PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das „PM Forum“ setzte gesellschaftliche Akzente
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Oliver Steeger
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Verantwortung übernehmen und für Werte einstehen Das „PM Forum“ setzte gesellschaftliche Akzente Meinungsfreiheit, Klimawandel, künstliche Intelligenz - es waren ernste Themen, die die 36. Ausgabe des PM Forum bestimmten. Der Kongress im Oktober 2019 zeigte: Projektmanager sehen sich immer häufiger gesellschaftlich gefordert. Sie sind beispielsweise Umsetzer beim Klimaschutz, verantwortungsvolle Gestalter der digitalen Transformation oder kritische Stimme beim öffentlichen Disput über unsere Zukunft. Offenbar ist die Zeit vorbei, in der Projektmanager Projekte „nur“ planten und realisierten. Wertorientiertes Handeln, soziale Sensibilität und gesellschaftliche Verantwortung sind zunehmend Teil ihrer Arbeit. Und die rund eintausend Projektmanagement-Fachleute, die an dem Kongress teilnahmen, ließen erkennen: Sie wollen sich dieser Herausforderung stellen. Mit rund achtzig Vorträgen und Workshops und einhundert Referenten spiegelte das PM Forum die Bandbreite des aktuellen Projektmanagements wider. Unter Headlines wie „Best Practice im PM“ und „PM Champions League“ lernten die Teilnehmer für ihre eigene Praxis. Bei „Fail like a Startup“ erlebten sie, wie (auch gescheiterte) Experimente zum Lernerfolg führen. Ein Gaming-Format befasste sich erstmals mit Business-Kurzspielen, während im „Science Fiction“-Stream Zukunftsszenarien für das Projektmanagement entworfen wurden. „Wo immer Menschen zusammenarbeiten, spielt Projektmanagement eine Rolle“, sagte GPM Präsident Professor Helmut Klausing bei der Eröffnung des PM Forums. Neben Klimawandel, New Work und künstlicher Intelligenz sei die digitale Transformation eine unserer großen globalen Herausforderungen. Dabei gehe es nicht nur um Technologien, sondern auch um Werte sowie Verantwortung für diese Technologien. „Projektmanagement ist eine Führungsmethode“, erklärte Professor Helmut Klausing. Für Projektmanager bedeute dies, Verantwortung zu übernehmen, Chancen aufzuzeigen und verantwortlich zu gestalten. Künstliche Intelligenz greift schon heute in unser Leben ein, vielleicht mehr, als wir denken. Zukünftig wird sie fast jeden Lebensbereich gründlicher verändern, als es sich viele vorstellen können. KI-Pionier und Keynote Speaker Professor Jürgen Schmidhuber führte die Zuhörer auf eine Reise in die Welt künstlicher lernender neuronaler Netzwerke. Diese Netzwerke - in der Fachsprache Long Short-Term Memory genannt - sind heute beispielsweise aus der Spracherkennung, Übersetzungssoftware und Krebsdiagnose bekannt. Sie sind die Grundlage für selbstfahrende Autos und andere autonom funktionierende Systeme. Was viele nicht wissen: Der Preis für die KI-Rechenleistung fällt von Jahr zu Jahr. Alle fünf Jahre wird die Leistung zehnmal billiger - in einem ähnlichen Rahmen, wie wir es vielleicht von der Mobiltelefonie her kennen. Dies macht KI erschwinglich für fast alle Bereiche im Alltagsleben. Die künstlichen neuronalen Netzwerke werden zukünftig immer neugieriger, kreativer und klüger. Sie eignen sich ihr Wissen selbst an, erweitern ihre Welt und stecken sich Lernziele, wie Professor Jürgen Schmidhuber prognostizierte. Wir werden möglicherweise Roboter sehen, die wie Kleinkinder lernen. Wir werden diesen Robotern die Welt erklären. Wir werden mit ihnen kommunizieren und ihnen helfen, ihre Fertigkeiten zu trainieren. Im nächsten Stadium (und gar nicht ferner Zukunft) wird KI klüger sein als der Mensch selbst. Es klang nach Science-Fiction, als der KI-Pionier seine Vision vorstellte: In ferner Zukunft werde künstliche Intelligenz das Weltall besiedeln, mittels Radiowellen reisen und Kolonien bilden. Dies ähnelt dem Prozess, durch den sich einst das Leben auf der Erde ausgebreitet hat. Dem Menschen selbst (sofern dieser dann noch existiert) werde KI dann kaum gefährlich werden. KI interessiere sich nicht für ihn; für KI spiele der Mensch in ferner Zukunft keine Rolle mehr. Ein wesentlich irdischeres und deutlich dringenderes Problem sprach die Journalistin und TV-Moderatorin Anja Reschke (u. a. „Panorama“) an. „Stirbt der Journalismus, stirbt die Demokratie“, warnte sie die Projektmanager. Viele