PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Führen mit Werten bei Otto
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Astrid Ritscher
Was beobachten und erleben Menschen, die für den Business-Intelligence-Bereich von Otto arbeiten? Was denken und fühlen sie? Wo helfen ihnen Werte in der Veränderung? Das sind die Themen dieses Artikels. Der BI-Bereich arbeitet immer mehr im komplexen Umfeld. Damit das funktioniert, löst agile Führung andere Führungsmodelle ab. Agile Transition und Organisationsveränderungen im Bereich fordern Mitarbeiter und Führungskräfte heraus. Werte geben einen Rahmen. Wie gehen Führungskräfte und Mitarbeiter mit den BI-Werten um? Wo helfen Werte? Sollten Werte gepflegt werden und wie? Was ist passiert, wenn ein Wert verletzt wurde? Dieser Artikel teilt Entwicklungen und Erfahrungen aus dem BI-Bereich von Otto.
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Führen mit Werten im Business Intelligence Bereich von OTTO Astrid Ritscher 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · Was beobachten und erleben Menschen, die für den Business Intelligence Bereich von OTTO arbeiten, mit Führung und Werten? Was denken und fühlen sie? Wo helfen ihnen Werte in der Veränderung? Das sind die Themen dieses Artikels. Der Business Intelligence Bereich - im Folgenden BI Bereich genannt - hat in den letzten Jahren viele Veränderungen erlebt: • von klassischem Arbeiten zu agilem Arbeiten, • hin zu agiler Führung, • von der Organisation in zwei Bereichen zur Organisation in einen gemeinsamen BI Bereich und • von der Arbeit in Projekten zur Arbeit an und in Wertströmen. Die damit einhergehenden Veränderungen von Organisationsstrukturen, Prozessen und Arbeitskultur sind für die Menschen beträchtlich. Es ist spannend, das nah mitzuerleben und mitgestalten zu können. Dieser Artikel teilt Entwicklungen und Erfahrungen aus dem BI Bereich. Die Veränderungen wurden notwendig, da der Onlinehandel immer häufiger in einem komplexen Umfeld stattfindet. Dazu gehört zum Beispiel: • Der Onlinehandel, mit globalen Kunden und Konkurrenten, der in einem schnellen, disruptiven Markt viele Möglichkeiten bietet, erfolgreich oder erfolglos zu sein. • Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an Schnelligkeit und Skalierbarkeit von Prozessen und IT. Auf die BI und deren Mitarbeiter*innen kommen besondere Herausforderungen zu, da sie mit ihrem Know-how von bewährten und innovativen Data Science Technologien passende BI Lösungen bauen, um die Fachbereiche dabei zu unterstützen, die richtigen Entscheidungen für OTTO zu treffen. Beispielsweise helfen Algorithmen dabei, Werbebudget gezielt einzusetzen und Kund*innen auf den Kanälen anzusprechen, die sie auch wirklich nutzen. Die Organisationsform, das übliche Vorgehen klassischer Projekte und die Art, wie Führungskräfte und Mitarbeiter*innen Verantwortung übernehmen, entscheiden und handeln - kurz: wie Führung gelebt wird - passten in diesem komplexen Umfeld nicht mehr. Die Autorin hat von den rund 200 Mitarbeiter*innen der BI zehn Mitarbeiter*innen und Führungskräfte interviewt und in vielen weiteren Gesprächen Eindrücke gesammelt. Bei den von den Kolleg*innen geteilten Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnissen zu Führung mit Werten spielen frühere Erfahrungen, persönliche Prinzipien, Werte und vieles mehr eine Rolle. Das macht die versammelten Eindrücke so vielfältig, aber manchmal auch gegensätzlich und immer spannend. Deswegen gibt es hier kein Richtig oder Falsch, sondern nur das aus dem vertrauensvollen Gespräch entstandene „subjektive Richtig“. Zunächst wird das Umfeld beschrieben, in dem Führen mit Werten im BI Bereich stattfindet. In diesen Kontext werden dann Beobachtungen und Meinungen der BI Kollegen zu Führung und zu Werten gestellt, einander gegenübergestellt und beleuchtet. Das Umfeld Los geht es mit dem Kontext von OTTO, dem BI Bereich und einer organisatorischen Veränderung, mit der gemeinsame Werte im neuen BI Bereich etabliert worden sind. Seit Mitte 2017 arbeitet der Onlinehändler an der Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells zur Plattform und der Öffnung von otto.de für neue Partner und Marken. Wir werden unser Sortiment deutlich erweitern. Zunächst konzentrieren wir uns darauf, die Sortimente Home & Living, Fashion und Unterhaltungselektronik auszubauen und unsere führende Position im Segment Möbel- und Einrichtung ausbauen. Gleichzeitig öffnen wir unsere technologische Infrastruktur. Partner werden zukünftig von der Finanzierung über Marketingangebote bis hin zur Logistikleistung das komplette Paket von OTTO angeboten bekommen. Waren wir bislang primär Händler, entwickeln wir uns jetzt zu einem Marktplatz und Serviceprovider. Das sind elementare Veränderungen, die auch unsere Unternehmenskultur tangieren. Der BI Bereich von OTTO ist Dienstleister für die Fachbereiche, wie beispielsweise Einkauf, Logistik und Online-Marketing. Die Kolleg*innen arbeiten daran, Daten in wertvolle Informationen umzuwandeln, mit denen die Fachbereiche bessere Entscheidungen treffen können. Die Mitarbeiter*innen kennen sich mit Data Science und der Entwicklung von Reports, Software und Datenbanken aus. Unterstützt wird ihre Arbeit unter anderem durch Product Owner, Scrum Master, Agile Coaches und disziplinarische Führungskräfte. Wie war und ist der BI Bereich organisiert? Die mehr als 200 Mitarbeiter*innen der OTTO-BI waren bis zum 1. März 2019 zwei Bereichen mit verschiedenen Zielen zugeordnet. Die unterschiedliche Ausrichtung führte immer wieder zu Spannungen. Schließlich wurde entschieden, die BI in einen gemeinsamen Bereich zu transformieren. Dazu wurde das Projekt RockitBI ins Leben gerufen. Innerhalb eines halben Jahres wurde unter Einbezug von Architektur- und Pro- | 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · duktvision eine neue Organisation mit Vision, Zielen, Mission und Werten geschaffen. An RocktiBI waren neben Hilfe von außen ein überschaubarer Kreis von Kolleg*innen in Expert Circles und weitere BI Mitarbeiter*innen, die sich in Think Tanks zu tiefergehenden Themen engagierten, beteiligt. Regelmäßig wurden für alle BI Mitarbeiter*innen Termine zum Fortschritt und für die Gelegenheit zu Feedback veranstaltet. Seit dem 1. März arbeiten die BI Kolleg*innen in einem gemeinsamen Bereich in einer Produktorganisation. Der Bereich wird von zwei BI Leads geführt, die von 12 Domain Leads unterstützt werden. Die Domain Leads fungieren als disziplinarische und fachliche Führungskräfte. Führung wird außerdem von den Product Ownern fachlich und technisch und dem agilen Personal prozessual ausgeübt. Kolleg*innen, die als Agile-Expert*innen unterstützen, gehören disziplinarisch nicht zum BI Bereich und werden vom Process Lead geführt. Die Vision der neuen BI Organisation lautet: “Innovation and Excellent Business Decisions - Powered by Data, Algorithms and People”. Die folgenden Werte, übertitelt mit „Werte und Mindset der OTTO BI“, wurden definiert: • Sei Du selbst • Handle als achtsamer OTTOpreneur • Entwickle Dich stetig • Zusammen wachsen • Vertraue und sei vertrauenswürdig In den nächsten