PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2019
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Im Einsatz für eine stärkere Projektkultur an Schulen
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2019
Oliver Steeger
Sarah-Janina Khayati
Seit vielen Jahren bringt die GPM Projektmanagement an Schulen. Das Ziel: Schülerinnen und Schüler erkennen den Mehrwert von Projektkultur und Projektarbeit. Damit werden sie auch auf die immer größer werdende Rolle von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft vorbereitet. Seit Ende 2016 kooperiert die GPM mit „Teach First Deutschland“, einem gemeinnützigen Leadership-Programm, das sich für den Bildungserfolg durch faire Chancen für alle Kinder und Jugendlichen einsetzt. Teach First Deutschland entsendet sogenannte Fellows an Schulen. Die Fellows sind auch Botschafter für Projektmanagement; sie führen mit Schülern echte Projekte durch. Meine Frage: Was machen diese Fellows genau?
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Kooperation der GPM mit Teach First Deutschland: Seit vielen Jahren bringt die GPM Projektmanagement an Schulen. Das Ziel: Schülerinnen und Schüler erkennen den Mehrwert von Projektkultur und Projektarbeit. Damit werden sie auch auf die immer größer werdende Rolle von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft vorbereitet. Seit Ende 2016 kooperiert die GPM mit „Teach First Deutschland“, einem gemeinnützigen Leadership-Programm, das sich für den Bildungserfolg durch faire Chancen für alle Kinder und Jugendlichen einsetzt. Teach First Deutschland entsendet sogenannte Fellows an Schulen. Die Fellows sind auch Botschafter für Projektmanagement; sie führen mit Schülern echte Projekte durch. Meine Frage: Was machen diese Fellows genau? Dr. Antonio Piscopo (AP): Fellows sind engagierte Absolventinnen und Absolventen von Hochschulen unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie wirken an Schulen, vielfach an Schulen in schwierigem Umfeld. Als zusätzliche Lehrkräfte, Vorbilder und Weggefährten begleiten sie für zwei Jahre Kinder und Jugendliche aus herausfordernderen Lebenswelten zu einem erfolgreichen Abschluss und Anschluss. Auf diese Arbeit bereiten wir unsere Fellows vor, damit die Schülerinnen und Schüler sowohl im Unterricht (zusammen mit Lehrern) als auch außerunterrichtlich wirkungsvoll agieren können. Aus diesem Grund bilden wir unsere Fellows u. a. in Projektmanagement aus und fort. So können sie das Beste aus den Schülerinnen und Schülern auch durch Projekte herausholen. Am Ende ihres Einsatzes können sie sich dann freiwillig entscheiden, das Basiszertifikat der GPM zu erwerben. Sarah-Janina Khayati Sarah-Janina Khayati studierte Kulturwissenschaften und Soziokulturelle Studien mit Schwerpunkt Bildung und Kommunikation. Mit gleichem Fokus folgten nach einem Volontariat Stationen als Autorin, bei einer internationalen NGO und im Bundespresseamt. Von 2010 bis 2015 war sie Projektmitarbeiterin und -leiterin im Gender- und Technik- Zentrum der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Parallel absolvierte sie Ausbildungen zur Dialogmoderatorin und Kommunikationstrainerin und begleitete in dieser Funktion Schulen, Bildungsinstitutionen und öffentliche Verwaltung ebenenübergreifend bei der Prozess- und Qualitätsentwicklung. Seit 2016 betreut Sarah-Janina Khayati als Referentin den Bildungsbereich der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Foto: Phil Dera, Berlin Im Einsatz für eine stärkere Projektkultur an Schulen Autor: Oliver Steeger Fellows arbeiten mit Kindern und Jugendlichen also auch