestattet, die er beim Führen seiner Mitarbeiter einsetzt. Stattdessen einigt REPORT 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 er sich mit seinen Mitarbeitern auf bestimmte Führungsrollen. Was aber, wenn er außerhalb seines Teams Macht braucht? Viele Projektmanager beklagen, dass ihnen Macht und Einflussmöglichkeit auch im Dialog mit der Linie fehlen - etwa bei Gesprächen mit Linienmanagern über die Entsendung von zusätzlichen Mitarbeitern ins Projektteam. Der Projektmanager muss wissen, wie weit seine Befugnisse gehen und wann er Hilfe von außen oder von seinem Chef braucht. Insofern wäre es ideal, wenn er eine ähnliche Rollenverhandlung, wie er sie mit seinem Team geführt hat, auch mit seinem Chef führt. Auch wird er im Laufe seines Projekts Förderer und Machtpromotoren brauchen, also Menschen, die ihn und sein Projekt unterstützen. Er benötigt ein Beziehungsgeflecht in die Organisation und ihre Umgebung hinein, das er aufbaut, pflegt und - wenn nötig - natürlich auch nutzt. Dieses Beziehungsgeflecht muss er so einschätzen können, dass er weiß, wer sich für ihn wie einsetzen und seine Ziele unterstützen kann. Stichwort „Mikropolitik“ … Ja, das ist Politik und ein Teil des Stakeholdermanagements. Dies dient dazu, das Projekt durch unruhige oder schwierige Wasser zu steuern. Kurz, ohne politisches Geschick kann heute niemand Projekte führen? Nein, wohl kaum. Deshalb finde ich es problematisch, wenn sich Projektmanager in der politischen Welt hilflos fühlen und darum alles, was mit „Politik“ zu tun hat, ablehnen oder anderen überlassen wollen. Die Politik ist für den Projekterfolg entscheidend. Schauen Sie wirklich erfolgreiche, exzellent gemanagte Projekte an! Bei diesen Projekten sticht immer wieder der Aspekt brillanten Stakeholdermanagements hervor und das Nutzen von Beziehungen. Erfolgreiche Projektmanager finden Bündnispartner und binden Machtpromotoren an sich, die sich für das Projekt einsetzen und den Projektmanager stützen. Damit sind wir übrigens wieder bei den Führungsrollen, also bei Rollen wie „Stratege“, „Taktiker“, „Vernetzer“ und „Bündnisschmied“. Welche Kompetenzen brauchen Projektmanager für diese Rollen? In jedem Fall brauchen sie ein modernes Verständnis von ihren Organisationen. Wir nennen dies „systemisches Denken“. Das alte Bild von Organisationen war das einer Maschine. Dies ist aber eine komplett falsche Metapher! Organisationen sind soziale Geflechte mit Eigendynamik und auch strukturellen Widersprüchen. Projektmanager brauchen deshalb die Fähigkeit, ihre Organisation „zu lesen“. SYSTEMISCHES DENKEN ALS FÜHRUNGSKOMPETENZ Konkret? Projektmanager sollten Verhaltensmuster erkennen können. Sie brauchen Beobachtungen, die dann ein Gespür dafür geben, wann welcher Eingriff sinnvoll oder nötig ist. Sie müssen danach beobachten können, wie wirkungsvoll dieser Eingriff ist. Denken Sie beispielsweise an BERUFSBEGLEITEND ZUM MASTER OF ARTS (M.A.) PROJEKTMANAGEMENT • Studium in nur 21 Monaten • International anerkannter Abschluss • Zulassung u.U. ohne Erststudium • Sonderkonditionen für Zertifizierungen • Kleine Gruppen INFOS & BERATUNG UNTER: business-school@tiba.de www.master.jetzt Anzeige 16 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Stakeholdermanagement! Gutes Stakeholdermanagement hat viel damit zu tun, dass man Konstellationen von Gruppen erkennt und nutzt. Was denken die Gruppen über das Projekt? Was brauchen sie? Welche Haltung haben sie? Welche Gruppe steht mit welcher in Verbindung? Wie sind sie im Unternehmen oder darüber hinaus vernetzt? Bündnispartner zu finden gelingt am besten über die informellen Strukturen einer Organisation. Als Projektmanager muss ich mit diesen informellen Strukturen arbeiten. Ich muss jenseits von „Organigrammkästchen“ erkennen, wer in diesem