eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 30/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2019
304 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Tübingen macht blau

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2019
Bernd Schott
Aus dem Rathaus der 88.500 Einwohner zählenden Universitätsstadt Tübingen, die südlich von Stuttgart liegt, geht ein Signal für den Klimaschutz aus: Das laut Weltklimarat (IPCC) notwendige Klimaschutzziel ist machbar, wenn politischer Wille und gesellschaftliches Engagement zusammentreffen. Der Klimawandel ist keine vage Prognose mehr, sondern eine globale, bedrohliche Realität geworden. Die Antwort aus Tübingen, an dessen 1477 gegründeter Universität über 28.000 Studierende für die Zukunft lernen, auf diese Herausforderung lautet „Global denken, lokal handeln“. Dafür wurde die kommunale Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ aufgelegt, die aufsummiert das Ziel verfolgt, in 16 Jahren die CO2-Emissionen pro Kopf um 40 Prozent zu senken. Erreicht sind bereits 29 Prozent.
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Politik im Klimawandel für Tübingen einschl. Umsetzungskonzept“ - kurz Projekt Klimaschutz - erhielt und ein handlungsorientiertes Klimaschutzprogramm mit 20 Teilprojekten erarbeitete [2]. Durch die Klimaschutzoffensive sollen die lokal verfügbaren Energiespar- und Klimaschutzpotenziale genutzt und eine Bürgerbewegung für den Klimaschutz initiiert werden. Zuallererst starteten Teilprojekte, die Vorbildcharakter haben sollten. Sie waren bei der Stadtverwaltung und zwei ihrer Töchter, den Stadtwerken (swt) und der Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau (GWG), angesiedelt. Zu diesen Teilprojekten gehörten beispielsweise das kommunale Energiemanagement, die Förderung von Solarenergie, General- und Teilsanierungen, Beleuchtungsumrüstungen, Umrüstungen auf Hocheffizienz-Heizungspumpen, schaltbare Steckerleisten, Radverkehrs- und Carsharing-Förderung, spezielle Vor-Ort-Beratung und Förderprogramme für finanzschwache Haushalte. 2011 wurde ergänzend zum Projekt „Klimaschutz“ die Teilnahme der Stadt am European Energy Award (eea ® ) beschlossen [3]. Mit der Teilnahme am eea wurde ein wirkungsvolles Qualitätsmanagementsystem aufgebaut, mit dem die Energie- und Klimaschutzaktivitäten in der Kommune erfasst, bewertet, geplant, gesteuert und regelmäßig überprüft werden, um Potenziale der nachhaltigen Energiepolitik und des Klimaschutzes identifizieren und nutzen zu können. Der eea dient der Stadtverwaltung seither zur Bewertung der Entwicklung in den jeweiligen Maßnahmenbereichen durch interne und externe Audits sowie zum interkommunalen Vergleich der Klimaschutzaktivitäten. Aus dem Rathaus der 88.500 Einwohner zählenden Universitätsstadt Tübingen, die südlich von Stuttgart liegt, geht ein Signal für den Klimaschutz aus: Das laut Weltklimarat (IPCC) notwendige Klimaschutzziel ist machbar, wenn politischer Wille und gesellschaftliches Engagement zusammentreffen. Der Klimawandel ist keine vage Prognose mehr, sondern eine globale, bedrohliche Realität geworden. Die Antwort aus Tübingen, an dessen 1477 gegründeter Universität über 28.000 Studierende für die Zukunft lernen, auf diese Herausforderung lautet „Global denken, lokal handeln“. Dafür wurde die kommunale Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ aufgelegt, die aufsummiert das Ziel verfolgt, in 16 Jahren die CO 2 -Emssionen pro Kopf um 40 Prozent zu senken. Erreicht sind bereits 29 Prozent. Die Universitätsstadt ist seit 1993 Mitglied des Europäischen Klimabündnisses e. V. Die Mitglieder dieses Bündnisses haben sich freiwillig verpflichtet, ihren Kohlendioxidausstoß (CO 2 ) alle fünf Jahre um 10 Prozent zu reduzieren. Um die Anstrengungen zum Klimaschutz zu intensivieren, startete