PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2019
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Mit divergentem Denken die Projektkunden besser verstehen
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2019
Oliver Steeger
Frank Habermann
Kundenorientierung im Projekt? Na klar! Projektleiter und ihre Teams fühlen sich bestens gerüstet, die Wünsche des Kunden umzusetzen. Sie glauben, dass sie ihr Projekt auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zuschneiden und passende Lösungen erarbeiten. Indes, ein Experiment lässt an dieser Zuversicht zweifeln. Es zeigt: Die überwiegende Mehrheit der teilnehmenden Teams erarbeitet eben keine passende Lösung für den Kunden. Mehr noch: Die allermeisten Teams würden ihren Kunden mit ihrer Lösung sogar unglücklich machen. Auf dem zurückliegenden PM Forum der GPM ließ Prof. Frank Habermann (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) Experten aufhorchen. In seinem Vortrag berichtete er über sein Experiment „Ein zauberhaftes Kaffee-Erlebnis“ – und darüber, weshalb so viele Projektteams in puncto Kundenorientierung scheitern. Im Interview kommentiert Prof. Frank Habermann die Ergebnisse und zeigt, wie Projektteams ihre Kundenorientierung verbessern.
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Was das „zauberhafte Kaffee-Erlebnis“ über Kundenorientierung verrät Kundenorientierung im Projekt? Na klar! Projektleiter und ihre Teams fühlen sich bestens gerüstet, die Wünsche des Kunden umzusetzen. Sie glauben, dass sie ihr Projekt auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zuschneiden und passende Lösungen erarbeiten. Indes, ein Experiment lässt an dieser Zuversicht zweifeln. Es zeigt: Die überwiegende Mehrheit der teilnehmenden Teams erarbeitet eben keine passende Lösung für den Kunden. Mehr noch: Die allermeisten Teams würden ihren Kunden mit ihrer Lösung sogar unglücklich machen. Auf dem zurückliegenden PM Forum der GPM ließ Prof. Frank Habermann (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) Experten aufhorchen. In seinem Vortrag berichtete er über sein Experiment „Ein zauberhaftes Kaffee-Erlebnis“ - und darüber, weshalb so viele Projektteams in puncto Kundenorientierung scheitern. Im Interview kommentiert Prof. Frank Habermann die Ergebnisse und zeigt, wie Projektteams ihre Kundenorientierung verbessern. Viele Projektteams meinen, dass sie kundenorientiert arbeiten. Doch genau das Gegenteil scheint der Fall zu sein. In einem Experiment mit dem klangvollen Namen „Ein zauberhaftes Kaffee-Erlebnis“ haben Sie Erstaunliches ermittelt. Demnach haben 95 Prozent der an Ihrem Experiment beteiligten Teams ihren Kunden keine passende Lösung erarbeitet. Mehr noch, sie hätten mit ihrem Projektdesign den Kunden sogar höchst unglücklich gemacht. Was ist da vorgefallen? Prof. Frank Habermann: Wir haben festgestellt, dass die meisten Teams mit dem Kunden nur unzureichend kommunizieren - und dann auch noch wichtige Kundenanforderungen falsch gewichten. Ein Beispiel: Nur zehn Prozent der Projektteams haben überhaupt nach dem Zweck des Projekts gefragt. Und dann haben auch nur zwei Prozent durch intensiveres Nachfragen den wahren Zweck des Projekts herausgefunden. Doch den Zweck sollte man kennen, um den Kunden wirklich zufriedenzustellen. Dies galt auch für unser Experiment. In diesem Experiment geht es um kundenorientiertes Projektdesign. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer - rund 150 Teams bisher - sollen in einem Rollenspiel ein Projekt designen. Sie sollen mit dem Kunden sprechen sowie Informationen und Anforderungen zu diesem Projekt erfragen. Dann sollen sie das Projektdesign aufsetzen für dieses zauberhafte Kaffee-Erlebnis - also die Erwartungen und Ziele für dieses Vorhaben benennen. Projektmanager würden dies vermutlich die Auftragsklärung nennen. Genau, es handelt sich um ein Experiment zur Auftragsklärung. Wir machen es mit Projektmanagern, Führungskräften und allen, die Projekte durchführen. Stellen Sie sich vor, dass Sie an diesem Experiment teilnehmen. Sie stehen in einem Raum zusammen mit anderen Teilnehmenden. Ich trete als Veranstalter auf und nenne das Ziel des Workshops: Der Auftrag an Sie ist, das Projekt „Ein zauberhaftes Kaffee-Erlebnis“ zu beschreiben. Frank Habermann Prof. Dr. Frank Habermann ist Autor, Keynote Speaker und Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Gemeinsam mit Karen Schmidt gründete Frank Habermann die internationale Projektgemeinschaft „Over the Fence“. Nach seiner Promotion am Institut für Wirtschaftsinformatik im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz