eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 29/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
1201
2018
295 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Et hätt noch emmer joot jejange

1201
2018
Martin-Niels Däfler
• Viele Menschen blicken sorgenvoll in die Zukunft – sie befürchten, dass Roboter und Algorithmen Arbeitsplätze gefährden. • Allerdings sprechen einige Argumente gegen solche Befürchtungen. • Ob die Digitalisierung überwiegend positive oder negative Folgen haben wird, lässt sich derzeit nicht seriös beurteilen. • Fest steht hingegen, dass in Zeiten mit einem hohen Veränderungstempo Flexibilität zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird. • Damit Unternehmen flexibel werden, müssen zunächst die darin tätigen Menschen offen für Veränderungen werden. • Die vordringliche Aufgabe in der digitalen Transformation besteht daher darin, die Resilienz der Mitarbeiter zu stärken, denn: Nur wer sich seiner Stärken bewusst ist, besitzt innere Stabilität und damit das Selbstvertrauen, um Veränderungen gelassen entgegenzusehen.
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40 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 In der digitalen Transformation wird Flexibilität zum wichtigsten betrieblichen und persönlichen Erfolgsfaktor. Denn: Je unvorhersehbarer die Zukunft wird, desto bedeutsamer ist es, sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer, souverän mit Veränderungen umzugehen und neugierig Chancen zu suchen, statt Verlorenes zu beklagen. Dies gilt insbesondere für Projektverantwortliche, da diese eine Vorbildfunktion ausüben. 1 Digitalisierung ist längst Realität Zalando kündigt 250 Mitarbeitern in Berlin und ersetzt sie durch Algorithmen [1]. Adidas lässt in seiner fränkischen „Speedfactory“ Roboter Schuhe zusammensetzen. Im Bürgerbüro der Stadt Ludwigsburg führt der Roboter „L2B2“ Besucher zum zuständigen Amt. Mercedes zieht gerade in Sindelfingen seine „Factory 56“ hoch, in der einmal Roboter selbstfahrende Autos montieren sollen. Außerdem gilt die letzte große Herausforderung der Menschheit als bestanden: Einem Roboter ist es erstmals gelungen, ein schwedisches Kleinmöbel fehlerfrei zusammenzubauen [2]. Ja, es tut sich gerade einiges da draußen. Und das beunruhigt viele Menschen. Viele denken wie Karl Valentin: „Früher war die Zukunft auch besser.“ Und das tun sie nicht zu Unrecht, denn Algorithmen, künstliche Intelligenz, Robotik und Genetik verändern unsere Gesellschaft, klassische Geschäftsmodelle sowie Berufsbilder in einer nie dagewesenen Form und Geschwindigkeit. Zahlreiche Studien unterschiedlichster Provenienz überbieten sich mit Schreckensszenarien. So geht der IT-Verband Bitkom davon aus, dass die Digitalisierung allein in Deutschland bis zum Jahr 2022 3,4 Millionen Jobs vernichten wird [3]. Das McKinsey Global Institute schätzt sogar, dass weltweit bis zum Jahr 2030 bis zu 800 Millionen Menschen ihren Job infolge der Digitalisierung verlieren könnten [4]. Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, warnt in einem Interview: „In absehbarer Zeit - viel schneller, als die meisten sich das vorstellen - wird das Gros der Routinearbeit von Maschinen übernommen werden. Da die meisten Menschen heute Routinetätigkeiten erledigen, stehen wir also vor einem Problem.“ [5] Kein Wunder ist es daher, wenn sich zahlreiche Menschen um ihre berufliche und damit auch um ihre private Zukunft sorgen. Tatsächlich müssen wir davon ausgehen, dass sich vieles von dem ändern wird, was uns heute noch gewohnt ist. Die Digitalisierung ist eben kein Schnupfen - die geht nicht einfach weg. Doch deshalb müssen wir nicht in eine pessimistische Schockstarre fallen, denn viele Argumente sprechen dafür, dass die Folgen der Digitalisierung für den Einzelnen und für Unternehmen gar nicht so dramatisch sein werden, wie es uns so manche Auguren einreden wollen. Im Folgenden daher eine Sammlung beruhigender Nachrichten. 