die Verwaltung 2007 auf Initiative des neuen Oberbürgermeisters Boris Palmer (Bündnis 90/ Die Grünen) ihre Klimaschutzoffensive. Rückendeckung gab der Gemeinderat, der Mitte 2007 entschied, dass binnen fünf Jahren das Ziel „Minus 10 Prozent CO 2 “ erreicht werden solle [1]. Dazu wurde eine Projektgruppe „Klimaschutz“ aus Stadtverwaltung und städtischen Beteiligungsgesellschaften eingesetzt, die den Projektauftrag Nr. 6/ 2007 „Erstellung eines Klimaschutzprogramms „Tübingen macht blau“ Die kommunale Klimaschutzkampagne Autor: Bernd Schott Am 30. November 2015, zum Start der Klimaschutzkonferenz in Paris, wurde im Gemeinderat ein Folgebeschluss zur Klimaschutzoffensive unter anderem mit folgenden Inhalten gefällt: • Die energiebedingten CO 2 -Emissionen pro Kopf sollen bis 2022 gegenüber 2014 um 25 Prozent reduziert werden. • Die Stadtverwaltung und ihre Tochterunternehmen nehmen eine Vorbildfunktion für den Klimaschutz ein. • Die Infrastruktur ist daran ausgerichtet, dass sie … Möglichkeiten zum Energiesparen und Klimaschützen … eröffnet. • Die Stadtgesellschaft wird über die Möglichkeiten zu Klimaschutz und Energieeinsparung informiert und zur Mitwirkung motiviert [4]. 1. Klimaschutz-Baustein auf Klimaschutz-Baustein Für die Klimaschutzoffensive wird Klimaschutz-Baustein für Klimaschutz-Baustein modular umgesetzt. Erstes Modul: Im Sinne von SokprojektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 28 REPORTAGE rates „Wer etwas bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen“ setzen die Stadt und ihre Töchter um, was sie von Dritten erhoffen. Zweites Modul: Die Stadt sucht Mitstreiter, insbesondere Organisationen und Multiplikatoren, die dabei helfen, das Aktionsprogramm breitenwirksam zu machen. Drittes Modul: Die Bevölkerung wird angesprochen. Hierfür entwickelt die Stadt konkrete, einfache Klimaschutz-Bausteine, die für jede Bürgerin und jeden Bürger umsetzbar sind. Dazu gehört auch eine variantenreiche Kampagne, um den jeweiligen Klimaschutz-Baustein bekannt zu machen. Motivation, Aufklärung und eine hohe Zielgruppenspezifikation sind dabei stets besonders wichtig. So wurde die Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ ins Leben gerufen. Blau etablierte sich als Farbe des Klimaschutzes in Tübingen. Blau steht hier für blau schimmernde Fotovoltaikanlagen. Blaumachen dürfen Elektrogeräte, wenn sie wirklich aus sind, Autos, wenn sie für Bus, Bahn, Fahrrad oder Fuß stehen gelassen werden. Blau erscheinen gut gedämmte Gebäude in einer Thermografie, und ein blauer Himmel bedeutet gutes Wetter. Viertes Modul: Die Kampagne sollte über Jahre ihren Schwung behalten. Also wurden Erfolge publik gemacht, indem man mögliche Indikatoren auswählte. Über Presse, Internet und weitere Kanäle erfuhr die Bevölkerung Neues über „ihre“ Klimaschutzbeiträge. Weitere Mitmacher wurden auf diese Weise ebenfalls motiviert. Seit 2007 wurde mit „Tübingen macht blau“ eine fast schon unüberschaubare Anzahl an Klimaschutz-Bausteinen umgesetzt, rund um Strom, Wärme, Mobilität und Konsum. Einige Beispiele dazu: 2. Gemeinsam in Sonnenstrom investieren Anfang 2007 gab es in Tübingen lediglich 179 Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen), die es zusammen auf etwa 1 MWpeak installierte Leistung brachten - aber, wie Luftbilder zeigten, auch viele ungenutzte Dachflächen. Im Januar 2019 waren es 1.000 PV-Anlagen mit einer Leistung von 13,87 MWpeak. Ein Teil dieses Erfolgs konnte über Bürgersolargemeinschaften erreicht werden, denen die Stadt kostenlos Dachflächen auf städtischen Gebäuden zur Verfügung stellte. 