war er Gastprofessor an der Michael Smurfit Business School in Dublin/ Irland sowie Mitglied der Geschäftsleitung der IMC AG. Als Berater und Manager war Frank Habermann für mehr als 50 Projekte in über 20 Ländern verantwortlich. Sein jüngstes Buch „Over the Fence - Projekte neu entdecken“ ruft dazu auf, Projekte in einer völlig neuartigen Weise zu starten; es begründet eine dem Menschen zugewandte Form des Projektdesigns. Foto: privat Mit divergentem Denken die Projektkunden besser verstehen Autor: Oliver Steeger REPORT 03 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 Was habe ich zu tun? Sie sind gebeten, mit anderen Teilnehmenden ein Projektteam zu bilden und dann das Projektdesign zu erstellen. Es gibt jetzt eine gute Nachricht für Sie. Ich sage, dass eine Person sehr viel über das Projekt weiß. Die schlechte Nachricht ist: Sie müssen sehr gezielt die richtigen Fragen stellen, damit diese Person ihr Wissen teilt. ROLLENSPIEL MIT AUFTRAGGEBER PAUL Wie geht es weiter? Der Auftraggeber ist Paul. Ich schlüpfe dann in die Rolle von Paul. Paul sagt, dass er seinem Vater zu seinem 100. Geburtstag ein besonderes Geschenk machen will. Er will ihn mit einem zauberhaften Kaffee-Erlebnis überraschen. Die Aufgabe besteht also darin, eine Geburtstagsüberraschung zu planen? Genau! Anschließend können Sie mit Ihrem Team Weiteres erfragen. Paul erzählt, dass sein Vater vor langer Zeit Entwicklungshelfer im Libanon gewesen ist. Nach seiner aktiven Zeit hat er vor Jahren in Beirut durch Zufall seine beiden besten Freunde aus dieser Zeit wiedergetroffen, Sam und Markus. Die drei sind damals spontan in ein Café gegangen und haben einen unvergesslichen Nachmittag erlebt. Paul möchte jetzt diesen zauberhaften Nachmittag für seinen Vater wiederholen - und zwar als Geschenk zum Geburtstag. Er will seinen Vater mit den beiden alten Freunden zusammenbringen. Der Vater soll die Freunde wie zufällig treffen, zum Kaffeetrinken, genauso wie damals. Es soll für ihn eine große Überraschung werden. Und weiter? In unseren Workshops müssen die Teams die Informationen zu diesem Projekt erfragen. Und dabei hören sie auch viele widersprüchliche Informationen, sogar einige falsche Annahmen. Also wie bei einer echten Auftragsklärung im normalen Projektalltag? Das ist alles sehr realistisch. Wir haben für alle exakt die gleichen Informationen. Das ist alles standardisiert. Und doch, am Ende des Experiments haben wir völlig unterschiedliche Projektdesigns. Wir haben das Projekt mit 150 Teams durchgeführt ... ... und hatten damit 150 verschiedene Designs? Die Designs wichen teilweise diametral voneinander ab. Die Unterschiede waren mitunter dramatisch groß. Offenbar gibt es das eine Projekt nicht, sondern nur höchst unterschiedliche Interpretationen von identischen Informationen. Eingangs sagten Sie, dass die allermeisten Teams ihren Auftraggeber sogar unglücklich gemacht hätten. Was war ihr Fehler? Paul hat die Idee, das zauberhafte Kaffee-Erlebnis in einem Hotel stattfinden zu lassen. Doch der Vater hasst Hotels! Paul weiß das nicht. Seine Idee basiert also auf einer falschen Annahme. Wenn Teams diese Annahme von Paul nicht überprüfen und absichern, dann machen sie den Vater mit dem Geschenk sehr unglücklich - und den Sohn Paul übrigens auch. TEAMS MACHEN AUFTRAG- GEBER UNGLÜCKLICH Paul auch? Wie gesagt, nur zwei Prozent der Teams haben durch tiefergehende Fragen den eigentlichen Zweck des Projekts in Erfahrung gebracht. Der wahre Zweck ist: Paul hat über viele Jahre keine Verbindung mehr zu seinem Vater. Die beiden sind zerstritten. Jetzt macht der Sohn sich Sorgen. Er will mit dem Geschenk das Verhältnis zu seinem Vater wieder verbessern. Es kann doch nicht sein, dass nur zwei Prozent dies in Erfahrung gebracht haben! Paul sagt, er wolle seinem Vater eine Überraschung zum Geburtstag machen. Das sei der Viele Projektteams meinen, ihren Kunden verstanden zu haben. Das Experiment aber zeigt: 95 Prozent der teilnehmenden Projektteams tappten mehr oder minder im Dunkeln. Gafik: zenzen - Adobe Stock projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 04 REPORT Zweck. Wenn sie überhaupt danach fragen, geben sich die allermeisten mit dieser Auskunft zufrieden. Paul gibt diesen wahren Zweck seines Projekts nur zögerlich bekannt, meistens nur nach mehrmaligem Nachfragen. Würde sich das Projekt verändern, wenn der wahre Zweck bekannt wäre? Mit Sicherheit! Das Team wüsste, wie gefährlich es für Paul wäre, seinen Vater, den Empfänger des Projekts, zu enttäuschen. Es wäre für das Projektteam ein Leichtes, beispielsweise