PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die Werte der „Ottopreneure“
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Oliver Steeger
Passe ich zu Otto? Würde ich mich in der Arbeitswelt der Hamburger Otto (GmbH & Co KG) entfalten können – und vielleicht sogar zu einem „Ottopreneur“ werden, wie man dies dort nennt? Das Unternehmen bietet mir einen Online-Test an. Dort finde ich beschrieben, auf was es dem Unternehmen ankommt. Die Mitarbeiter fühlen sich nicht nur als Kollegen, sondern als Freunde. Werte wie Offenheit, Mut, Ergebnisorientierung, Freiräume prägen die Zusammenarbeit – und auch „kontrollierte Kontrollverluste“ sind erlaubt. Ich teste mit dem „Kulturmatcher“, ob ich dazugehören könnte; „cultural fit“ nennen dies die Fachleute. 49 Fragen gibt es zu beantworten.
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Astrid Ritscher. Sie ist agiler Coach im Unternehmensbereich „Business Intelligence“ von Otto, Foto: studioline Hamburg GmbH & Co KG Wie Coach Astrid Ritscher bei Otto das agile Arbeiten voranbringt Die Werte der „Ottopreneure“ Autor: Oliver Steeger Uns interessieren die Werte, die die Basis für diese agile Arbeitsweise bilden. Wir wollen sehen, was es damit bei Otto in der Praxis auf sich hat - und ob ich (theoretisch) zu Otto passen würde. Wir sind mit Astrid Ritscher verabredet. Sie ist agiler Coach im Unternehmensbereich „Business Intelligence“ (BI), einer Abteilung mit rund 200 Mitarbeitern. Wir fragen sie nach den Werten, die im BI-Bereich bei Otto gelten. Eine Handvoll Kernwerte prägen die Arbeitswelt des Bereichs: Sei du selbst. Verhalte dich wie ein Unternehmer. Vertraue und schenke Vertrauen. Wachse zusammen (im doppelten Sinne des Wortes! ). Entwickele dich ständig. Für unternehmerisches Denken hat man ein schönes Wort gefunden: Werde „Ottopreneur“! Solche „Ottopreneure“ braucht das Hamburger Unternehmen, wenn es erfolgreich sein will. Digitalisierung und „Everywhere-Commerce“ verändern das Geschäft. Facebook und Twitter werden zu Kommunikationskanälen. Das Unternehmen investierte in die dreidimensionale Präsentation von Produkten. Seit 2016 vermietet Otto einen Teil seiner Sortimente statt sie zu verkaufen: beispielsweise Möbel, Technik und E-Scooter. Vor allem: Mit der Transformation des Geschäftsmodells zu einer Plattform öffnete es sich für Dritte, für neue Partner und Marken. Solche Innovationen fallen nicht vom Himmel. Der Online-Kulturmatcher bringt mich zum Nachdenken. Der legere Ton und die witzigen Zeichnungen täuschen nicht über den Ernst der Fragen hinweg. Eine davon: Wie positioniere ich mich zu „Arbeit als Verpflichtung“ vs. „Arbeit als Erfüllung“? Keine leichte Entscheidung. Verpflichtung bedeutet Verbindlichkeit, Commitment und Verlässlichkeit. Und Erfüllung - ja, erfüllen soll mich die Arbeit auch. Mit einem Schieberegler kann ich Position beziehen. Ich lasse den Regler in der Passe ich zu Otto? Würde ich mich in der Arbeitswelt der Hamburger Otto (GmbH & Co KG) entfalten können - und vielleicht sogar zu einem „Ottopreneur“ werden, wie man dies dort nennt? Das Unternehmen bietet mir einen Online-Test an. Dort finde ich beschrieben, auf was es dem Unternehmen ankommt. Die Mitarbeiter fühlen sich nicht nur als Kollegen, sondern als Freunde. Werte wie Offenheit, Mut, Ergebnisorientierung, Freiräume prägen die Zusammenarbeit - und auch „kontrollierte Kontrollverluste“ sind erlaubt. Ich teste mit dem „Kulturmatcher“, ob ich dazugehören könnte; „cultural fit“ nennen dies die Fachleute. 