Abschnitten geht es um die Werte: Wozu dienen sie? Sollten sie gepflegt werden und durch wen? Wie passen sie zusammen? Was wird zu Werten gedacht? Erwartungen an Werte Die folgende Aufzählung zeigt, was die befragten Kolleg*innen von Werten erwarten. • Werte dienen.. • ..als Rahmen für das Arbeiten im komplexen Arbeitsumfeld, • ..als Möglichkeit, sich in ständiger Veränderung ohne Angst zu bewegen, • ..als Identifikation mit dem Bereich, • ..als Check mit den persönlichen Werten, • ..als Maßstab für das eigene Handeln. • Werte sind nützlich, weil man sich gegenseitig an sie erinnern kann. Sie helfen beim Erreichen des Ziels. • Werte geben Leitplanken, gerade wenn die Teams viel Verantwortung tragen und wenn im Komplexen gearbeitet wird. • Werte sind ein verbindendes Element für die Zusammenarbeit im Komplexen, für das eigene Wohlbefinden und für die Erreichung der Ziele. • Wenn die individuellen Werte nicht zu den Bereichswerten passen, dann bin ich da nicht richtig. Zum Beispiel will ich Aufrichtigkeit und Offenheit in den Werten finden. • Führungskräfte sollten sehr streng nach Werten handeln. • Führungskräfte und Mitarbeiter*innen sind dabei, agile Führung zu lernen. Balance durch Werte Werte können sich widersprechen und ihre Ausprägung passt im Alltag nicht immer zueinander. Das wird am Beispiel der Werte „Sei ein achtsamer OTTOpreneur“ und „Sei Du selbst“ sehr gut deutlich: „Ich will meine Arbeitsergebnisse immer hundertprozentig richtig und vollständig abliefern. Das gehört zu mir und wenn ich das tue, fühle ich mich am wohlsten. Wenn aus unternehmerischer Sicht 100 Prozent Perfektion für die Effektivität meiner Arbeit nicht nötig sind, sollte ich lernen zu überprüfen, wo ich meine Arbeitskraft sparen kann.“ Wenn Werte sich widersprechen, ist das gut so. Ein Wert, ins Extreme gelebt, kann schaden, und wenn er fast nicht vorkommt, kann er nicht wie erhofft wirken. Mit Hilfe der anderen Werte fällt eine Schieflage eher auf und wir können gegensteuern und eine Balance schaffen, die der Effektivität unserer Arbeit guttut. Auch dies kann wieder durch die Werte unterstützt werden. Pflege von Werten Sollten Werte gepflegt werden? Und wenn ja, wie? Was bringt das oder ist das eher schädlich? Zu diesen Aspekten wurden die folgenden Aussagen gemacht: • Wir sollten die Einhaltung der Werte messen und damit arbeiten. • Werte kann man nicht abfragen und deren Einhaltung nicht messen - dann wird’s rational. • Werte nicht überprüfen und nicht „vergemeinschaften“, sondern sich zu Werten austauschen, heißt erzählen und zuhören, nicht diskutieren, verfeinern oder festlegen. Abbildung 1: Werte und Mindset des BI Bereichs | 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · • Statt aktivem Nachhalten oder Nachprüfen von Werten sollten wir Feedback nutzen und situativ die Werte des Gegenübers kennenlernen. • Werte werden unterschiedlich gelebt - das aufzulösen, kann durch Debatte über Werte geschehen, das sollten wir üben. • Mitarbeiter*innen sollten von ihrer Führungskraft nicht nach Inhalten, sondern nach Haltung zu Werten beurteilt werden. • Es passiert bei uns gar nichts, wenn jemand gegen die Werte verstößt. In jedem Kommentar ist der Wunsch, Werte zu nutzen, spürbar. Sehr unterschiedlich ist, auf welche Weise Werte genutzt werden sollten. Einige wollen die Werte überprüfen können. Andere wünschen sich, dass jeder das Gleiche unter einem Wert versteht. Andere würden ihre Haltung zu Werten miteinander teilen. Der Titel „Werte und Mindset der OTTO-BI“ über den Werten zeigt in die Richtung, unseren Werten mit Haltung