PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektteam des Emscher-Umbaus ausgezeichnet
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Heike Kratt
Oliver Steeger
Die Emscher hatte weit über 100 Jahre keinen guten Ruf im Ruhrgebiet. Sie war der große Abwasserkanal für Menschen, Zechen und Fabriken – eine Kloake, der man besser nicht zu nahe kam. Dies hat sich geändert. Seit 1992 arbeitet die Emschergenossenschaft daran, den offenen Schmutzwasserlauf zu renaturieren. Sie ist weit gekommen mit diesem Generationenprojekt. Rund 360 Kilometer neuer unterirdischer Abwasserkanäle wurden bereits verlegt – die Voraussetzung für die naturnahe Umgestaltung der dann abwasserfreien Gewässer. „Über Tage“, wie man im Ruhrgebiet sagt, entsteht ein neuer lebendiger Fluss. Das rund 30 Jahre laufende Vorhaben zeigt seinen Erfolg nicht nur beim Naturschutz. Die Artenvielfalt im Wasser hat sich binnen weniger Jahre verdreifacht. Entlang des Flusses haben sich ganze Siedlungen neu entwickelt. Für dieses Vorzeigeprojekt „Emscher-Umbau“ ehrte die GPM jetzt Projektleiter Norbert Stratemeier (Emschergenossenschaft). Im Interview erläutert der Preisträger dieses weltweit einmaligen Projekts dessen Beitrag für den Schutz von Klima und Umwelt – und beantwortet die Frage, wie ein Projektleiter mit solch einer Lebensaufgabe umgeht.
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Roland Gutsch Project Management Award 2019 gebiet. Mit einem großen Programm baut die Emschergenossenschaft diesen offenen Schmutzwasserlauf um und renaturiert ihn. Um was geht es in Ihrem Programm genau? Norbert Stratemeier: Es handelt sich um einen grundlegenden Emscher-Umbau, den die Emschergenossenschaft seit 1992 plant und umsetzt. Jedes Gewässer erhält ein unterirdisches Pendant. Durch dieses Pendant werden die Abwässer zu den Kläranlagen abgeleitet. Die ehemaligen Abwasserflüsse werden also unter die Erde verlegt, in riesige Kanäle, die das belastete Wasser abtransportieren? Richtig. Damit sind die oberirdischen Bäche bald abwasserfrei und können naturnah umgebaut werden. Das heißt konkret: Die alten Betonsohlschalen werden entfernt. Wir erweitern die Böschungen und gestalten sie vielseitiger. Dort, wo der Platz es zulässt, erhalten die einst technisch begradigten Flüsse wieder einen kurvenreicheren Verlauf. Die bisherige Meidezone wird dadurch erheblich aufgewertet. Meidezone - was ist damit gemeint? Das ist der Raum entlang der Emscher, der wegen Geruchsbelastung und der Gefahren entlang des Schmutzwasserlaufs über Jahrzehnte als besonders problematisch galt. Die Emscher wird quasi vom einstigen Hinterhof des Ruhrgebiets zum neuen Vorgarten. Im 19. und 20. Jahrhundert war die Emscher der Abwasserkanal einer Industrielandschaft, die durch Zechen und Stahlwerke binnen we- Die Emscher hatte weit über 100 Jahre keinen guten Ruf im Ruhrgebiet. Sie war der große Abwasserkanal für Menschen, Zechen und Fabriken - eine Kloake, der man besser nicht zu nahe kam. Dies hat sich geändert. Seit 1992 arbeitet die Emschergenossenschaft daran, den offenen Schmutzwasserlauf zu renaturieren. Sie ist weit gekommen mit diesem Generationenprojekt. Rund 360 Kilometer neuer unterirdischer Abwasserkanäle wurden bereits verlegt - die Voraussetzung für die naturnahe Umgestaltung der dann abwasserfreien Gewässer. „Über Tage“, wie man im Ruhrgebiet sagt, entsteht ein neuer lebendiger Fluss. Das rund 30 Jahre laufende Vorhaben zeigt seinen Erfolg nicht nur beim Naturschutz. Die Artenvielfalt im Wasser hat sich binnen weniger Jahre verdreifacht. Entlang