49 Fragen gibt es zu beantworten. Im November 2018 nahm Otto Abschied von seinem Hauptkatalog. Eine letzte Edition erschien. Die Zeit der gedruckten Warenhäuser war vorbei. Doch nur wenige schienen den Katalog ernsthaft zu vermissen. Wer stellt sich seine Sommergarderobe im Hauptkatalog zusammen und ordert sie auf Bestellkarten? Die allermeisten bestellen via Smartphone, wenn und wo es gerade passt. „Everywhere Commerce“ nennt sich dies. Was für den Kunden heute selbstverständlich ist, hat Otto bis an die Wurzeln verändert. Versandhandel ist heute ein volldigitales Geschäft. Amazon, der Branchenprimus, wurde bezeichnenderweise von einem Informatiker gegründet, nicht von einem Kaufmann. In dieser Branche gelten längst die Gesetze des digitalen Business: ständige Anpassung an Märkte, laufende Weiterentwicklung, immer wieder sich neu erfinden. Agile Arbeitsweisen sind bei Otto heute selbstverständlich. Unlängst hat das Unternehmen ein ganz auf „New Work“ zugeschnittenes Verwaltungsgebäude eröffnet. Mitte. Beides gilt für mich. Die nächste Frage: „Abwechslung bereichert das Leben“ vs. „Routine erleichtert das Leben“. Das ist leicht zu entscheiden. Abwechslung gefällt mir gut. Regler rüberschicken - und weiter geht’s! Otto setzt ausdrücklich auch auf „unerschrockene und unkonventionelle“ Mitarbeiter. Sie sollen neue Ideen entwickeln, Neues ausprobieren, Verantwortung übernehmen. Man gibt einzelnen Mitarbeitern weit mehr Freiräume und mehr Verantwortung als früher. Mit Fehlern will man anders umgehen, kürzere Entscheidungswege einrichten und das Herrschaftswissen abschaffen. „Kulturwandel 4.0“ nennt sich diese Initiative, die schon seit einiger Zeit läuft. Mit diesem Anspruch hat Astrid Ritscher täglich zu tun. Sie begleitet insbesondere Projektteams projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 32 REPORT Einer der Unternehmenswerte: Vertraue und schenke Vertrauen. Dies braucht auch buchstäblich Raum für persönliche Kommunikation, Foto: Otto (GmbH & Co KG) „auf dem Weg in die agile Transition“, wie sie sagt. Sie ist täglich dabei, wenn Mitarbeiter sich in ihren neuen Freiräumen bewegen und Verantwortung übernehmen. „Agiles Arbeiten muss man lernen“, sagt sie. Für nicht wenige sei es eine persönliche Herausforderung, beispielsweise Entscheidungen zu treffen und dafür einzustehen. Bei Teambesprechungen hält Astrid Ritscher sich im Hintergrund, beobachtet und ermutigt, gibt Feedback und weist auf wunde Punkte hin. Sie bespricht Prozesse und Verhalten. „Ich begleite nur“, sagt sie, „ich gebe nichts vor.“ Manchmal berät sie auch, wenn beispielsweise Teams erstmals agil arbeiten und dafür Methoden entwickeln. Dann ist sie eher Scrum-Masterin in diesem Team. „Ich verlasse die Beratung möglichst schnell wieder“, fügt Astrid Ritscher an. Ihr Ziel: Das Team soll sich selbst in die Lage bringen, effizient zu planen, zu arbeiten und Rückschau auf seine Arbeit zu halten. Da kommen auch die Werte ins Spiel. „Ich beobachte, dass bei uns viele Führungskräfte tatsächlich Authentizität bei ihren Mitarbeitern schätzen“, berichtet Astrid Ritscher. Auch lernen sie, Mitarbeitern Vertrauen zu schenken und selbst vertrauenswürdig zu sein - etwa dann, wenn die Teams jene Entscheidungen treffen, die früher über den Schreibtisch von Führungskräften gingen. „Teams sich selbst organisieren und entscheiden zu lassen hat viel mit Vertrauen zu tun“, sagt