Paul davon zu überzeugen, das Kaffee-Erlebnis nicht in einem Hotel stattfinden zu lassen. Anderenfalls würde das Projekt - im strengen Sinne - scheitern. VERBORGENE INFORMATIONEN AUFDECKEN Langsam! Ich nehme jetzt die Teams in Schutz. Die Informationen sind verborgen. Und sie sind widersprüchlich, wie Sie eben sagten. Es ist Sache des Auftraggebers, Klartext zu reden. Die Informationen sind in der Tat widersprüchlich. Paul sagt beispielsweise, dass einer der beiden Freunde, Markus, vermutlich in Paris lebt. Mehrmals betont er, dass er dies aber nicht genau weiß. Und tatsächlich deuten einige Details darauf hin, dass die Information tatsächlich nicht stimmt. Markus hat beispielsweise eine Telefonnummer mit amerikanischer Vorwahl. Die Teams könnten also durchaus Markus’ wahren Wohnort erkennen. Doch die meisten tun es nicht. Die erste Annahme hält sich unglaublich zäh, auch wenn sie falsch ist. In vielen Projektdesigns war Markus’ Wohnort falsch angegeben. Nochmals, ist es nicht Sache des Auftraggebers, Klartext zu reden? Paul hat mehrere falsche Annahmen: das Hotel, der Wohnort von Markus. Es wäre seine Pflicht als Auftraggeber, präzise zu antworten und seine Informationen zu verifizieren. Sollte so etwas wirklich die Aufgabe eines Projektmanagers sein? Gute Frage! Muss ein Projektmanager beispielsweise den Zweck seines Projekts hinterfragen? Steht er in der Schuld, wenn der Kunde den Zweck des Projekts nicht richtig angibt oder der Zweck eines Projekts unsinnig ist? Und? Ich weiß es nicht. Diese Frage muss jeder Projektmanager für sich selbst beantworten. Letztlich geht es darum, ob sich der Projektmanager als eine Art Unternehmer versteht - oder als ein Erfüllungsgehilfe für einen bestimmten Auftrag. Kundenorientierung könnte bedeuten, dass man den Kunden mit dem Projekt zufriedenstellt ... ... und versteht ein Projektmanager seine Arbeit in diesem Sinne, so wird er sich mehr als Unternehmer sehen. Er wird intensive Fragen stellen, um sich ein klares Bild von dem zu machen, was sein Kunde erwartet und mit welcher Lösung ihm am sinnvollsten geholfen ist. Denn nicht jeder Kunde weiß, was für ihn das Beste ist. Wie im Fall von Paul. Paul glaubt zu wissen, was ihm helfen würde. Doch glauben heißt nicht wissen. „DIE TEAMS SIND KONSTERNIERT“ Wie reagieren die Teams im Experiment, wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert werden? Damit, dass ihr Projektdesign den Kunden unglücklich machen und das Vorhaben im Grunde scheitern lassen würde? Die Teams sind konsterniert. Sie gestehen ein, dass sie etwas falsch gemacht haben. Sie geben zu, dass sie aufs Glatteis geführt worden sind, das Projekt für zu einfach gehalten und völlig unterschätzt haben. Dem entgegnen wir: Die Leistung war gut - gemessen an dem, was andere Teams leisten. Wir alle denken und arbeiten so, wie diese Teams gedacht und gearbeitet haben. Wir Menschen ticken eben so. Bei den Kundenerwartungen ins Schwarze treffen - dies wollen viele Projektteams. Doch das Experiment legt nahe, dass nur die allerwenigsten Teams beispielsweise den Zweck eines Projekts erfragen. Grafik: zenzen - Adobe Stock REPORT 05 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 Gestandene Projektmanager haben im Experiment auch nicht besser abgeschnitten als andere Teamleiter. Sie sind effizienter vorgegangen. Aber die Ergebnisse waren nicht besser als die der anderen. Auch sie machen die Kunden unglücklich. Nun sagen Sie, dass diese Fehler und die dahinterliegenden Mechanismen quasi im menschlichen Denken eingebaut sind … Ja. Wir folgen automatisch bestimmten Mustern des Denkens und Kommunizierens. Diese Muster sind vielfach hilfreich - doch bei der Auftragsklärung sind sie hinderlich. Wir wollen mit unserem Experiment diese Mechanismen unseres Denkens erkennen und für sie sensibilisieren. Es gibt also eine Chance, diesen Mechanismen zu entkommen? Ja, die gibt es. Die Chancen stehen sogar gut. Projektverantwortliche können ihre Arbeitsweise sehr gut verändern. Da gibt es gute Methoden und Ansätze. Mich wundert, dass ausgerechnet Projektmanager nicht besser abschneiden. Sie sind die Profis für die Auftragsklärung, eine Aufgabe, die in jedem PM-Training auf dem Schulplan stehen dürfte. Haben Sie eine Erklärung dafür? Meiner Meinung nach haben Projektmanager ein sehr festes Bild vom Kunden ihres Projekts, ein Bild, das durch die Profession des Projektmanagements geprägt ist, also maßgeblich durch die Begriffswelt und die Vorstellungswelt des Projektmanagements. Aus meiner Sicht ist dieses Bild vom Kunden der Ausgangspunkt für die Schwierigkeiten. DREI KUNDENROLLEN