des Flusses haben sich ganze Siedlungen neu entwickelt. Für dieses Vorzeigeprojekt „Emscher-Umbau“ ehrte die GPM jetzt Projektleiter Norbert Stratemeier (Emschergenossenschaft). Im Interview erläutert der Preisträger dieses weltweit einmaligen Projekts dessen Beitrag für den Schutz von Klima und Umwelt - und beantwortet die Frage, wie ein Projektleiter mit solch einer Lebensaufgabe umgeht. Wer im Ruhrgebiet geboren ist, dem ist die Emscher ein Begriff. Dieser Fluss mit seinen vielen Nebengewässern war für viele Jahrzehnte ein stinkender „Kanal“. Das Flusssystem hat die Abwässer aus dem Ruhrgebiet abgeleitet, bevor sie gereinigt in den Rhein fließen - eine Art oberirdische Kanalisation für das Ruhr- Norbert Stratemeier Norbert Stratemeier (59) leitet den Geschäftsbereich Planung und Bau bei der Emschergenossenschaft und Lippeverband in Essen. Schwerpunkt der Arbeit bildet der Emscherumbau und das Umbauprogram lebendige Lippe neben umfangreichen Reinvestitionen. Die Projektarbeit ist das Herzstück zur Umsetzung der vielfältigen Aufgaben. Ein internes Ingenieurbüro sichert das Know-how und die Qualitätssicherung, ein Multiprojektcontrolling die Organisation von hunderten von Projekten. Kontakt: stratemeier.norbert@eglv.de Projektteam des Emscher-Umbaus ausgezeichnet Autoren: Heike Kratt und Oliver Steeger projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 22 REPORTAGE niger Jahrzehnte gewachsen war. Weshalb war es erforderlich, einen ehemals wohl malerischen Fluss als Abwasserkanal zu nutzen? Ohne die Nutzung der Emscher als offener Schmutzwasserlauf wäre das wirtschaftliche Wachstum des Reviers kaum denkbar gewesen. Die Fabriken und Zechen brauchten eine Abwasserentsorgung. UNTERIRDISCHE KANÄLE FRÜHER NICHT DENKBAR Man hätte unterirdische Kanäle bauen können für die Abwasserentsorgung ... Genau dies war nicht möglich. Der Bergbau verursachte Erdsenkungen im Ruhrgebiet. Deshalb waren solche unterirdischen Kanäle früher nicht denkbar. Sie wären bei Bergsenkungen beschädigt worden. Deshalb hat man die Emscher sowie ihre Nebenbäche als offene Schmutzwasserläufe verwendet. Man sagt hier: Die Ruhr gab dem Ruhrgebiet ihren Namen, die Emscher ließ ihr Leben für das Ruhrgebiet. So kann man die Bedeutung der Emscher als zentraler Fluss des Ruhrgebiets zusammenfassen. Dennoch brachte die Emscher Probleme mit sich. Welche waren dies? Anfangs, also im 19. Jahrhundert, hatte das ganze Emscher-System nur ein schwaches Gefälle. Deshalb uferten die Wasserläufe oft aus. Ganze Stadtteile standen nahezu ständig unter Wasser. Wegen der Fäkalien im Wasser breiteten sich Krankheiten wie Typhus und Cholera aus. Lösungen mussten damals her. Doch die Städte scheiterten mit ihren individuellen Ansätzen, denn Wasser macht an Stadtgrenzen nicht halt. Um das Kirchturmdenken in den Rathäusern zu überwinden, wurde 1899 als Deutschlands erster Abwasserverband die Emschergenossenschaft gegründet. Sie hat dann die Emscher das erste Mal umgestaltet, begradigt und zu dem Abwasserkanal umgebaut, der die Emscher lange war. Unser Programm ist damit der zweite Umbau der Emscher. Sie haben den großen Abwasserkanal entlang der Emscher über fast 50 Kilometer unter die Erde verlegt, um der Emscher stellenweise ihr altes, natürliches Bild zurückgeben zu können, das sie vor der Industrialisierung bot. Solch ein Vorhaben dürfte weltweit einzigartig sein. Bis spätestens 2027 werden Sie daran noch arbeiten. Wo liegen die Herausforderungen genau? Es geht um die Schaffung einer komplett neuen technischen Infrastruktur für Wasser