System wichtig ist und wer es mit wem gut kann. FÜHRUNGSSTILE FÜR UNTER- SCHIEDLICHE SITUATIONEN Solche Aufgaben erfordern vermutlich viel Führungsgeschick, Flexibilität und letztlich ein hohes Maß an Kompetenz? Richtig! Der Projektmanager muss eine Situation schnell verstehen, richtig einschätzen sowie dann mit den geeigneten Kompetenzen und Methoden darauf reagieren. Übrigens ist diese Erkenntnis nicht neu. Schon vor rund 40 Jahren hat man verstanden, dass es bei der Führung keine Patentrezepte geben kann. Damals ist das Konzept von „Situational Leadership“ entstanden. Man hat begriffen, dass gute Führung darin besteht, angemessen und individuell auf eine Situation zu reagieren. Führungskräfte erkennen, wer was in dieser Situation braucht. Das bedeutet aber auch: Sie brauchen für unterschiedliche Situationen unterschiedliche Führungsstile. Sie sollten vorbereitet sein. Führungsstile - was darf ich mir genau darunter vorstellen? Stellen Sie sich eine Situation im Projekt vor, die jeder Projektmanager kennt: In einem Meeting sollen Zwischenergebnisse diskutiert und abgeglichen werden. Dafür braucht der Projektmanager einen Führungsstil, der einerseits Mitarbeiter beteiligt, jedem wertschätzend begegnet und Offenheit bei Problemen signalisiert. Andererseits muss von Anfang an Klarheit darüber herrschen, dass Aufgaben erledigt und Probleme gelöst werden müssen - und zwar pünktlich sowie in der verabredeten Qualität. Da muss der Projektmanager möglicherweise klare Worte finden dafür, dass die Leistung einzelner Mitarbeiter nicht reicht. Oder dass engagiert durchgeführte Experimente abgebrochen werden müssen, weil sie das Projekt nicht voranbringen. Haben Sie ein weiteres Beispiel, etwa Problemlösungs-Workshops? Problemlösungs-Workshops illustrieren den Bedarf an verschiedenen Führungsstilen gut! In diesen Workshops geht es um die Diskussionen von Lösungsvarianten. Da braucht der Projektmanager einen dialogischen Führungsstil. Er muss neugierig und offen sein gegenüber den Ansätzen und Ideen seiner Leute. Er braucht zudem einen scharfen Blick für die Bewertung von Potenzialen oder die Umsetzbarkeit der Vorschläge. Er muss die Vielfalt der Ideen fördern - und auch Abschied nehmen von dem Dogma vieler Ingenieure, dass es immer nur eine optimale Lösung geben kann oder dass die Füh- Foto: tomertu - Fotolia.com REPORT 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 rungskraft die „rettende Lösung“ finden muss. Da sind wir übrigens wieder bei einer neuen Führungsrolle: der des offenen Problemlösers. Dafür muss der Projektmanager Methoden in seinem Koffer haben, die er in dieser Situation einsetzen kann: also Methoden, mit denen er eine Öffnung in der Gruppe bewirkt, Ideen generieren und Lösungen zur Debatte stellen kann. FLEXIBILITÄT, BANDBREITE UND ANPASSUNGSFÄHIGKEIT Solche Werkzeuge sind also ein Teil des „Situational Leadership“? Natürlich! Situational Leadership zeichnet sich durch hohe Flexibilität, Bandbreite und Anpassungsfähigkeit aus. Ein fast trivial anmutendes Beispiel ist: Eine gute Führungskraft erkennt schnell, wie ihre Mitarbeiter individuell gestrickt sind. Sie kann mit jedem richtig umgehen - eine Kompetenz, mit der sich übrigens viele Ingenieure noch schwertun. Angenommen, ich habe ein Team von acht sehr unterschiedlichen Mitarbeitern. Der eine liebt geordnetes Vorgehen nach Plan, der andere fühlt sich wohl, wenn er kreativ und ohne Plan arbeiten kann. Ein Dritter braucht engen kollegialen Kontakt, ein richtiger Gruppenmensch. Und ein Vierter möchte sich zum Arbeiten zurückziehen und konzentriert an seiner Arbeit tüfteln. Wie kann der Projektmanager diese unterschiedlichen Mitarbeiter abholen? Hier wäre ein Typisierungsmodell sehr hilfreich. Diese Modelle ermöglichen eine grobe Einschätzung, wie