2007 ließ die Stadt hierfür alle ihre Dächer daraufhin prüfen, ob sie sich für Photovoltaik (PV) eignen. Danach wurden die geeigneten Dächer über die eigens eingerichtete Online-Solardachbörse für Bürgergemeinschaften angeboten. Die Nachfrage war groß: Obwohl durch die städtischen Sanierungsmaßnahmen regelmäßig neue Dächer hinzukamen, gab es immer mehr Anfragen als geeignete Dächer. Insgesamt erzeugen auf kommunalen Dächern nun 30 Bürger-PV-Anlagen mit einer Leistung von 830 kWpeak jährlich fast 800.000 kWh klimafreundlichen Strom. Daneben installierten auch die Töchter swt und GWG weitere PV-Anlagen, und Stadt und swt rühren ständig die Werbetrommel für die PV. Damit Bürgerbeteiligung an PV-Anlagen noch einfacher und auch mit kleinen finanziellen Einlagen machbar wurde, wurde Ende 2009 die Bürgerenergie Tübingen eG gegründet. Dahinter stehen swt und die Volksbank. Von 2007 bis 2012 stieg die PV-Leistung in Tübingen kontinuierlich. Doch mit dem Rückgang der EEG-Vergütung sank auch der Zubau. Deshalb wurden neue Instrumente eingeführt: 2016 entwickelte die swt neue, attraktive Angebote für PV-Eigenstrom- und Mieterstromanlagen (z. B. das „swt-Energiedach“) und der Gemeinderat beschloss 2018 eine „Pflicht zur PV-Anlage“ für nahezu alle Neubauvorhaben in der Stadt [5]. 3. Im Dienst der Energiewende Neben den Investitionen in mehrere PV-Anlagen sind die swt noch auf vielen anderen Wegen im Dienste der Energiewende unterwegs. In Horb am Neckar wurde ein Wasserkraftwerk und regional wie bundesweit wurden Windräder gebaut, das Fernwärmenetz wurde ausgebaut und die zugehörigen KWK-Anlagen umfangreich modernisiert. Die swt investierten für erneuerbare Energien und Fernwärme zwischen 2007 und 2018 insgesamt über 118 Millionen Euro. Außerdem haben die swt Dienstleistungen entwickelt, die dem Klimaschutz dienen: für Kommunen ein kommunales Energiemanagement, für Unternehmen diverse Energieeffizienzdienstleistungen und für die Bürgerschaft Abb. 1: Bürger-PV-Anlage auf dem Wildermuth-Gymnasium; Foto: Solarstrom-Betreibergemeinschaft Wildermuth-Gymnasium Tübingen GbR projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 REPORTAGE 29 zahlreiche Förderprogramme beispielsweise für Erdgasheizungen oder einen Kühlschranktausch. Hinzu kommen Energiesparberatungen sowie ein leistungsfähiger und klimafreundlicher ÖPNV. 2010 wurde bei den Stadtwerken ein eigener Fachbereich für erneuerbare Energien und Energieeffizienz eingerichtet. Ein glaubwürdiges Engagement für die Energiewende also, das sicher dazu beigetragen hat, die Zahl der Ökostromkunden der swt von Anfang 2007 bis Anfang 2019 markant zu steigern: von 800 auf fast 13.000. 4. Auto teilen statt Auto haben Autos zu teilen gilt als sinnvoll. Ein Carsharing-Fahrzeug kann rund 8 bis 20 Privatwagen ersetzen. Das hat einige positive Effekte: Wenn es weniger Privatfahrzeuge gibt, braucht man auch weniger Stellplätze. Zudem werden Carsharing-Autos meist seltener genutzt als direkt verfügbare Privatfahrzeuge. Die Nutzer buchen häufig ein Auto in der Größe, die zum aktuellen Vorhaben passt - Privatfahrzeuge hingegen werden oft nach dem Maximalbedarf beschafft, also so groß, dass sie beispielsweise für den jährlichen Familienurlaub passen. Durch Carsharing werden im Alltag also mehr kleinere, sparsamere Autos (z. B. teilAuto Typ XS) eingesetzt. Insgesamt ergeben sich Potenziale für eine bessere Aufenthaltsqualität und Stadtgestaltung, positive Veränderungen des Mobilitätsverhaltens und nicht zuletzt eine Verminderung der CO 2 -Belastung. Auch beim Carsharing ging die Stadtverwaltung voran. Sie musterte Dienstwagen aus und wurde stattdessen Mitglied beim lokalen Carsharing-Anbieter „teilAuto“. Außerdem stellte die Stadt für „teilAuto“ etliche Stellplätze zur Verfügung, beispielsweise vor dem technischen Rathaus. Bald zeigte sich jedoch, dass für das Tübinger Carsharing-System noch viel mehr gut erreich- und sichtbare Stellplätze gebraucht werden, um noch attraktiver und um noch besser von der Bevölkerung angenommen zu