eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 29/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
1201
2018
295 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Eine Stakeholder-Perspektive auf das Scheitern von Großprojekten

1201
2018
Timo Braun
Stephan Bohn
Lisa-Marie Gaschler
Über 100 Studierende der FU Berlin haben den Flughafen BER aus einer Multi-Stakeholder-Perspektive analysiert. Aus den Ergebnissen wurden vier provokante Thesen zum Scheitern des Großprojektes BER abgeleitet. Übergreifend lässt sich festhalten, dass ein systematisches Stakeholder-Management viele Probleme des Flughafens hätte lösen können. So beschreiben die Autoren, warum ein Multi-Stakeholder-Management ein integraler Bestandteil jedes Großprojektes sein muss – und zwar von Planungsbeginn an. Betroffene Anwohner, Umweltverbände, politische Akteure und Medienvertreter hätten frühzeitig stärker beteiligt und in die Projektprozesse integriert werden müssen. Insbesondere die Medien übernehmen bei Projekten von öffentlichem Interesse eine Art übergeordnete Reflexions- und Kon- trollfunktion. Sie sind kritischer Beobachter und damit sensibel für Stakeholder-Interessen aller Art. Sie tragen letztlich auch dazu bei, ob ein Projekt als Erfolg oder Misserfolg gewertet wird. Vor dem Hintergrund zeichnen die Autoren ein düsteres Bild über die Zukunft des Flughafens.
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30 ERFAHRUNG projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 „Lehren aus dem BER“: Eine Stakeholder-Perspektive auf das Scheitern von Großprojekten Autoren: Timo Braun, Stephan Bohn und Lisa-Marie Gaschler Großprojekte wie der Bau der Elbphilharmonie, das Organisieren von Massenveranstaltungen wie den Olympischen Spielen oder der Bau eines Flughafens erzeugen nicht nur eine besondere Strahlkraft, sondern stehen ebenfalls im Lichte der Öffentlichkeit und damit unter besonderer Beobachtung. Oft sind aber gerade solche Projekte - nicht zuletzt aufgrund ihrer Einzigartigkeit, Komplexität und Innovativität - von ständigen Plananpassungen betroffen. Die Veränderungen in der Projektplanung und -umsetzung führen nicht selten zu Verzögerungen und Kostensteigerungen und verstärken damit wiederum das (berechtigte) öffentliche Interesse, was wiederum zu Plananpassungen führen kann. Das Ziel von Projektmanagement muss es sein, solchen Verstärkungsprozessen von Anfang an durch ein wirksames Multi-Stakeholder- Management zu begegnen. Dies wird besonders deutlich beim vermutlich aktuell am meisten diskutierten Großprojekt, dem Bau des Berliner Flughafens „BER“. Das Ausmaß an Verzögerungen, Pannen und die dazugehörigen Skandale beim BER sind bemerkenswert. Nichtdestotrotz können Projektmanager daraus lernen und die Sicht auf Projekte generell weiterentwickeln. Das Scheitern des BER-Projekts ist seit Jahren offensichtlich, schließlich sollte der Flughafen bereits im Jahr 2011 eröffnet werden. Flugtickets waren bereits gedruckt, die Eröffnung geplant, Personal eingestellt und die Läden am Flughafen bestückt. Mehr als sieben Jahre später ist immer noch kein Passagier abgefertigt und kein Flugzeug vom BER gestartet und auch der neu geplante Eröffnungstermin 2020 wackelt. Die Kosten liegen bereits jetzt bei über sechs Milliarden Euro und damit dreimal so hoch wie die ursprünglich veranschlagten zwei Milliarden. Die Aufarbeitung des BER aus einer Multi-Stakeholder-Perspektive Wie ist es aber so weit gekommen und warum hat das Projektmanagement in einem derartigen Maße versagt? Und was kann man aus den Fehlern rund um das „BER“-Projekt lernen? Diesen Fragen hat sich eine Lehrveranstaltung von Prof. Timo Braun und Dr. Stephan Bohn an der Freien Universität Berlin gewidmet. Über 100 Studierende haben in 20 Projektteams