außerhalb des Unterrichts. Weshalb? AP: Außerhalb des Unterrichts finden Fellows viel Freiraum, den sie zusammen mit den Schülern gestalten können. In diesem Raum können am besten Aspekte der Persönlichkeit der Schüler entwickelt werden, die vor allem auf das Selbstwirksamkeitsgefühl positiv wirken. Genau dort setzen unsere Fellows Projektmanagement ein. Projektmanagement ist für sie zum einen das Instrumentarium, gemeinsam mit Schülern Projekte umzusetzen. Zum anderen gibt Projektmanagement den Lernenden Chancen, sich selbst auszuprobieren, eine Methode, um „die Welt zu gestalten“ und dabei und dadurch sich selbst weiterzuentwickeln. Projektarbeit und Projektmanagement, um benachteiligten Kindern und Jugendlichen Selbstvertrauen zu schenken? Sarah-Janina Khayati (SKH): Die GPM hat einen Bildungsauftrag. Er entspringt quasi dem Kern ihrer gemeinnützigen Orientierung. Wir wollen Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft die Fähigkeit „Projektmanagement“ vermitteln − und dabei auch Kindern und Jugendlichen bestmögliche Perspektiven schaffen. Sie sollen ihre eigene Zukunft erfolgreich gestalten können, dies ist unser Ziel. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben nachweislich nochmals schwierigere Startbedingungen. Vertrauen in die eigene Wirksamkeit und entsprechende Handlungskompetenzen müssen hier besonders gestärkt werden. Beides können wir ihnen durch Projektarbeit vermitteln. projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 12 REPORT Antonio Piscopo Seit Anfang 2014 bei Teach First Deutschland (TFD) tätig, initiierte Dr. Antonio Piscopo 2015 und leitet seitdem das Programm „Projektmanagement für Fellows und Schüler“. Das Programm wird seit Ende 2016 von der GPM unterstützt. Dr. Antonio Piscopo ist GPM-zertifizierter Projektmanager Level C und als Senior Manager für die Region Berlin-Brandenburg zuständig. Für TFD hat er Pilotprojekte in unterschiedlichen Bundesländern in Kooperation mit der öffentlicher Verwaltung und privaten Partnern geleitet. Seine Leidenschaft für Projekt- und Prozessmanagement sowie Organisationsentwicklungsthemen führte ihn in den letzten Jahren u. a. zur Entwicklung und Einführung des strategischen Controllings für die Gesamtorganisation und eines agilen (SCRUM-basierten), digitalen Managementsystems für den Kommunikationsbereich. Für die Uni-Hamburg leitet er Workshops zu Projektmanagement und Leadership als Gastdozent. Dr. Piscopo hat seinen Lebensmittelpunkt nach der Promotion in Philosophie 2008 in Deutschland verankert und hier erstmal als Produkt- und Marketingmanager gearbeitet. In Italien war er als Führungskraft einer NGO, Journalist und Coach aktiv. Foto: Slawomir Cap Beim Projektmanagement denkt man an die Wirtschaft - selten aber an Schulen oder Pädagogik. SKH: Projektmanagement steht näher an Schule und Ausbildung, als man häufig denkt. Europaparlament und Europarat zählen Projektmanagement zu den acht Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen, also auch für Schule und Ausbildung. Zur Entwicklung von Eigeninitiative und unternehmerischen Kompetenzen wird gezielt die Fähigkeit „aktives Projektmanagement“ gefordert. Aktives Projektmanagement ...? SKH: Für aktives Projektmanagement spielt ergänzend auch der Transfer eine wichtige Rolle. Pädagogen wollen und müssen erkennen: Welchen Mehrwert hat der Erwerb und Einsatz einer Arbeitssystematik aus der Wirtschaft für ihre Arbeit und die Schülerschaft - und zwar im Unterricht sowie im gesamtschulischen Kontext. Diese Anbindung muss man herstellen, wenn man - so wie wir - eine stärkere Projektausrichtung