und nicht mit KPIs zu begegnen. So überlassen wir das Wachsen an den Werten dem Miteinander der Menschen. Zurzeit gibt es im BI Bereich keine unmittelbaren Aktivitäten zu Werten, aber vieles zahlt stark auf die Werte ein. Dazu gehört beispielsweise, dass die BI Leads mehr Verantwortung für Entscheidungen bestimmter Themen zu Architektur, Produkten oder Organisation in die Hände der Mitarbeiter*innen legen, was die Werte „Zusammen wachsen“ und „Vertraue und sei vertrauenswürdig“ stärkt. Die fünf BI Werte im Fokus Jeder der fünf BI Werte wurde durch konkret in einigen Sätzen beschrieben. Für einen Wert werden im folgenden Teil diese Sätze genannt und um Aussagen der befragten Kolleg*innen ergänzt. Darauf folgt eine kurze Einordnung und Interpretation der wichtigsten Aspekte. Sei du selbst • Wir schaffen ein sicheres Umfeld für Offenheit, Respekt und Vertrauen - Niemand hat hier etwas zu befürchten. • Wir schätzen und fördern Vielfalt - unterschiedliche Meinungen und Persönlichkeiten sind uns willkommen. „Dieser Wert wird schon lange stark gelebt. Vielleicht ist das auch ein Wert, in dem OTTO stark ist. In anderen Unternehmen gibt es ein offizielles „Sei Du selbst“, das durch implizite Regeln wie zum Beispiel die Kleiderordnung wieder geschwächt wird.“ „Der Wert wie z.B. „Sei Du selbst“ sagt den Führungskräften, wie sie mit den Mitarbeiter*innen arbeiten sollen, mit Wertschätzung und auf Augenhöhe.“ Der ersten Aussage nach ist dieser Wert sehr stark entwickelt. Wir sind gut darin, wir selbst zu sein, und unsere Organisation lässt das zu. Und die Kolleg*innen lassen das ebenfalls zu. Viele Teams sind zum Beispiel geübt darin, im Alltag die Vorlieben für tägliche Arbeitszeiten, Arbeit im Homeoffice und Sabbaticals, mit den Anforderungen an die Arbeitsprozesse in Einklang zu bringen. Die zweite Aussage geht auf die Beschreibung des Wertes ein: „Akzeptiere und schätze die Kolleg*innen so, wie sie sind.“, gerichtet an die Führungskraft. Der Wunsch ist, dass dieser Wert der Führungskraft hilft, mit den Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe und mit Wertschätzung zu arbeiten. Das ist ein Schritt auf dem Weg von einer Führungskraft im tayloristischen Stil zu einer agilen Führungskraft. Im Taylorismus denkt und entscheidet der Chef und die Mitarbeiter*innen führen aus. Zur Grundhaltung der agilen Führung gehört es, allen Menschen Entscheidungskompetenz zuzusprechen - genau das, was für die Arbeit in komplexen Umfeldern benötigt wird. Augenhöhe und Wertschätzung sind substanzielle Bausteine dafür. Handle als achtsamer OTTOpreneur • Wir treiben stets kundenorientierte Ergebnisse voran - so schnell und verantwortungsvoll wie möglich • Wir setzen Ressourcen nachhaltig ein - Wir achten auf Zeit (unsere wie die anderer), Geld und mentale Last • Daten vor Meinungen - wir messen unsere Leistung kontinuierlich und validieren unsere Entscheidungen & deren Wirkung „Es wird häufiger nach dem Wozu gefragt, anstatt einfach zu machen was uns einfällt. Dadurch wird die unternehmerische Sicht unterstützt.