unterteilt das BER-Projekt durchleuchtet und aus einer Multi- Stakeholder-Perspektive analysiert. Die Studierenden haben den Flughafen besucht, mit Projektplanern und Management gesprochen, die Untersuchungsberichte gelesen und alle wichtigen Anspruchsgruppen in die Analyse einbezogen. So wurden unter anderem Interviews mit den Flughafenplanern Dieter Faulenbach da Costa und Alfredo Di Mauro, den Berliner Landespolitikern Stefan Evers (CDU), Frank Zimmermann (SPD), Sebastian Czaja (FDP), Harald Moritz (Die Grünen) und Jutta Matuschek (Die Linke) sowie mit Vertretern von Bürgerinitiativen und den Airlines geführt. Zusätzlich wurden Medienvertreter und Journalisten befragt, unter anderem Lorenz Maroldt, der Chefredakteur des Tagesspiegels. Das Ziel der Analyse der Stakeholder-Beziehungen ist es, die Interessen und Argumente systematisch zu vergleichen und so eine übergeordnete Perspektive einzunehmen und vor allem zu lernen, wie die unterschiedlichen Interessen gemanagt werden können. Die Ergebnisse der Studierenden sind auf dem Blog >> Für eilige Leser Über 100 Studierende der FU Berlin haben den Flughafen BER aus einer Multi-Stakeholder-Perspektive analysiert. Aus den Ergebnissen wurden vier provokante Thesen zum Scheitern des Großprojektes BER abgeleitet. Übergreifend lässt sich festhalten, dass ein systematisches Stakeholder-Management viele Probleme des Flughafens hätte lösen können. So beschreiben die Autoren, warum ein Multi-Stakeholder-Management ein integraler Bestandteil jedes Großprojektes sein muss - und zwar von Planungsbeginn an. Betroffene Anwohner, Umweltverbände, politische Akteure und Medienvertreter hätten frühzeitig stärker beteiligt und in die Projektprozesse integriert werden müssen. Insbesondere die Medien übernehmen bei Projekten von öffentlichem Interesse eine Art übergeordnete Reflexions- und Kontrollfunktion. Sie sind kritischer Beobachter und damit sensibel für Stakeholder-Interessen aller Art. Sie tragen letztlich auch dazu bei, ob ein Projekt als Erfolg oder Misserfolg gewertet wird. Vor dem Hintergrund zeichnen die Autoren ein düsteres Bild über die Zukunft des Flughafens. ERFAHRUNG 31 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 „BER - Wer fliegt als nächstes? “ (https: / / blogs. fu-berlin.de/ ber/ ) veröffentlicht und lassen sich auf vier provokante Thesen herunterbrechen: 1. Das Projekt BER befindet sich im Scheitern und wird vermutlich nie öffentlich als Erfolg wahrgenommen. Das Management der Anspruchsgruppen rund um den Flughafen BER ist bis zum heutigen Tag nicht in der Lage, Maßnahmen so umzusetzen, dass Kompromisse zwischen den einzelnen Interessengruppen in Bezug auf den Ausbau und die Inbetriebnahme des BERs erzielt werden. Im Gegenteil: Mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen mit Blick auf die Erweiterungsstufen des Flughafens sind bereits jetzt abzusehen. Die Interessen von Fluggesellschaften, Anwohnergemeinden, politischen Parteien und Flughafennutzern sind geradezu gegensätzlich und durch die schon jetzt abzusehenden Kapazitätsengpässe werden diese perspektivisch zusätzlich gesteigert. Das Problem besteht aber in dem von Anfang an unzureichenden Stakeholder-Management. Bereits zum Planungsbeginn wurden die Interessen, Risiken und Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten nicht ausreichend geklärt. Dies begann bereits mit der Standortwahl, die nach wie vor für Kontroversen sorgt und auch politisch ein „rotes Tuch“ zwischen SPD, CDU, FDP und Grünen darstellt. So wird auch weiterhin intensiv darüber debattiert, ob es sinnvoll ist, den innerstädtischen Flughafen Tegel durch den innerstädtischen Flughafen BER zu ersetzen. Während das 30 Minuten von Berlin entfernte Sperenberg als alternativer Flughafenstandort abgelehnt