und Projektkultur an Schulen aktiv fördern möchte. Was bedeutet dies konkret? SKH: Schulen haben den Auftrag, bei ihren Schülerinnen und Schülern den Grundstein für nachhaltiges, eigenverantwortliches und gemeinschaftliches Handeln zu legen. Sie sollen Lernende auf die aktive Gestaltung ihres späteren Berufslebens und der eigenen Zukunft vorbereiten. Gelebte Projektkultur an Schulen fördert die dafür erforderlichen Kompetenzen - und zwar durch die projektspezifische kooperative, verantwortungsbejahende und disziplinübergreifende Arbeitsweise. Bei entsprechender Aufbereitung sind die Schüler und Schülerinnen weitestgehend selbstständig für alle Aufgaben innerhalb eines Projektes verantwortlich. Sie müssen planen, analysieren, umsetzen, kommunizieren, abschließen. Sie lernen „wie nebenbei“, gemeinschaftlich zu handeln, disziplinübergreifend zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Sie erfahren: Es lässt sich viel bewegen, wenn man im Team auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet. Erreicht man dieses Ziel dann tatsächlich, so gibt das dem Selbstbewusstsein noch einmal einen besonders starken Schub. Erlernen Schülerinnen und Schüler dabei den Umgang mit der Methodik, mit den Instrumenten des Projektmanagements? AP: Ja, sie lernen auch die Methodik in einer vereinfachten (aber nicht weniger effektiven) Art. Sie lernen, wie Ziele zu setzen sind, wie das Umfeld analysiert wird, Umgang mit Stakeholdern und die Zeit zu gestalten. Aber dabei lernen sie noch etwas wesentlich Elementareres, nämlich eben Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit? AP: Ja! Schüler lernen letztendlich, wie sie sich eigenständig Ziele setzen und diese Ziele durch systematisches Arbeiten erreichen. Dadurch wird nicht nur gelernt, wie Ziele Realität werden können, sondern auch, wie man sich selbst als Projekt verstehen kann - um sich zu verwirklichen. Dies meine ich mit richtigem „Projektlernen“ und daraus besteht auch der Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Sinne der Befähigung junger Menschen, Skills zu erlernen, die ansonsten eher in privilegierteren Lebenswelten geläufig sind. SKH: In der Auseinandersetzung mit ihrem Projekt üben Schüler und Schülerinnen ihre Kommunikationsfähigkeit. Sie lernen, komplexe Themen eigenständig zu bearbeiten sowie weiträumige Zusammenhänge zu erkennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Im „Lernsetting- Projekt“ können Schüler und Schülerinnen je nach Verantwortlichkeit im Projektteam verschiedene Rollen einnehmen. Durch dieses Ausprobieren entdecken sie ihre ganz individuellen Möglichkeiten - und entfalten ihr Potenzial. Im kooperativen Zusammenwirken der vielen unterschiedlichen Fähigkeiten und Sichtweisen finden sich zielführende und innovative Lösungen. Diese unmittelbare Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist unglaublich wertvoll. Das heißt, die heute weitverbreiteten Projekttage an den Schulen gehen in die richtige Richtung? SKH: Projekttage und Projektwochen gehören mittlerweile zum Alltag an Schulen. Da werden Abschlussfeiern geplant oder Schulhöfe neu gestaltet. Es gibt „Waldprojekte“ oder „Zirkusprojekte“. Die Schüler sollen sich etwas ausdenken. Aber …? SKH: Diese Initiativen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Doch Projektlernen kann mehr. Es handelt sich um ein pädagogisches Instrument. Wir hören seitens namhafter Bildungsinnovatoren: Projektlernen als strukturell verankertes Kernelement ist für die Schultransformation von REPORT 13 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 grundlegender