Journalisten in Deutschland werden beleidigt und bedroht, wenn sie etwa über Flüchtlingspolitik, Rechtsextremismus oder Klimawandel berichten. Es wird versucht, ihre Glaubwürdigkeit in Misskredit zu bringen und ihnen die Vertrauenswürdigkeit zu nehmen. Was die Sache schlimmer macht: Fälschungen und nachweisbare Unwahrheiten werden über soziale Medien gezielt verbreitet. Anja Reschke zeigte, wie Fotos verfälscht und Fakten verdreht werden. Mittlerweile brauchen Journalisten und professionell aufgestellte Redaktionen immer mehr Zeit und Ressourcen, um eintreffende Nachrichten zu verifizieren. In sozialen Netz- GPM Präsident Professor Helmut Klausing eröffnete das diesjährige PM Forum, Foto: Oliver Steeger projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 NACHRICHTEN 63 werken verbreitet, verändern und manipulieren „Fake News“ die Wahrnehmung der Bürger. „Wir können die Nachrichten auf Wahrheit prüfen“, sagte Anja Reschke, „wir können aber nicht die Wahrnehmungen aus den Köpfen der Menschen herausbekommen.“ Die Schwierigkeit: Viele Menschen sind in einer Zeit aufgewachsen, in der es zwischen Nachrichtensendungen noch Pausen gab. Heute prasseln News - Wahrheit und Lüge - rund um die Uhr auf die Menschen ein, verbreitet über eine Vielzahl verschiedener Kanäle. Diese vermeintliche Vielfalt und Intensität verzerrt häufig die Wirklichkeit. Zudem schürt die Wortwahl, mit der berichtet wird, mitunter Angst. Es wird von „Flüchtlingswellen“ gesprochen, so, als würde es sich um eine Naturkatastrophe handeln, die über die Menschen hereinbricht. „Das ist wie ein Gift, das ständig eingeträufelt wird“, sagte Anja Reschke, „es sind kleine Dosen, doch in Summe sind sie tödlich.“ Was bedeutet dies für die Bürger? „Wir alle müssen unsere Medienkompetenz stärken“, sagte die Journalistin, „es ist an uns, Informationen kritisch und prüfend zu hinterfragen.“ Ihren Vortrag schloss Anja Reschke mit ihrem Appell, dass nur eine freie Presse Demokratie und Meinungsfreiheit gewährleisten kann - ein Statement, das die Projektmanager mit stehenden Ovationen begrüßten. Hagel, Dürren, Starkregen - der Klimawandel wird greifbar. Er wird „haptisch“, wie der TV-Moderator und Wetterexperte Sven Plöger dies nennt. Wir spüren, dass sich das Wetter verändert. Mehr noch: Was die Forschung vor Jahrzehnten prognostiziert hat, tritt jetzt ein. Die Klimawissenschaft hat den Beweis geliefert, dass sie mit ihren Ergebnissen richtigliegt. Dennoch, zu Panik rät der prominente Meteorologe nicht. „Ich weigere mich, alles immer schwarz und schlecht zu sehen“, sagte der Keynote Speaker. Es sei nicht zu spät für uns, in Sachen Klimaschutz umzusteuern. „Das ist ja ein ureigenes Thema der GPM“, erklärte er, „Projektmanager sind prädestiniert dafür, für schwierige Herausforderungen Lösungen zu finden.“ Tatsache ist: Der Planet Erde beginnt zu schwitzen. „In den letzten 23 Jahren gab es kein richtig kaltes Jahr mehr bei uns“, zählte Sven Plöger die Wetterfakten auf. Die Sommer seien fast durchgehend zu warm gewesen. Im Jahr 2018 habe sich dem Winter fast nahtlos der Sommer angeschlossen - ohne richtiges Frühjahr. Meteorologen beobachten, wie sich über Europa Tiefdruckgebiete festsetzen und das Wetter auf Wochen bestimmen; Extremwetterlagen halten lange vor. „Ein Klimawandel hat sich in früheren Zeiten über Tausende von Jahren erstreckt“, sagte Sven Plöger, „heute verändert sich das Klima binnen 100 Jahren.“ Dabei erläuterte er eindringlich den Unterschied zwischen Wetter und Klima. Wetter ist das tägliche Geschehen, das wir spüren. Unter Klima versteht man langfristige sta- Journalistin und TV-Moderatorin Anja Reschke sprach über die Verantwortung des Journalismus in Zeiten des Populismus, Foto: Oliver Steeger TV-Moderator und Wetterexperte Sven Plöger erläuterte den Klimawandel - und die Rolle, die Projektmanagement beim Klimaschutz spielen könnte, Foto: Oliver Steeger Keynote Speaker Professor Jürgen Schmidhuber lud ein in die Welt künstlicher Intelligenz. Sein Fazit: Künstliche Intelligenz wird alles ändern! Foto: Oliver Steeger projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 64 NACHRICHTEN Wie tief greifende Trends das Personalmanagement verändern - dazu stellte Keynote Speaker Dr. Robert Neuhauser seine Gedanken vor, Foto: Oliver Steeger tistische Durchschnittswerte, die Wettererscheinungen