Inwiefern der Ausgangspunkt? Es wird nicht klar getrennt zwischen der Person des Kunden und den verschiedenen Kundenrollen. Ich plädiere dafür, dass wir zwischen drei Kundenrollen unterscheiden lernen: erstens, der Sponsor, der ausschließlich das Geld für das Projekt gibt und eine finanzielle Rendite des Projekts erwartet. Zweitens, der Empfänger des Projekts, also derjenige, der später das Projektergebnis erhält und es nutzt. Sponsor, Empfänger - was ist die dritte Rolle? Das ist der Eigentümer des Projekts; also derjenige, der den wahren Zweck des Projekts kennt, das Projekt aktiv anstößt und es stoppen kann. Die Rolle des Eigentümers ist besonders wichtig. Ich halte den Begriff „Eigentümer“ für viel hilfreicher als den des „Auftraggebers“. Einen Auftrag geben kann schließlich jeder. Eigentum aber verpflichtet! Ein Eigentümer muss sich zu seinem Projekt bekennen und seine Pflicht zur Mitwirkung anerkennen. Das klingt sehr formal … Ich sehe diesen Punkt durchaus formal. Ich war neulich bei einem Unternehmen, um eine Bestandsaufnahme aller Projekte durchzuführen. Ein Viertel aller Projekte hatte keinen Eigentümer. Doch ohne Eigentümer kein Projekt! Denn wenn niemand Eigentum anmeldet, scheint es ja auch nicht so wichtig zu sein. Diese Projekte könnte man eigentlich sofort beenden. Das heißt, allein der Eigentümer hat das Motiv und kennt den Beweggrund für ein Projekt? Ja, ganz genau! Und wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl der Eigentümer als auch Empfänger und Sponsor reale Menschen aus Fleisch und Blut sind. Wenn mir jemand beispielsweise sagt, der Eigentümer seines Projekts sei der Vorstand - dann frage ich sofort nach: Welcher Vorstand? Wie heißt er oder sie? Wir brauchen eine Person in der Rolle, keine Abteilung, Instanz oder Institution. Man macht also kein Projekt für „den“ Vertrieb oder „den“ Vor- Der erste Schritt zur Auftragsklärung: Wer ist überhaupt der Eigentümer des Projekts? Und wer der Sponsor und Empfänger? Grafik: zenzen - Adobe Stock projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 06 REPORT stand. Kundenbezogenes Projektdesign heißt immer, dass mit echten Menschen in allen drei Rollen gesprochen wird. SPONSOR, EIGENTÜMER UND EMPFÄNGER DES PROJEKTS Manchmal ist ein und dieselbe Person Sponsor und Eigentümer eines Projekts! Das mag sein. Zum einen können verschiedene Personen eine jeweilige Rolle innehaben. Dann haben mehrere Personen beispielsweise die Rolle des Eigentümers. Zum anderen hat, wie Sie sagen, manchmal eine Person zwei oder auch alle drei Rollen inne. Spielen wir dies doch mal an einem Beispiel durch. An einem ziemlich durchschnittlichen IT-Projekt. Fangen wir mit den Empfängern an. Bei IT-Projekten hat man häufig drei Arten von Empfängern. Erstens die Personen, die das System hosten und administrieren; sie „empfangen“ ja im Rechenzentrum das neue System. Zweitens die Anwender auf der Fachseite, beispielsweise diejenigen, die Fachinhalte in das System einbringen. Und dann natürlich die Nutzer, die mit diesen Inhalten arbeiten. Was den Eigentümer betrifft: Der Eigentümer ist meistens jemand von der IT-Abteilung, zudem häufig noch eine Person von dem jeweiligen Fachbereich, in dem die Software genutzt wird. Und zuletzt der Sponsor, häufig der Vorstand oder wiederum die Fach- oder IT-Abteilung. Klingt kompliziert! Dies scheint mir eine noch eher übersichtliche Konstellation zu sein. Es kommt auch vor, dass sich die drei Rollen auf insgesamt zwanzig oder mehr Personen verteilen. Wie auch immer - sich über diese Konstellationen klar zu werden, ist eine Vorbedingung für kundenorientiertes Projektdesign. Nochmals zu Ihrem Experiment, dem zauberhaften Kaffee-Erlebnis. Paul ist der Eigentümer des Projekts, der Vater ist der Empfänger … … und Pauls Schwester ist die Sponsorin, da sie das Geld hat. In diesem Experiment können Sie sehr gut erkennen, was geschieht, wenn man den Eigentümer für den alleinigen Kunden hält - und die anderen Rollen nicht beachtet. Was soll ich da genau erkennen? Einige Teams haben nur mit Paul gesprochen. Und? Hätten sie auch mit dem Empfänger - dem Vater - gesprochen, hätten sie schnell erkannt, dass Pauls Lösung nicht funktioniert. Denn der Vater hasst ja Hotels. Mit dem Vater sprechen? Das Kaffee-Erlebnis soll doch eine Überraschung sein? ! ? Man kann ihm solche Informationen entlocken, ohne dabei das Geheimnis zu verraten und die Überraschung zu verderben. Doch andererseits: Sprechen Teams dagegen allein mit dem Empfänger, dem Vater, dann verpassen sie die Information, dass der Eigentümer Paul das Projekt als Überraschung