Bedeutung. Projektlernen hebt die Zersplitterung der einzelnen Schulfächer auf und öffnet Zeitfenster für das Lernen und Wirken im Leben. Dies bringt es auf den Punkt: Ein regelmäßiger „offener Raum“ für Projektarbeit unterstützt Schülerinnen und Schüler dabei, sich auszuprobieren, ihre Potenziale zu entfalten, eigene Lernwege zu gehen und Probleme eigenständig zu bewältigen. Dafür brauchen die Schüler vermutlich Methodik? AP: Auf jeden Fall! Projektmanagement ist für Schüler ein hervorragendes Werkzeug für die Planung und Umsetzung. Denn es ermöglicht eine Brücke zwischen einer Idee und einer Verwirklichung, zwischen dem Ziel und seiner Realisierung. Die Werkzeuge des Projektmanagements sind universell als ordnungsstiftende Instrumente anwendbar und in ihren dynamischen Zusammenhängen stellten diese eine mächtige Methodik dar. Als solche Methodik werden sie - in einer abgespeckten und zum Teil angepassten Form - den Schülern vermittelt. SKH: Der Werkzeugkoffer „Projektmanagement“ hilft Schülern und Schülerinnen bei der Planung, Umsetzung und beim Abschluss ihrer Projekte. Beginnend mit der Auftragsklärung kommt die gesamte strukturierte Vorgehensweise des Projektmanagements in Betracht. Also beispielsweise Analyse von Stakeholdern und Risiken, die Planung von Zielen, Phasen und Meilensteinen, Definition und Vergabe von Arbeitspaketen, Festlegung von Zeitabläufen, Werkzeuge für die Durchführung und den Abschluss der Projekte. Vor einigen Jahren waren viele Schulen in punkto Projektmanagement zurückhaltend. Einige Lehrer verteufelten Projektmanagement geradezu - als Instrument der kalten Wirtschaft. Heute sind Schulen deutlich aufgeschlossener. Wie erklärt sich dieser Wandel? AP: Das Wissen um die Stärke des Projekts als Lernform ist gar nicht neu. John Dewey erkannte als einer der ersten Pädagogen dieses Potenzial. Durch projektorientiertes Lernen trat die Verzahnung und Anwendung unterschiedlicher Fächer in den Vordergrund. Das Lernen wurde nicht mehr verstanden als „Füllen von Fässern“ … … das gefürchtete „Pauken“… AP: Modernes Lernen begriff man als aktive und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Fächern. Die klassischen Fächer waren damit nicht „Zweck an sich“. Sie waren Mittel oder Instrumente, um bestimmte, übergeordnete und sehr praktische Ziele zu erreichen. Doch dabei blieb die organisierende Kraft noch beim Lehrer. Er trug die Verantwortung für den Prozess. Wir wollen, dass die Schüler die Verantwortung für den Prozess auch mittragen und langsam lernen, Leiter ihrer eigenen Projekte zu sein. Wir nennen das „Student Leadership“ und das ist ein Teil der Arbeit der Fellows. Fellows während eines PM-Workshops; Foto: Antonio Piscopo projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 14 REPORT SKH: Die Bildungsinstitutionen befinden sich generell im Wandel. Wesentliches Qualitätskriterium für den Unterricht ist mittlerweile die Orientierung an seiner Wirkung. Das heißt: Heute steht mehr als nur die vorgegebenen Unterrichtsinhalte im Vordergrund. Es geht um den Aufbau sogenannter fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Es ist Aufgabe der Pädagogen, für ihre Schülerinnen und Schüler Inhalte und Methoden zu finden - und zwar immer ausgerichtet an den individuellen Voraussetzungen jedes Schülers. Mithilfe dieser Inhalte und Methoden lernen Schüler und Schülerinnen, erworbenes Wissen anwendungsorientiert und zur Lösung von Problemen einzusetzen. Genau für diesen Ansatz ist das Projektlernen geradezu prädestiniert! Helfen Sie bitte einem Nichtpädagogen auf die Sprünge. Inwiefern prädestiniert? SKH: Zur