wurde, hat die jetzige Lage von Tegel und Schönefeld zur Folge, dass die Passagierkapazitäten kaum ausgebaut werden können (Nachtflugverbot und fehlende Flächen). Außerdem sind durch die exponierte stadt-, aber auch naturnahe Lage (mehrere Flugrouten führen über Naturschutzgebiete) schon jetzt diverse Gerichtsverfahren anhängig. Mehrere Bürgerbewegungen haben sich gegen infrastrukturelle Belastung und Fluglärm in Brandenburg und Berlin gegründet. Gerade wegen der kritischen Lage des Flughafens und der Komplexität des Projektes wäre ein effektives Stakeholder-Management nötig gewesen. Zusätzlich sehen die Experten aber auch die projektinterne Organisation als Problem an, so glich der Kommunikationsfluss im Großprojekt BER bisher einer „Blackbox“. Jutta Matuschek von der Linken beispielsweise sieht „Prestige“- Bestrebungen und die politische Wichtigkeit des Projektes als Ursache dafür, dass vonseiten der Kontrollgremien keine sorgfältige Fortschrittskontrolle stattgefunden hat. Laut Stefan Evers (CDU) habe darüber hinaus das Übermaß an Politik die „Adern des BER“ vergiftet und das Projekt zum „Spiel der Eitelkeiten“ werden lassen. So führten Change Requests immer wieder zu Anpassungen und Planänderungen, beispielgebend sind die Umbauten für die Fluggastbrücke des A 380, initiiert vom damaligen Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Um das Projekt final zu realisieren, wäre ein Management ohne politischen Einfluss nötig, das ist zumindest die Meinung von FDP-Politiker Czaja. Andererseits sieht Frank Zimmermann (SPD) das Managementversagen in den obersten Führungspositionen als Hauptproblem des BER. Diverse Wechsel an der Spitze des „BER“ folgten. Jedoch verhinderten auch diese nicht, dass der Eröffnungstermin immer wieder verschoben wurde. Allein die politische Konstellation zeigt das Konfliktpotenzial des Flughafens. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass die Kapazitätsplanung für die Metropolregion Berlin-Brandenburg unterschätzt wurde. Bei weiterhin steigenden Passagierzahlen wird es zwangsläufig zu weiteren Anpassungen und Verzögerungen kommen und auch nach der Inbetriebnahme wird der BER noch lange als Beispiel eines missglückten Großprojektes herhalten müssen. 2. Aufgrund der Interessenlage verschiedener Anspruchsgruppen erscheint eine Eröffnung zum angestrebten Termin im Jahr 2020 fragwürdig. Im bisherigen Verlauf des Projektes haben immer wieder Change Requests der Stakeholder die Fertigstellung des Flughafens verzögert. Bis zum heutigen Tag sind sie Spiegelbild für eine problembehaftete Planung. Einige Kritiker fürchten, dass solche Änderungsanträge auch über 2018 hinaus Ursache für weitere Verzögerungen sein werden. Laut des Vorsitzenden der Berliner FDP- Fraktion, Sebastian Czaja, sind sie Folge einer viel zu kleinteiligen Vergabe von Verantwortlichkeiten im Großprojekt. Dass im Vorfeld Interessen und Meilensteine nicht ausreichend geklärt und festgelegt wurden, hat heute eine Multiplikation von Wünschen und Erwartungen der Projektbeteiligten zur Folge. Der Flughafenberater Dieter Faulenbach da Costa ist hingegen der Meinung, dass die Planänderungen ganz im Interesse der Flughafengesellschaft selbst gelegen haben. Sie hätte Änderungsanträge dazu genutzt, eigens verursachte Fehler zu überdecken. Beide Sichtweisen gehen von einem fehlerhaften Stakeholder-Management aus. So wurde im Vorfeld ein unzureichendes Erwartungsmanagement zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen durchgeführt und ein echtes Stakeholder-Management hat bis heute nicht stattgefunden. Auch bei der Abb. 1: Ergebnis-Vernissage zum Lehrprojekt „Flughafen BER“; Foto: Freie Universität Berlin 32 ERFAHRUNG projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 derzeitigen Planung werden