2 Beruhigende Nachrichten Erstens: Der Mensch ist seit jeher besonders empfänglich für Gefahrensignale. Es war früher nämlich ein Überlebensvorteil, das Knacken im Gebüsch als die Bewegung eines hungrigen Säbelzahntigers zu deuten. Wer es nicht tat, ist aus dem Genpool ausgeschieden. „Negativitätsdominanz“ nennen das Psychologen. Besonders in undurchsichtigen Situationen sucht das Gehirn verstärkt nach Hinweisen für Gefahren. Aber die Realität sieht oft anders aus und ist nicht ganz so bedrohlich, wie sie wahrgenommen wird. Zweitens: Menschen sind sehr schlecht darin, Wahrscheinlichkeiten zu schätzen, insbesondere wenn es um nebulöse Sachverhalte (und darum handelt es sich ja bei der Zukunft) geht. In solchen Situationen neigen wir dazu, das für wahrscheinlicher zu halten, was wir uns besser ausmalen können. Da wir uns - durch viele Science- Was wir in der Digitalisierung wirklich brauchen Et hätt noch emmer joot jejange Autor: Martin-Niels Däfler >> Für eilige Leser • Viele Menschen blicken sorgenvoll in die Zukunft - sie befürchten, dass Roboter und Algorithmen Arbeitsplätze gefährden. • Allerdings sprechen einige Argumente gegen solche Befürchtungen. • Ob die Digitalisierung überwiegend positive oder negative Folgen haben wird, lässt sich derzeit nicht seriös beurteilen. • Fest steht hingegen, dass in Zeiten mit einem hohen Veränderungstempo Flexibilität zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird. • Damit Unternehmen flexibel werden, müssen zunächst die darin tätigen Menschen offen für Veränderungen werden. • Die vordringliche Aufgabe in der digitalen Transformation besteht daher darin, die Resilienz der Mitarbeiter zu stärken, denn: Nur wer sich seiner Stärken bewusst ist, besitzt innere Stabilität und damit das Selbstvertrauen, um Veränderungen gelassen entgegenzusehen. WISSEN 41 projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 Fiction-Romane und -Filme inspiriert - einfacher vorstellen können, wie eine völlig roboterisierte Welt aussehen könnte, meinen wir, dies würde auch so eintreffen. Drittens: Die meisten Medien informieren einseitig negativ - auf diese Weise entsteht ein verzerrtes Bild. Im Englischen heißt es so treffend: „Only if it bleeds, it leads.“ Journalisten bedienen mit Negativmeldungen unsere Sensationsgier und Vanitas-Sehnsucht. Oder wann haben wir das letzte Mal auf der Titelseite gelesen: „Heute kein Stau auf der A 3? “ Viertens: In den wirklich existenziellen Fragen des Daseins haben wir heute mehr Sicherheit denn je. Egal, ob Gesundheit, Bildung oder Hunger - weltweit gab es in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte. So hat sich die mittlere Lebenserwartung in Deutschland zwischen 1900 und 2000 von 40 Jahren auf 80 Jahre verdoppelt und nach Angaben der Weltbank allein von 1960 bis zum Jahr 2016 um mehr als 11 Jahre erhöht [6]. Weitere (wissenschaftlich fundierte) Fakten zu den positiven Entwicklungen lassen sich hier nachlesen: www.ourworldindata.org Fünftens: Gerade Experten täuschen sich häufig in ihren Vorhersagen - sogar so häufig, dass es dafür einen eigenen Fachbegriff gibt: „Prognose-Illusion“. Davor sind weder Einzelpersonen noch Gruppen gefeit. Legendär der Ausspruch von Bill Gates 1993: „Das Internet ist nur ein Hype.“ Das Wall Street Journal untersuchte, wie gut Investmentbanker mit ihren Entscheidungen gegenüber Laien abschneiden, welche willkürlich Aktien mit Dartpfeilen aus dem Kursteil ausgewählt hatten. Die Dartwerfer erzielten eine Rendite von 6,5 Prozent, während die Banker ein Minus von 3,5 Prozent erreichten [7]. Vielleicht liegen auch die „Experten“, die heute Horrorszenarien verkünden, falsch? Sechstens: Die meisten Beratungsunternehmen haben ein (nachvollziehbares) Interesse daran, die Zukunft in düsteren Farben zu malen - damit die Klientel bereitwillig die Schatulle öffnet, um Zukunftsprojekte zu initiieren. Siebtens: Wir haben schon ähnliche