in ihrer Gesamtheit, die wir weder spüren noch fühlen können. Zum Wetter haben wir eine emotionale Bindung. Zum Klima nicht. Dies macht es so schwierig, die Dringlichkeit des Klimaschutzes zu verstehen. Uns bleiben - je nach Klimaziel - noch acht bis fünfzehn Jahre, die weltweiten CO 2 -Emissionen in den Griff zu bekommen. „Es wäre langsam sinnvoll, jetzt ein globales Projekt daraus zu machen“, sagte Sven Plöger. Die Schwierigkeit: Wir Deutschen neigen dazu, Klimarhetorik gut zu beherrschen - schneiden aber beim Klimaverhalten schlecht ab. Nach wie vor gewinnen wir unsere Energie zum allergrößten Teil aus fossilen Brennstoffen - obwohl die Sonne uns global gesehen sechstausendmal mehr Energie liefert, als wir tatsächlich brauchen. „Es kommt auf jeden Einzelnen an“, schrieb Sven Plöger den Projektmanagern ins Stammbuch, „wir haben noch Zeit, die wir nutzen können - doch wir müssen endlich etwas tun.“ Einblicke in die Veränderungen beim Thema Human Resources gab Keynote Speaker Dr. Robert Neuhauser, Global VP People & Leadership bei Siemens. „Tief greifende Trends verändern derzeit die Welt des Personalmanagements“, erklärte er. Die schwindende Vorhersagbarkeit in der Wirtschaft habe deutliche Auswirkungen auf die HR. Hinzu kommen neue Technologien in der HR sowie eindeutige Ergebnisse aus der Forschung beispielsweise zu Fragen, was gute Führungskräfte ausmacht, welche Incentives sinnvoll sind und wie man optimal mit Menschen umgeht. Besonders bei jungen Menschen wandeln sich die Vorstellungen darüber, was sie von ihrem Beruf und ihrer Karriere erwarten und wie sie leben wollen. Jüngere haben begriffen, dass sie sich alle fünf bis sechs Jahre neu erfinden müssen - und treten deshalb mit klaren Erwartungen etwa zur Work-Life-Balance an ihre Arbeitgeber heran, um sich nicht zu verbrennen. Eine immer wichtigere Rolle spielt auch die künstliche Intelligenz. Sie erlaube es (je nach Rechtssystem), menschliches Verhalten zu prognostizieren - beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, ob jemand aufsteigen will oder in den nächsten Wochen kündigen wird. Siemens zieht aus diesen Trends seine Schlüsse. Das Unternehmen schaffte beispielsweise Incentives sowie die Entlohnung nach einem Levelsystem ab; stattdessen setzt es auf „market conform pay“. Auch gibt es keine vorgefertigten Karrierepfade mehr. Am Ende gehe es, so Dr. Robert Neuhauser, immer um die Frage: Wie behandeln wir die einzelnen Menschen? Autor: Oliver Steeger Bereicherndes Know-how für die Community „Deutscher Studienpreis Projektmanagement“ der GPM verliehen Projektmanagement an Hochschulen zu fördern - dies hat bei der GPM seit vielen Jahren Tradition. Mit ihrem „Deutschen Studienpreis Projektmanagement“ (DSPM) zeichnet sie jährlich akademischen Nachwuchs aus. Dies kommt nicht nur dem Nachwuchs zugute, sondern auch der Wissenschaft: Die Arbeiten bereichern die PM-Community mit zukunftweisenden Ideen und verblüffenden Lösungen. In diesem Jahr prämierte die zwölfköpfige Jury unter Leitung von Professor Yvonne Schoper zwei herausragende Arbeiten, eine Bachelorarbeit und eine Masterarbeit. „Die Arbeiten leisten wieder wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung der Projektmanagement-Disziplin“, erklärte Professor Yvonne Schoper bei der Preisverleihung auf dem Galaabend des diesjährigen PM Forum. Die Forschungsergebnisse der jungen Wissenschaftler haben einen großen Bezug zur Praxis und sind nützlich für viele Projektarten und Projektbereiche. Auch für den Nachwuchs lohnt sich die Teilnahme am DSPM. „Die Erfahrung zeigt, dass frühere Gewinner heute in verantwortungsvollen Positionen tätig sind“, sagte die Jury-Leiterin, „sie bereichern mit ihrem Know-how das GPM Netzwerk, aber auch das Projektmanagement im Allgemeinen.“ Die preisgekrönte Masterarbeit von Roland Fuchs steht unter dem Titel „Geschäftsmodellinnovation: Entwicklung eines integrierten Ansatzes zur Geschäftsmodellinnovation mit Design Thinking“ (Technische Universität Berlin, Fakultät Wirtschaft und Management, betreuender Professor: Prof. Dr. Søren Salomo). Design Thinking gehört heute zum Werkzeugkoffer agilen Arbeitens. Roland Fuchs befasst sich mit diesem weitverbreiteten Ansatz, und er ermittelt, inwieweit dieser Ansatz bei der projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2019 NACHRICHTEN 65