keine hinreichenden zeitlichen Puffer und materiellen Sicherheiten eingeplant. Die zeitlichen Puffer für eine Eröffnung in 2020 sind bereits jetzt aufgebraucht und eine „pünktliche“ Eröffnung wird nur möglich sein, so argumentieren die Experten, wenn es zu keinerlei weiteren Störungen kommt. Doch wann war das bisher beim Flughafen BER der Fall? Auch die Beseitigung der technischen Fehler stellt weiterhin ein erhebliches Risiko mit Blick auf eine Eröffnung im Jahr 2020 dar. Stark medial diskutiert wurde beispielsweise die nicht funktionierende Brandschutzanlage. Der ehemalige technische Planer Alfredo Di Mauro wurde immer wieder als Sündenbock in den Medien vorgeführt. Auch wenn das vor dem Hintergrund seines vorgetäuschten Ingenieursabschlusses nicht überrascht, gestalten sich die technischen Schwierigkeiten doch differenzierter. So legt Di Mauro dar, dass niemand bis heute wissen könne, ob die Entrauchungsanlage funktioniert hätte, da sie nie fertiggestellt wurde. Problematisch sei vielmehr das schlechte Management der Bauherren selbst. Fehler in der Planung und Umsetzung seien der Grund für nicht funktionstüchtige Technikanlagen und chaotisch verlegte Kabelsysteme. Unwissenheit und mangelhafte Kommunikation mit Fachverständigen habe zusätzlich zur Verwendung falscher Materialien beigetragen. Insgesamt legen die Experten dar, dass das Zusammenspiel eines Nichterkennens und Nichtwahrhabenwollens von Fehlern sowie eine fehlende Kontrolle und gegenseitige Verantwortungszuweisung ursächlich dafür sind, dass das Großprojekt bis heute vor erheblichen Herausforderungen steht. 3. Der Flughafen Tegel wird vorerst geöffnet bleiben müssen, während der BER auch bei Eröffnung über viele Jahre als Baustelle verharrt. Berlin hat als Flughafenstandort eine große Bedeutung und aus strategischer Sicht das Potenzial, einen international relevanten Flughafen zu besitzen. Der BER wäre bei Fertigstellung der drittgrößte Flughafen in Deutschland. Beachtet werden muss dabei jedoch, dass es mit Frankfurt und München bereits zwei internationale HUB-Flughäfen in Deutschland gibt und dass für einen weiteren HUB-Flughafen momentan kein Bedarf besteht. Berliner Fluggäste weisen eine geringere Zahlungsbereitschaft auf und es gibt deutlich weniger Businessflüge als in anderen deutschen Flughäfen-Städten. Als Pointto-Point-Flughafen im Billigflieger-Preissegment hat die Hauptstadt hingegen ein gewisses Potenzial. Unabhängig von Systementwicklungen wird in jedem Fall ein steigendes Fluggastaufkommen bestehen. Die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft BER ist mit Bezugnahme auf den neuen Masterplan der Meinung, dass im Jahr 2035 ca. 58 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden könnten. Experten vermuten jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt der Bedarf an Abfertigung noch viel größer sein wird. Der eröffnete BER könnte also viel schneller als gedacht wieder zur Baustelle werden bzw. gar nicht aus diesem Status herauskommen. Die Kapazitätsdiskussion sorgt zusätzlich für Konflikte, da der ursprüngliche Grund für den Bau des BER war, den innerstädtischen Flughafen Tegel komplett zu ersetzen. Dieser schien schon 1998 auf lange Sicht nicht haltbar, weil die Fluggastkapazitäten bald ausgeschöpft waren und die Flugsicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllbar schienen. Massive Investitionen im Milliardenbereich für einen Weiterbetrieb seien Voraussetzung für die Offenhaltung von Tegel und so fiel die Entscheidung, einen komplett neuen Flughafen zu bauen. Dass 20 Jahre später im Raum steht, Tegel offenzuhalten, ist Folge der Fehler und Versäumnisse, die am neuen Stadtflughafen BER gemacht wurden. Je nach Stakeholder divergieren die Meinungen zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegels. Air-France-KLM-Manager Klaus Marx führt trotz der derzeitigen Bauprobleme am BER an, dass der Flughafen Tegel nicht mehr zeitgemäß sei und die Nutzung sich jeden Tag schwieriger gestalte. Dennoch sei derzeit der Weiterbetrieb als „Übergangsphase“ unvermeidlich. Innerhalb der Flughafengesellschaften gibt es jedoch auch Meinungen, die einen Betrieb des BER als alleiniges Drehkreuz gänzlich infrage stellen. So könne der neue Standort im Süden das zukünftige Flugaufkommen allein nicht stemmen. Der dauerhafte Weiterbetrieb des Flughafens Tegel würde somit den Flugbetrieb des BER unterstützen. Nicht nur die Parteien und Fluggesellschaften haben Argumente, die für die Offenhaltung von Tegel sprechen. Nachdem bereits bei dem Berliner Volksentscheid die Mehrheit für die Offenhaltung des Flughafen Tegels gestimmt hat, will im Herbst 2019 eine weitere Initiative in Brandenburg über die Offenhaltung von Tegel abstimmen. Zum einen stören sich Teile der Berliner und Brandenburger Bevölkerung an der schlechten Verkehrsanbindung aus dem Norden zum BER, weshalb eine Offenhaltung von Tegel für sie attraktiv wäre. Zum anderen werden nach wie vor der Fluglärm und die Flugroutenplanung des BERs im Süden diskutiert, weshalb sich Anwohner eine Entlastung durch Tegel erhoffen. Die bisherigen Hypothesen verdeutlichen, dass ganz unterschiedliche Sichtweisen bei der Planung des BERs offenbar nicht ernsthaft berück- Abb. 2: Frank Zimmermann (SPD), Sebastian Czaja (FDP) und Dieter Faulenbach da Costa (v. r. n. l.) in der Diskussion mit Studierenden; Foto: Freie Universität Berlin ERFAHRUNG 33 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 sichtigt wurden. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass auch nach der Eröffnung des Flughafens weitere Änderungen am Bau und im Betriebsablauf bevorstehen werden. Eine Offenhaltung des Flughafen Tegels würde die Schwierigkeiten und Probleme mindern und erscheint somit als ein wahrscheinliches Zukunftszenario. 4. Der BER wird dauerhaft viele Menschen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigen. Da die Stadt den BER bereits jetzt umschließt, wird ein innenstädtischer Flughafen durch einen anderen innerstädtischen Flughafen ersetzt. Allein dieser Punkt macht deutlich, dass der BER noch lange in der Diskussion stehen wird. Sinnbildlich dafür sind die wachsenden Bürgerinitiativen im Süden von Berlin und die juristischen Auseinandersetzungen um Schallschutz und Fluglärm. Tatsächlich spart die Flughafengesellschaft an dieser Stelle und verwehrt den direkten Anwohnern einen adäquaten Schallschutz. Die Folge sind aktiver werdende Bürgerinitiativen und juristische Klagen in allen Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Der Vorwurf lautet, dass von Anfang an bewusst falsche Lärmprognosen und unrealistische Flugrouten kommuniziert wurden. Damit sollte die Bildung von Bürgerinitiativen verhindert und das Recht der Bürger auf Anhörungsverfahren beschnitten werden. Die Reaktion der Bürger zeigt, dass kein erfolgreiches Stakeholder-Management stattgefunden hat, sondern dass im Gegenteil die Interessen und Möglichkeiten der Stakeholder systematisch unterschätzt wurden. Die heutigen Verzögerungen beim Bau des BER sind ein Ergebnis davon. Multi-Stakeholder-Perspektive als integraler Bestandteil jedes Großprojektes Auch im 12. Jahr nach dem ersten Spatenstich und im 7. Jahr nach dem geplanten Eröffnungstermin ist der Flughafen BER eine Baustelle. Einige der technischen Mängel, die massive Verzögerungen hervorgerufen haben, wurden in der Zwischenzeit unter der Geschäftsführung von Herrn Lütke Daldrup behoben. Trotzdem erscheint die Eröffnung in weiter Ferne - der Termin in 2020 ungewiss. Über die Vision eines Hauptstadtflughafens, der Berlin