plant. Dann erfährt der Vater zu früh von dem Plan … DIE GEFAHR DES „RUNDEN BILDS“ Im Ernst, dies alles zu erfragen, braucht viel Zeit … Es braucht Zeit, natürlich. Aber die Teams hatten genug Zeit. Über 90 Prozent nutzten sogar die Zeit, die sie zum Fragen hatten, nicht ganz. Sie ließen Zeitbudgets ungenutzt. Hinterher haben mir Teilnehmer gesagt: Von einem gewissen Punkt an hatten sie ein rundes Bild von dem Projekt gewonnen. Sie wollten nicht mehr wissen. Sie waren sich sicher, dass sie den Auftrag verstanden haben. Andere Teilnehmer haben auch eingeräumt, dass sie nicht weitergefragt haben aus Angst vor Informationen, die ihr Projekt schwierig machen können. Selbst auf der Hand liegende Fragen wurden nicht gestellt - aus Furcht davor, dass diese das Bild stören würden, das die Teams bereits von ihrem Projekt gewonnen hatten. Zum Beispiel? Ein 100. Geburtstag! Da liegt es doch nahe, dass für diesen Tag schon etwas geplant ist oder der Vater etwas vorhat. Solch eine bereits geplante Veranstaltung hätte dann einen Konflikt ergeben oder Koordination erforderlich gemacht. Beispielsweise hat sich der Bürgermeister zur Gratulation angesagt. So etwas wäre ein Showstopper. Liegt doch nahe, oder? Doch nur 20 Prozent der Teams haben erfragt, ob für diesen Tag bereits etwas geplant ist. Habe ich die anderen anschließend auf diesen Punkt angesprochen, war ihnen sofort das Versäumnis klar. Haben Sie ein weiteres Beispiel für diesen problematischen Umgang mit Informationen? Manche Teams haben bei ihrer Diskussion einige Informationen verdrängt, obwohl diese ihnen bekannt waren. Einige wussten, dass der Vater nicht ins Hotel wollte - und sie haben ihn trotzdem ins Hotel geschickt. Oder: Teams haben sich auf exotisch klingende Informationen gestürzt und diese überbewertet. Sie haben herausbekommen, dass der Vater eine Kaffeebohne mit dem Namen „Panama Esmeralda Special“ bevorzugt. Jedes Team, das davon wusste, hat dieses Detail in seinem Projektdesign markant berücksichtigt. Aber bei diesem Projekt geht es in erster Linie nicht um die Wahl der Kaffeebohne, sondern um das Wiedersehen mit alten Freunden. Das heißt, bestimmte Informationen drängen sich in den Vordergrund, allein weil sie bestimmte Assoziationen auslösen? Ja, so scheint es. DENKMUSTER IN ORGANISATIONEN Denkmuster sind stark von Organisationen und ihrer Kultur geprägt, dies ist bekannt. Was haben Sie denn in Ihrem Experiment dazu festgestellt? Wir haben beispielsweise untersucht, wie lange die Teams brauchen, bis sie die erste Frage stellen. Mitarbeiter aus großen Organisationen ziehen sich mit ihrem Team zunächst zurück, stimmen sich ab und stellen danach die Fragen. Sie haben das Bedürfnis, die Gruppenmitglieder zunächst kennenzulernen, sich über die Vorgehensweise auszutauschen, über die erste Fragerunde zu entscheiden und Mitglieder zu entsenden. Das dauert ein paar Minuten. Anders Teilnehmende aus eher kleinen Organisationen: Manche verzichten völlig auf eine Abstimmung und gehen direkt in die erste Fragerunde. Da spielt vermutlich die Mentalität eine Rolle, die mit der Organisationsgröße zusammenhängt. Das heißt, allein schon die Größe der Organisation beeinflusst die Vorgehensweise? REPORT 07 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 Dafür spricht einiges. Teilnehmende aus großen Organisationen verbringen deutlich mehr Zeit damit, mit dem Eigentümer des Projekts zu sprechen, also mit Paul. Den Empfänger, den Vater, lassen sie mehr oder minder unbeachtet. Mitglieder aus kleinen Organisationen widmen sich besonders dem Vater; dieses Verhalten ist besonders bei Teilnehmenden aus Non-for-Profit- Organisationen zu beobachten. Sie lassen dann dabei den Eigentümer links liegen. Beides führt aber nicht zum Erfolg. Wir müssen mit allen Kundengruppen reden. Sprechen wir doch bitte nochmals über die Auftragsklärung in Ihrem Experiment. Aufgabe für die Teams war ja, Informationen zu erfragen und auszuwerten. Wie gründlich sind die Teams dabei vorgegangen? Die Gruppen hätten bei diesem Experiment 40 Informationen zum Projekt erfragen können. Das beste Team hatte 37 Informationen ermittelt; der Durchschnitt lag irgendwo knapp unter 30, also rund drei Viertel der Informationen. Es geht aber nicht nur um die Menge von Informationen, die man hat. Wichtig ist die richtige Reaktion darauf. Wie gehe ich mit dieser Information um? Wie verstehe ich sie und werte sie richtig aus? Zum Beispiel? Erinnern Sie sich an den Wohnort von Markus, dem Freund des Vaters? Paris, glaube ich. Nein, es war New York. Darüber haben wir ja vorhin gesprochen. Paul, der