werden. Deswegen begann die Stadt, gemeinsam mit dem Carsharing-Anbieter „teilAuto“ nach guten Stellplätzen zu suchen. Beispielsweise konnten 2009 direkt hinter dem historischen Rathaus zwei Stellplätze an „teilAuto“ vermietet werden, da der Oberbürgermeister keinen Dienstwagen mehr hatte, sondern nur noch ein Dienstrad fuhr. Doch die Verfahren, um der Öffentlichkeit Stellplätze für das Carsharing zu entziehen, sind oft aufwendig. Deshalb ergriff Tübingen als eine der ersten Städte in Deutschland die Chance für eine Carsharing-Satzung, als durch das Carsharing-Gesetz des Bundes eine neue Rechtslage entstanden war [6]. Damit wurde die Umwandlung deutlich vereinfacht. Die Stadt wirbt dabei stets aktiv für das Autoteilen. Außerdem besteht seit 2018 eine enge Kooperation zwischen teilAuto und den Stadtwerken Tübingen, um die Fahrzeugflotte noch einmal Abb. 2: Zubau der Photovoltaikleistung; Grafik: Stadtwerke Tübingen deutlich zu vergrößern. Damit soll durch ein enges Netz an Stationen das Autoteilen für noch mehr Personen attraktiv werden. Mittlerweile werden die Erfolge deutlich: Die Zahl der Tübingerinnen und Tübinger, die bei „teilAuto“ Mitglied sind, konnte seit 2007 mehr als verdreifacht werden. Und das, obwohl schon 2007 ein zur Stadtgröße Tübingens relativ hohes Mitgliederniveau erreicht worden war: Damals waren es fast 700 Mitglieder, Anfang 2019 dann jedoch über 2.200. 5. Komfort rauf, Heizungsrechnung runter Die Stadt und die GWG starteten 2008 für ihren Gebäudebestand eine Sanierungsoffensive - das Teilprojekt 4 der Klimaschutzoffensive. Eine umfängliche Analyse machte deutlich, welche Gebäude besonders marode sind, in welchem Zustand sich Gebäudehülle und Technik befinden, wie groß der Umfang der notwendigen Arbeiten sein würde und welche Energieeinsparungen zu erreichen wären. Als sich Ende 2008 die Vorboten der Wirtschafts- und Finanzkrise in Tübingen zeigten, reagierte die Stadt antizyklisch. Während auf Bundes- und Landesebene noch Details der Konjunkturpakete diskutiert wurden, beschloss der Gemeinderat ein eigenes Tübinger Konjunkturpaket. 2009 wurden 7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die vor allem dem örtlichen Handwerk zugutekamen. Dadurch hat die Stadt allein 2009 ebenso viel für die Erhaltung und Sanierung ihrer Gebäude ausgegeben wie zuvor in den Jahren 2003 bis 2006. Besonders viel wurde in Schulgebäude investiert. Auch die GWG hat in den Jahren 2007 bis 2016 über 52 Millionen Euro investiert. Für diese Summe wurden insgesamt 411 Wohnungen saniert. Immer ging es dabei um zwei Ziele gleichzeitig: mehr Komfort und geringere Heizkostenrechnungen. Diese Strategie werden Stadt und GWG auch in Zukunft mit hohen Investitionen verfolgen. Ziel der GWG ist es, bis 2021 fast 1.000 Wohnungen saniert zu haben. Manche Gebäude sind jedoch in einem derart ungünstigen Gesamtzustand, dass diese durch Neubauten ersetzt werden, anstatt sie zu sanieren. Tübingen konnte auf diese Weise eine sparsame Haushaltsführung mit Wirtschaftsförderung, Bildungsinvestitionen und Klimaschutz verbinden. Die Bilanz der kommunalen Sanierungsmaßnahmen kann sich sehen lassen: Der witterungsbereinigte Wärmeenergiebedarf aller kommunalen Liegenschaften war 2016 deutlich niedriger als noch projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 30 REPORTAGE Wir organisieren Souveränität. Projektmanagement Neue Herausforderungen selbstbewusst lösen. Dank ibo-Zertifikat Das Fundament des Projekterfolgs bildet gut ausgebildetes Projektpersonal, das Werkzeuge und Techniken beherrscht, einschätzen kann, wann klassisches Projektmanagement, ein hybrides oder agiles Vorgehen Sinn macht und sicher in Teamführung und Stakeholdermanagement ist. Ausbildungen und Termine Projektmanagement-Fachmann/ frau Die Grundlage für Ihren Projekterfolg. 