erfolgreichen Durchführung eines Projekts müssen die Schüler und Schülerinnen vorhandenes Wissen zielführend einsetzen. Sie müssen gemeinsam Lösungen finden. So lernen sie, fächerübergreifend zu denken und ihre Kenntnisse entsprechend anzuwenden. Der „Mehrwert“ eines solchen Lernens in Projekten wird zunehmend erkannt. Konsequenterweise wächst die Aufgeschlossenheit für den Erwerb und den Einsatz geeigneter Methoden zur Umsetzung des Unterrichts. Dies gilt übrigens auch für Schulentwicklungsprojekte. Trotzdem lösen die als kühl empfundenen Managementbegriffe bei einigen Pädagogen immer noch Vorbehalte aus … AP: Manchmal sind unter Pädagogen Assoziationen zur Wirtschaft oder zum „Management“ nicht positiv besetzt. Aber einerseits ist Projektmanagement viel mehr als nur „Wirtschaft“ und andererseits sollen sich unsere Jugendlichen - meiner Meinung nach - die besten Instrumente für ihre Zukunft aneignen, die auch mit der Wirtschaft zu tun haben. Mit diesem Ansatz wird seit einiger Zeit an diversen Schulen schon gearbeitet. Hier geht es aus meiner Sicht also nicht darum, die Begriffe anzupassen und dadurch solchen Vorbehalten zu begegnen. Wir sollten klar die Möglichkeiten des Projektmanagements als befähigendes Instrument und noch als eine Art Inkubator betonen - nämlich die Chance, dadurch die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu aufgeklärteren und bewussteren Persönlichkeiten zu fördern. Frau Claudia Seidel − PM-Team − führt den Ablauf- und Terminplan während eines PM-Workshops; Foto: Antonio Piscopo REPORT 15 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 Junge Menschen zu bewussteren Bürger heranbilden - ist dieses Ziel nicht etwas hoch gegriffen …? AP: Nein, ich finde nicht. Durch Projektarbeit lernen Schüler Kooperation, Leadership, Verantwortung, Organisation, Konfliktlösung und Resilienz. Diese Kompetenzen sind nicht nur in der Schule wichtig, sondern auch im Berufsleben und darüber hinaus auch sehr relevant für die nachhaltige Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. SKH: Schule bereitet nicht nur auf das Arbeiten vor, sondern das gesamte Leben von morgen. Schulen haben per Schulgesetz den Auftrag, die individuellen Potenziale ihrer Schüler und Schülerinnen zu entfalten. Sie also zu mündigen Bürgern zu erziehen und entsprechende Handlungskompetenz herzustellen. Lehre und Lernen müssen sich diesen Anforderungen anpassen. Wer Lernen ausschließlich auf kognitiven Wissenserwerb ausgerichtet, schränkt es unnötig ein. Was stattdessen? SKH: Statt der Vermittlung von Faktenwissen stellt auf Potenzialentfaltung ausgerichtetes Lernen anderes in den Vordergrund: nämlich Problemlösungs- und Selbstführungsstrategien. Dieses Lernen verbindet den Erwerb und die Förderung individueller Kompetenzen im Idealfall mit zielführenden und sinnstiftenden Inhalten. Die gelebte Projektkultur an Schulen und der Einsatz von PM-Instrumenten führt also nicht nur zu qualifiziertem Nachwuchs für die Projektwirtschaft ...? SKH: Nein, nicht nur. Kultur und Instrumente bieten auch eine ganz hervorragende Basis für die beschriebene Ausrichtung an den grundlegenden Lernzielen schulischer Ausbildung. Und dies im Sinne der Befähigung junger Menschen, einen aktiven Beitrag zur Gestaltung der eigenen und gesamtgesellschaftlichen Zukunft zu leisten. Dafür setzen wir uns ein und fördern einen entsprechenden Dialog. Mit Blick auf diese Chancen - wie können Sie Projektmanagement weiter in Schulen verbreiten? Wo können Sie den Hebel ansetzen? SKH: Wie gesagt, meiner Einschätzung nach spielt der Transfer eine ganz wichtige Rolle. Deshalb