Sohn, sagt dem Team, er vermute, dass Markus in Paris wohne; er sei sich nicht sicher. Und später gibt es viele Hinweise, dass Markus in New York lebt. Auch vom Vater bekommt man diese Information. „ERSTE INFORMATION“ HÄLT SICH HARTNÄCKIG Entschuldigung, ich habe das falsch im Kopf gehabt. Dies passiert vielen Teams. Die erste Information, die man erhält, setzt sich bemerkenswert stark fest. Trotz späterer Korrekturen ist die erste Information sehr zählebig. Also New York. Der Freund Markus sagt, er könne sich einen Flug nicht leisten. Das ist eine kleine Kette von bedeutsamen Informationen. Wir haben festgestellt, dass viele Teams diese Informationen völlig falsch auswerten. Sie halten in ihrem Projektdesign fest, dass Markus in Paris lebt und sich die Zugfahrt nicht leisten kann. Manche ignorieren sogar völlig, dass Markus das Geld für die Reise nicht hat. Die Teams hätten sich nur an Pauls Schwester wenden müssen, die Geld hat und als Sponsorin des Projekts auftritt. Doch genau dies - mehr Budget beantragen - tun die allerwenigsten Teams. Was für mich spannend ist: Dieser Fehler unterläuft nicht einer einzelnen Person, sondern einem ganzen Team mit sechs bis zehn Personen. Welcher psychologische oder gruppendynamische Mechanismus steht hinter diesen Fehlern? Ich bin kein Psychologe. Ich möchte darüber nicht spekulieren. Im Vorfeld des Experiments haben wir uns intensiv mit Daniel Kahnemans Theorie über das schnelle und langsame Denken auseinandergesetzt. Dieser Nobelpreisträger hat gesagt, dass intuitives oder routiniertes Denken eine Art „schnelles Denken“ ist. Es führt schnell zu Ergebnissen, ist aber sehr fehleranfällig. Schnelles Denken führt beispielsweise dazu, dass Teams sich intuitiv und schnell ein Bild von dem Projekt machen - mit allen Fehlern, die wir eben besprochen haben. Es ist für uns sehr schwierig, gegen dieses schnelle Denken anzukämpfen. Es hilft uns häufig gut durchs Leben. Aber: In bisher unbekannten Situationen, wie sie Projekte mit sich bringen, kann es halt zu Schlüssen kommen ... … die in die Irre führen? Genau! Unser Experiment hat ja einen sehr poetischen Namen. Es heißt „ein zauberhaftes Kaffee-Erlebnis“. Der Titel ist nicht zufällig. Er löst bei jedem ein intuitives Bild aus, und dieses Bild prägt das weitere Projektdesign. So etwas ist ein Mechanismus des schnellen Denkens. Bevor wir überhaupt erste Informationen erheben können, haben wir schon ein Bild im Kopf, das alles Weitere prägt. SCHON DER PROJEKTTITEL FÜHRT ZU SELEKTIVER WAHRNEHMUNG Nun sind in Unternehmen solche poetischen Projekttitel eher selten … Der poetische Klang spielt da keine Rolle. Angenommen, als Projektleiter werden Sie angesprochen für ein geplantes Projekt „Digitale Innovation“. Dann haben Sie ein Bild im Kopf, das sich möglicherweise von dem anderer Leute fundamental unterscheidet. Dieses Bild führt zur selektiven Wahrnehmung. Mit diesem Bild nehmen Sie im Kundengespräch möglicherweise vor allem das wahr, was zu diesem Bild passt. Anderes blenden Sie vielleicht völlig aus. Es ist extrem schwer, dieses schnelle Denken zu überwinden. Unser Gehirn funktioniert einfach auf diese Weise. Es sucht nach Informationen, das seine intuitiven Annahmen bestätigt. Haben wir es aber mit etwas völlig Neuem zu tun, müssen wir kontraintuitiv vorgehen. Der Projektmanager ist ja nicht allein. Er hat ein Team. Im Dialog kann es zu Korrekturen dieses individuellen intuitiven Bilds kommen, oder? Genau da liegt der Schlüssel! Kahneman sagt sinngemäß, dass einzelne Menschen sich vergleichsweise schlecht vom schnellen Denken lösen können. In einem interdisziplinären Team sieht dies aber anders aus. Die Mitglieder des Teams können sich gegenseitig helfen, Wahrnehmungsfehler zu vermeiden oder zu identifizieren. Dafür gibt es sogar Methoden. Welche Methoden? Wir haben bei unserem Experiment beobachtet, dass Teilnehmende schon durch die Formulierung ihrer Fragen den Raum für Antworten einengen. Da kann man ansetzen. OFFENE FRAGEN STELLEN! Die meisten fragen also so, dass die Antworten zu ihrem vorgefassten Bild passen? Es handelt sich um Fragen wie: „Ist es richtig, dass …“ oder „Gehe ich recht in der Annahme, dass …“. Auf solche Fragen kann Paul nur mit „ja“ oder „nein“ antworten. Paul wird beispielsweise gefragt, ob das Team recht in der Annahme geht, dass er mit dem Kaffee-Erlebnis eine Geburtstagsüberraschung plant. Natürlich, er sagt ja. Stimmt ja auch! Damit aber ist der Weg versperrt, weiter über den tieferen Zweck zu reden - nämlich, dass Paul mit diesem Projektsein Verhältnis zum Vater verbessern will. Deshalb sollte man