21.10.2019 Berlin 04.02.2020 Frankfurt am Main 27.04.2020 München Agiler Projektmanagement-Experte Sie lernen agile und hybride Projekte zu initiieren und erfolgreich durchzuführen. 16.09.2019 Berlin 02.03.2020 München 04.05.2020 Hamburg T R A I N I N G Infos und Buchung 0641-98210-300 www.ibo.de 2006, er sank um 31 Prozent, dies entspricht etwa 6,4 GWh/ a. Dies wurde erreicht, obwohl zusätzliche Gebäude und Flächen hinzugekommen sind und die Nutzungszeiten stark ausgeweitet wurden. Zu dieser positiven Entwicklung haben auch die Sensibilisierung der Nutzer und die Optimierung von Heizanlagen beigetragen, zwei weitere Projekte der Tübinger Klimaschutzoffensive. 6. Strom - zum Verschwenden zu schade Stromsparen ist ein Schwerpunkt der Klimaschutzoffensive. Um weniger Strom zu verbrauchen, hat Abb. 4: Tübinger Mitgliedszahlen zum Januar des jeweiligen Jahres; Grafik: teilAuto Neckar-Alb eG die Stadtverwaltung zahlreiche Pakete geschnürt. So wurden beispielsweise die kommunalen Heizzentralen umgerüstet auf neue Hocheffizienz-Umwälzpumpen, das brachte Ersparnisse von jährlich rund 142 MWh. Die Lampen in der Straßenbeleuchtung wurden ausgetauscht, anstelle von Quecksilberdampf-Lampen traten Natriumdampf- oder LED-Lampen - ein Minus von jährlich 355 MWh. Auch 33 Ampeln haben jetzt LED-Technik, eine Senkung von 150 MWh pro Jahr. Lampentausch auf LED- oder Energiesparlampen stand auch bei den Innenräumen des Stadtmuseums und in Parkhäusern der swt auf dem Programm, weitere 130 MWh wurden so eingespart. Abb.3: Carsharing-Fahrzeug aus der Kooperation mit den Stadtwerken Tübingen (swt); Foto: Stadtwerke Tübingen Anzeige projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 Öffentlichkeitswirksam warb „Tübingen macht blau“ außerdem für LED-Lampen, schaltbare Steckerleisten sowie den Tausch von Heizungspumpen und Kühlschränken. Zudem wurde ein Netzwerk für den Verleih von Strommessgeräten eingerichtet, damit die Bürgerinnen und Bürger zu Hause auf die Jagd nach Stromräubern gehen können. Zum 150. Firmenjubiläum legten die swt eigens eine Kampagne auf: „Null-Komma-Strom - wir sparen uns ein Kraftwerk.“ Die Kampagne bot beispielsweise Förderprogramme für effiziente Kühl- und Gefriergeräte, Coaching und Beratung sowie eine neue Heizungspumpe, die über die Stromrechnung abbezahlt werden kann. Diverse weitere Förderprogramme für Haushalte und spezielle für finanzschwache Haushalte von Stadtverwaltung bzw. swt helfen, in die Stromeinsparung zu investieren. Die Einsparrechnung ging auf: Der spezifische Stromverbrauch pro Einwohner sank von 2006 bis 2018 um 15 Prozent auf 4.439 kWh/ EW. Und dies, obwohl im selben Zeitraum die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um rund 10.000 gestiegen ist und Arbeitsplätze in Tübingen in der Regel mit Stromverbrauchern wie z. B. EDV, Beleuchtung oder Ähnlichem ausgestattet sind. An der erzielten Stromeinsparung lässt sich gut darstellen, dass die Vorteile von Klimaschutzmaßnahmen nicht nur bei einer Verminderung von klimaschädlichen Gasen, sondern auch bei einer Reduktion der Energieimportabhängigkeit und der -Kosten sowie der Risikominimierung liegen. Hätte z. B. die Stadtgesellschaft in Tübingen in 2018 einen Stromverbrauch pro Kopf auf dem Niveau des Jahres 2006 - also dem Jahr vor der Tübinger Klimaschutzoffensive - gehabt, dann wäre der Stromverbrauch um 67,7 Millionen kWh höher gewesen. Dies wiederum hätte eine um 19,4 Mio. Euro höhere Stromrechnung für die Endverbraucher bedeutet. 7. Mobilität 2030 Tübingen Im September 2008 wurde das Tübinger Rathaus erstmals zum Radhaus. Mitglieder des Gemeinderats und der Stadtverwaltung sowie zahlreiche Bürgerinnen und Bürger traten drei Wochen lang in die Pedale, um Tübingen beim bundesweiten Wettbewerb „Stadtradeln“ nach vorne zu bringen. Die 248 Radaktiven schafften zusammen 53.000 Kilometer, damit ging Tübingen aus dem Wettbewerb als „radaktivste Kommune“ hervor. 