Mitarbeiter ticken und was sie treibt. Ich persönlich gebe einem Modell den Vorzug, das mir hilft, Menschen anhand von neun verschiedenen Motiven einzuordnen - ohne Schubladendenken natürlich! Die Motive drücken sich im Verhalten aus, man kann sie gut beobachten. Führungskräfte können dann diese Beobachtungen in Verbindung etwa mit Aufgaben besprechen. Die Beobachtungen besprechen? Ja. Man hat ja zunächst nur Vermutungen. Die Frage ist, ob diese Vermutungen auch zutreffen. Dies kann man im Gespräch klären. Ich würde die Beobachtungen auch wirklich nur als Vermutung äußern. Dann hat der Mitarbeiter die Möglichkeit, diese Beobachtung anzunehmen oder auch nicht. Also nicht jemanden von vornherein in eine Schublade stecken. AGILES PM IM FOKUS Wie sieht dies konkret aus? Das geht recht leicht. Sagen Sie einem Mitarbeiter beispielsweise: Sie haben beobachtet, dass er seine Aufgaben sehr genau angeht - und ob er dieses Verhalten von sich kennt. Wenn er zustimmt, können Sie ihn fragen, ob er für die Dokumentation zuständig sein will. Diese Vorgehensweise wird mehr und mehr bekannt und angewendet im agilen Ansatz des Projektmanagements. Inwiefern beim agilen Projektmanagement? Beim agilen Projektmanagement steht ja stark die Selbstorganisation des Teams im Vorder- Foto: tomertu - Fotolia.com 18 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 grund. Die typische Situation am Kanban-Board: Die derzeit offenen Aufgaben sind auf Karten notiert und für alle zu sehen. Während des Meetings steht das Team vor diesem Board. Jeder Mitarbeiter nimmt sich Aufgaben von dem Board und sagt: Diese Aufgabe ist mein Job; ich erledige ihn pünktlich! Ganz nebenbei ist dieses Vorgehen absolut transparent: Jeder kann sehen, wer sich was nimmt; er hört, was er verspricht zu tun. Und jeder kann erkennen, was noch zu tun ist, in welchem Zusammenhang die Aufgaben stehen und wie dringend sie sind. Haben Sie ein gutes Team, dann bleibt am Ende keine Aufgabe am Board hängen. Der Projektmanager hat also nicht mehr die Führungsrolle des „Aufgabenverteilers“. Diese Rolle liegt nun beim Team. Augenblick! Das ist die agile Welt … … was nicht heißt, dass man mit solchen Prinzipien nicht auch klassische Projekte managen kann. Es gibt keine bessere Führung als diese Form der Selbstorganisation einer Gruppe. Weshalb nutzen wir sie nicht häufiger in der Führung? Weshalb jammern wir immer noch über fehlende Weisungsbefugnis, Machtbasis und Motivation? Kommen wir noch mehr zur Praxis. Wie kann ein Projektmanager einen modernen Führungsstil in seinem Projekt installieren? Er sollte möglichst früh im Projekt beginnen, den modernen Führungsstil zu praktizieren. Dabei sollte er sich gesprächsbereit zeigen zu seinem Führungsstil. So entsteht Offenheit, häufig auch ein Dialog über Werte und Haltungen. KICK-OFF ALS SCHLÜSSEL ZUM (FÜHRUNGS-)ERFOLG Sie sagten, den Führungsstil früh praktizieren. Ab wann genau? Schon beim Kick-off! Da werden wichtige Weichen gestellt. Alle Beteiligten sollten sich persönlich zum Kickoff treffen, auch dann, wenn es sich um ein virtuelles Projekt handelt. Beim Kickoff kann man dann sehr klassisch vorgehen. Der Projektmanager präsentiert das Vorhaben, gibt grobe Orientierung und versucht sein Team dafür zu begeistern. Nach meiner Erfahrung ist es hilfreich, wenn Projektmanager und Team gemeinsam eine eigene Vision zum Projektziel oder Auftrag erarbeiten, beispielsweise als Skulptur, als Bild oder als Story. Also etwas Greifbares entwickeln? Die Entwicklung von Bildern, Geschichten oder Ähnlichem motiviert Menschen viel mehr als die Diskussion trockener, mit Zahlen unterlegter Beschreibungen. Anschließend stellen sich die Teammitglieder mit ihrem fachlich-beruflichen Hintergrund und ihren besonderen Kompetenzen vor. Das gemeinsame