PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Versteckte Führung
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Ehrlich sieht, wie Priesberg in der Kantine versucht, aus zwei Modellbahnwagen einen Zug zu bauen. Er setzt sich zu Priesberg. Dieser scheint mit seinen Gedanken völlig woanders zu sein und merkt an: „Ein Zug für meinen Neffen. Egal wie man die Wagen verkuppelt, schlussendlich können sie doch nicht fahren. Warum sagt mir keiner, wie ich einen Antrieb in einen der beiden Wagen bauen kann? Jetzt muss ich das mühevoll nachholen! Und außerdem nervt mich ein Kollege, der ein Problem in meinem neuen Projekt komplett anders lösen will.“ Ehrlich entgegnet ihm: „Kannst du das nicht mit ihm in Ruhe ausdiskutieren? ” „Nein. Er fühlt sich von mir dominiert“, antwortet Priesberg und knallt die Wagen gegeneinander. „Oh, oh, da ist was im Argen“, vermutet Ehrlich: „Was meint denn euer Projektleiter? Kann er vermitteln? “ „Er ist eine durch und durch honorige Person. Fachlich exzellent und dazu noch umgänglich. Er nimmt dich ernst und kann deinen Argumenten mühelos folgen. Aber er entscheidet hier nicht! Ein Machtwort würde genügen! Ein kleines Machtwort als Antrieb! “ Priesberg muss mit sich ringen, um wenigstens einigermaßen ruhig zu bleiben. Er fährt fort: „Will er nicht, oder kann er nicht? Was ist die Botschaft, die er uns vermitteln will? “ Ehrlich überlegt: „Wir können diese Fragen vermutlich nicht beantworten. Das müssen wir aber auch gar nicht …“ Das Gesicht von Priesberg ist zu einem Fragezeichen mutiert, als er Ehrlichs Worte vernimmt. „Du wirst doch nicht wieder das System ‚Projekt‘ betrachten wollen …“ „Doch, Kollege, genau das will ich“, insistiert Ehrlich. „Wir müssen die vorhandenen Ressour- Projektgeschichten und Fallstudien Versteckte Führung Autor: Jens Köhler cen nutzen und sie nicht verschwenden, indem wir stets nach dem ‚Warum‘ fragen. Welche Ressourcen könnte es denn geben? “, fragt er Priesberg. „Also, fangen wir von mir aus mit dem Projektleiter an. Auf der Habenseite ist seine exzellente fachliche Kompetenz. Und auch die Stärke, die er im Dialog ausstrahlt. Allerdings liegt sein größtes Defizit in seinen Entscheidungen. Es gibt hier nämlich keine! “, schließt Priesberg. „Gut, und als Nächstes müssen wir dieses Defizit in eine Ressource verwandeln, aus der wir Kraft schöpfen können“, setzt Ehrlich seinen Gedankengang unbeirrt fort. „Jetzt müssen wir uns das Projektteam näher anschauen. Welche Persönlichkeiten arbeiten dort? “ Priesberg überlegt: „Es sind überwiegend Personen, die fachlich gute Arbeit leisten, sich tief in die Details einarbeiten und dort auch ihre Motivation schöpfen. Durch das freundliche Wesen des Projektleiters fühlt sich jeder aufgehoben. Man arbeitet halt seine Aufgaben ab.“ „Wenn du in dem Team eine neutrale Person identifizieren könntest, die euch beide kennt, zwischen euch vermitteln möchte, und zwar auf der persönlichen Ebene, wie würde der Projektleiter reagieren? “, spricht Ehrlich und gibt Priesberg lächelnd die Lok in die Hand, die auf dem Tisch liegt. Priesberg überlegt, legt sie aber beiseite: „Er würde es sehr anerkennen. Das gibt dem vermittelnden Kollegen die nötige Rückendeckung.“ Ehrlich lacht: „Wir haben das Defizit des Projektleiters eliminiert und eine seiner Stärken genutzt, nämlich die Fähigkeit, tragfähige Beziehungen zu knüpfen.” Priesberg stutzt: „Stimmt, manchmal sollte man nicht auf die Ansage des Projektleiters warten, sondern selbst aktiv werden. Der Projektleiter agiert im Hintergrund und ist quasi immer anwesend. Du würdest sicher sagen: ein freundliches Hintergrundfeld. Ich frage mich aber, ob damit eine Erfolgsgarantie gegeben ist.“ Ehrlich überlegt: „Sicherlich nicht. Aber es sind günstige Voraussetzungen für ein Gelingen. Deine Kollegen sind prinzipiell freundliche Wesen, die an ihren Problemen arbeiten und nach Lösungen suchen. Dies sind viel bessere Voraussetzungen als in einem Projektteam, das vom Geist der Konkurrenz beherrscht wird. Einen Versuch ist es wert! Wenn du und dein Kollege wieder zusammenarbeiten, dann geht es euch besser und das Team ist nebenbei noch gestärkt - versteckte Führung.“ Priesberg schaut auf den Tisch: „Die Lok. Ich habe sie mit meinem Tunnelblick einfach übersehen. Ich muss niemanden nach einem Antrieb fragen. Alle Komponenten sind schon da. Und niemand verbietet uns, die Lok einzusetzen. Der kleine Zug ist endlich komplett! “ Ehrlich schließt: „Niemand hat uns verboten, die Lok zu benutzen. So ist das auch mit dem Projektleiter. Sein Schweigen ist eine Aufforderung, das Problem im Team zu lösen. Alle Beteiligten sind bereits an Bord. Also ziehe den dritten Kollegen ruhig hinzu.“ Autor Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB/ IC, 67056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 60 WISSEN