und Abwasser sowie um die Revitalisierung einer ganzen Flusslandschaft. Solch ein Projekt kann man sich kaum woanders abschauen. Die Emschergenossenschaft hat mit diesem Vorhaben völliges Neuland betreten. Dies war eine große Herausforderung. Hinzu kam eine zweite Sache: Die Rahmenbedingungen und die Anforderungen haben sich immer wieder geändert. Der Emscher-Umbau ist ein atmendes, sich ständig anpassendes und veränderndes Vorhaben. Deswegen hat die Emschergenossenschaft die mehr als 400 Einzelprojekte des Emscher-Umbaus immer wieder angepasst, weiterentwickelt und optimiert. So konnten wir die Vision einer abwasserfreien, neuen Flusslandschaft in einer Generation umsetzen. UNTERIRDISCHER „ZWILLING“ Wo lagen die technischen Herausforderungen genau? Die größte Herausforderung war sicherlich die Planung des unterirdischen Abwassersystems Die renaturierte Emscher in Deusen; Foto: Ilias Abawi projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 REPORTAGE 23 parallel zur Emscher und ihrer Nebenläufe. Das ganze Emscher-System erhält praktisch einen unterirdischen „Zwilling“ von insgesamt über 430 Kilometer Länge, in denen das Abwasser gesammelt und abgeleitet wird. Diese unterirdischen Kanäle - oder „Sammler“, wie wir sagen - werden inmitten eines dicht besiedelten Raumes gebaut, immerhin der drittgrößte Ballungsraum Europas. Außerdem sind viele dieser neuen Bauwerke nahezu einzigartig, etwa der 51 Kilometer lange Abwasserkanal Emscher zwischen Dortmund und Dinslaken oder seine drei großen Pumpwerke in Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen. Wie gesagt, für all dies konnten wir auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Das war absolutes Neuland. Wer Neuland betritt, kann bekanntlich auch neue Wege gehen ... Solch ein kompletter Umbau eines wasserwirtschaftlichen Gebiets bietet in der Tat Chancen. In dem Projekt konnten wir zukunftsweisende wassertechnische Optimierungen umsetzen. Wir haben gemeinsam mit Hochschulen viel Neues hinsichtlich Bauabwicklung und Material entwickelt. Spannend war für uns die bauliche Anpassung unserer Kläranlage Emscher-Mündung bei Dinslaken an das künftige Emscher-System. Der Umbau wurde bei laufendem Betrieb durchgeführt - wie eine Operation am offenen Herzen. Ihr Projekt ist weit mehr als ein wasserwirtschaftliches Infrastrukturvorhaben. Umweltschutz spielt eine Rolle, Städtebau, Strukturwandel im Ruhrgebiet. Es heißt, dass Ihr Vorhaben sogar zum Klimaschutz beiträgt. Inwiefern zum Klimaschutz? Ein Element beim Umgang mit den wasserwirtschaftlichen Folgen von Klimaveränderungen ist die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung. Wir - die Emscherstädte und die Emschergenossenschaft - wollen gemeinsam möglichst viele Flächen von der Kanalisation abkoppeln. Wir wollen sauberes Regenwasser direkt in die neuen Gewässer einleiten oder es durch Versickerung dem Grundwasser zuführen. Was den Umweltschutz im weiteren Sinne betrifft: Durch den Emscher-Umbau haben wir die tristgrauen „Köttelbecken“ ... ... Köttelbecken? Was darf ich mir darunter vorstellen? So hießen diese Emscher-Gewässer im Ruhrgebiet. Wir haben sie von ihren Betonsohlschalen befreit und ökologisch umgestaltet. Die Ufer werden bepflanzt. Die Natur kehrt an die Gewässer zurück. Die Fauna dankt es uns: Mittlerweile leben wieder Libellen an den Bächen. Groppen, Stichlinge und Forellen werden in den Emscher-Gewässern heimisch. Die Artenvielfalt hat sich seit Beginn des Emscher-Umbaus verdreifacht. LEBENSRAUM FÜR TIERE UND PFLANZEN Durch Ihr Großprojekt wird nicht