verkehrstechnisch an das Niveau von Frankfurt und München heranrückt, den Tourismus und die Lokalwirtschaft beschwingt, können die meisten Berliner nur noch müde lachen. Bleibt die Frage, welche Lehren aus diesem scheiternden Großprojekt gerade für das Projektmanagement zukünftiger Projekte dieser Größe und diesen Umfangs gezogen werden können. Die Lehrveranstaltung von Prof. Timo Braun und Dr. Stephan Bohn hat hierzu insbesondere mit Blick auf das Multi- Stakeholder-Management Ansatzpunkte ergeben: Zunächst darf kein Zweifel daran bestehen, dass ein systematisches Stakeholder-Management ein integraler Bestandteil jedes Großprojektes ist, und zwar von Planungsbeginn an. Hierbei sind die verschiedenen Interessen systematisch anzuhören und in den Prozess einzukoppeln. Im Multi-Stakeholder-Management werden dabei nicht nur die Interessen der zentralen Stakeholder wie Auftraggeber und Mitarbeiter fokussiert, sondern eine breite Analyse aller Stakeholder- Gruppen durchgeführt. Dazu gehören sowohl betroffene Anwohner als auch Umweltverbände, politische Akteure und ebenfalls Medienvertreter. Diese übernehmen insbesondere bei Projekten von öffentlichen Interesse eine Art übergeordnete Reflexions- und Kontrollfunktion. Sie sind kritischer Beobachter und damit sensibel für Stakeholder-Interessen aller Art. Medien sind aber auch die entscheidende Instanz, die auch dazu beiträgt, ob ein Projekt als Erfolg oder Misserfolg gewertet wird. Das BER-Projekt zeigt geradezu exemplarisch, welche Dynamik die Diskussion in Zeitungen, Fernsehen und Internet entwickeln kann, und so werden mittlerweile auch kleinere Fehler und Probleme als Beispiel für das Scheitern des BER-Projektes angeführt. Das Ziel der Multi-Stakeholder-Perspektive ist es, das Projektmanagement für solche Verstärkungsmechanismen zu sensibilisieren und von Anfang an mit einem wirksamen und vor allem proaktiven Management zu begegnen. Nicht jeder Stakeholder wird seine Wünsche dabei umsetzen können, aber jeder sollte das Gefühl haben, dass mit seinem Anliegen umgegangen wurde. Ausblick Die Teilnehmer an der Projektmanagementvorstellung der FU Berlin haben insofern von den Fehlern des BER gelernt und das theoretische Wissen zu Projektmanagement und Multi-Stakeholder-Perspektive mit den praktischen Erfahrungen eines gescheiterten Großprojektes verbunden. In einem weiteren Beitrag zum Flughafen BER werden die Autorin und die Autoren genauer ausführen, wie ein komplexes Multi-Stakeholder- Management gelehrt werden kann und so Teil der Projektmanagementausbildung wird.  Schlagwörter Anspruchsgruppen, Bau, BER, Erfolg, Großprojekte, Stakeholder Kompetenzelemente der ICB 4.0 2.07 Konflikte und Krisen; 3.12 Stakeholder Autoren Prof. Dr. Timo Braun ist Inhaber der Juniorprofessur für Projektmanagement an der Freien Universität Berlin und hat für seine Forschung den Global Research Award 2018 der IPMA gewonnen. Im Sinne eines erfolgreichen Wissenstransfers in die Praxis ist er zudem als freiberuflicher Berater und Trainer für namhafte Kunden tätig. Anschrift: Timo.Braun@fu-berlin.de Dr. Stephan Bohn ist Post-Doc am Management Department der Freien Universität Berlin und assoziierter Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Neben dem Interesse an Projektmanagement beschäftigt er sich mit der Implementierung von Nachhaltigkeitskonzepten z. B. im Rahmen von Energiewende und Elektromobilität. Anschrift: Stephan.Bohn@fu-berlin.de Lisa-Marie Gaschler hat als Studentin der Freien Universität Berlin am Projektmanagementkurs teilgenommen und diesen als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Als frische Bachelor-Absolventin mit den Schwerpunkten Marketing und Management wird sie nun in die berufliche Praxis eintauchen. Anschrift: Lisa-Marie.Gaschler@assure.de