finde ich den Hinweis so wichtig, dass Kompetenzen in Projektarbeit und Projektmanagement eine Schlüsselqualifikation darstellen - sowohl für die wirtschaftliche als auch für die gesamtgesellschaftliche Zukunftsfähigkeit. An diesem Punkt besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Industrie 4.0 und Digitalisierung führen dazu, dass menschliche Arbeitsleistung neu bewertet wird. Was bedeutet dies für Schulen? SKH: Der Umgang von künftigen Mitarbeitern mit den neuen Systemen wird vorausgesetzt. Zugleich soll und muss sich der Einzelne mit seinen individuellen Kompetenzen davon abgrenzen. Kommunikation und Kollaboration sind die großen Themen dieser neuen Arbeitswelten. Projektorientierte Arbeitsformen bieten hervorragende Möglichkeiten zum Umgang mit diesen Herausforderungen. Die entsprechende Qualifizierung des Nachwuchses sollte stärker in den Fokus des Bildungsengagements rücken. Schauen wir bitte auf die Praxis. Meine Frage lautet: Wie bringt man in Schulen konkret Projektarbeit aufs Gleis - mit all ihrer kompliziert und aufwendig wirkenden Systematik und Methodik? AP: Unsere Fellows nutzen unterschiedliche Ansätze dafür. Ein Beispiel: Sie konzipieren Projekte, sie strukturieren die Vorhaben vor - und Ablauf eines PM-Workshops; Foto: Antonio Piscopo projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 16 REPORT lassen dabei einige Teile absichtlich undefiniert. Diese „Lücken“ sollen die Lernenden selbst ausfüllen, also selbst planen und durchführen. In anderen Fällen dagegen bieten unsere Fellows Einführungen ins Projektmanagement, die - selbstverständlich - auf das Essenzielle zielen und die wichtigsten Elemente der Planung und Steuerung vermitteln. Für die Fellows gilt das Ziel, ihre Schüler schrittweise so zu motivieren und befähigen, dass sie in der Lage sind, ihre eigenen Projekte zu konzipieren, zu planen, umzusetzen und abzuschließen. SKH: Meiner Meinung nach steht und fällt die Motivation der Schüler und Schülerinnen für die Beteiligung an Unterrichtsprojekten mit der Vorbereitung und Aufbereitung der Projekte. Da haben Pädagogen eine große Verantwortung, wenn sie das Projekt an ihre Schülerschaft herantragen oder gemeinsam mit ihr abstimmen. Es ist daher wichtig, sich als Begleiter der Lernenden mit der eigenen Rolle im Unterrichtsprojekt auseinanderzusetzen. Beispielsweise die Frage: Was sind meine Aufgaben als Auftraggeber des Projekts? SKH: Ja! Oder: Was erwartet der Pädagoge von Projektleiter und Projektteam - ergo meinen Schülern und Schülerinnen? Die Kenntnis und Einbindung von Projektmanagementinstrumenten unterstützt dabei ganz aktiv. Dafür gibt es seitens der GPM geeignete Materialien und Fortbildungen - speziell für den Einsatz von Projektmanagement zur Durchführung von Unterricht, aber auch für Schulentwicklungsprojekte. Kommen die jeweiligen Tools dann zum Einsatz, haben die Schüler oft direkt den erhellenden „Aha-Effekt“. Sie merken, wie übersichtlich sich ein Projekt gestaltet, wenn man die Ziele konkret definiert, Phasen und Meilensteine formuliert und terminiert oder die entsprechenden Arbeitspakete geschnürt und in Verantwortung gegeben hat ... Fellows arbeiten vorwiegend an sogenannten Brennpunktschulen, die überwiegend von sozial schwachen Schülern besucht werden. Wie kommen diese Schüler, die häufig Startschwierigkeiten haben, mit der Herausforderung „Projektmanagement“ zurecht? AP: Sie werden gefördert und begleitet, auch mit dieser Herausforderung gut zurechtzukommen und dies als zusätzliche Chance zu erleben. Was Schülerinnen und Schüler aus schwierigeren Lebenswelten vor