Bearbeiten und Festlegen etwa von Zielen und Themen führt das Team zusammen. Es schafft mehr Klarheit und Transparenz über das Projekt. Die Mitarbeiter lernen sich gut kennen, sie achten sich mit ihren jeweiligen Fähigkeiten; dies fördert die Zusammenarbeit enorm! Bisher war noch nicht einmal von Führung die Rede … Foto: tomertu - Fotolia.com REPORT 19 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Agiles Projektmanagement einführen und etablieren Wir begleiten Sie! · Wir schulen und coachen Projektteams für ihr erstes agiles Projekt. · Wir unterstützen Projektteams, um effektiver zusammenzuarbeiten. · Wir befähigen und coachen Unternehmen bei der Integration agiler Methoden mit einem erprobten Vorgehen. Mehr Informationen unter 0641 98210-300 www.ibo.de/ projektmanagement Agiles Projektmanagement einführen und etablieren Wir begleiten Sie! · Wir schulen und coachen Projektteams für ihr erstes agiles Projekt. · Wir unterstützen Projektteams, um effektiver zusammenzuarbeiten. · Wir befähigen und coachen Unternehmen bei der Integration agiler Methoden mit einem erprobten Vorgehen. Mehr Informationen unter 0641 98210-300 www.ibo.de/ projektmanagement Anzeige Dies sehe ich anders. Genau in diesem Vorgehen drückt sich das neue, moderne Führungsverständnis aus. Der Projektmanager schafft einen günstigen Rahmen für das Kennenlernen, für die gegenseitige Akzeptanz, für das Zueinanderfinden bei der Erarbeitung von Ziel und Vision. Wie geht es danach weiter mit dem Kick-off? Die nächste Aufgabe ist die Rollenklärung. Es geht um die Frage, wer im Team welche Rolle übernimmt und was damit verbunden ist. Dafür sollte man ein einfaches Rollenmodell einführen. Denn häufig wird nur über Funktionen oder über Aufgaben diskutiert; die eigentlichen Rollen bleiben ungeklärt. Augenblick! Ich kann nicht ganz folgen. Rollen sind doch Aufgaben und Zuständigkeiten. Eine Rolle ist definiert als individuelle Handlungsoption in einer jeweiligen Struktur, die die Organisation definiert hat. Ein Beispiel dafür: Wer die Aufgabe übernimmt, mit einem Lieferanten zu verhandeln, geht in die Rolle „Verhandler“. Er füllt sie einerseits so aus, wie er es für sinnvoll hält, und andererseits so, wie es die Organisation oder sein Chef von ihm erwarten. Verstanden. Doch was bedeutet dies für die Praxis? Es ist hilfreich, wenn über die eigenen Impulse oder das Verständnis und die Erwartungen an diese Rolle gesprochen wird. Denn eine Rolle ist im Vergleich mit einer Aufgabe deutlich stärker mit der Persönlichkeit desjenigen verbunden, der diese Rolle einnimmt oder in sie hineingeht, wie wir dies auch nennen. Wie ich diese Rolle lebe, welches Verständnis ich von der Rolle habe und wie ich mich fühle beim Übernehmen der Rolle, dies wird Effekte haben auf das Ergebnis. Daran können mein Team und ich ablesen, ob ich die Rolle gut oder weniger gut ausfülle. DISKUSSION ÜBER ROLLEN Nochmals, Sie empfehlen also die Diskussion von Rollen beim Kick-off? In jedem Fall - sowohl beim Kick-off, als auch zwischendurch in Form von Feedbacks etwa bei Reviews. Füllt beispielsweise der Projektmanager die Rollen gut aus? Wo werden Veränderungen erwartet? An dieser Vorgehensweise erkennt man übrigens gut, dass dieses gemeinsame Bestimmen und Aushandeln von Rollen völlig gegensätzlich ist zu organisationaler Macht durch Weisungsbefugnis. Der Projektmanager ist gewissermaßen Erster unter Gleichen. Er hat keine Position oder Funktion, sondern übernimmt Rollen. Ich vermute, dass dieses Arbeiten mit Rollen das herkömmliche Denken über Führung grundlegend auf den Kopf stellt. Ja, das ist gut möglich. Rollen sind in unserem Verständnis zu unterscheiden von Aufgaben und von Handlungsspielräumen. Damit wird auch deutlich, wie groß das Rollenrepertoire ist, das für das professionelle