sie. Deshalb ist für Otto das unternehmerische Handeln als Kernwert so wichtig. Mitarbeiter sollen zu „Ottopreneuren“ werden. Der aus einem Wortspiel entstandene Kunstbegriff bringt auf den Punkt, wie man sich die Haltung von Mitarbeitern wünscht: nicht nur Arbeit erledigen und der eigenen Abteilung dienen, sondern das Unternehmen voranbringen. „Früher haben Teams gesagt, dass sie ihr Projekt für ihren Fachbereich durchgeführt haben“, sagt Astrid Ritscher, „heute entwickeln sie Dienstleister-Mentalität und denken an das Ganze.“ Einer ihrer Kollegen brachte dies unlängst auf den Punkt: „Unseren Bereich Business Intelligence würde es nicht geben, wenn andere Bereiche nicht unsere Zahlen, Ausfertigungen und Prognosen bräuchten.“ Astrid Ritscher hat selbst beobachtet, dass Teams immer häufiger offen darüber sprechen, ob ihre Ideen und Pläne Otto wirklich besser machen. „Solche Gedanken kommen durch Führungskräfte ins Gespräch und durch die IT-Entwickler selbst.“ Die Ottopreneure fragen sich selbstkritisch, ob es sinnvoll ist, was sie gerade tun. Sie haben den Mut, Zweifel anzumelden - auch gegenüber Vorgesetzten. Indes: So vielversprechend diese neue Haltung klingt, sie ist noch nicht überall und bei jedem angekommen. Es mag immer noch Abteilungen geben, in denen Mitarbeiter ihren Chef bestimmen lassen - und beide Seiten damit zufrieden sind. Ich arbeite mich beim Online-Kulturmatcher durch die Fragen. Manchmal denke ich zu viel nach. Ich lasse mich von Fakten beeinflussen - statt meinen Werten nachzuspüren. Da ist zum Beispiel die Frage: „Allein arbeitet man am effektivsten“ versus „Die besten Resultate entstehen im Team“. Die Effektivität von Teamarbeit ist wissenschaftlich erwiesen. Doch um solche „objektiven“ Gründe geht es nicht. Ich soll nicht rational entscheiden, ob Einzelkämpfertum oder Teamwork besser sind - sondern meiner persönlichen Position nachspüren. (Astrid Ritscher nannte dies: „Wie man gestrickt ist.“) Ich begreife: Werte kann man nicht rational ermitteln. Es braucht eine Art Zustimmung, die tief aus der Persönlichkeit kommt. Man muss mit Haut und Haaren hinter seinen Werten stehen. Weshalb ist es so schwierig, eine Unternehmenskultur zu verändern? Ein Grund ist: Vorgesetzte treffen nicht nur Entscheidungen und verteilen Aufgaben. Sie entscheiden auch über Prämien ihrer Mitarbeiter und unterstützen deren Karriere. „Da gibt es Abhängigkeiten, aus denen Mitarbeiter nicht durch einen Kulturwandel herauskommen“, sagt Astrid Ritscher. Nicht nur Mitarbeitern, sondern auch Führungskräften machen solche Abhängigkeiten zu schaffen. Hinter solchen vordergründigen Schwierigkeiten liegt noch weit mehr. Neue Verhaltensweisen kann man lernen. Doch dafür muss man von den neuen Werten überzeugt sein. Die Werte des Unternehmens und des Bereichs müssen - zumindest weitgehend - zu den eigenen Werten passen. Viele Mitarbeiter sind in der alten Wertewelt des Unternehmens sozialisiert. Was bedeutet es für sie, wenn das Unternehmen sich selbst verändert und neue Werte verkündet? Astrid Ritscher ist von Hause aus studierte Informatikerin. Sie hat in Bremen Software entwickelt für die See-Verkehrswirtschaft und Logistik; einige Jahre war sie bei einem Reeder tätig. Programmieren machte ihr Spaß. „Das ist ein völlig kreativer Flow-Prozess“, sagt sie, „man versenkt sich tief in das Programmieren und vergisst alles um sich herum. Das ist wie Kochen oder Malen.