2012 waren beim Stadtradeln Tübingen dann bereits rund 2.500 Radaktive dabei, die zusammen 441.000 Kilometer in drei Wochen zurücklegten. Alle zwei Jahre startet Tübingen beim Stadtradeln-Wettbewerb. Die Zahlen sind in etwa auf dem Niveau von 2012 stabil. Klimaschutz und Mobilität zusammenzubringen, ist eine große Herausforderung. Um ihr begegnen zu können, startete 2009 die Aufstellung des Konzepts „Mobilität 2030 Tübingen“. Auf diese Weise sollte ein umfassendes Konzept erarbeitet werden, wie Tübingen bis zum Jahr 2030 seinen CO 2 -Ausstoß im Bereich Verkehr um 50 Prozent senken kann. Finanzielle Unterstützung kam aus der Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums. Ein wichtiger Schritt war eine große Stakeholdereinbindung: Es wurden mehrere Workshops organisiert, zusammen mit zahlreichen Vertretern aus Organisationen von ADAC bis ADFC sowie der örtlichen Arbeitgeber wie Universität und Universitätsklinikum. Die Beratung steuerte das Umweltbundesamt bei. So wurde ein Aktionsplan entwickelt, der seither engagiert umgesetzt wird. Erstes sichtbares Ergebnis waren die Umbauten, mit denen am Hauptbahnhof Barrierefreiheit erreicht wurde, denn der ÖPNV ist das Rückgrat der nachhaltigen Mobilität. Abb. 5: Spezifischer Stromverbrauch in kWh/ EW; Grafik: Universitätsstadt Tübingen Abb. 6: Dienst-Pedelec der Stadtverwaltung im Einsatz; Foto: Anne Faden projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 32 REPORTAGE Es folgte die Umsetzung des Bodenbelagskonzepts „Altstadt“ mit niveaugleichen Verkehrsflächen, Geschwindigkeitsreduzierung, Verbesserung der Begehbarkeit und Aufwertung der Aufenthaltsqualität in der Altstadt. Und 2013 bis 2015 wurde das südliche Stadtzentrum umgebaut, um mehr Platz für Zu-Fuß-Gehende und Fahrrad-Fahrende zu gewinnen und die Stadtqualität zu erhöhen. Jedoch fehlt häufig ein passendes und sicheres Fahrrad, um umweltfreundlich unterwegs sein zu können. Rund 1.200 Kinder und Jugendliche in Tübingen stammen aus finanzschwachen Haushalten, erhalten Sozialleistungen und die Tübinger KinderCard. Oft bleibt da kein Geld, um ein Fahrrad zu kaufen oder instand zu halten. Hier setzt das Projekt „Ein sicheres Rad für jedes Kind“ der Stadt an. Das Projekt läuft in drei aufeinander aufbauenden Modulen ab, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen: 1. Sicherheitscheck und Wartung vorhandener Räder 2. Reparatur vorhandener Räder 3. Sammelaktion ungenutzter Räder, um diese an die Zielgruppe abzugeben Abb. 7: Auftaktveranstaltung zum „Tübinger Klimaschutzpakt“; Foto: Bernd Schott REPORTAGE 33 Anzeige tisch nach dem Modell „Hohenlohe“ angeboten, an dem zwar sehr viele Unternehmen Interesse zeigten, aber am Ende doch nur acht Betriebe teilnahmen. Mit dem Projekt „Blaue Sterne Betriebe“ wurde 2013 ein weiterer Anlauf unternommen, um unternehmerisches Handeln für den Klimaschutz nutz- und sichtbar zu machen. Doch aktuell hat sich erst ein Betrieb für diese Auszeichnung beworben - zumindest jedoch erfolgreich. Deshalb wurde 2017 eine große Befragung unter den Tübinger Unternehmen und Arbeitgebern durchgeführt, an welchem Format zur Einbindung in den kommunalen Klimaschutz diese besonderes Interesse hätten. Aus den Rückmeldungen wurde der „Tübinger Klimaschutzpakt“ entwickelt, der sowohl politische als auch fachlich orientierte Veranstaltungen (z. B. zu Photovoltaik, betrieblichem Mobilitätsmanagement, Eigenstromproduktion und CO 2 -Bilanzierung) anbietet. Zum Start 2018 traten 60 Unternehmen und Einrichtungen dem Pakt bei und bekamen dazu vom Oberbürgermeister ihre offizielle Beitrittsurkunde überreicht. Damit sind die Unternehmen Teil der weltweiten Bewegung zum Klimaschutz und unterstützen