allem brauchen, sind Vertrauen, Motivation und Instrumente, damit sie selbst erst mal an ihren eigenen Erfolg glauben können. Viele dieser jungen Menschen kennen nur den Weg zum Jobcenter. Die Fellows - auch durch das Projektmanagement - zeigen ihnen, wie es möglich ist, andere Wege zu gehen oder aufzubauen. Die Startbedingungen sind herausfordernd und stellen häufig endgültige Hindernisse dar. Aber jeder Mensch strebt von Natur aus nach Glück - und genau das ist der Hebel, den unsere Fellows nutzen, um die Schwierigkeiten zu überwinden: Sie vermitteln Begeisterung für Bildung als Lebensweg und sie sind sehr erfolgreich darin. Fellows bei einer Gruppenarbeitsphase in einem PM-Workshop; Foto: Antonio Piscopo REPORT 17 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 SKH: Durch die Zusammenarbeit von GPM und Teach First Deutschland wird der Wirkungsrahmen des Einsatzes der Fellows an den Schulen zusätzlich erweitert. Mit doppelter Expertise setzen wir uns für die Unterstützung von Schulen in schwieriger Lage ein - mit dem Ziel, Handlungsmut und Handlungskompetenz der Schüler und Schülerinnen aktiv zu fördern. Wie gesagt, dies ist sehr wichtig für eine Schülerschaft mit mehrheitlich schlechten Startbedingungen und Ausgangsbedingungen. Wir ermöglichen eine Lernumgebung mit Räumen für die Erfahrung von Partizipation und Selbstwirksamkeit. Dies erfordert Commitment von den Schülern. Man traut ihnen aber auch etwas zu. Dies bestärkt Kinder und Jugendliche im Glauben an das eigene Potenzial, es fördert echte Leadership-Qualitäten zutage. Das ist gelebte Projektkultur. Die Fellows wirken für zwei Jahre an den Schulen. Was bewegt sie zu diesem Engagement? AP: Unsere Fellows sind davon überzeugt, dass in unserer Gesellschaft Chancenungleichheit herrscht. Sie wollen darüber nicht nur sprechen, sondern direkt und persönlich handeln, um zusammen mit den Schulen einen aktiven Beitrag dagegen zu leisten. Die Schule ist einer der Orte, wo diese Ungleichheit am klarsten in ihren Wirkungen zu sehen ist. Eine der Möglichkeiten, mit dieser Ungleichheit umzugehen, ist im SGB beschrieben und heißt vor allem Transferleistung. Dadurch erreichen wir, dass Menschen nicht unter ein sogenanntes „Existenzminimum“ fallen, aber nicht, dass sie darüber hinaus richtig aufsteigen. Am effektivsten begegnen wir dieser Ungleichheit durch befähigende Bildung. Das ist der Schlüssel, um denjenigen etwas gerechtere Chancen zu geben, die dies nicht hatten, und dadurch gerechtere Gesellschaften zu fördern. Unsere Fellows wollen Schulen unterstützen, genau das zu machen. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Fellows mit Lehrern konkurrieren? AP: Nein, überhaupt nicht. Fellows unterstützen junge Menschen mittels spezieller Lern- und Förderangebote dabei, ihre Schulleistungen und zukünftigen Aufstiegschancen zu verbessern. Mit dieser Rolle sind sie ins Lehrerkollegium integriert und wirken gemeinsam mit den anderen Lehrern. Aber bei den Fellows handelt es sich selten um klassische Lehramtskandidaten, die früher oder später ohnehin an Schulen eingesetzt werden … AP: Alle Fachrichtungen kommen zum Zuge. Also beispielsweise auch Absolventen, die später in der Wirtschaft arbeiten … AP: Ja, auch, aber nicht nur. Unsere Fellows kommen aus unterschiedlichen Studienrichtungen. Wir haben Politikwissenschaftler, Physiker sowie Germanisten, VWLer und auch einige aus der BWL. Aus diesem Grund durchlaufen Fellows vor ihrem Einsatz ein umfassendes und intensives Qualifizierungsprogramm, und sie werden auch während ihres Einsatzes fachlich begleitet und weiterqualifiziert - unter anderem mit den nötigen PM-Kenntnissen. So können sie die Schülerinnen und Schüler für die Projektarbeit am besten befähigen. Fellows visualisieren einen Phasenplan während eines Workshops; Foto: Antonio Piscopo projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019 18 REPORT Prof. Helmut Klausing (Mitte) mit GPM Kooperationspartner Dr. Antonio Piscopo (rechts) von Teach First Deutschland sowie Michael Klabunde auf der GPM Fachtagung „Handlungs- und Projektorientierung im Zeitalter der Digitalisierung“; Foto: Miriam Bolens Wobei die Fellows auch persönlich von der Qualifizierung profitieren? SKH: Die Fellows setzen sich im Rahmen ihrer Ausbildung intensiv mit Projektmanagement für die Planung und Durchführung ihres Projekteinsatzes vor Ort an den Schulen auseinander. Und zwar Projektmanagement verstanden im Sinne sowohl von Arbeitssystematik als auch von Arbeitshaltung. Das PM-Curriculum der Fellows ist an den Standards der GPM ausgerichtet. Wir ordnen es im Bereich des Ausbildungslevels unseres Basiszertifikates ein. Die Fellows können damit also die Basiszertifikat-Prüfung ablegen. Sie können basierend auf ihrer Ausbildung eine qualifizierte Bestätigung über anerkanntes Basiswissen im Projektmanagement erhalten und ihre Kompetenzen damit auch offiziell nachweisen. AP: Die Fellows können ihre PM-Qualifikation darüber hinaus auch für ihr weiteres berufliches Leben einsetzen. Unsere Fellows eignen sich ja einen Ansatz und eine „Sprache“ an, die weltweit verstanden und verwendet werden. Der größte Nutzen liegt vielleicht darin, dass Fellows durch die GPM ein Teil der Projektmanager-Community werden. Dazu zählen neben der Qualifizierung auch die Vernetzung und der Austausch. Also letztlich geht es darum, Projektmanagement überzeugend in die Schule zu tragen? AP: Sicher. Weil es durch Projektmanagement wirklich viel zu lernen gibt. Beispielsweise, dass auch unter ungünstigen Umständen ein Projekt erfolgreich verlaufen kann. Dafür braucht man dann besonders viel Kreativität, Selbstvertrauen, Selbstdisziplin und Resilienz. Wie gesagt, solche Projekterfahrungen prägen den Menschen. Könnten wir Projektmanagement auf diese Weise deutlich mehr Schülerinnen und Schülern vermitteln, so hätten wir vielleicht in 20 Jahren keine Brennpunktschulen mehr. SKH: Wir bauen unsere Zusammenarbeit kontinuierlich aus. Im Frühjahr 2017 haben die ersten 25 in Projektmanagement ausgebildeten Fellows ihre Basiszertifikat-Prüfungen abgelegt, 2018 waren es bereits 50 bundesweit tätige Fellows. Begleitend haben wir im vergangenen Jahr rund 180 Fellows bei der Qualifizierung unterstützt, die in diesem Jahr ihr GPM Zertifikat ablegen können. Zusätzlich sind die erworbenen PM- Kenntnisse bereits in die Planung und Realisierung erster Projekte eingeflossen. Dazu hat uns TFD bereits zum zweiten Mal aktiv auf unserer zweiten GPM Fachtagung „Handlungs- und Projektorientierung im Zeitalter der Digitalisierung“ begleitet, die wir im Juni 2018 mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg durchgeführt haben. Weitere Projekte sind in Planung. Im Rahmen der Tätigkeit an Schulen gab es beispielsweise einen aktiven „Vor-Ort- Austausch“ mit PM-Experten und -Expertinnen der GPM. Wir haben das große Glück, mit unglaublich engagierten Mitgliedern zusammenzuarbeiten, die im Rahmen ihres ehrenamtlichen Einsatzes die Fellows an den Schulen in sozial schwieriger Lage besuchen und den Kindern und Jugendlichen Frage und Antwort zu allen Aspekten der Projektarbeit und des PM stehen. Kurz: Wir haben viel vor. REPORT 19 projektManagementaktuell | AUSGABE 1.2019