Führen eines Projekts nötig ist - womit wir uns deutlich im Gegensatz zu Modellen wie dem von Belbin, das in der PM- Ausbildung genutzt wird, befinden. Sie sehen eine Chance darin ...? Eine sehr große Chance sogar. Dieses Denken kann mitgenommen werden aus dem klassischen Projektmanagement in die agile Welt. Agiles Projektmanagement soll bekanntlich das Projekt noch näher an den Kunden heranbringen. Dafür braucht man Mitarbeiter, die den Kundenkontakt halten. Sie sollen die Welt des Kunden so gut wie möglich verstehen. Einerseits sorgen sie dafür, dass der Kunde seine Vorstellung und Änderungswünsche zum Projektgegenstand einbringt. Andererseits halten sie die User Story immer aktuell und zerlegen sie zusammen mit dem Team in zu bearbeitende Aufgaben. Diese Rolle wird Product Owner genannt. Sie vereinigt einige Rollen auf sich, die früher beim Projektmanager lagen. VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN Der Projektmanager gibt also Rollen ab an den Product Owner. Nicht nur an den Product Owner, sondern auch an den Scrum Master, der über die Methoden 20 REPORT projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 und die Arbeitsweise im agilen Team wacht. Die verschiedenen Führungsrollen bleiben, doch sie verteilen sich neu auf andere Positionen oder Personen. Generell gilt ja im agilen Projektmanagement: Alle Mitarbeiter im selbst organisierten Team übernehmen Verantwortung. Sie organisieren sich selbst. Sie nehmen sich Spielraum etwa für Entscheidungen oder Experimente, um Probleme lösen zu können. Da bleibt kaum Raum für Projektmanager, die in puncto Führung klassisch orientiert sind? Vermutlich nicht. Einige Unternehmen, die bereits seit Längerem erfolgreich agil arbeiten, haben keine Projektmanager mehr. Wie reagieren Ihrer Erfahrung nach Projektmanager auf diese Herausforderungen? Ich kenne viele, die sich auf moderne Führungskonzepte stürzen. Sie haben schon länger nach solchen Konzepten gesucht und empfinden die moderne Führung als Erleichterung. Manche sagen, ihnen würde eine Last von den Schultern genommen. Es gibt allerdings auch viele Skeptiker und Bremser, die diese Konzepte bezweifeln - und Menschen, die von alledem gar nichts halten und längst nicht an dem Punkt sind, ihre Überzeugungen loszulassen. Wie kommt es zu diesen Widerständen? Aus meiner Erfahrung hat das einerseits mit dem „Mindset“ zu tun. Einige Projektmanager beharren auf ihrer Überzeugung, dass nur wenige Menschen zur Selbstorganisation „geboren“ sind oder die meisten Mitarbeiter Anweisungen brauchen. Manchmal geht es auch um Bequemlichkeit. Es geht um die Trägheit, die Komfortzone zu verlassen. Das Thema „Führung“ wird im Projektmanagement also weiterhin aktuell bleiben? Mit Sicherheit! Das Thema wird uns beschäftigen, solange es Projekte gibt und diese in eine Unternehmensstruktur eingebettet sind. Da spielt es keine Rolle, ob die Teams selbstbestimmt arbeiten, virtuell oder von einem Projektmanager geführt. Immer wird es Führungsaufgaben und Führungsrollen geben, die sinnvoll verteilt werden müssen. Wir sollten unsere Projektmanager daauf vorbereiten, sich in diese zahlreichen Rollen hineinzuentwickeln - Rollen, die sich laufend verändern. Die GPM kann da übrigens eine wertvolle Plattform für Austausch und Impulse sein. Die Fachgruppe „Führen in/ von Projekten“ ist kürzlich wieder zum Leben erweckt worden - das halte ich für eine gute Entscheidung für die Zukunft! Foto: tomertu - Fotolia.com Information Auf ihrem nächsten BarCamp Anfang November 2018 in Fulda stellt die Fachgruppe „Führen in/ von Projekten“ erste Untersuchungsergebnisse sowohl zum Thema „Zukunft des Projektmanagers in der agilen Welt“ als auch zur Frage vor, wie sich die Digitalisierung auf Projektmanager auswirken wird. Kontakt: www.gpm-ipma.de