innerhalb der eigenen Handlungsmöglichkeiten die Universitätsstadt Tübingen dabei, unser Klima zu schützen, uns unabhängiger von Import-Energieträgern zu machen und unseren Energieverbrauch zu reduzieren. Abb. 8: Fahrgastzahlen beim Stadtverkehr Tübingen in Mio.; Grafik: Stadtwerke Tübingen Das Projekt hat zum Ziel, Kindern und Jugendlichen aus finanzschwachen Haushalten den Zugang zu einer sicheren (Rad-)Mobilität zu ermöglichen. Es ist ein Beitrag zur Teilhabe und zum Umwelt- und Klimaschutz. Inzwischen wurden über 500 Rad-Checks durchgeführt, rund 120 größere Reparaturen erledigt sowie ca.-550 Spendenräder gewartet und verschenkt. Zudem profitieren auch viele Flüchtlingsfamilien von diesem Projekt. Es gab weitere Schritte, um - neben dem forcierten Ausbau der Infrastruktur (Radwege und Abstellanlagen) - mit soften Maßnahmen den Radverkehr zu fördern: Projekte wie der in Kooperation mit dem ADFC Tübingen angebotene RadCHECK (mehrmals jährlich), Pedelec-Testradeln (jährlich) und diverse Programme von Stadtverwaltung und swt zur finanziellen Förderung von Pedelecs, E-Bikes, E-Rollern und Lastenfahrrädern. Zudem konnte ein Job-Ticket eingeführt werden, welches den gesamten Verkehrsverbund naldo umfasste, und das „Dienstfahrrad mit der Option zur privaten Nutzung“ bei vielen Tübinger Arbeitgebern platziert werden. Hinzu kamen in der Folge unter anderem neutrale Beratungsstellen zum betrieblichen Mobilitätsmanagement für Arbeitgeber und -nehmer, zur „ökologischen Mobilität“ für Neubürgerinnen und Neubürger, Fahrrad-Sicherheitskurse für geflüchtete Menschen sowie mit dem Teilprojekt „baby on board“ Schnupperangebote für den ÖPNV, Carsharing und Kindertransporträder, die alle jeweils kostenlos und niederschwellig nutzbar sind. Aktuell wird an der sukzessiven Elektrifizierung des Fuhrparks von Stadt und swt sowie an der Umsetzung eines kommunalen Elektromobilitätskonzeptes gearbeitet, das Anfang 2019 fertiggestellt wurde. 8. Tübinger Klimaschutzpakt Der Pariser Vertrag der Weltgemeinschaft von 2015 setzt auf internationale Initiativen, Eigenverantwortung und Handeln vor Ort, um den Risiken eines fortschreitenden Klimawandels und der überwiegend auf fossilen Energieträgern basierenden Energieversorgung entgegenzuwirken. Um die ehrgeizigen Klimaschutzziele weltweit und in Tübingen erreichen zu können, bedarf es einer Bürgerbewegung für den Klimaschutz. Für die Einbindung der Tübinger Unternehmen und Arbeitgeber wurden dafür verschiedene Möglichkeiten „ausprobiert“. Mit der örtlichen IHK wurde 2012 ein Energieeffizienz- 9. Guter Rat muss nicht teuer sein Wie geht Klimaschutz? Konkrete Beratung für Bürgerinnen und Bürger kann hier vieles bewirken. Diese gab es bei Energietagen und Klimatagen, an Beratungsständen und auf Ausstellungen wurde beispielsweise zu Solarenergie oder zu Passivhäusern informiert. Hinzu kamen Fachvorträge, Stromsparchecks in finanzschwachen Haushalten, Impulsberatungen zur Gebäudesanierung und viele weitere kleinteilige Angebote. Dabei wirkten etliche Partner mit, darunter die Agentur für Klimaschutz, die Architektenkammer, der BUND, die Caritas, die Fahrradhändler, das Handwerk, die swt, teilAuto und das Umweltzentrum. Mit diesen Partnern wurden unzählige Veranstaltungen und kontinuierliche Beratungsstellen geschaffen, damit sich jede und jeder in Tübingen kompetent und kostenlos über die Möglichkeiten der Energieeinsparung und des Klimaschutzes informieren kann. Allein in der Zeit von September 2016 bis Ende 2018 wurden 106 Beratungsdonnerstage, neun Informationsabende und fünf große Energiebzw. Klimatage im Tübinger Rathaus abgehalten. 