nur der Lebensraum für Tiere und Pflanzen neu gestaltet, sondern auch der Lebensraum der Menschen entlang dieses Flusses. Wie hat sich das Emscher-Gebiet weiterentwickelt? Welche Beispiele stechen hervor? Die Rückkehr der sauberen Emscher hat viele städtebauliche Projekte angeregt: In Dortmund ist an der Stelle eines ehemaligen Stahlwerkes der heutige Phoenix-See gebaut worden. Der See dient unserer am Nordufer entlang fließenden Emscher als Hochwasser-Rückhaltebecken. Zahlreiche neue Häuser und Wohnungen sind an Phoenix-See und Emscher entstanden. Sie verändern den Stadtteil Hörde nachhaltig. Auch in Castrop-Rauxel regt die Flussrenaturierung mittlerweile zum „Wohnen an der Emscher“ an. Seit einigen Jahrzehnten befindet sich das Ruhrgebiet im Strukturwandel. Die alte Schwerindustrie, einst das wirtschaftliche Herz dieser Region, geht. Die letzten Zechen wurden kürzlich geschlossen. Man versucht, Zukunftsbranchen anzusiedeln und das Ruhrgebiet wirtschaftlich auf neue Füße zu stellen. Welchen Einfluss hat Ihr Projekt auf diesen Wandel? Der unterirdische Abwasserkanal der Emscher; Foto: Rupert Oberhäuser projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 24 REPORTAGE Die Revitalisierung des Emscher-Systems ist eines der symbolträchtigsten Projekte im Rahmen des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Eine gute wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt oder Region geht mit einem attraktiven Umfeld einher. Wir brauchen engagierte, gut ausgebildete Menschen hier. Mit dem Emscher-Umbau verbessern wir maßgeblich die Lebensqualität und Aufenthaltsqualität in der Region. Bislang benachteiligte Stadtteile entlang der ehemaligen Schmutzwasserläufe werden sozial aufgewertet. Die Flächenentwicklung knüpft jetzt an die gute wasserwirtschaftliche Infrastruktur an und greift den positiven Impuls auf. Der Emscher-Umbau hat Mut gemacht, auch weitere überregionale Aufgaben in der Region anzugehen. 400 TEILPROJEKTE, VIELE BETEILIGTE Eingangs sagten Sie, dass dieses Projekt weltweit einzigartig ist. Es hat keine Vorbilder. Ich vermute, dass dies nicht nur für den technischen Teil Ihres Projekts gilt, sondern auch für das Projektmanagement selbst. Sie sprachen von rund 400 Teilprojekten - und vielen Beteiligten. Wie haben Sie die Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung gestaltet? Der Emscher-Umbau ist kein alleiniges Projekt der Emschergenossenschaft. Es wurde im gemeinsamen Konsens mit Land und Kommunen beschlossen. Die Schaffung einer modernen abwassertechnischen Infrastruktur, Unterstützung des Strukturwandels, Aufwertung benachteiligter Stadtteile - diese Vorteile haben zu der breiten Akzeptanz dieses Generationenprojektes beigetragen. Als Erfolgsfaktoren hinzu kamen die offensive Öffentlichkeitsarbeit und die enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Kommunen. Das Großprojekt liegt zeitlich und finanziell im Plan. Welche Erfolgskriterien waren dafür maßgeblich? Dank der Projektstruktur, die wir für dieses Projekt entwickelt haben, konnten wir recht flexibel auf geänderte Randbedingungen reagieren und diese konsequent eskalieren. Das war mit Sicherheit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Ein weiterer ist: Wir haben intensiv mit allen Stakeholdern kommuniziert. Dies half, mögliche Widerstände weitgehend zu vermeiden. Auch haben wir die Kosten immer wieder auf den Prüfstand gestellt - durch ständige Optimierung und auch mit Ansätzen des Value Engineerings. Ein solches Generationenprojekt, wie Sie es eben genannt haben, stellt das