Situationen gemeistert. Zu Beginn der industriellen Revolution um das Jahr 1800 waren ca. 90 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Niemand konnte sich auch nur annähernd vorstellen, wo all die Menschen künftig arbeiten sollen - man hatte keinerlei Idee von den Berufen, die entstehen würden. Zwar gab es Anpassungsschwierigkeiten (Stichwort „Weberaufstand“), doch letztlich blieb die befürchtete Massenarbeitslosigkeit aus. Ebenso wie wir vor zehn Jahren noch nicht ahnen konnten, dass man einmal sein Geld als Instagram-Influencer verdienen kann, so haben wir heute auch noch keine Vorstellung von künftigen Berufsbildern. Achtens: Wir unterschätzen die Produktivitäts- und Multiplikator-Effekte. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt in einer Studie auf, dass Modernisierungen in der Produktion in fünf Jahren fünf Prozent der Beschäftigten ersetzt haben. Dennoch fällt die Jobbilanz der Digitalisierung positiv aus, weil Investitionen zugleich weitere Prozesse in Gang gesetzt haben. Hightech macht Unternehmen wettbewerbsfähiger, sodass sie zu günstigeren Preisen größere Mengen produzieren können und folglich mehr Personal anstellen. Hinzu kommt der „Multiplikator-Effekt“: Produktivere Firmen generieren neues Einkommen in Form von Löhnen, Gewinnen und Kapitaleinkommen. Den Mitarbeitern und Anteilseignern der Firmen steht mehr Geld zur Verfügung, das sie ausgeben können. So werden Jobs an anderen Stellen geschaffen [8]. Neuntens: Wir gehen von der (fälschlichen) Annahme einer begrenzten Arbeitsmenge aus. Diese ist jedoch kein Kuchen, der irgendwann vertilgt ist. Da den menschlichen Leidenschaften und Wünschen keine Grenzen gesetzt sind, wird uns auch die Arbeit nicht ausgehen. Internet of Things (IoT) Agility Bitcoin Co-Working Smart City Künstliche Intelligenz Robotik Algorithmen Industrie 4.0 Work-Life-Balance Gig-Economy Blockchain VUCA GAFA Big Data Crowd Working Platform Economics Abb. 1: Das Karussell dreht sich immer schneller; Foto: gemeinfrei, Pixabay 42 WISSEN projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2018 3 Weitermachen wie bisher? Also? Alles halb so schlimm? Sollten wir dem Artikel 3 des „Rheinischen Grundgesetzes“ einfach mehr Glauben schenken: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ („Es ist bisher noch immer gut gegangen.“)? Nun, zumindest zeigen die neun genannten Argumente, dass die Digitalisierung vermutlich nicht die dramatischen Konsequenzen haben wird, die viele befürchten. Dennoch bleibt ein großes Fragezeichen: In welche Richtung und in welchem Ausmaß wird sich unsere (Arbeits-)Welt ändern? Wir können gegenwärtig nicht sagen, welches Szenario zutreffen wird, ob sich alles zum Guten wendet oder ob uns durch die Digitalisierung eine düstere Zukunft droht. Wer heute ernsthaft behauptet, die Zukunft vorhersehen zu können, macht sich und anderen etwas vor. Der österreichische Wirtschafts-Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek wusste schon vor Langem: „Die eigentliche Aufgabe der Ökonomie besteht darin, dem Menschen vor Augen zu führen, wie wenig er über das weiß, was er meint, planen zu können.“ [9] Das Problem ist also nicht, dass uns die Arbeit ausgehen wird, sondern dass die Jobs von morgen entweder ganz andere sein werden als heute oder völlig neue Fähigkeiten erfordern. So konstatiert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: „Die Digitalisierung wird bis zum Jahr 2035 nur geringe Auswirkungen auf das Gesamtniveau der Beschäftigung haben, aber große Umbrüche bei den Arbeitsplätzen mit sich bringen.“ [10] So ist das Einzige, was sich mit Sicherheit behaupten lässt: Erfolgreich in diesen Zeiten ist, wer es versteht, flexibel zu sein und sich anzupassen. Das wissen wir schon seit Darwin. Wir müssen also nicht die Digitalisierung fürchten, sondern unsere mangelnde Anpassungsfähigkeit. Damit Organisationen flexibel werden, müssen vor allem die darin tätigen Menschen flexibel und anpassungsfähig sein. Mit anderen Worten: Organisatorische Flexibilität setzt individuelle Flexibilität voraus. Die zentrale Botschaft lautet daher: Erst müssen wir als Mensch flexibel werden, dann werden es auch die Unternehmen und Behörden, in denen wir arbeiten. 