generell bei Projekten anfangs nur offene Fragen stellen, um es zu verstehen. Wie soll das Projekt die Zukunft veränprojektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 08 REPORT dern? Und für wen? Wer kann das Projekt starten und stoppen? Offene Fragen stellen - dies klingt simpel! Und doch tun sich besonders Führungskräfte oder Berater so schwer damit. Ich vermute, dass viele durch die geschlossenen Fragen ihre Expertise und ihren Erfahrungsschatz mit solchen Projekten dokumentieren wollen. Fragt jemand, ob er recht in einer Annahme gehe, dann zeigt er ja: Er hat vorher schon schlau kombiniert. Genau dieses schlaue Kombinieren sollte man zu Anfang aber ausschalten! DENKFALLEN VERMEIDEN Dies gilt für Einzelne, etwa den Berater oder den Projektleiter. Wie sieht es mit Gruppen aus? Können auch diese in Denkfallen geraten? Ja, können sie. In der Gruppe kann es zu einer Art Zensur kommen - allein dadurch, dass einer eine Antwort gibt und ein Statement macht, derweil die anderen zuhören. Einer spricht, die anderen hören zu - dies ist völlig normal auf Meetings. Was ist falsch daran? Derjenige, der als Erster spricht, gibt den Ton an. Häufig schließen sich die anderen dann seiner Meinung an. Oder sie sind gezielt dagegen. Oder halten ihre gegenteilige Ansicht zurück - besonders dann, wenn ihr Vorredner ranghöher ist. Es handelt sich um völlig normale gruppendynamische Prozesse. Das gilt übrigens nicht nur für Projektbesprechungen, sondern auch für den Dialog mit Kundenpersonen. Angenommen, ein Team wertet seine Informationen zum zauberhaften Kaffee-Erlebnis aus. Der Projektleiter stellt fest, dass der Kunde den Wunsch hat, das Erlebnis in einem Hotel stattfinden zu lassen. Vielleicht ahnt ein Mitarbeiter, dass der Vater Hotels hasst - doch er wird seine Bemerkung zurückhalten, weil sie ihm plötzlich unbegründet erscheint oder die Mehrheit im Team dies anders sieht. Ja. Vielleicht. Auf diese Weise entsteht aber kein korrektes Bild vom Projekt. Oder am Ende steht nur ein Pseudo-Konsens, der zwar verabschiedet wurde, hinter dem aber keiner richtig steht. VON JAPANISCHEN MEETINGS LERNEN? Augenblick! Bei einem Meeting muss doch einer der Erste sein, der sein Statement abgibt. Wie wollen Sie verhindern, dass er das Bild für die nachfolgende Diskussion prägt? Die Japaner kennen dieses Problem auch. Japaner sind ja sehr hierarchiebewusst. Bei ihnen sind Meetings häufig so geregelt, dass der Chef erst zum Ende der Besprechung dazukommt - dann, wenn alle anderen sich bereits ihre Meinung gebildet haben. Dadurch vermeidet man, dass er durch seine Autorität das Meinungsbild verfälscht. Man arbeitet gewissermaßen rückwärts zur Hierarchie. Erst kommen die zu einem Ergebnis, die in der Hierarchie weit unten stehen. Dann kommt die nächste Hierarchieebene an die Geschickt Fragen stellen - dies ist ein Schlüssel für die gelungene Kommunikation mit Auftraggebern. Grafik: zenzen - Adobe Stock REPORT 09 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 Reihe und am Ende dann derjenige, der entscheidet. Man kann aber auch ganz anders vorgehen. Wie genau? Beispielsweise, indem man vor der ersten Wortmeldung jeden bittet, unabhängig von anderen, seine Ansicht stillschweigend aufzuschreiben. Erst danach wird diskutiert. So wird kein Beitrag unterdrückt, nur weil der Teamleiter oder die Mehrheit des Teams anderer Meinung ist. Man muss also zunächst einmal die Verschiedenheit der Perspektiven und der Meinungen verstehen? Dies nennen wir divergentes Denken. Divergentes Denken richtet sich auf die Vielfalt - und ist damit kontraintuitiv. Anschließend kann man aus den Ergebnissen des divergenten Denkens dann ein konvergentes Ergebnis ableiten. Doch vor diesem divergenten Denken scheuen sich viele Projektmanager. Auch Berater neigen eher dazu, Gespräche mit Vorschlägen zu eröffnen - statt anfangs dieses divergente Denken zuzulassen. Man rechtfertigt dieses Vorgehen mit dem Argument der Effizienz. Das ist ja auch eine Erkenntnis aus unserem Experiment: Wenn ich am Anfang schnell denke, mache ich den Kunden unglücklich. Schnell denken heißt: Man geht von seinen intuitiven Annahmen aus, die nie richtig überprüft wurden. In anderen Worten: Wer schnell denkt, handelt immer effizient, aber nur selten effektiv - zumindest gilt dies in Projekten. DIVERGENTES DENKEN ALS SCHLÜSSEL Nochmals zum Begriff des divergenten Denkens … Divergentes Denken heißt, dass wir vielfältige Informationen sammeln. Wir bringen die maximale Vielfalt an Sichtweisen und Informationen auf den Tisch. Das heißt: offene Fragen stellen, Antworten getrennt voneinander