“ Die Fragen nach dem „Wozu“ und ob das für OTTO als Unternehmen gut ist, werden innerhalb der Teams und bei der Zusammenarbeit mit den Fachbereichen gestellt und beantwortet. Das ist jetzt stärker ausgeprägt als noch vor ein paar Monaten. Entscheidungen fühlen sich viel besser an, wenn wir den Fokus auf OTTO legen. Bei Entscheidungen im komplexen Umfeld ist der richtige Weg nicht immer ableitbar. Auf dem Weg die richtigen Fragen zu stellen hilft es, in die richtige Richtung zu denken und in kleinen Schritten zu gehen. Vertraue und sei vertrauenswürdig • Wir garantieren Autonomie und Vertrauen - im Austausch für Selbst-Organisation, Transparenz und Verantwortung • Wir respektieren unsere Kund*innen - wir behandeln vertrauliche Daten verantwortungsvoll und sind uns über ihren essentiellen Wert für uns und unsere Kund*innen bewusst • Wir sind ehrlich und spielen mit offenen Karten - wir gehen davon aus, dass jeder zu jedem Zeitpunkt nach bestem Wissen und Gewissen handelt „Dieser Wert wird gelebt. Es gibt Fälle, in denen Vertrauen leidet, zum Beispiel, wenn Entscheidungen nicht transparent getroffen werden. Wenn der Fachbereich Entscheidungen bezüglich BI Produkten trifft, ohne sich der Expertise des BI Teams zu bedienen, kann das gute Gründe haben. Spät kommuniziert aber wird das Team überrascht.“ Der erste Satz ist kurz und dabei wichtig. Der Wert wird im Bereich gelebt. Es gehört trotzdem zum Arbeitsalltag, dass Ereignisse auftreten, die das Vertrauen schwächen. Das Bild vom Vertrauenskonto hilft zu erkennen, warum Vertrauen kein stabiler Zustand ist: Vertrauensbildende Ereignisse zahlen auf das Konto ein, Vertrauensbrüche buchen vom Konto ab. Nach unverstandenen Entscheidungen wird vom Konto abgebucht. Initiativen wie eine gemeinsame Re- | 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · trospektive helfen, das Verständnis zu verbessern. Auf das Vertrauenskonto wird damit wieder neu eingezahlt. Entwickle Dich stetig • Lernen ist Teil unseres Alltags - wir streben stets nach neuen Fähigkeiten und Perspektiven • Wir investieren in Ideen, kämpfen für Innovation und trauen uns, unser komplexes Umfeld zu erkunden & gestalten • Wir lernen aus Fehlern - wir feiern den Mut, Risiken einzugehen, Fehler zuzugeben und Erfahrungen zu teilen „Entwickle Dich stetig ist ein Investment, weil Mitarbeiter*innen aus ihrer Komfortzone raus müssen, und weil es Zeit und Geld für die Weiterbildung kostet. Der Effekt auf OTTOpreneur ist sicher da, aber schwierig nachzuweisen.“ Sich zu entwickeln ist auf die Zukunft ausgerichtet. Beim agilen Arbeiten wird in kurzen Zyklen geplant, gemacht, geprüft und gelernt. Fehler transparent zu machen und daraus zu lernen, findet für viele Menschen nicht in der Komfortzone statt. Es braucht Zeit, Mut und Vertrauen, bis das zum Alltag gehört, zumal die scheinbare Sicherheit eines langfristigen Plans wegfällt. Ebenso relevant ist die Haltung der Führungskräfte zu agilem Arbeiten, die in Bezug auf Mut und Lernbereitschaft Vorreiter sein können. Zusammen wachsen • Wir entwickeln uns gemeinsam - wir nutzen jede Chance, Wissen, Ideen und konstruktive Kritik zu erfahren und zu teilen • Wir wollen enger zusammenwachsen - wir fördern Teamgeist durch respektvolle Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft • Als engagierte Mitarbeiter*innen leben wir unsere Vielfalt und setzen gemeinsam Maßstäbe „Unsere Führungskraft schenkt viel Vertrauen und Wertschätzung. Zusammen wachsen wird stark gelebt im Team.“ Was heißt es genau, zusammen zu wachsen? Mit diesem Zitat und im Gespräch betonte der Befragte deutlich, dass Führungskraft und Team viel investieren, um sich zu entwickeln und zusammen zu wachsen, und dass sich diese Investition für die Arbeit im Team lohnt. Führen mit Werten im BI Bereich Es folgen Aussagen und Beobachtungen zweier Veränderungen in der Führung der Kolleg*innen des BI Bereichs. Etablierung der Domain Leads Am 1. März übernahmen Domain Leads die fachliche und die disziplinarische Führung in den BI Teams. Was hatte sich geändert? Bis zum 1. März waren die Führungskräfte für mehrere