“ Schon bald hatte sie erste IT-Projekte zu leiten. Auch das machte ihr Spaß. „Ich finde es total spannend, mit Menschen zu kommunizieren und gemeinsam etwas zu erreichen - oder auch nicht zu erreichen“, berichtet sie. Sie lernte, dass die Arbeit mit Menschen „anders funktioniert“ als die Arbeit mit Programmzeilen. Man muss beobachten, abwarten, aushandeln; Achtsamkeit ist wichtig. „Ich verstand, dass man bei der Arbeit mit Menschen den Erfolg nicht in Zahlen messen kann. Und es dauert, bis der Erfolg sich zeigt.“ projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 REPORT 33 Astrid Ritscher wechselt mehrfach zwischen Personalverantwortung und Programmieren. Beides gefällt ihr. Dann führt sie ein Projekt, das sie selbst vom Programmieren abhält. Nach Projektende merkt sie, dass sie für mehrere Jahre nicht mehr programmiert hat. In der IT-Branche verliert man fachlich schnell den Anschluss. Astrid Ritscher sieht ein, dass sie sich besser auf ihre anderen Stärken besinnt. Auf die Arbeit mit Menschen. Sie bildet sich zur Scrum-Masterin weiter; mit der agilen Haltung und den dahinterliegenden Werten ist sie bereits gut vertraut. Selbstverantwortung und Selbstorganisation im Team sind genau ihr Ding. Bei Otto lässt sie sich zum agilen Coach ausbilden. Sie lernt viel über das, was einen guten Coach ausmacht: Er begleitet Klienten oder Teams, indem er die richtigen Fragen stellt. „Bei Gesprächen versuche ich herauszufinden, wo der andere gerade steht“, sagt sie, „hat er Angst vor Veränderung? Kommt er im Augenblick auf keine Ideen? Fühlt er sich im Umgang mit Vorgesetzten gehemmt? “ Sie entwickelt eine Hypothese und versucht diese zu verifizieren. Dann bringt sie den anderen zum Nachdenken: Wie möchte er in drei Monaten sein? Wie würde die Welt aussehen, wenn er morgen früh aufsteht und die Bauchschmerzen nicht mehr hat, mit denen er zu ihr gekommen bist? Was hätte sich verändert? Kann Coaching auch dazu beitragen, dass Mitarbeiter besser mit den Werten ihrer Unternehmen zurechtkommen? Astrid Ritscher denkt über die Frage nach. „Ja, wahrscheinlich“, sagt sie. Man könnte in einer Retrospektive des Teams Fragen stellen, die sich auf Werte richten. „Man kann das Team über diese Frage zum Nachdenken und Diskutieren bringen“, meint sie, „die Werte helfen ja, sich selbst auszutarieren und in einem komplexen Umfeld Halt zu finden.“ Sie schränkt dies etwas ein. Viele Teams reden ungerne über so schwer Greifbares wie Werte. Deshalb bevorzugt sie konkrete Anlässe, Werte zur Sprache zu bringen - etwa bei Meinungsverschiedenheiten, Störungen im Arbeitsklima oder kontroversen Feedbackrunden. Ihr fällt eine in Teamtrainings verwendete Methode ein, die sogenannte Aufstellung: Es geht darum, Position zu beziehen. Derjenige, dem beispielsweise Vertrauen sehr wichtig ist, stellt sich im Besprechungsraum ganz auf die rechte Seite. Derjenige, der dies für nicht so wichtig hält, auf die linke Seite. Die anderen dazwischen - dort, wo sie sich im Verhältnis zum Vertrauen selbst verorten. So erstaunlich es klingt, Gespräche beispielsweise über Vertrauen setzen bereits Vertrauen voraus. Wer über Werte spricht, der öffnet sich den anderen. Gespräche über Werte bleiben selten oberflächlich. Für die einzelnen Werte haben wir häufig unterschiedliche Begriffe. So sprechen wir über Offenheit oder Wertschätzung - doch wir denken im Grunde an Vertrauen. Im Dialog Übereinstimmungen bei den Werten zu finden führt Menschen zusammen. Sie finden eine gemeinsame Basis. „Mitarbeiter, die