10. Unterm Strich Die Klimaschutzinitiative hatte und hat große Ziele: Sie will eine deutliche Senkung der Energieverbräuche und CO 2 -Emissionen. Dafür setzt sie projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 34 REPORTAGE auf vielfältige Aktionen, Investitionen, Kooperationen und Klimaschutzbausteine. Und die ersten Ziele wurden erreicht! Das zeigt die jährliche Energie- und CO 2 -Bilanz, die mithilfe der Software ECO-Region bzw. BICO2BW errechnet wurde. Demnach liegen die Pro-Kopf-Emissionen von 2016 um 29 Prozent unter den Werten von 2006. Die absoluten CO 2 -Emissionen sanken um fast 24 Prozent, während im selben Zeitraum die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als 26 Prozent und die der Einwohnerinnen und Einwohner um etwa 13 Prozent angestiegen sind. Gesunken ist auch der spezifische Verbrauch von Wärme um etwa 10 bis 20 Prozent (aufgrund der Datenqualität und der Nutzung von klassischen Wärmeenergieträgern auch für Strom und Kälte ist hier nur ein vages Ergebnis ermittelbar). Lediglich beim Verkehr ist noch keine Verbesserung zu erkennen. Gestiegen sind dagegen die Anteile erneuerbarer Energieträger im Bereich Strom und Wärme. Tübingen hat für sein Vorgehen und sein Engagement beim Klimaschutz viel Anerkennung und auch einige Zuschüsse von Land und Bund erhalten. Außerdem konnten Landes- und Bundesmittel eingeworben werden, die man beispielsweise für Beleuchtungs- und Ampelumrüstaktionen, die RadKULTUR, das Konzept Mobilität 2030 und für Mobilitätsberatungen einsetzte. Zuletzt wurde Tübingen in 2018 mit dem European Energy Award (eea) in Gold und mit dem „Climate Star 2018“ des Europäischen Klimabündnisses ausgezeichnet. Hervorgehoben wurden vom externen Auditorenteam des eea dabei das besondere Engagement im Bereich der effizienten Energienutzung, der Ausbau erneuerbarer Energien und herausragende Erfolge beim Energiesparen und beim Klimaschutz innerhalb des „Konzerns Stadt“ und der Stadtgesellschaft. Tübingen wurde beim externen eea-Audit eine Zielerreichung von 81,5 Prozent bescheinigt. Keine andere eea-Kommune der „Größenklasse 50.000 - 100.000 EW“ hat damit aktuell einen höheren Zielerreichungsgrad als Tübingen [7].  Literatur [1] Beschlussvorlage 147/ 2007 des Tübinger Gemeinderates: Konsequenzen aus dem 3. Klimaschutzbericht. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 147/ 2007 [2] Berichtsvorlage 395/ 2007 des Tübinger Gemeinderates: Projekt Klimaschutz. www. tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 395/ 2007 [3] Beschlussvorlage 55/ 2011 des Tübinger Gemeinderates: Teilnahme am European Energy Award. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 55/ 2011 [4] Beschlussvorlage 305/ 2015 des Tübinger Gemeinderates: Tübinger Klimaschutzoffensive, Fortschreibung. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 305/ 2015 [5] Beschlussvorlage 161/ 2018 des Tübinger Gemeinderates: Klimaschutzoffensive; Verpflichtung zur Herstellung bzw. Vorhaltung einer Fotovoltaikanlage bei Neubauten; Grundsatzbeschluss. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 161/ 2018 [6] Beschlussvorlage 200/ 2017 des Tübinger Gemeinderates: Satzung zur Änderung der Satzung über die Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen; Sondernutzung Carsharing. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 200/ 2017 [7] Berichtsvorlage 44/ 2019 des Verwaltungsauschusses des Tübinger Gemeinderates: European Energy Award (eea); Ergebnisse aus dem externen Audit. www.tuebingen.de/ ratsdokumente/ vorlage/ 44/ 2019 Abb. 8: Energiebedingte CO 2 -Emissionen (inkl. Vorkette) pro Einwohner Der Benchmark für Ressourcenplanung Projektportfolio-Management Ressourcenplanung Zeit-/ Aufwanderfassung Kostenmanagement Projektplanung Die Testumgebung in der Cloud steht für Sie bereit Scheuring AG CH-4313 Möhlin � +41 61 853 01 54 www.scheuring.ch � info@scheuring.ch www.ressolution.ch Anzeige projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019 REPORTAGE 35