Mitarbeiter*innen der gleichen Rolle zuständig, zum Beispiel für alle Report Entwickler*innen oder für alle Product Owner*innen. Jede*r Mitarbeiter*in arbeitete in einem anderen Team. Jetzt sind Domain Leads zuständig für alle Mitarbeiter*innen eines oder mehrerer Teams, heißt Entwickler*innen, Data Scientisten und so weiter. Damit sind sie näher an der Fachlichkeit und dem operativen Lebenszyklus der Produkte. Diese Veränderung wurde von einigen Mitarbeiter*innen, gerade auch von Product Owner*innen, als Begrenzung ihres Entscheidungsspielraums empfunden. Das Zusammenspiel zwischen Mitarbeiter*innen und Führungskraft, die neben der disziplinarischen auch die fachliche Führung hat, ist herausfordernd. Unsicherheit und Unzufriedenheit auf der Seite der Mitarbeiter*innen können entstehen, weil • die Autonomie des Teams/ des Product Owners begrenzt wurde, • Zuständigkeiten noch nicht klar verteilt waren • Einige Führungskräfte wiederum wünschten sich, ihr fachliches Know-how einbringen und mit diskutieren zu können, ohne dass dies gleich als disziplinarische Kontrolle und auch als überstimmende technische Führung wahrgenommen wird Wie hat sich die Zusammenarbeit von Mitarbeitern und Domain Leads entwickelt? Die folgenden Aussagen von Mitarbeitern geben einen guten Überblick. „Die neue Führung gibt Sicherheit, weil die Führungskraft fachlich im Bilde ist und mitgestaltet. Sie kann einschätzen, was der/ die Mitarbeiter*in tut, und kann bei Eskalation besser unterstützen.“ „Alle Mitarbeiter*innen im Team arbeiten mit derselben Führungskraft zusammen. Dadurch passen die Ziele der Mitarbeiter*innen zusammen, alle arbeiten mit einer gemeinsamen Agenda. Das fehlte früher und hat zu Unruhe geführt.“ „Unsere Führungskraft schenkt uns viel Vertrauen. Wertschätzung, Zusammen wachsen werden gelebt. Der Wert „Entwickle Dich stetig“, der vielleicht gerade nicht so stark verfolgt wird. Das ist allen bewusst und die Führungskraft macht das transparent. Die unternehmerische Sicht ist sehr stark ausgeprägt. Alles was das Team tut, ist von den BI Zielen abgeleitet und wird an ihnen gemessen.“ Die Zusammenarbeit von Domain Lead und Teams hat sich in vielen Fällen gut eingependelt. Sicherheit und Vertrauen gibt die explizite und gemeinsam ausgehandelte Vereinbarung zwischen Team und Domain Lead darüber, welche Entscheidungen wer trifft. Die gemeinsame Agenda und das fachliche Know-how des Domain Leads stärken die Teams. Expedition People Lead Führungsmodelle wurden während des RockitBI Projekts viel diskutiert. Zum Start im März stand fest, die fachliche von der disziplinarischen Führung - seit März durch die Domain Leads übernommen - zu einem späteren Zeitpunkt in einer Expedition zu trennen, indem ein People Lead die disziplinarische Führung übernimmt. Ziel ist, die Mitarbeiter*innen in ihrer Weiterentwicklung noch besser begleiten zu können. Damit wird der Fokus auf den Wert „Entwickle Dich stetig“ gelegt, der im operativen Alltag vielleicht manchmal untergeht. Im Rahmen der Expedition hat ein People Lead seit dem 1. November die disziplinarische Führung für 30 Mitarbeiter*innen übernommen. Die 30 Mitarbeiter*innen wurden ausgelost, da eine Beschränkung auf Mitarbeiter*innen weniger Teams nicht repräsentativ ist. Alle BI Mitarbeiter*innen | 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · sind zu Umfragen vor, während und am Ende der Expedition eingeladen, um die Zufriedenheit, die sich auch unabhängig vom People Lead verändern kann, im ganzen Bereich zu ermitteln. Nach 6 Monaten wird die Expedition überprüft und