4 Flexibilität setzt innere Stabilität voraus Wenn wir als Mensch flexibel werden wollen, dann müssen wir vor allem unsere innere Stabilität stärken. Innere Stabilität weist auf, wer über ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen verfügt. Selbstvertrauen wiederum besitzt, wer sich seiner Stärken bewusst ist. Das ist wie bei Bambus: Bambus ist einerseits sehr flexibel (denn er knickt bei einem Sturm nicht um), andererseits sehr stabil, weil jeder Stängel aus einem netzartigen Wurzelsystem herauswächst. Übertragen auf den Menschen heißt das: Wer weiß, über welche Vorteile und Ressourcen er verfügt, kann optimistisch in die Zukunft schauen und sich auf Neues einlassen. Verkürzt gesagt: Wer Selbstvertrauen hat, hat auch Zukunftsvertrauen. Unsere vordringlichste Aufgabe in der digitalen Transformation besteht deshalb darin, uns selbst und (in der Rolle als Führungskraft oder Projektverantwortlicher) unseren Mitarbeitern die eigenen Stärken vor Augen zu führen und sie auszubauen. Das geht natürlich nicht mal einfach so, sondern die seelische Widerstandskraft (Resilienz) muss man trainieren wie einen Muskel. Dafür gibt es eine Reihe wissenschaftlich fundierter und praxiserprobter Methoden sowie Programme. Auf den Punkt gebracht: Das Vernünftigste, was man jetzt tun kann, ist, Zeit und Aufmerksamkeit in den Aufbau von Resilienz zu investieren - der eigenen und der der Mitarbeiter.  Literatur [1] Ohne Verfasser: Zalando ersetzt Mitarbeiter durch Computer. www.zeit.de/ wirtschaft/ 2018- 03/ berlin-zalando-stellenabbau-algorithmenmarketing, Stand: 31.7.2018 [2] Suárez-Ruiz, F./ Zhou, X./ Pham, Q. C.: Can robots assemble an IKEA chair? In: Science Robotics, Heft 3/ 2018, 17. Jahrgang, eaat6385 [3] Löhr, J.: Digitalisierung zerstört 3,4 Millionen Stellen. 2018, www.faz.net/ aktuell/ wirt schaft/ diginomics/ digitalisierung-wird-jedenzehnten-die-arbeit-kosten-15428341.html, Stand: 31.7.2018 [4] Mankiya, J./ Lund, S./ Chui, M./ Bughin, J./ Woetzel, J./ Batra, P./ Sanghvi, S.: Jobs lost, jobs gained: What the future of work will mean for jobs, skills, and wages. In: McKinsey & Company, San Francisco et al. 2017. [5] Snower. D.: Roboter eignen sich nicht gut als Feindbilder, In: brand eins, Heft 3/ 2018, 20. Jahrgang, S. 90-93 [6] Weltbank: Life expectancy at birth. 2018, https: / / data.worldbank.org/ indicator/ SP.DYN. LE00.IN? end=2016&locations=DE&st art=1960, Stand: 31.7.2018 [7] Jasen, G.: In Stock Contest, Darts Beat Pros and Industrial Average. www.wsj.com/ articles/ SB881706466249353500, Stand: 31.7.2018 [8] Arntz, M./ Gregory, T./ Zierahn, U./ Lehmer, F./ Matthes, B.: Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Makroökonomische Auswirkungen auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Löhne von morgen. ZEW-Gutachten und Forschungsberichte, Mannheim 2017 [9] Zitiert nach: Klein, S.: Alles Zufall - Die Kraft, die unser Leben bestimmt. Rowohlt, Reinbek 2004 [10] Zika, G./ Helmrich, R./ Maier, T./ Weber, E./ Wolter, M.: Regionale Branchenstruktur spielt eine wichtige Rolle. IAB-Kurzbericht 9/ 2018, Nürnberg 2018 Schlagwörter Digitalisierung, Flexibilität, Gelassenheit, Kompetenzen, Veränderungsbereitschaft Kompetenzelemente der ICB 4.0 3.13 Change und Transformation Autor Prof. Dr. Martin-Niels Däfler (geb. 1969) lehrt seit 2010 als hauptamtlicher Professor an der FOM Hochschule in Frankfurt/ Main. Daneben ist er als Redner, Trainer und Berater tätig. Er ist Autor von 20 Büchern. Anschrift: Nicer Place GmbH, Landingstraße 18, 63739 Aschaffenburg, Tel. 0173/ 3 00 01 23, E-Mail: MN@Daefler.de, www.daefler.de, www.xing.to/ profdaefler, www.facebook.com/ profdaefler