neu zu einem Team kommen, kann man durch ein Gespräch über Werte in die Gruppe hineinholen“, meint Astrid Ritscher. Die BI-Werte bei Otto offerieren eine Menge Gesprächsstoff. Manche Werte stehen im Spannungsfeld zueinander, im produktiven Widerspruch. Ein Beispiel: Zum einen dürfen Mitarbeiter bei Otto ganz sie selbst sein, also authentisch. Andererseits sollen sie unternehmerisch denken und handeln. Wer unternehmerisch handeln will, muss manchmal bei der Selbstentfaltung zurückstecken. Umgekehrt kann die freie Selbstentfaltung ein zu einseitiges unternehmerisches Denken in die Schranken weisen. Ein weiteres Beispiel: die persönliche Weiterentwicklung. Das lebenslange Lernen. Indes, Personalentwicklung kostet Geld. Auch hier gibt es eine Spannung zum unternehmerischen Handeln. Daraus ergibt sich häufig: Weiterbildung gerne - aber mit mittelfristiger Aussicht, dass sie sich auch für das Unternehmen auszahlt. Als die Werte des BI-Bereichs bei Otto Astrid Ritscher erstmals präsentiert wurden, hat sie die einzelnen Punkte nur gelesen. „Ich war auf die Äußerlichkeiten fixiert“, sagt sie. Später betrachtete sie die Werte genauer und reflektierte sie für sich selbst. Wie einige andere im Bereich auch hätte sie an Details noch gefeilt, vielleicht an den Begriffen, vielleicht an den erklärenden Sätzen, die jedem Wert angefügt sind. Gelegentlich äußerte sie, dass sich die Werte etwas ähnlich sind und nur der „Ottopreneur“ heraussticht. „Doch ich fand sie spontan wirklich gut“, sagt sie, „sie passten zu mir.“ Sie leiten bei der Zusammenarbeit. Ab und zu „ruckeln sie einen auch zurecht“, wie sie sagt. Vor allem: Sie entsprechen ihren persönlichen Werten. „Ich könnte nicht in einem Unternehmen arbeiten, dessen Kultur auf gänzlich anderen Werten aufgebaut ist als meinen.“ Beim Online-Kulturmatcher ertappe ich mich, wie ich mich dem Mainstream anpassen will - bezeichnenderweise bei der Frage „gegen den Strom schwimmen“ vs. „go with the flow“. Ich vermute, dass man bei Otto Gegen-den-Strom- Schwimmer braucht. Reflexhaft will ich mich zu diesem Wert bekennen. Mich anpassen an die Wertewelt. Doch - dieser Wert passt nicht so ganz zu mir. Ich bin nur bedingt ein Rebell. Ich schiebe den Regler hin und her. Man akzeptiert andere Werte so schnell, wenn man dazugehören will (oder muss). Was ist, wenn man mir auf die Schliche kommt: dass ich den Wert eigentlich nicht teile - und mich nur durchmogeln will? Also, authentisch bleiben. Ich lasse den Regler in der Mitte. Das soll heißen: Gegen den Strom schwimme ich nur als „Ultima Ratio“. Vor einiger Zeit sprach Astrid Ritscher mit einer Kollegin über die Werte. Die Kollegin sagte: „Wenn ich mit jemandem im Team partout nicht klarkomme, dann liegt das häufig daran, dass wir verschiedene Werte haben.“ Dies blieb Astrid Ritscher in Erinnerung. Werte wirken und steuern das Verhalten im Verborgenen. Über sie wird nicht viel geredet, auch in ihrem Bereich nicht. „Nur selten nehmen Teammitglieder bei Diskussionen ausdrücklich Bezug auf Werte“, sagt sie. Niemand trägt die Werte wie eine Monstranz vor sich her. Veranstaltungen oder Gesprächsrunden zu den Werten sind rar. Sie sind eher still in die Organisation eingesickert. Schwierig dagegen wird es, wenn jemand erkennbar gegen die Werte verstößt. Wenn eine Führungskraft vorgibt, dem Team zu vertrauen - und dann durch Kontrollieren und Mikromanagement enttäuscht. Lange bevor Astrid Ritscher zu Otto kam, hat sie selbst solch einen Wertekonflikt erlebt. „Man hatte mir eine Führungsposition angeboten“, berichtet sie, „man sagte mir, ich dürfe so bleiben, wie ich bin. Ich würde mit meinen persönlichen Werten geschätzt.