entschieden, ob sie um weitere 6 Monate verlängert wird. Aussagen über die Vorteile von disziplinarischer und fachlicher Führung in einer Person sind bereits genannt. Vorteile, die von den Mitarbeiter*innen gesehen wurden, sind: • Die Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung kann dazu führen, dass die persönliche Entwicklung stärker in den Fokus rückt, da im Gespräch mit dem People Lead die fachlichen Themen nicht so viel Raum einnehmen. • Es mag auch sein, dass der Blick des People Lead auf die Mitarbeiter*innen neutraler ist, weil er keine fachlichen Ziele hat. Fachliche Ziele können mit der Weiterentwicklung des Mitarbeiters durchaus konkurrieren. Abschluss Während der Interviews und Gespräche für diesen Beitrag fiel es den Kolleg*innen leicht, ihre Position zu Werten zu bestimmen. Sie waren sicher darin, Führung und Veränderungen im BI Bereich im Licht der Werte für sich zu beurteilen. Das galt auch für die Kolleg*innen, die angaben, dass die BI Werte für sie im Alltag keine große Rolle spielen. Es scheint, als würden die Werte die Kolleg*innen unausgesprochen verbinden und als wirkungsvoller Rahmen für ihre Zusammenarbeit dienen. Astrid Ritscher Astrid Ritscher ist als Agile Coach im Bereich Business Intelligence bei Otto tätig. Sie hat viele Jahre für Logistikunternehmen und Banken Software entwickelt, Software-Entwicklungsteams geleitet und zu agilen Themen und NoSQL-Datenbanken beraten. Jetzt begleitet sie cross-funktionale Teams. Anschrift: Astrid Ritscher Agile Coach • Agile Cluster • IT-BI-3 Otto (GmbH & Co KG), Werner-Otto-Straße 1-7, 22179 Hamburg A member of the Otto Group Telefon: +49 (40) 6461-8942 E-Mail: astrid.ritscher@otto.de Hinweis: Vorliegende Fassung entspricht nicht der gedruckten Fassung des Beitrages in der PM AKTUELL 5 (2019), sondern einer aktualisierten e-only-Variante. Anzeige Seit dem 1. März arbeiten die BI-Kolleginnen und -Kollegen in einem gemeinsamen Bereich in einer Produktorganisation. Der Bereich wird von zwei BI Leads geführt, unter ihnen sind 12 Domain Leads die disziplinarischen und fachlichen Vorgesetzten. Führung wird außerdem von den Product Ownern fachlich und technisch und dem agilen Personal prozessual ausgeübt. Das agile Personal gehört disziplinarisch nicht zum BI-Bereich und wird vom Process Lead geführt. Die Vision der neuen Organisation lautet: „Innovation and Excellent Business Decisions - powered by Data, Algorithms and People“ Werte im BI-Bereich In den nächsten Abschnitten geht es um die Werte: Wozu dienen sie? Sollte man sie pflegen? Wie passen sie zusammen? Was wird zu Werten gedacht? Erwartungen an Werte Die folgende Aufzählung zeigt, was Kollegen von Werten erwarten. • Werte dienen ... … als Rahmen für das Arbeiten im komplexen Arbeitsumfeld, … als Möglichkeit, sich in ständiger Veränderung ohne Angst zu bewegen, … als Identifikation mit dem Bereich, … als Check mit den persönlichen Werten, … als Maßstab für das eigene Handeln. • Werte sind nützlich, weil man sich gegenseitig an sie erinnern kann. Sie helfen beim Erreichen des Ziels. • Werte geben Leitplanken, grade wenn viel Verantwortung in die Teams geht und wenn im Komplexen gearbeitet wird. • Werte sind ein verbindendes Element für die Zusammenarbeit im Komplexen, für das eigene Wohlbefinden und für die Erreichung der Ziele. • Wenn meine Werte nicht zu den Bereichswerten passen, dann bin ich da nicht richtig. Zum Beispiel will ich Aufrichtigkeit und Offenheit in den Werten finden. • Führungskräfte sollten sehr streng nach Werten handeln. Werte und Mindset der OTTO BI REPORT 27