erfassen. Jeder schreibt auf, was er unter dem Projekt versteht; solche Statements per se können ja nicht falsch oder richtig sein. Diese Informationen kommen alle an die Pinnwand. Wie geht es in der zweiten Phase weiter? Die zweite Phase ist immer noch divergent - allerdings verbunden mit einem Perspektivwechsel. Es geht darum, zu beschreiben, wie man das Gesagte versteht. Also, wie verstehe ich das, was der andere gesagt hat? Ohne dies zu bewerten. Also: „Ich habe verstanden, dass …“, „Mir ist noch unklar, was …“. So etwas hat einen großartigen Effekt. Diese Vorgehensweise ist nicht konfrontativ oder übt Zensur aus. Man spiegelt einander nur zurück, wie man den anderen jeweils verstanden hat. Manche sind durchaus überrascht, wie sie verstanden wurden; sie korrigieren sich dann. Dieser Dialog geht so lange, bis gegenseitiges Verständnis besteht. Gegenseitiges Verständnis ist ja noch keine Zustimmung. Wie geht es weiter? Diese Zustimmung versuchen wir in der dritten Phase herbeizuführen. Man hat sich gegenseitig verstanden. Man kann die Meinung anderer ausdrücken - auch dann, wenn man sie nicht teilt. Auf dieser Basis gegenseitigen Verständnisses kann man versuchen, konvergent zu denken und zu einer gemeinsamen Position zu finden. Vielleicht kommt man zu keiner gemeinsamen Position. Auch dies wäre ja ein Ergebnis. Oder zwei Positionen bleiben nebeneinander bestehen. Wie auch immer - das Ergebnis dieses konvergenten Denkens ist nur dann belastbar, wenn es beim divergenten Denken gegenseitiges Verständnis gab. Anders ausgedrückt: Wer Akzeptanz erreichen will, muss Diskrepanz vorher verstanden haben. Vermutlich wollen einige Führungskräfte über diese zweite Phase gerne hinweggehen … Ja, sie wollen vorankommen und dabei auch intuitiv arbeiten. Deswegen ist besonders die erste und zweite Phase stark durch Regeln choreografiert. Man unterbricht den andern nie. Entweder man spricht, oder man hört zu. Man will mit dieser umständlich wirkenden Vorgehensweise dem schnellen Denken ein Schnippchen schlagen? Darum geht es! Übrigens finden viele Gruppen in der dritten Phase dann überraschend schnell und gut gelaunt zu einem Ergebnis. Wir nennen diese Vorgehensweise deshalb auch ein Verfahren zur unaufgeregten Informationsanalyse. Wie können wir dieses Verfahren zur unaufgeregten Informationsanalyse konkret im Projektmanagement anwenden? Sie können diese Vorgehensweise direkt für das Projektdesign verwenden. In unserer Praxis arbeiten wir viel mit dem Project Canvas, also einer Tapete oder einem großen Stück Papier, auf dem die verschiedenen Bausteine des Projekts angelegt sind. Wir verwenden dafür eine Metapher: Das Projekt verstehen wir als eine Reise durch unbekannte Gefilde. Zu jedem dieser Bausteine - etwa Umfeld des Projekts, Zweck, Ressourcen - gibt es Fragekarten 1 ) . Diese Fragekarten werden bearbeitet. Jeder schreibt auf, was er unter diesem Baustein versteht. Damit kommt das divergente Denken grafisch unterstützt in Gang. Aber diese Methode können Sie auch mit jedem anderen grafisch unterstützten Managementwerkzeug kombinieren, beispielsweise mit der SWOT-Analyse. Was sind die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken eines Vorhabens? Besonders bei dem Thema „Risiken“ werden Sie den Unterschied zwischen einer normalen Diskussion mit schnellem Denken und dieser Vorgehensweise erkennen. Es ist erstaunlich, wie vielfältig die Auffassung von Risiken ist, wenn Sie den Filter bestimmter Gruppenprozesse ausschalten. „UNAUFGEREGTE INFORMATIONSANALYSE“ Wie reagieren die Teilnehmer Ihres Experiments auf solche Vorschläge? Sehr gut! Sie erkennen die Verbesserungspotenziale sehr schnell, und sie spüren die Macht des langsamen Denkens. Unser Experiment soll ja nicht nur der Wissenschaft dienen, sondern vor allem das Leben von Menschen in Projekten verbessern. 1) Diese Fragenkarten sind bei der Projektinitiative „Over the Fence“ kostenfrei als digitale Version erhältlich. E-Mail: hello@overthefence.com.de projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 10 REPORT Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way energizing great minds Project Office verbindet agiles Teamwork mit hoher Prozesssicherheit durch die Unterstützung hybrider Methoden. Dynamisch anpassbare Best Practices und Vorlagen schaffen mit klassischer Rahmenplanung verlässliche Leitplanken. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues, Activities und dezentraler Planung unterstützen Sie Ihre Teams bei der Wertschöpfung und machen sie schneller und produktiver. 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