eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 30/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2019
304 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Die Paradoxie bei der Veränderung

101
2019
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
pm3040065
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Ehrlich trifft Priesberg auf dem Weg zu einer gemeinsamen Informationsveranstaltung. Priesberg ist begeistert: „Wir haben einen neuen Gesamtprojektleiter. Der ist jung, dynamisch und möchte vor allen Dingen eine neue Offenheit. Ich glaube, er wird viel verändern. Die Teilprojektleiter zittern schon vor ihm, denn er wird nichts tolerieren, was nicht sofort ans Tageslicht gebracht wird.“ „Sagen das die Teilprojektleiter? “, fragt Ehrlich ungläubig. „Ja, genau so ist es. Man spürt den neuen kalten Wind“, legt Priesberg unbeirrt nach. „Dann bleibt alles, wie es ist, oder wird sogar noch schlimmer“, fasst Ehrlich zusammen. Priesberg verdreht die Augen. „Du hast dir doch auch neue, unverbrauchte Führungskräfte gewünscht. Weshalb glaubst du, dass der neue Gesamtprojektleiter nichts reißen wird? Du kennst ihn noch nicht einmal. Gib ihm doch eine Chance.“ „Ist ja gut, hör mir einfach mal zu“, beschwichtigt Ehrlich und fährt fort: „Was haben die Teilprojektleiter beim früheren Gesamtprojektleiter gelernt? Na? Ich sage es dir: Sie haben gelernt, Dinge auszusitzen und die schöne Seite zu zeigen, auch wenn die Resultate noch so dünn waren.“ „Mag sein, aber das wird doch jetzt ganz anders werden: Er ermutigt sie, Fehler sofort zu melden und nicht zu wiederholen“, fällt ihm Priesberg ins Wort. „Und genau deswegen wird es weiterhin nur schöne Resultate geben“, unterbricht Ehrlich. „Der neue Projektleiter wird doch mit seinen einzelnen Projektleitern reden und sie ermutigen! “, wiederholt Priesberg gereizt. „Du hast mir doch eben beigebracht, die Teilprojektleiter zittern vor ihm“, beharrt Ehrlich, Autor: Jens Köhler Die Paradoxie bei der Veränderung Projektgeschichten und Fallstudien „wieso soll dann jemand von sich aus loslegen? Das Entscheidende ist für mich, wie der Ton gesetzt wurde. Und der ist eindeutig von Angst geprägt.“ Ehrlich überlegt und spricht: „Die Teilprojektleiter bilden einen Schutzschild und schirmen sich ab. Es wird sich nichts ändern! “ Beide gehen einige Zeit schweigend nebeneinanderher. Priesberg durchbricht das Schweigen: „Das Beispiel mit dem Schutzschild gefällt mir irgendwie. Gibt es am Ende eine Möglichkeit, es auszuschalten? “ Ehrlich übernimmt: „Der neue Chef sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich immer ein Schutzschild bilden wird. Selbst wenn die Teilprojektleiter besten Willens sind und verändern wollen. Erinnere dich daran, dass in Organisationen - hier dem Gesamtprojekt - die Kommunikation entscheidend ist. Die Teilprojektleiter haben gelernt, Schwierigkeiten nicht zu kommunizieren. Und genau das werden sie weiterhin tun. Sie folgen ihren unausgesprochenen Regeln.“ Priesberg überlegt: „Wenn der neue Chef das weiß, dann sollte er versuchen, diese Regeln zu verstehen. Er sollte vor allem verstehen, was sie inhaltlich bedeuten. Dies führt ihn schließlich auf die tatsächlichen Probleme. Und das sind nämlich genau die Dinge, über die nicht gesprochen wird.“ Ehrlich lobt: „Bravo, lieber Kollege. Das war der erste Streich … und der zweite folgt sogleich.” Priesberg verzieht das Gesicht, legt aber nach: „So wie ich das Ganze verstehe, kommt es jetzt darauf an, wie der neue Chef mit Fehlern umgeht. Wenn er die Teilprojektleiter bestärkt, sich mit den Fehlern auseinanderzusetzen, sie zuzulassen, aus ihnen zu lernen, dann spricht sich das rum. Die Angst wird sicher verschwinden. Wenn der neue Chef allerdings Rügen erteilen sollte, dann …“ „… wird der Schutzschild umso stärker“, fällt ihm Ehrlich ins Wort und fragt: „Kann noch etwas passieren? ” Priesberg überlegt und bekommt langsam Spaß an der Sache: „Er kann auf Dauer sogar seine Macht verlieren: Je länger er die Macht hat, aber nichts ändert, desto mehr verschwindet der Einfluss auf seine Umgebung und er stärkt das bestehende System. Paradox! “ Ehrlich fasst zusammen: „Also gibt es wenige Ankerpunkte, die der neue Gesamtprojektleiter hat: den Schutzschild erkennen und verstehen, um dadurch zu den Problemen zu gelangen. Und als Nächstes: die Probleme inhaltlich aufarbeiten und dies als Standard setzen.“ „Und was passiert, wenn Kosten- und Zeitdruck das nicht zulassen? “, fragt Priesberg. Ehrlich schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und will zu einem längeren Monolog ausholen. Priesberg lässt das aber nicht zu: „Jaja, ich habe verstanden: Diese sind natürlich auch als Probleme aufzufassen und zu hinterfragen.“ „Du siehst, es hilft, stets das Gesamtsystem zu betrachten. Dann lassen sich auch solche Paradoxien auflösen“, spricht Ehrlich und ist erleichtert, dass sein Kollege in letzter Minute die Kurve doch noch gekriegt hat.  Autor Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com WISSEN 65 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2019