Projektmanagement vor enorme Herausforderungen. Wie haben Sie als Gesamtprojektleiter dieses Vorhaben geführt? Zunächst haben wir uns bei der Emschergenossenschaft gut auf dieses Vorhaben vorbereitet. Unser Haus hat sich Anfang der Neunzigerjahre für diese Herausforderung komplett neu aufgestellt. Projektarbeit mit einem starken Projektmanagement wurde eingeführt. Die herausragende Rolle des Projektleiters mit der vollen Projektverantwortung war nicht unumstritten, wurde aber nach erster Eingewöhnungsphase gut akzeptiert. Es kommt eben immer darauf an, wie es gelebt wird. Und: Das Projektteam ist das Entscheidende, der Projektleiter muss es empathisch führen - und natürlich die Projektsteuerung im Griff haben. ABGESTUFTES CONTROLLING Projektsteuerung im Griff haben - wie sind Sie diese Aufgabe angegangen? Für uns hat sich ein systematisches, abgestuftes Controlling bewährt. Solch ein Controlling ist für die Gesamtprojektleitung wie eine Lebensversicherung angesichts der vielen Einzelprojekte und Teilprojekte, die über ein großes Gebiet verstreut sind. Zwischen dem Projektleiter und den Planungsbeteiligten findet monatlich das Projektleitungscontrolling statt. Dabei überprüfen wir die wesentlichen Punkte zu Kosten, Terminen und Qualität. Quartalsweise führen wir das Projektleitungscontrolling durch; es findet zwischen dem Projektleiter und dem Gebietsmanager mit ver- Das Schachtbauwerk für den Abwasserkanal Emscher; Foto: Rupert Oberhäuser projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 REPORTAGE 25 dichteten Daten statt. Halbjährlich wird der Fortschritt in jedem Projekt zwischen dem Gebietsmanager und mir als Geschäftsbereichsleiter besprochen. Die Ergebnisse werden dann komplett in einer Datenbank dokumentiert. Übergeordnet führen wir- Daten aus Einzelprojekten mittels Multiprojektcontrolling zusammen. Wir entwickeln dann die Planwerte für die nächsten Schritte, etwa die Wirtschafts- und Ressourcenplanung. Bei allem Controlling - wie sieht es mit Vertrauen aus? Gegenseitiges Vertrauen dürfte eine große Rolle bei solch einem Projekt spielen ... Mit Sicherheit! Bei so einem vielfältigen Vorhaben sind Vertrauen und Delegation unabdingbar. Wir haben notwendige klare Zielvorgaben gemacht - und dann die Verantwortung weitgehend an Projektmanager und ihre Teams gegeben. Dies bewirkt eine hohe Identifikation mit dem Projekt. Teams und Projektleiter arbeiten engagiert an ihren Aufgaben. Eine solche Übertragung ist aber nicht ohne Gegenleistung der Teams möglich: Diese Gegenleistung bestand darin, dass die einzelnen Projekte die Gesamtprojektleitung zeitnah und vollständig informiert haben - etwa über Abweichungen, Störungen oder Fehler. Es gibt ja kein Projekt, in dem nicht auch Fehler passieren. Dem muss man halt mit einer offenen Fehlerkultur begegnen. Dank dieser offenen Kommunikation konnten wir bei Bedarf nachsteuern. Zeitnah zu informieren bewirkt übrigens auch eine gewisse Entlastung bei Mitarbeitern: „Melden befreit! “ Beispielsweise haben wir Risiken und Störungen in unserem Vorhaben regelmäßig offen kommuniziert, bis in die Hausspitze und den Aufsichtsrat hinauf. Dabei haben wir unsere Lösungsschritte dargestellt. Dies schafft Vertrauen und Transparenz. INTERESSE AM EMSCHER-UMBAU GROSS Sie sagten vorhin, dass dieses Projekt weltweit einmalig ist. Sie hatten keine Vorbilder. Meine Frage: Nehmen sich andere Ihr Projekt mittlerweile als Vorbild? Welche Resonanz löst es aus? Das weltweite Interesse am Emscher-Umbau ist sehr groß. Wir haben regelmäßig internationale Delegationen