“ Doch schon nach einem halben Jahr stellte sie fest, wie sie sich langsam veränderte. „Da war etwas passiert. Irgendetwas war nicht mehr richtig“, sagt sie. Später sollte sie gegenüber einem Kunden die Unwahrheit sagen. Es ging um eine Mitarbeiterin, die aus einem Kundenprojekt herausgeholt werden sollte, um in einem anderen Team zu arbeiten. „Sag einfach, sie sei krank geworden“, gab man Astrid Ritscher mit. „Dies stand im scharfen Widerspruch zu meinen innersten Werten“, sagt sie. Ob im BI-Bereich von Otto wirklich alle Kollegen die Werte im Innern teilen, weiß Astrid Ritscher nicht. Denkbar, dass sich einige wenige mit ihnen kostümieren und versuchen, sich durchzulavieren. „Ich kann nicht behaupten, dass ich projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 34 REPORT dies immer merken würde“, sagt sie. Diese Mitarbeiter könnten versuchen, sich eine Maske aufzusetzen, und doch einfach wie bisher weitermachen. Dies hätte einen zweifachen Preis. Zum einen: Die Kollegen reagieren mit einem Aufschrei, wenn die Maske fällt. Sie fühlen sich hintergangen. Zum anderen: Wie will jemand diese Maskerade durchhalten und dabei unauffällig bleiben? Astrid Ritscher sagt: „So etwas über Jahre zu schaffen ist schwierig.“ Häufig beobachtet Astrid Ritscher, was die neue Kultur bei ihren Kolleginnen und Kollegen auslöst. Einige spüren Stress, wenn sie plötzlich selbst entscheiden müssen. Sie fühlen sich überfordert und verloren. Andere beklagen den Verlust von Sicherheit, Status und Gestaltungsmacht. Wieder andere sehen die Werte und die agile Arbeitswelt als Befreiung. Die Digitalisierung verlangt Mitarbeitern viel ab. „In unserem Business-Intelligence-Bereich gibt es so viele unterschiedliche Themenstränge“, sagt Astrid Ritscher, „das kann ein Einzelner nicht mehr überblicken.“ Führungskräfte spüren, wie ihnen die agilen Arbeitsformen eine Management-Last von den Schultern nehmen - und wie die Werte helfen, besser gemeinsam zu handeln. „Ich habe Führungskräfte gesprochen, die von sich aus sagen, dass sie sich aus inhaltlicher Detailarbeit herausziehen wollen“, sagt Astrid Ritscher, „sie betrachten die Dinge dann von höherer Ebene aus.“ Auch solche persönlichen Vorteile tragen dazu bei, dass sehr viele Mitarbeiter hinter den Werten stehen und zufrieden sind mit der Arbeitskultur. Astrid Ritscher beobachtet, dass die Werte in der Breite wirken. „Die Menschen bei Otto sind sehr vielfältig, ein bunter Haufen“, sagt Astrid Ritscher, „viele schätzen es, dass sie authentisch bleiben können, wenn sie morgens zur Arbeit kommen - und dass dies für alle anderen in Ordnung ist.“ 49 Fragen später habe ich den Kulturmatcher beendet. Ich bekomme das Ergebnis: „Du hast bestimmte Wunschvorstellungen von Unternehmenskultur? Wir erfüllen sie in ganz vielen Punkten. In einigen Aspekten unterscheiden wir uns auch - aber die gemeinsame Richtung stimmt.“ Ich passe zu 76 Prozent zu Otto. Ob ich das Zeug zum Ottopreneur habe, sagt mir dieser Test nicht. Die moderne Arbeitswelt bei Otto, wie geschaffen für New Work und agile Teams, Foto: Otto (GmbH & Co KG) Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard-Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. 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