zu Besuch auf unseren Anlagen und Baustellen, etwa aus Ländern in Südamerika oder Südostasien. Diese Regionen ähneln dem Ruhrgebiet der 1980er-Jahre, werden in Kürze also ebenfalls einen Strukturwandel vollziehen müssen. Dazu gehört auch der neue ökologische Umgang mit Gewässern - wie bei unserer Emscher! Lernen kann man nicht nur von Ihren technischen Lösungen, sondern auch von Ihrem Projektmanagement. Welche Ansätze sind Ihrer Ansicht nach auf Großprojekte der öffentlichen Hand übertragbar? Mit einem modernen Projektansatz lassen sich auch andere Großprojekte in öffentlicher Hand gut realisieren. Voraussetzung ist eine faire Projektausstattung mit Budget und Zeit, die nicht von vornherein politisch geschönt ist. Ich empfehle eine offene Kostenverfolgung, in der Veränderungen regelmäßig offen dargelegt werden. Bei langer Laufzeit ändern sich einige Teilziele; das Gesamtziel darf dabei jedoch nie aus dem Auge verloren werden. Agile Projektgruppen mit Blick in die Tiefe - das Schachtbauwerk für den Abwasserkanal Emscher; Foto: Rupert Oberhäuser 26 REPORTAGE projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 Anzeige BERUFSBEGLEITEND ZUM MASTER OF ARTS (M.A.) PROJEKTMANAGEMENT • Studium in nur 21 Monaten • International anerkannter Abschluss • Zulassung u.U. ohne Erststudium • Sonderkonditionen für Zertifizierungen • Kleine Gruppen LETZTER BEWERBERTAG 20. SEPTEMBER 2019 W eitere Informationen unter: business-school@tiba.de www.master.jetzt Einbeziehung aller Partner und Genehmigungsbehörden sind eine gute Basis. Ein Projekt, wie Sie es durchführen, ist eine Generationenaufgabe für die Gesellschaft - und eine Lebensaufgabe für den Einzelnen. Wo liegen die persönlichen Herausforderungen, wenn man solch eine Lebensaufgabe angeht? Man muss das Projekt lieben; dann fällt es leichter, andere Menschen zu begeistern und mitzunehmen. Hohes Vertrauen und konsequente Unterstützung des Vorstandes und des Aufsichtsrats sind wie Öl im Getriebe. Sie kommen selbst aus dem Ruhrgebiet? Ja, als Duisburger bin ich ein Kind des Ruhrgebiets. Ich bin mit der Montanindustrie und deren Folgen aufgewachsen. Ist diese Verbindung mit Ihrer Heimat hilfreich? Selbstverständlich! Bei dem Umbau der Region nach Abschluss des Bergbaus ist es für mich als Bauingenieur eine tolle Lebensaufgabe, dieses Projekt wesentlich mitgestalten zu können. An einem so einmaligen wasserwirtschaftlichen Umbau mitwirken zu können ist schon ein besonderes Privileg. GESAMTBILD SETZT SICH WIE PUZZLE ZUSAMMEN Trotzdem, Ihr Projekt erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Wie haben Sie sich so lange für dieses Vorhaben begeistern können - und auch andere begeistert? Wir haben das Gesamtprojekt in viele Teilprojekte untergliedert. Damit hat man immer wieder Teilerfolge, die auf dem langen Weg ermutigen. Das Gesamtbild setzt sich wie ein Puzzle immer weiter zusammen. Es ist regelmäßig ein Highlight, wenn ein Spatenstich oder eine Inbetriebnahme anstehen. Wenn solch ein Projekt zu Ende geht, endet für viele Beteiligte auch ein Lebensabschnitt. Das Projekt hat Sie viele Jahre begleitet, es ist vermutlich ein Lebenswerk. Wie schließt man mit solch einer Lebensaufgabe dann auch persönlich ab? Das werde ich in einigen Jahren sehen. Die Abwasserfreiheit in dem System erreicht zu haben, das wird schon ein tolles Gefühl sein. Dafür müssen wir bis 2021 aber noch hart arbeiten. Danach stehen ja auch noch zwei Drittel des Gewässerumbaus an. Das werde ich wohl nicht mehr abschließen können, aber mit Sicherheit weiter beobachten. REPORTAGE 27